ImageLaut Donatella Rovera, Krisenbeauftragte von Amnesty International, dürften in den ersten Tagen der Proteste in Ostlibyen an die 180 Menschen ums Leben gekommen sein. Am 31. März, 11 Tage nach dem Beginn der Bombardements, bezifferte das britische Außenministerium die Zahl der bis dahin Getöteten mit 1000 Menschen. Mittlerweile spricht der Berichterstatter der UN-Menschenrechtskommission von 10.000 – 15.000 Toten. Das zeigt zweierlei: Erstens hat das militärische Eingreifen der Nato nicht zur Beendigung des Krieges geführt, sondern zu seiner Ausweitung, und zweitens tragen Nato und Rebellen durch ihre Verhandlungsverweigerung die Hauptschuld an dieser Eskalation.

Inzwischen liegen mehr als 100 Nächte Bombardement hinter den Menschen in Tripolis und anderen Städten Libyens. Laut unabhängigen Berichten (http://de.ibtimes.com/articles/24299/20110627/mit-uran-munition-soll-bev-lkerung-libyens-vor-gaddafi-besch-tzt-werden.htm) soll von Anfang an massiv Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt worden sein, welches zu nachhaltigen Schäden für Land und Menschen führt.  Damit dauert dieser Krieg schon 32 Tage länger als jener gegen Jugoslawien 1999. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die dem Krieg zugrunde liegende UN-Resolution 1973 ermächtigt jeden Staat, der will, zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ alle militärischen Mittel einzusetzen und jeglichen Flugverkehr gewaltsam zu unterbinden – und fordert eine „sofortige Waffenruhe“. Schnell zeigte sich, dass die Luftwaffe von Frankreich, GB, der USA, u.a. nur auf einer Seite des innerstaatlichen Konflikts eingreift. Die Präsidenten und Regierungschefs Frankreichs, GBs und der USA nehmen für sich in Anspruch mit ihrem Krieg gegen die libysche Regierung ein Massaker in Bengasi und damit eine humanitäre Katastrophe  verhindert zu haben. Dies ist zunächst lediglich eine Behauptung – keine Tatsache. Eine Tatsache ist es hingegen, dass die Nato unisono mit den Rebellen jegliches Waffenstillstandsangebot des Gaddafi-Regimes abgelehnt hat und die Angriffe fortsetzt, obwohl die UN-Resolution eine Waffenrufe fordert.

Sarkozy, Cameron und  Obama haben öffentlich bekannt gegeben, dass sie den Krieg bis zum Sturz Gaddafis weiterzuführen gedenken, obwohl die UN-Resolution eine Entmachtung Gaddafis nicht vorsieht. Schon lange vor der UN-Resolution hatte Sarkozy bereits den Sturz Gaddafis als Ziel genannt. Wir sagen: Die behauptete „Schutzverantwortung“ der Kriegsallianz ist lediglich ein Vorwand, um in Libyen ein „regime change“ gewaltsam herbeiführen zu können. Die Beseitigung Gadaffis setzt die gewaltsame Einnahme der libyschen Hauptstadt voraus. Nato und Rebellen bereiten sich auf einen Angriff auf die zwei Millionen Einwohner zählende Agglomeration Tripolis vor. Schon jetzt häufen sich die Vorfälle, bei denen Zivilpersonen durch Nato-Bomben und Raketen getötet und verletzt werden. Das sind dann „bedauerliche Kollateralschäden“. Die Scheinheiligkeit der behaupteten Schutzverantwortung wird offenkundig, wenn sie in Tripolis ein Blutbad anrichtet. Rühmte sich die Nato im Falle Bengasis damit, durch ihr Eingreifen ein „drohendes Massaker“ verhindert zu haben, so bereitet sie in Tripolis selbst eines vor.

Krieg gegen Libyen  =  Krieg um Afrika

Welche Motive treiben, welche ökonomischen und geostrategischen Interessen verfolgt die Nato-Allianz mit ihrem kriegerischen Eingreifen in Libyen?

Erstens: Eine neue, neoliberal ausgerichtete libysche Regierung befreit die westlichen Erdöl- und Erdgaskonzerne von den Verträgen mit Gaddafi, die dem Regime durchschnittlich 89 Prozent der Einnahmen zuführten.

Zweitens: Eine neue Regierung, die in der Schuld ihrer westlichen Schutzmächte stünde, eröffnet multinationalen Wasserkonzernen die Möglichkeit, sich an der Vermarktung des noch in Staatsbesitz befindlichen Nubischen Aquifer zu beteiligen. Dieses größte Frischwasserreservoir der Welt unter der libyschen Wüste ermöglicht die komplette Wasserversorgung des Landes mit einer Reichweite von ca. 5.000 Jahren.

Drittens: Mit der Beseitigung Gaddafis verschwindet ein wichtiger Motor der afrikanischen Einigung, die auf eine ökonomische Selbständigkeit des schwarzen Kontinents abzielt – unabhängig vom internationalen Währungsfonds und den Petrodollars. Mit libyschen Öleinnahmen wurde der erste eigenständige afrikanische Kommunikationssatellit in eine Umlaufbahn gebracht, mit libyschen Finanzmitteln sollten eigenständige afrikanische Finanzinstitutionen eingerichtet werden. (Il Manifesto vom 22.4.2011 und 02.05.2011)

Viertens: Darüber hinaus könnte eine westlich orientierte neue libysche Regierung helfen, den Einfluss Chinas in Afrika zurück zu drängen. China investiert in Libyen mehr als in den anderen afrikanischen Staaten. Der Westen sieht in der chinesischen Konkurrenz eine Bedrohung des eigenen Einflusses und der Profitquellen westlicher Konzerne.

Fünftens: Eine pro-westliche Regierung in Libyen eröffnet für den Westen wieder die Möglichkeit – wie vor 1969 – Militärstützpunkte einzurichten.

All diesen Zielen steht Gaddafi im Weg. Das macht ihn nicht zu einem Freund der Friedens- oder Menschenrechtsbewegung. Er bleibt ein mit diktatorischen Befugnissen ausgestatteter Machthaber. Nur: Das darf nach dem geltenden Völkerrecht kein Grund für eine kriegerische Intervention sein. (siehe auch: http://www.ag-friedensforschung.de, http://www.werkstatt.or.at)

Aktive Neutralitätspolitik statt Mitmarschieren!

Die Militärintervention in Libyen zeigt einmal mehr, dass in einer Gemeinsamen EU Außen- und Sicherheitspolitik Österreich bloß die Unterordnung unter die Hegemonialpolitik der Großmächte bleibt. Oft wurde behauptet, Neutralität sei sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei. Die Hilfsdienste bei Interventionen entpuppen sich jedoch als besonders widerliche Trittbrettfahrerei. Die österreichische Bundesregierung beteiligt sich an allen taktischen Wendungen. Wir fordern von der Bundesregierung diese rückgratlose Politik sofort zu beenden, und alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um eine friedliche Konfliktlösung zu ermöglichen.

Wir fordern:

• Sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen, sofortiger Waffenstillstand
• Über die Zukunft der libyschen Gesellschaft muss in politischen Verhandlungen entschieden werden
• Keine Kriegsbeteiligung Österreichs, sofortige Beendigung jeglicher politischen und logistischen Unterstützung, auch keine Durchfuhr und keine Überflüge von Kriegsgerät
• Eine aktive Außenpolitik zur Unterstützung einer politischen Lösung auf der Grundlage der immerwährenden Neutralität, Unterstützung der Friedensbemühungen der Afrikanischen Union durch die Bundesregierung
• Humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung