ImageDie „Plattform 60 Jahre Neutralität“ veranstaltete anlässlich des 60. Jahrestages der immerwährenden Neutralität am 26. Oktober in Wien eine kreative Straßenaktion, bei der FriedensaktivistInnen aus unterschiedlichen Zugängen das Wort ergriffen. Unser gemeinsamer Aufruf: „Frieden und Neutralität statt EU-Militarisierung!“


Der Startschuss für die Aktion „Frieden und Neutralität statt EU-Militarisierung!“ am 26. Oktober 2015, dem 60. Jahrestag der Beschlussfassung der immerwährenden Neutralität, erfolgte genau ein Jahr davor: am 59. JahrestagJahrestag der Neutralität. An diesem Tag trafen sich auf Einladung der Solidarwerkstatt FriedensaktivistInnen aus verschiedenen Initiativen und Gruppen, um zu beraten, welchen Beitrag eine österreichische Friedensbewegung in Zeiten wie diesen leisten kann, um Krieg und Aufrüstung entgegenzutreten. Der fast einjährige Diskussionsprozess mündete im Aufruf „Frieden und Neutralität statt EU-Militarisierung!“ als Grundlage für die Straßenaktion am 26. Oktober 2015.

„Frieden und Neutralität statt EU-Militarisierung!“Image

Dieser Aufruf zeichnet sich dadurch auf, dass er einerseits benennt, was wir wollen: „Wir wollen als friedliebende Kräfte handlungsfähig werden. In der immerwährenden Neutralität Österreichs erkennen wir ein politisches Instrument, das einen Strauß an Möglichkeiten für eine friedensstiftende Außen- und Sicherheitspolitik hervorbringen kann.“ Dieser Strauß an Möglichkeiten reicht von einer aktiven Vermittlerrolle in aktuellen Konflikten (Ukraine, Syrien, Naher- und Mittlerer Osten,…) bis hin zur Förderung von zivilen Friedensdiensten. Andererseits arbeitet der Aufruf auch heraus, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit überhaupt eine glaubwürdige Friedens- und Neutralitätspolitik betrieben werden kann.  Diese reichen vom Rückzug aus den Strukturen der EU-Militarisierung (Battlegroups, Rüstungsagentur, EU-Auswärtiger Dienst, Frontex) über die Rücknahme neutralitätswidriger Gesetzesänderungen (z.B. Artikel 23 j B-VG) bis hin zur Verweigerung gegenüber einer Politik, die anderen Staaten neoliberalen Freihandel diktieren will. Denn der Zusammenhang zwischen Kriegspolitik und Freihandelsdiktaten ist offenkundig: Es gab vier Staaten in der „europäischen Nachbarschaft“, die sich der neoliberalen Freihandelspolitik der EU widersetzten bzw. zu widersetzen versuchten: Jugoslawien, Libyen, Syrien, Ukraine. Die Antwort des Westens: Bombenkrieg und Unterstützung von jihadistischen bzw. neofaschistischen Gruppierungen, um einen neoliberalen „Regime-Change“ zu erzwingen. Das Resultat dieser Politik: Ströme von Blut, Chaos und unendliche Flüchtlingstragödien.

Die Aktion der Plattform „60 Jahre Neutralität“ am 26. Oktober 2015, die vor dem Burgtor stattfand, erregte Aufsehen und Neugierde. Zum Beispiel als - unter der Empörung der ZuseherInnen- die verschiedenen Kanzler und Vizekanzler mit einer großen Säge jeweils große Stücke der Neutralität absägten. Ob rot–schwarz oder schwarz–blau, seit der Orientierung auf den bzw. der Realisierung des EU-Beitritts üben sich alle Regierungen in der Demontage der Neutralität, um an der EU-Sicherheits- und Militärpolitik „in all ihren Dimensionen“ (Österreichische Sicherheitsstrategie 2013) teilzunehmen.

„Ein wertvolles Gut“

ImageDie Verteidigung bzw. Wiedererlangung der österreichischen Neutralität statt daher auch im Zentrum verschiedener Redebeiträge von AktivistInnen. Irmgard Gersmann-Zauner, Aktivistin bei ATTAC Linz begründete, warum sie sich bei Pattform „60 Jahre Neutralität“ engagiert: „Ich finde, die Neutralität ist ein wertvolles Gut. Die Aufweichung der Neutralität Österreichs durch EU-Beitritt und die zunehmende Militarisierung der EU sind sehr kritisierenswert.“ Für sie geht es daher darum „den Respekt vor der Neutralität und die dafür notwendige Gesetzeslage wiederherzustellen“, um etwa im Ukraine-Konflikt wieder als glaubwürdiger Vermittler auftreten zu können anstatt wie die anderen EU-Staaten die konfrontative Politik gegen Russland mitzutragen. Für Gersmann-Zauner gehören Sozialstaat und Neutralität zusammen, da „ein nach innen sozialer Staat auch nach außen weniger aggressiv auftritt.“ Auch der Widerstand gegen drohende Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA sei – so Gersmann-Zauner - Teil einer Friedenspolitik, da diese Abkommen vor allem dazu dienen, „die Vorherrschaft des Westens einzuzementieren“.

„Neutralität heute aktueller denn je“

Boris Lechthaler von der Solidarwerkstatt, der die Kundgebung moderierte, unterstrich, dass die Neutralität „heute aktueller denn je ist.“ Lechthaler: „Ich denke insbesondere an die ukrainische Krise und die syrische Tragödie. Wo und wann immer ernsthaft an einer politischen Lösung gearbeitet wird, wird offenkundig, es gibt sie nur, wenn drei Prinzipien berücksichtigt werden:
- alle Groß- und Regionalmächte, alle inneren Kräfte, die an einem Frieden interessiert sind, müssen einbezogen werden, die Politik des Sessels vor die Tür stellen muss beendet werden.
- die territoriale Integrität der Staaten muss geachtet werden. Die Produktion von immer mehr failed states muss beendet werden
- die äußere Sicherheit kann nur gewonnen werden, wenn im Inneren die Lebens- und sozialen Rechte aller Menschen geachtet werden.
Die immerwährende Neutralität gründet auch auf diesen Prinzipien. Ihre friedensstiftenden Möglichkeiten können sich jedoch nur entfalten, wenn diese Prinzipien in der politischen Praxis beachtet werden.“

„Wollen wir wieder mitmarschieren?“Image

Bernd Skyva vom Naturschutzbund NÖ forderte die sofortige Beendigung der militärischen Zusammenarbeit des österreichischen Bundesheeres mit der deutschen Bundeswehr. Diese Kooperation, z.B. im Rahmen der EU-Battlegroups, sei mit Neutralität völlig unvereinbar, umso mehr als derzeit „völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit Deutschland atomar aufgerüstet wird.“ 20 neue NATO-Atombomben werden derzeit in Süddeutschland stationiert. Skiba: „Deutsche Tornadopiloten werden ausgebildet, um diese 20 Atomsprengköpfe, die die vierfache Sprengkraft der Hiroshimabombe haben, ins Ziel zu bringen. Das ist ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag!“ Skiba forderte daher abschließend: „Wir dürfen uns nicht mitschuldig machen! Es geht nicht darum, ob wir ein bisschen mehr oder ein bisschen wenig neutral sind, es geht um die völkerrechtliche Frage, ob wir wieder bei den Mitmarschierern dabei sind. Wir haben eine Verantwortung, wir haben eine Verfassung – und die gilt es zu berücksichtigen!“

„Eine kolossale Dummheit!“

Auch Franz Sölkner von der Steirischen Friedensplattform ergriff das Wort. Er bezeichnete die Politik der Machteliten, beginnend bereitsim Vorfeld des EU-Beitritts in den 80er Jahren als „absolut neutralitätsgefährdend“. Das sei „eine kolossale politische Dummheit der österreichischen Machteliten.“ Denn die Neutralität bietet „großartige Voraussetzungen für eine Friedenspolitik“, wie das etwa  in der Zeit der Regierung Kreisky unter Beweis gestellt wurde. Sie biete auch die „Chance einer Friedensdividende“, also Abrüstung, um damit Entwicklung und eine aktive Friedenspolitik zu finanzieren. Sölkner: „Hochgerüstete Großmächte haben null friedenspolitische Fantasie. Je weniger Militär ein Staat hat, desto mehr ist er gefordert, friedenspolitische Fantasie zu entwickeln, um Sicherheit ohne Waffen und Gewalt zu erreichen.“

Frontex als „EU-Armee in nascendi“

ImageNorbert Bauer, Vorsitzender der Solidarwerkstatt und Betriebsratsvorsitzender in einer Wiener Hotelkette, verwies auf die Bedeutung der Neutralität im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise. Einleitend zitierte er Klaus Heidegger von „Pax Christi“, der vor wenigen Tagen schrieb: „Die EU-Armee in nascendi erhält ihre erste große Bewährungsprobe in der Abwehr von Flüchtlingen unter Abkürzungen wie Frontex. All dies geschieht in den Tagen, in denen die österreichische Nation den Nationalfeiertag und damit die heimische Neutralität angesichts ihres 60. Geburtstages hochleben lassen könnte. Neutralität aber bedeutet von ihrem innersten Wesen eine Nichtteilnahme am Krieg und an internationalen militärischen Manövern. Dementsprechend sollte der österreichische Staat auf die Fülle nicht-militärischer Lösungsansätze einer aktiven Außen- und Friedenspolitik setzen. Das Herz-Ass eines neutralen Staates ist nicht ein militärisches Instrumentarium, sondern nicht-militärische Solidarität – aktuell besonders gegenüber den Flüchtlingen.“ Dem schloss sich Norbert Bauer voll und ganz an und forderte den Ausstieg Österreichs aus den militär- und sicherheitspolitischen Strukturen der EU wie Frontex, Battlegroups, Auswärtiger Dienst der EU usw. Sein abschließender Aufruf: „Wir brauchen letztendlich auch eine offen und tabulose öffentliche Diskussion über den Ausstieg aus den EU-Primärverträgen, damit  Österreich wieder aus der geopolitischen Bedeutungslosigkeit herauszuführen und sinnvolle Optionen für neue , friedliche Formen der internationalen Kooperation auf Augenhöhe zu ermöglichen.“

Für die Wiener Friedensbewegung, die ebenfalls den Aufruf 60 Jahre Neutralität unterstützt, unterstrich Andreas Pecha in einer Aussendung, dass „die Wiener Friedensbewegung die größte Gefahr für die immerwährende Neutralität in der Militarisierung der Europäischen Union sieht.“ Als positives Beispiel für eine aktive Neutralitäts- und Friedenspolitik hob er besonders das außenpolitische Engagement für eine atomwaffenfreie Welt hervor. In schriftlicher Formen kamen auch Grußadressen von Renate Pacher, Stadträtin in Knittelfeld und Specherin der KPÖ Steiermark, sowie Robert Müllner, Betriebsratsvorsitzender in einem großen Industriebetrieb und Sprecher der Alternativen und Grünen GewerkschafterInnen (AUGE) Salzburg.

"Aktiv neutral statt EU-militarisiert!"Image

Zu guter Letzt: Es war nicht nur eine wichtige politische Aktion, mit der wir viele Menschen erreicht haben. Es war auch eine sehr freundliche und genussvolle Aktion. Wir haben auf das Wohl nicht nur der Neutralität sondern auch jener Menschen angestoßen, die am 26. Oktober Geburtstag haben. Und da haben sich einige eingefunden. Reißenden Zuspruch vor allem unter den ganz Jungen fanden unsere Luftballons mit der Aufschrift „Aktiv neutral statt EU-militarisiert!“ Friedenserziehung kann schließlich nicht bald genug beginnen.