Unter deutscher Führung trainiert die NATO vom 12. bis 23. Juni 2023 den Luftkrieg über Osteuropa. Das Großmanöver Air Defender 23 dient Deutschland auch dazu, seine nationale Stellung zu stärken. Ein Beitrag, den wir von der Webpage www.german-foreign-policy.com übernommen haben.
Mit dem am Montag beginnenden Luftkriegsmanöver Air Defender 23 sucht die Bundesrepublik ihre Stellung innerhalb der NATO weiter aufzuwerten. Das Manöver, an dem nach Angaben der deutschen Luftwaffe rund 10.000 Militärs mit 250 Flugzeugen aus 25 Staaten beteiligt sind, steht unter deutscher Führung; Übungsflüge werden hauptsächlich über Deutschland stattfinden. Das Manöver geht zudem auf eine Initiative der Bundesrepublik aus dem Jahre 2018 zurück. Damals hatte sich Berlin innerhalb der NATO bereiterklärt, als sogenannte Rahmennation den Aufbau multinationaler Luftwaffen-Großverbände voranzutreiben. Air Defender 23 soll nun den Erfolg dieses Projektes demonstrieren. Mit dieser und vergleichbaren Initiativen im Rahmen der Kriegsvorbereitungen des NATO-Blocks stärkt Berlin nicht nur seine Stellung im transatlantischen Bündnis; es treibt zugleich die Integration europäischer Streitkräfte unter deutscher Führung voran („europäischer Pfeiler der NATO“) und baut nationale militärische Fähigkeiten auf, die ihm auch unabhängig von NATO und EU zur Verfügung stehen.
Unter deutscher Führung
Das NATO-Großmanöver Air Defender 23 [1] geht nach Angaben der Bundeswehr auf eine deutsche Initiative zurück. 2018 hatte Berlin angekündigt, innerhalb der NATO als sogenannte Rahmennation den Aufbau einsatzbereiter multinationaler Großverbände im Bereich Luftwaffe (Multinational Air Group, MAG) übernehmen zu wollen. Die Bundeswehr hatte sich dabei verpflichtet, den Bündnispartnern 2023 die Einsatzbereitschaft der MAG in einem Großmanöver vorzuführen. Dafür entwickelten deutsche Militärs – damals noch unter der Bezeichnung MAGEX (MAG Exercise) – bald die ersten Konzepte. Davon laut Bundeswehr „völlig losgelöst“ entstanden beim deutschen Kommando Luftwaffe „neue Ideen für mögliche Großübungen“.
Dabei orientierten sich die Planer nach eigenen Angaben an dem US-geführten Großmanöver Defender Europe. Die Verpflichtung innerhalb der NATO (MAGEX) und die Wünsche nach einem deutsch geführten multinationalen Großmanöver à la Defender Europe führte die Bundeswehr dann in Air Defender 23 zusammen. Anders als Defender Europe steht es allerdings nicht unter US-amerikanischer, sondern unter deutscher Führung. Bei der Luftwaffe heißt es nun, mit Blick auf den Ukraine-Krieg komme Air Defender 23 „eine noch tragendere Rolle“ zu – als „weithin sichtbares Zeichen der Stärke ... des transatlantischen Bündnisses unter deutscher Führung“.[2]
Transatlantisch, aber europäischer
Berlins Strategie, unter dem Deckmantel der NATO nationale Machtpolitik zu betreiben, ist nicht neu. Von Anfang an beteiligt sich die Bundesrepublik an der 2014 begonnenen Hoch- und Umrüstung der NATO für einen möglichen Krieg gegen Russland – und zwar mit dem erklärten Ziel, den „europäischen Pfeiler“ innerhalb des US-dominierten Bündnisses zu „stärken“.[3] Die deutsch-europäischen Initiativen innerhalb der NATO entwickelten eine „Bedeutung“ über das transatlantische Bündnis „hinaus“, da sie „wesentlich zur Handlungsfähigkeit der EU“ beitrügen, urteilt ein ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr [4] – beispielsweise durch die „enge Verzahnung und fortschreitende Integration europäischer Streitkräfte“ [5] im NATO-Rahmen, die auch den Weg zu einer EU-Armee bahnen könnten. An eine militärisch gestärkte und geeinte EU knüpfen deutsche Spitzenpolitiker die Hoffnung auf eine verringerte außen- und militärpolitische Abhängigkeit Deutschlands von den USA. Vor diesem Hintergrund heißt es etwa im Weißbuch der Bundeswehr, die „deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ solle „in ihrer Grundausrichtung“ zwar „transatlantisch bleiben“, aber dennoch „zugleich europäischer“ werden.[6]
Bereit zu führen
Dabei beansprucht Deutschland seit einigen Jahren ausdrücklich, wie es etwa in der „Konzeption der Bundeswehr“ aus dem Jahr 2018 heißt, „in multinationaler Kooperation verstärkt eine Führungsrolle“. Dazu solle die Bundeswehr „eine zentrale Rolle bei der [militärischen] Integration von Bündnispartnern“ einnehmen.[7] Bereits 2016 verkündete die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen offen, Deutschland nutze aktuelle Krisen, um einen internationalen Führungsanspruch geltend zu machen: Deutschland sei „bereit zu führen“.[8] 2020 sah ein Strategiepapier der Bundeswehr Deutschland innerhalb von NATO und EU bereits in einer „Schlüsselrolle“.[9] Besonders mit dem von Deutschland in die NATO eingebrachten Rahmennationenkonzept habe sich die Bundesrepublik in einer „koordinierenden […] Rolle in die Mitte“ einer gemeinsamen „Fähigkeitsentwicklung der NATO gestellt“.[10] Mit seinen Initiativen in der NATO positioniert sich Berlin also nicht nur im Machtkampf gegen Russland; es stärkt zugleich seine Position gegenüber den USA und arbeitet an einer militärischen Führungsposition innerhalb der EU-Staaten.
Führungsanspruch im Baltikum
Für diese Strategie ist der Aufbau von Luftwaffengroßverbänden im Zusammenhang mit dem Rahmennationenkonzept, wie ihn aktuell Air Defender 23 demonstriert, nur eines von mehreren Beispielen. Eine koordinierende Rolle nimmt die Bundesrepublik beispielsweise auch bei der permanenten NATO-Präsenz entlang der russischen Westgrenze ein – etwa mit der Stationierung deutscher Soldaten im Rahmen der enhanced Forward Presence (eFP) bzw. der enhanced Vigilance Activities (eVA) des transatlantischen Militärbündnisses in Litauen, wo die Bundeswehr die Führung über eine multinationale Truppe innehat. Im Baltikum beansprucht Berlin zudem, nicht zuletzt in Konkurrenz zu Polen, unter dem Deckmantel der NATO einen Führungsanspruch, der sich im Marinekommando in Rostock verfestigt. Mit diesem hat Deutschland eine militärische Führungsstruktur aufgebaut, die es, wie die Marine schreibt, der NATO „bei Bedarf“ „zur Verfügung zu stellen“ [11], sie aber prinzipiell auch für nationale oder EU-Vorhaben einsetzen kann.
Auf dem Weg zur Allround-Armee
Auch beim Aufbau multinationaler Großverbände der Landstreitkräfte ist Deutschland seit 2014 an führender Stelle aktiv (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Zuletzt kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa an, „bis 2025“ werde die Bundeswehr „der NATO eine komplette Heeresdivision einsatzbereit melden“ – ein weiterer „Beitrag als Rahmennation, an den andere Länder andocken können“.[13] Nach Erfüllung ihrer Verpflichtungen in der NATO stehen die in diesem Zusammenhang aufgebauten Fähigkeiten freilich Berlin zur nationalen Verwendung zur Verfügung. Ähnliches gilt für die Erhöhung des Wehretats mit Verweis auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Das Ziel der Bundesregierung sei, erläutert Pistorius, „eine moderne Allround-Armee“ – ein unerlässlicher Schritt auf dem Weg zu einer eigenständigen Machtpolitik: „Die NATO-Ostflanke stärken“, konstatiert Pistorius, „heißt, uns selbst zu stärken“.
Quellen:
[1] S. dazu Am Rande des Krieges.
[2] Air Defender 2023 – Jahre der Vorbereitung, um 200 Flugzeuge in die Luft zu bekommen. Bundeswehr.de 28.03.2023.
[3] Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin, Juni 2016.
[4] Rainer L. Glatz, Martin Zapfe: Ambitionierte Rahmenation: Deutschland in der NATO. Die Fähigkeitsplanung der Bundeswehr und das „Framework Nations Concept“. SWP-Aktuell 62. Berlin, August 2017.
[5] Die Konzeption der Bundeswehr. Bonn 2018.
[6] Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin, Juni 2016.
[7] Die Konzeption der Bundeswehr. Bonn 2018.
[8] Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin, Juni 2016.
[9] Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft. Berlin, Mai 2021.
[10] Die Konzeption der Bundeswehr. Bonn 2018.
[11] Deutsche Marine: Bündnissolidarität – Mehr Marinepräsenz in der Ostsee, 17.2.2022, bundeswehr.de 17.02.2022.
[12] S. dazu Ein Ring um Russland (II) und Im Kriegsfall ganz vorn.
[13] Pistorius auf der MSC (Munich Security Conference) 23: „NATO-Ostflanke stärken, heißt, uns selbst zu stärken“. bmvg.de 23.02.2023.
(9.6.2023)
Quelle: www.german-foreign-policy.com
Sehr empfehlenswerte Webpage für die alle, die täglich über deutsche Außenpolitik informiert sein wollen.