ImageAm 24. März vor 15 Jahren begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Aus diesem Anlass interviewte Solidarwerkstatt Österreich-Vorstandsmitglied David Stockinger den ehemaligen jugoslawischen Außenminister Zivadin Jovanovic zu den Hintergründen und Auswirkungen der Aggression sowie der aktuellen Situation in Serbien und der Region.

 

David Stockinger: Herr Jovanovic, sie waren auf verschiedenen Ebenen politisch aktiv. Geben sie uns bitte einen Überblick auf ihre früheren Funktionen und ihren politischen Hintergrund.

Zivadin Jovanovic: Ich habe eine diplomatische Ausbildung. Ich begann als Attaché 1964 und beendete meine Tätigkeit als Außenminister der Bundesrepublik Jugoslawien im Oktober 2000. Als Diplomat war ich in Kanada, Kenia und Angola beordert. Zeitweilig arbeitete ich im Präsidium der SR Serbien und im Präsidium der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Von 1997 bis 2003 war ich stellvertretender Vorsitzender der Sozialistischen Partei Serbien (SPS). In derselben Zeit war ich auch Abgeordneter des Bundesparlaments.

David Stockinger:  Sie sind Vorsitzender des „Beoforum for the World of Equals“. Warum und wie wurde das Forum gegründet und welchen politischen Charakter  bzw. welche politischen Ziele hat diese Organisation?

Zivadin Jovanovic: Im Jahr 2001 gründete eine Gruppe unabhängig denkender Intellektueller das „Beoforum for the World of Equals“ als eine unabhängige, nicht-parteigebundene und nicht-profitorientierte Gemeinschaft. Tatsächlich war es eine Reaktion auf die militärische NATO-Aggression 1999 und eine Konsequenz des Putsches am 5. Oktober 2000. Wir realisierten, dass dies die Ouvertüre des globalen Interventionismus, des Stürzens legitimer Regierungen und die Einführung der Regeln der globalen Macht anstatt der Rechtsstaatlichkeit war. Unsere Ziele waren und sind: die Förderung von Frieden, Freiheit, Recht und Gerechtigkeit, die Demokratisierung der internationalen Beziehungen, für die souveräne Gleichheit der Staaten, Nationen und Individuen. Wir stehen für den Schutz der Menschenrechte in ihrer allumfassenden Gesamtheit - soziale, wirtschaftliche, kulturelle, geistige, politische und andere Rechte sind in der Allgemeinen Erklärung der Vereinten Nationen über den Schutz der Menschenrechte verankert. Wir veröffentlichen Bücher, Artikel und organisieren Konferenzen, runde Tische, Pressekonferenzen. Das Beoforum ist Mitglied im World Peace Council (WPC) und pflegt eine enge Zusammenarbeit mit Organisationen ähnlicher Ausrichtung auf nationaler und internationaler Ebene. Am 22. und 23. März dieses Jahres organisiert das Beoforum eine Internationale Konferenz "Global Peace vs. Global Interventionism and Imperialism", anlässlich der 15. Wiederkehr der NATO-Aggression gegen Serbien (Bundesrepublik Jugoslawien).

GedenkkundgebungGemeinsam mit vielen Freunden, Friedens und Solidaritäts- Aktivisten aus der ganzen Welt, werden wir daran erinnern, dass diese kriminelle Handlung verantwortlich war für ca. 4.000 Tote und 8.000 Schwerverletzte, dass die Aggression direkte wirtschaftliche Schäden von etwa 120 Milliarden US-Dollar verursachte und für unbestimmte Zeit noch nicht abschätzbare gesundheitliche Schäden durch die Raketen mit abgereichertem Uran verursachen wird. Das ist eine Möglichkeit, ein Zeichen aus Belgrad zu senden, dass sich so ein Verbrechen nirgends auf der Welt wiederholen darf.

David Stockinger: Vor 15 Jahren bombardierte die NATO Jugoslawien, vor 14 Jahren gab es den Putsch gegen die sozialistische Regierung von Slobodan Milosevic am 5.Oktober 2000. In dieser Zeit waren Sie Außenminister. Seit den 90er Jahren (teilweise bis heute) kreierten die westlichen Medien und Politiker eine gehässige Kampagne gegen Serbien als „das Böse Europas“. Unsere Organisation, die „Solidarwerkstatt Österreich“, war sehr aktiv in den Anti-NATO-Demonstrationen 1999 und trat für die Solidarität mit Jugoslawien ein. Wie sehen sie die Entwicklung der Bundesrepublik Jugoslawien und später Serbiens seit dem 5. Oktober 2000?

Zivadin Jovanovic: Ich möchte mich bei der „Solidarwerkstatt Österreich“ und bei allen eigenständig denkenden Menschen in Österreich seitens des Beoforums für die moralische Unterstützung und Solidarität mit  die Menschen in der BR Jugoslawien, die vor 15 Jahren Opfer der  kriminellen NATO-Aggression wurden, bedanken. Serbien und die Serben wurden von den westlichen Medien verteufelt, sie wurden schlimmer als die Nazis dargestellt. Warum? Es wurden so viele Lügen verbreitet, um die imperiale und revanchistische Politik bestimmter westlicher Länder gegenüber Serbien zu rechtfertigen. Jugoslawien wurde von der EU / USA zerstört, Serbien und die serbische Nation fragmentiert, die Wirtschaft ruiniert und multinationalen Konzernen überlassen. Offiziell beträgt die aktuelle Arbeitslosenrate 25%, von denen 50% junge Menschen unter 30 Jahre sind. Jeden Tag wächst die Armee der 800.000 Arbeitslosen um 600 weitere. Die Staatsverschuldung Serbiens beträgt  heute über 20 Milliarden Euro, oder 60% des BIP, 20% höher als offiziell verlautbart. Vor 13 Jahren waren 9.000 Menschen in der Staatsverwaltung beschäftigt. Heute gibt es 30.000 Bürokraten im gleichen Apparat.

Alle Regierungen nach 2000 wurden und werden als „pro-westlich“ charakterisiert, jedoch die revanchistische anti-serbische Politik des Westens hat sich kaum verändert. Der Westen unterstützt „pro-westliche Regierungen“ aber keine „pro-serbische Politik“. Im Jahr 2008 proklamierte die Führung in Pristina, in der Tat die Führung der ehemaligen UCK-Terroristen, die illegale einseitige Unabhängigkeit, die sofort von den Regierungen der NATO-Mitgliedsländer und der meisten EU-Länder anerkannt wurde. Die „statuts-neutrale“ EULEX kreierte und kreiert die Institutionen dieses Phantomstaates und führende EU-Staaten rüsten seine „Sicherheitskräfte“ aus. Heute erpressen  dieselben Regierungen Serbien weiterhin für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen den Verlust seines Territoriums zu akzeptieren! Formal ist Serbien militärisch neutral, aber einseitige Zugeständnisse an die NATO, USA und EU, über Einrichtungen der NATO in Serbien, die sonst nur von Vollmitgliedern gemacht werden, stellen diese Formalität in Frage. Ich meine, dass Serbien seine Neutralität auch formal auf eine substantielle Neutralität erweitern und dies auch in seiner Verfassung verankern sollte. Um dies zu erreichen und eine ausgewogene internationale Position zu erreichen, ist es notwendig, die Beziehungen zu Russland, China, Indien und allen Ländern der Welt, die Serbiens Souveränität unterstützen und die abseits wirtschaftlicher und anderer Kooperation keine zusätzlichen Bedingungen stellen, auszudehnen und zu intensivieren. Serbien als kleines friedliebendes Land sollte nicht der NATO beitreten, die eine aggressive und imperialistische Allianz ist. Hat die NATO irgendetwas gemeinsam mit Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten? Wo immer auch die NATO intervenierte, hinterließ sie Tausende Tote, Zehntausende Verkrüppelte, zerstörte Ökonomien und verwüstete Umwelt, Chaos, Terrorismus, ethnische und religiöse Konflikte, die Fragmentierung von Staaten usw.. Die gegenwärtige Situation in Afghanistan, Irak, Libyen und anderswo widerspiegeln die wirklichen Ziele des „humanen“ und „demokratischen“ Charakter der NATO

David Stockinger: Der "Internationalen Gerichtshof für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien" in Den Haag arbeitet immer noch und wird noch einige Jahre arbeiten. Präsident Milosevic und viele andere Serben starben dort unter zweifelhaften Umständen. Russische Offizielle fordern die Schließung dieses Gerichts. Meiner Meinung nach hatte dieses Gericht nie die Aufgabe, die Wahrheit zu ermitteln und Gerechtigkeit sicherzustellen, sondern nur die Aufgabe, die Politik der Westmächte gegen Jugoslawien und Serbien zu legitimieren. Ist meine Annahme richtig?

Zivadin Jovanovic: Das Haager Tribunal ist ein wichtiges Instrument der NATO und ihrer imperialen Herren, um die Verantwortung für die Zerstörung Jugoslawiens und die Verbrechen, die während der NATO-Aggression 1999 begangen wurden, von den Tätern zu den Opfern - Serbien und die Serben – abzuschieben. Im weiteren Sinne ist es ein Werkzeug um Abhängigkeit und Diktatur in den internationalen Beziehungen einzuführen. Es wird von einigen arabischen Staaten, George Soros, dem privaten Sektor und einigen anderen mitfinanziert.

Trotz der Tatsache, dass die Bürgerkriege in Bosnien und Kroatien durch die gewalttätigen Abspaltungen von den Führungen dieser ehemaligen jugoslawischen Republiken und unterstützt durch den Westen, vor allem von den Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und den USA, begannen, wurde Serbien ( bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien) für die scheinbare Aggression beschuldigt. UN Sicherheitsrats-Beauftragter Yasushi Akashi notierte im Mai 1992, dass es keine Beweise für die Verwicklung der jugoslawischen Armee in Bosnien gab. Andererseits betonte er, dass kroatische Truppen in die Auseinandersetzungen involviert waren. Wie auch immer, dieser Bericht kam erst in die Hände des UN Sicherheitsrates, als dessen Mitglieder bereits harte Sanktionen gegen Serbien bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien verhängten. Der Bericht wurde offenbar im UN Sicherheitsrat falsch behandelt („administrativer Fehler“). Es wurden nur serbische Top-Politiker und serbische hohe Militärs vom Haager Tribunal verurteilt. Wie sie bereits erwähnten, starben viele von ihnen bevor der Prozess beendet und das Urteil verkündet war, unter ihnen der ehemalige serbische und jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Der serbische Politiker Vojoslav Seselj verbrachte bisher bereits 11 volle Jahre in Den Haag ohne dass seine Anhörung bisher beendet wurde. Zur Zeit ist es fraglich, ob der Prozess überhaupt jemals beendet werden wird. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass Seselj an Krebs erkrankt ist und sich nun einer Chemotherapie unterziehen muss!

Das Haager Tribunal hat sich geweigert, die Verbrechen der NATO gegen Frieden und Stabilität, gegen Zivilisten und die menschliche Umwelt zu untersuchen. Die Dokumentation über menschlichen Organhandel in Kosovo und Metochien, offiziell an das Haager Tribunal übergeben, wurde vernichtet! Der Initiative des Schweizer Anwalts und Abgeordneten Dick Marty folgend beschloss der Europarat einen Bericht und eine Resolution, die die Aufklärung fordert. Der Bericht strich unter anderen die Beteiligung von Hashim Thaci beim Organhandel heraus. Es hat weder Resultate der Untersuchungen, noch einen politischen Willen geben, die Untersuchungen zu unterstützen. Stattdessen gab es eine Initiative von einflussreichen Kreisen in Washington Hashim Taci für den Friedensnobelpreis zu nominieren. Kroatische Generäle, die wegen ethnischer Säuberung im Jahr 1995 und Ermordung serbischer Zivilisten angeklagt waren, wurden vom Haager Tribunal freigesprochen! Die ethnische Säuberung hundertausender Serben in Kroatien und der Massenmord serbischer Zivilisten sind offenbar nicht wert verurteilt zu werden. Ist es nur eine Justiz der „doppelten Standards“? Oder ist es „Sieger-Justiz“? Oder ist es einfach die Schande der Zivilisation in der wir leben?

David Stockinger: Seit 2012 hat Serbien eine neue Regierung und es sind mehr oder weniger dieselben politischen Kräfte zurück an der Macht wie vor dem Jahr 2000. Offensichtlich hatte das serbische Volk genug von der Demokratischen Partei (DS) und Präsident Boris Tadic. Andererseits beschreibt nun auch die aktuelle Regierung die „Europäische Integration“ als eines ihrer Ziele. Gibt es Änderungen in der täglichen Politik verglichen mit den vom Westen unterstützten Demokraten?

Zivadin Jovanovic: Die ganze Zeit seit der sogenannten „demokratischen Wende“ im Oktober 2000 wurden, egal wer die Wahlen gewann, alle serbischen Regierungen unter entscheidendem Einfluss westlicher Mächte gebildet. Das wurde mit Stealth-Bombern, Tomahawk-Marschflugkörpern, Depleted Uranium (DU)-Raketen , Cluster- und Graphitbomben vorbereitet. Die Resultate dieser „humanen“ und „smarten“ Errungenschaften sind heute noch im Zentrum Belgrads sichtbar und dies wirkt auch in der „Demokratie“ Serbiens. Die „Demokratie“, installiert mit Zehn- wenn nicht Hunderttausenden von US Dollars, Deutschen Mark, Britischen Pfund, Norwegischen Kronen, führte die sogenannten „unabhängigen“ Massenmedien ein mithilfe von hunderten ausländischen NGOs und sie ist Abbild dessen. Bis jetzt.

David Stockinger: Im April 2013 unterzeichneten Serbien und die separatistische Regierung in Pristina das „Brüssler Abkommen“ über die „Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad  und Pristina“. Im Herbst fanden in der Provinz Kosovo Regionalwahlen statt, die das erste Mal nicht von Belgrad, aber andererseits von der Mehrheit der Kosovo-Serben boykottiert wurden. Gibt es nun eine Spaltung innerhalb der Kosovo-Serben wegen des Standpunktes der Belgrader Regierung? Glauben Sie, dass die Kosovo-Frage für die nächsten Jahrzehnte ein „eingefrorener Konflikt“ bleibt?

Zivadin Jovanovic: Das sogenannte „Brüsseler Abkommen“ über die Prinzipien der Normalisierung ist ein Diktat, damit sich Serbien aus einem Teil seines Territoriums zurückzieht. Es ist keine Vereinbarung, da Serbien mit neuen Sanktionen und Isolation bedroht wurde. Es ist kein Kompromiss, da die 120.000 Serben in der Provinz nichts für die „Reintegration“ in die Phantom-„Republik Kosovo“ bekamen, außer 2 Zusagen: Erstens, dass die EU-Beitrittsverhandlungen im Jänner 2014 starten sollen, und zweitens, dass die verbliebenen Serbien in der Provinz nicht vertrieben werden, so wie ca. 250.000 ihrer Landsleute, welche auch 15 Jahre später keine Erlaubnis haben, in ihre Häuser in der Provinz zurückzukehren. Die „Verhandlungen“ in Brüssel waren ein weiteres Angloamerikanisch-Deutsches Rezept, um das Problem dem UN SR aus den Händen zu nehmen und so die Unterstützung Russlands und Chinas für Serbien zu neutralisieren und die UN SR Resolution 1244 (1999) beiseite zu schieben, die Serbiens Souveränität und territoriale Integrität und die Autonomie der Provinz Kosovo und Metochien innerhalb der Grenzen Serbiens festschreibt. Es ist essentiell zu verstehen, dass die „Verhandlungen“ die Ziele der NATO-Aggression formalisiert haben und sie haben die widerrechtliche Aneignung staatlichen Territoriums mit der Unterschrift und dem Siegel Serbiens legalisiert.

Dies kann nicht die dauerhafte Lösung sein: Es ist kein Kompromiss, sondern ein Diktat, es steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Völkerrechts die  in der UNO und Helsinki Charter festgeschrieben sind, sie steht im Widerspruch zu den berechtigten Lebensinteressen der Serben und der Verfassung von Serbien ist, es ist eine Verletzung der die UN-Resolution SR Resolution 1244 (1999) die für alle Mitglieder der Vereinten Nationen verbindlich ist. Es ist eine Manipulation, um Russland (und China) die Unterstützung Serbiens bei der Suche nach einem Kompromiss zu verwehren. Das  ist unklug und eine kurzsichtige Politik. Die EU ist in einer lang anhaltenden Krise, ihre Außen-und Sicherheitspolitik hat keine Perspektive, wenn sie auf Diktat und Methoden der Kolonialzeit basiert, vor allem mit dem Blick auf die Multipolarisierung der internationalen Beziehungen.

David Stockinger: Was ist ihre Meinung zu den Beziehungen Serbiens mit den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien?

Zivadin Jovanovic: Die Beziehungen zu den ehemaligen jugoslawischen Republiken und den anderen benachbarten Ländern müssen höchste Priorität haben. Um diese stabil entwickeln zu können, müssen diese strikt auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit, der Nichteinmischung, der offenen Grenzen und der uneingeschränkten Achtung der Rechte der nationalen Minderheiten beruhen. Die Tatsache, dass einige unserer Nachbarn Mitglieder der EU und der NATO sind, sollen die Vorteile einer wirtschaftlichen, kulturellen und infrastrukturellen Zusammenarbeit nicht einschränken.

Ein ernstes Problem in den Beziehungen mit Kroatien stellt die weiterhin vorhandene Diskriminierung der Serben, politische Hindernisse einer sicheren Rückkehr der serbischen Flüchtlinge, nicht entrichtete Kompensation für die Vertriebenen und eine teilweise Wiederbelebung einer Ustascha-faschistischen Atmosphäre in Kroatien dar. Im Rahmen des Dayton Friedensabkommens hat Serbien spezielle parallele Beziehungen mit der Republika Srpska aufgebaut. Diese Beziehungen sollten weiter entwickelt werden und von niemandem als nachteilig für die Beziehungen mit ganz Bosnien und Herzegowina betrachtet werden. Serbien wird offen bleiben für die Zusammenarbeit mit Sarajevo wo auch immer Interesse besteht. Diese Beziehungen sollten weiter entwickelt werden und nicht von jedermann als nachteilig für die Beziehungen mit der ganzen Bosnien und Herzegowina behandelt. Mit einer Ausnahme: Für eine Revision Bosniens zugunsten eines von den Moslems (Bosniaken) geführten Einheitsstaates stehen wir nicht zu Verfügung! Serbien als Garant des Dayton Abkommens sollte Bosnien  und Herzegowina als Vereinigung von drei gleichen, konstitutiven Völkern (Serben, Bosniaken und Kroaten) und zwei gleich Entitäten (Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina) unterstützen.

Serbien als ein Garant des „Daytoner Abkommens“ sollte Bosnien und Herzegowina als Union 3 gleicher konstitutiver Volker (Serben, Kroaten und Bosniaken) und 2 gleichen Entitäten (Republika Srpska und Föderation von Bosnien und Herzegowina) unterstützen. Eine Verletzung von Dayton wäre eine Schritt Richtung neuer Konflikte. Niemand- weder Brüssel noch Washington noch Sarajevo- sollte erwarten, dass Belgrad auf die aktuelle Führung der Republika Srpska Druck ausübt, damit sie auf die, im Dayton-Abkommen zugesicherten Rechte und Verantwortlichkeiten verzichte.

David Stockinger: Es ist offensichtlich, dass Russland und China eine immer wichtigere Rolle für die Balkan-Region spielen. Sind diese beiden Länder bzw. die Eurasische Gemeinschaft eine Alternative zur EU-Integration für Serbien? Darüber hinaus sind Russland und China traditionelle Bündnispartner Serbiens. Denken Sie, dass das die Basis für eine tiefer greifende Kooperation ist?

Zivadin Jovanovic: Lassen Sie mich zuerst mal sagen, dass China und Russland unabdingbare Mächte in den internationalen Beziehungen sind. Die jüngsten Entwicklungen in der Welt, speziell jene im Nahen und Mittleren Osten, zeigen, dass der Einfluss dieser beiden Länder wächst. Eine neue künftige Weltordnung ist unvorstellbar ohne eine respektierte neue Verteilung der Macht, die auf ökonomischem Wachstum, militärischer und politischer Stärke Chinas und Russlands sowie neuer Integrationsbestrebungen basiert. Es ist klar, dass die Weltwirtschaftskrise nicht ohne diesen beiden Spielern, ohne den BRICS Staaten und ohne den G20 gelöst werden kann. Lösungsprozesse für Krisen, z.B. in Afghanistan, Iran, Syrien, jetzt in der Ukraine, können nicht mehr fruchtbar diskutiert werden ohne die direkte Einbeziehung Russlands und auch in vielen Fällen Chinas. Serbien hat traditionell gute und freundschaftliche Beziehungen zu beiden Ländern. Dies wurde formalisiert und bestätigt durch die Unterzeichnung strategischer Abkommen und Verträge.

Russland zum Beispiel hat über fünf Milliarden US-Dollar für Investitionen in Serbien in den nächsten drei Jahren bereitgestellt. Diese Investitionen werden in die Modernisierung der Infrastruktur, den Energiesektor, die Petrochemische Industrie fließen. Russland finanziert den Bau der Gaspipline „South Stream“ durch Serbien, die nicht nur für die langfristige Energiesicherheit des Landes wichtig ist, sondern dieses Projekt verleiht Serbien auch wieder eine geopolitische Relevanz als Transitland. China ist auch beteiligt an der Konstruktion strategisch wichtiger Projekte   wie neuer Donaubrücken, Wärmekraftwerke und Autobahnen. Erst vor kurzem wurde Serbien am China-Südosteuropa-Gipfel in Bukarest als der Top-Priority-Markt am Balkan definiert. Russland und China sind zu vorteilhaften wirtschaftlichen Partnern geworden, ohne dass sie politische Bedingungen stellen. Das müssen auch jene Länder begreifen, die bisher auf ihren Privilegien und Monopolen gesessen sind! Wenn nicht, wird Europa und die Welt mit neuen Spannungen und Teilungen sogar mit Auseinandersetzungen konfrontiert werden. Wen z.B.  die NATO, als Relikt des Kalten Krieges, die heute selbst ermächtigt gegen die UN Charta und gegen das Völkerrecht interventionistische Kriege führt, nicht aufgelöst wird, dann wird das zu neuen Militärblocken, einem neuen Wettrüsten und neuen Konflikten führen Europa und die Welt braucht das nicht!

David Stockinger: Die EU sieht sich als neue Supermacht. Andererseits befindet sie sich in der größten Krise seit ihres Bestehens. Die südlichen peripheren Länder, wie Griechenland, Spanien und Portugal werden durch die deutsche Fiskalpolitik rekolonialisiert. Darüber hinaus sehen wir eine zunehmende Militarisierung der EU, oft in Kooperation mit der NATO, zunehmend aber auch eigenständiger. Unsere Organisation „Solidarwerkstatt Österreich“ kritisiert die EU und fordert einen souveränen, neutralen, friedlichen und sozial-orientierten Entwicklungsweg für Österreich. Denken Sie, dass das möglich ist, dass es eine Alternative zur EU-Integration, auch für Serbien, gibt?  „Es gibt keine Alternative zur EU!“- Nur ein Dogma der herrschenden Eliten?

Zivadin Jovanovic: Die hoch bezahlten EU-Bürokraten sind kaum objektiv! Sie neigen dazu US-imperiales Verhalten und Methoden zu imitieren. Es ist Fakt, dass die Weltwirtschaftskrise die EU und die USA am stärksten getroffen hat. Aber es ist sehr riskant und gefährlich, wenn nun die USA/EU/NATO die Bürden der Krise mit militärischen Mitteln auf andere Länder übertragen. Immerhin ist die Finanz- und Wirtschaftskrise ihr „eigenes Baby“, nämlich direktes Resultat ihres neoliberalen Systems. Das Streben nach billiger Energie, günstigen strategischen Mineralien, großen Märkten und strategischer Kommunikation haben ihr Limit erreicht. Es ist an der Zeit, diese Grenzen anzuerkennen und nicht Supermacht zu spielen, sei durch militärische oder finanzielle Mittel.

Jedes ernstzunehmende Land sollte Alternativen zur EU haben, inklusive Serbien! Die EU als einzige Orientierung ist nicht ratsam. Vor allem nicht in einer Periode der stellen und substantiellen Änderungen der Weltbeziehungen. Die EU hat nicht einmal ein minimales Verständnis für die legitimen Interessen Serbiens, sogar noch weniger bei der Unterstützung Serbiens in der internationalen Szene. Sondern genau das Gegenteil! Die Rolle und die Impertinenz von Fischer, Solana, Genscher, Petritsch, Athisari, Badinter sollten nicht vergessen werden. Wenn wir die Politik der „EU als einziger Möglichkeit“ weiterverfolgen würden, wäre das, wie wenn man freiwillig ein Leben mit geschlossenen Augen akzeptieren oder sich sogar freiwillig den Strang um das eigene Genick legen würde. Ich bin überzeugt, dass Serbien neutral bleiben soll und ausgewogene Beziehungen mit allen Ländern entwickeln soll, die Serbien als echten Partner akzeptieren und dessen legitime Interessen respektieren. Serbien benötigt Partner in der Art, wie diese Serbien benötigen - nicht mehr und nicht weniger! Dies sollte die Richtlinie der serbischen Außenpolitik sein.  Aber Serbien muss auch verantwortlich gegenüber seinen eigenen Potenzialen sein, den wirtschaftlichen, natürlichen, menschlichen, kulturellen und geopolitischen Potenzialen. Um im Ausland auf gleicher Augenhöhe akzeptiert und respektiert zu werden, müssen diese Potenziale fortschrittlich entwickelt werden.

Die aggressive NATO mit ihrer imperialen Strategie ist kein Platz für das friedliebende Serbien! Es ist besser für Serbien gute nachbarschaftliche Beziehungen zur EU zu unterhalten, als für eine EU-Mitgliedschaft Diktate zu akzeptieren und die eigenen Rechte betreffend Kosovo und Metochija aufzugeben. Neben der Sicherstellung guter Beziehungen zu allen Nachbarn, einschließlich der EU, muss Serbien seine Beziehungen zu Russland, China, Indien, Brasilien und den Blockfreien Staaten vertiefen. Ich denke, dass das der Weg ist, mit dem Serbien wieder wirtschaftlich wohlhabend, technologisch modernisiert und kulturell-geistig entwickelt bzw. der Lebensstandard der Menschen erhöht werden könnte. Wie auch immer, es gibt mehrere Wege, um ein menschenwürdiges Leben zu schaffen und zu sichern, als sich als NATO-Söldner an den Reichtümern fremder Völker zu vergreifen!

David Stockinger: Was ist ihre Meinung zur Zukunft der Beziehungen zwischen Serbien und Österreich? Denken Sie, dass eine Kooperation zwischen unseren Organisationen „Solidarwerkstatt Österreich“ und „Belgrade Forum for the World of Equals“ sinnvoll wäre für den gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Imperialismus und für einen souveränen sozial-orientierten Solidarstaat?

Zivadin Jovanovic: Österreich und Serbien haben traditionell eine fruchtbare ökonomische und kulturelle Kooperation. Die gemeinsame Donau und hunderttausende Serben, die in Österreich leben und arbeiten, verringern die Distanz zwischen den beiden Ländern und machen sie zu engen Nachbarn. In der Vergangenheit kooperierten die beiden Länder sehr eng in der Europäischen Gruppe der neutralen und blockfreien Länder und lieferten so einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent. Wir brauchen keine übergeordneten „Vermittler“ für unseren Handel und Investitionen. Österreich könnte mit seiner Hochtechnologie und seinem Know-how, sowohl in der Industrie wie auch in der Landwirtschaft, sogar eine größere Rolle in der Entwicklungspolitik Serbiens spielen. Dies muss zu beiderseitigem Vorteil passieren. Die beiden Länder könnten auch gemeinsames Engagement in Drittländern, z.B. in Afrika, zeigen. Sie sollten auch ihre Erfahrungen über die Bewahrung und Entwicklung der Neutralität austauschen, das wäre gerade in der Periode der rapiden Veränderungen in Europa und der Welt von Vorteil.

Das „Belgrade Forum for a World of Equals“ ist natürlich an einer Kooperation mit der „Solidarwerkstatt Österreich“ interessiert! Daher laden wir recht herzlich Vertreter ihrer Organisation zu unserer internationalen Konferenz am 22. und 23. März nach Belgrad ein. Dies ist eine gute Gelegenheit, um regelmäßige Kontakte zu starten.

David Stockinger: Herr Jovanovic, vielen Dank für das ausführliche Interview. Wir sehen uns in Belgrad!