Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatensspeicherung sieht die Speicherung von Kommunikationsdaten von sechs Monaten bis zwei Jahre vor - ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr. Datenschützer sehen darin den “Übergang von der Unschuldsvermutung zum Schuldverdacht”. Der Widerstand gegen die Richtlinie wächst. Die Solidarwerkstatt fordert die NR-Abgeordneten auf: "Sagt Nein!"
Zum Mail an die Abgeordneten Aktion zum Mitmachen! Aktion der Plattform "gegenVDS"
Umkämpfte EU_Spitzelrichtlinie
Im Jahr 2006 beschlossen die EU-Innen- und Justizminister die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, im Bürokratenjargon „Anwendung der Richtlinie auf die Speicherung von Kommunikationsdaten, betreffend Internetzugang, Internet-Telefonie und Internet- E-Mail“ genannt. Vorratsdatenspeicherung ist die Verpflichtung der Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Registrierung von elektronischen Kommunikationsvorgängen, ohne dass ein Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr besteht. Erklärter Zweck der Vorratsdatenspeicherung sei die verbesserte Möglichkeit der Verhütung und Verfolgung von schweren Straftaten. Bei allen Telefonaten müssen Rufnummer, Name, Anschrift, Uhrzeit und Dauer und bei Mobiltelefonen auch der Standort jedes Gespräches aufgezeichnet werden – und zwar für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bis maximal zwei Jahren. Gesprächsinhalte sind noch tabu. Im Internet sollen die IP-Adressen und die E-Mail Adressen aller Verbindungen nicht jedoch die Inhalte gespeichert werden. Datenschützer kritisieren, dass dies allerdings in der Praxis schwierig sei, da Anbieter speziell bei SMS und E-Mails nicht zwischen Verbindungsdaten und Inhaltsdaten unterscheiden.
“Kompletter Blödsinn.” In den meisten Mitgliedsstaaten ist die viel umstrittene und heftig kritisierte Richtlinie umgesetzt. Die Umsetzung variiert bei Speicherdauern der Verbindungsdaten und in manchen Staaten auch bei den Speicherfristen für Internetdaten und solchen aus den Telefonienetzen. Im Vereinigten Königreich werden beispielsweise die Vorratsdaten zwölf Monate lang gespeichert. 2009 gab es dort Pläne, wonach die Speicherung auf soziale Netzwerke wie Facebook oder MySpace ausgeweitet werden sollte. Doch es gibt auch Verweigerer und Säumige. Österreich, Deutschland, Belgien, Griechen-land, Irland, Luxemburg, Rumänien und Schweden haben die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bis heute nicht umgesetzt und wurden dafür vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt. Schwedens Regierung hat trotz des Urteils keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, da noch abgeklärt werden muss, ob die Vorratsdatenspeicherung nicht gegen die Menschenrechte verstößt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte im März 2010 die konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig, da das Gesetz in seiner jetzigen Fassung gegen Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Im Urteil des rumänischen Verfassungsgerichtshofs heißt es, eine verdachts- lose Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen Artikel 8 der Europäischen Menschen-rechtskonvention. Der irische High Court hat angekündigt, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob die Vorratsdatenspeicherung mit den EU-Grundrechten vereinbar sei. Vor wenigen Tagen hat der Oberste Gerichtshof der Republik Zypern die "Vorratsdatenspeicherung" für verfassungswidrig erklärt und das betreffende Gesetz außer Kraft gesetzt.
RechtsexpertInnen sehen auch juristische Möglichkeiten, sich der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie zu entziehen. So meint etwa die Sprecherin der Neuen Richtervereinigung Christine Nordmann: "Der vermeintlichen Pflicht zur Umsetzung der EU-Richtlinie kann man gelassener begegnen. Das ist im EU-Vertrag geregelt, im Artikel 114, Absatz 4. Darin steht, dass die Mitgliedstaaten nicht alle Harmonisierungen zwingend umsetzen müssen, wenn dies dem nationalen Recht entgegensteht und die nationalen Regelungen dem Grundrechtsschutz dienen." (Golem.de) Auch der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustnix kritisiert die Richtlinie scharf. Die von Politikern gern getätigte Aussage "wenn sie nichts zu verbergen haben, dann haben Sie auch nichts zu befürchten" hält er „für kompletten Blödsinn".
Widerstand auch in Österreich. Wie schaut es nun in Österreich aus? Ende Juli 2010 wurde Österreich wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie vom EUGH verurteilt, was noch keine finanziellen Folgen für Österreich hatte. Schon im März 2011 könnte aber das Ergebnis der nächsten EU-Überprüfung vorliegen und Österreich könnte zur Zahlung von Strafgeldern in Millionenhöhe verurteilt werden. Zur Zeit werden, um bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeichung nicht mit nationalen Gesetzen in Konflikt zu geraten, von den zuständigen Ministerien Novellierungen vorbereitet. Auch in Österreich gibt es massiven Widerstand gegen diese Richtlinie, mit der „wir von der Unschuldvermutung zum Schuldverdacht übergehen“ (Hans Zeger, ARGE Daten-Obmann) übergehen. Die Forderungen der Plattform „Freiheit statt Angst“ zeigen einerseits, wie weit der Überwachungswahn mittlerweile fortgeschritten ist, sie zeigen aber auch, dass sich mündige BürgerInnen immer mehr dagegen zur Wehr setzen.
Am 21. April 2011 finden in Linz, Treffpunkt 17h Schillerpark, und Graz, Treffpunkt 16h Mariahilferplatz, Demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung statt.
Weitere Infos und Materialien zu den Demos hier:
Die Bespitzelten dürfen selbst für die Bespitzelung zahlen!
„Allein die Investitionen in die Infrastruktur würde einen Euro pro Internetanschluss betragen“ rechnet Andreas Wildberger, Generalsekretär der Vereinigung der österreichischen Internetprovider, vor. (Standard Printausgabe, 8. Februar 2011)
In Österreich bestehen rund 12-14 Millionen Telefonanschlüsse, die etwa 20-40 Mrd. Telefonanrufen pro Jahr entsprechen, rund 40 Mrd. Mails werden jährlich verschickt bzw. empfangen. Zieht man die derzeit gültige Überwachungskostenverordnung (BGBl II 322/2004) heran, käme man bei flächendeckender Auswertung ("Gefahrenanalyse, Gefahrenabwehr und Gefahrenerforschung") rasch zu Beträgen von mehreren hundert Millionen bis einigen Milliarden EURO. Stehen doch den Telekomunternehmen Kostenersätze von 64,- EURO/Telefonnummer (Einrichtung) und 6,50 EURO pro Tag und Nummer zu. Wie hoch die Kosten tatsächlich wären kann nicht endgültig festgestellt werden, da derzeit kein Kostenersatz für die Maildatenaufzeichnung (Absender und Empfänger eines Mails) festgelegt wurde. Derartige Aufzeichnungen passieren derzeit überhaupt nicht und müssten von den Internetprovidern erst neu eingerichtet werden. Nimmt man nur einen Kostenersatz von 1 Cent/pro Datensatz an, wären das immerhin 200-400 Millionen EURO pro Jahr.
Fest steht, dass für diese viele hundert Millionen EURO teure Überwachung die TelekommunikationsnutzerInnen zur Kassa gebeten werden. Die BürgerInnen bezahlen, ob als Steuerzahler in Form von Rückvergütungen an die Telefongesellschaften oder durch höhere Telefongebühren. Einzig der Staat profitiert durch Mehrwertsteuermehreinnahmen für Kosten, die er selbst verursacht. (ARGE Daten 2008/12/31)
Kommentar:
Sagt Nein!
Europaweit ist sie quer durch die Bank höchst umstritten und ihr Sinn wurde mehrfach in Frage gestellt. Die Unschuldsvermutung wird ausgehebelt und alle Bürger geraten automatisch in Generalverdacht. Hohe Kosten, Eingriffe in die Grundrechte, Überwachung und eindringen in unsere Privatsphäre sind der Preis für vermeintlich mehr Verbrechensaufklärung. Aber selbst das trifft nicht zu. Die deutsche Kriminalstatistik beweist unbeeindruckt davon, ob nun die Vorratsdatenspeicherung angewandt wird oder nicht, dass bei den "Internetdelikten" die Aufklärungsquote just in den Jahren (2007 - 2009), da die Vorratsdatenspeicherung zur Anwendung kam, von 84,9 Prozent (2005) auf 75,7 Prozent (2009) gesunken ist. Sie hat also zu keiner Steigerung der Aufklärungsquoten bei Verbrechen geführt. Die Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung spüren nicht jene die tatsächlich zum engeren Kern organisierter Kriminalität oder terroristischer Vereinigungen zählen. Diese haben Mittel und Wege gefunden die Überwachungsmaßnahmen zu umgehen. Es trifft in erster Linie die „einfachen“ Bürger und insbesondere auch jene, die sich gesellschaftlich engagieren. Unsere Kontakte in Sozialen Netzwerk sind nicht länger unsere Privatsache und „die gläserne Gesellschaft“ wird durch die Aufzeichnung unseres Internet- bzw. Telefonierverhaltens mehr und mehr Realität.
Die Vorratsdatenspeicherung soll am 28. April 2011 im Parlament abgestimmt werden. Zum Schutz unserer und auch Ihrer Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Grundrechte fordern wir Sie, die Abgeordneten auf, diese Richtlinie abzulehnen. Sagt Nein zu Überwachungsstaat und Bespitzelung! (Esta)
Links zum Thema:
Freiheit statt ÜberwachungswahnDie österreichische Initiative “Freiheit statt Angst” ist eine politisch unabhängige Plattform und setzt sich für das Recht auf Privatsphäre ein. Zur Eindämmung des Überwachungswahns im Zeitalter der Informationstechnologie hier ihre wichtigsten Forderungen auf: http://www.freiheit-statt-angst.org/
“Paranoiastaat”
“Wenn man anfängt, Daten systematisch nach verdächtigen Mustern zu durchforsten, wird man viele verdächtigte Muster, aber wenige konkrete Tatverdächtige finden. Die Gefahr ist, dass wir uns als Bürger immer öfter für unsere Taten rechtfertigen müssen, aber nicht weil sie illegal sind, sondern bloß weil sie einem verdächtigen Muster entsprechen. Das widerspricht unserer Verfassung. Die Verfassung sagt, ich darf unbeobachtet leben und erst, wenn ich mich konkret verdächtig mache, muss ich Rede und Antwort stehen. Als Instrument, um Strukturen und Netzwerke zu identifizieren, ohne auf einen Anfangsverdacht angewiesen zu sein, kann die Vorratsdatenspeicherung hervorragend ausgenutzt werden. Terroristische Täter wird man damit aber keine finden....
Wir kommen vom Überwachungsstaat, den wir heute schon haben, zum Präventivstaat. Heute gilt noch die Unschuldsvermutung, wenn auch nur mehr als Floskel, später gilt der Schuldverdacht. Dann muss der Bürger beweisen, dass etwa ein gewisses Telefonat harmlos war. Wer mit jemandem telefoniert, der möglicherweise in einem Drogennetzwerk tätig ist, muss erst beweisen, dass er nichts mit dem Verbrechen zu tun hat. Das geht natürlich nicht. Damit steuern wir einem Paranoiastaat entgegen.”
(Hans Zeger, ARGE Daten, in: Standard, 15.2.2011, )
Zum vollständige Artikel: http://derstandard.at/1297216314225/WebStandard-Interview-Wir-steuern-einem-Paranoiastaat-entgegen