Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein! Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
(Reinhard Mey)

Diese Lied aus dem Jahre 1996 gewinnt immer mehr an Bedeutung. Und nicht einmal Orwell konnte ahnen, dass seine Dystopie von der Realität überholt werden würde. Der Überwachungswahn von Regierung und EU findet kein Ende. 2018/19 wurden/werden weitere Grundsteine gelegt um weitere Eingriffe in unsere Grund-und Freiheitsrechte, Überwachungsmaßnahmen möglich zu machen.

 
EU-Urheberrecht neu:
Ein Algorithmus zensuriert

Die heftig umstrittene Reform des EU-Urheberrechts wurde im April 2019 von der EU endgültig beschlossen und muss von den Regierungen der Mitgliedsstaaten innerhalb von 2 Jahren umgesetzt werden.
Umstritten deshalb weil das im Artikel 11 beschlossene Leistungsschutzrecht Suchmaschinen und ähnliche Angebote verpflichtet, Verlage zu bezahlen, wenn sie auch nur kleinste Ausschnitte ihres Materials verwenden. Was Journalismus wieder lukrativer machen soll, könnte sich als Bumerang erweisen. Dann wenn Google und andere die Lizenzgebühr nicht bezahlen, sondern statt dessen Nachrichteninhalte nicht mehr anbieten.
Plattformen wie YouTube werden durch Artikel 17 (vorm. 13) verpflichtet, schon vor dem Hochladen Inhalte auf Urheberrechtsverstöße zu überprüfen, quasi zu zensurieren. Uploadfilter sollen für Plattformen verpflichtend sein, die mehr als zehn Millionen Euro Umsatz pro Jahr, die mindestens fünf Millionen Nutzer pro Monat haben oder älter als drei Jahre sind. Letztlich trifft es damit alle. Wie kleinere Betreiber diese Vorgaben technisch und finanziell erfüllen sollen, ist unklar.
Bei diesem Algorithmen-basierten Filter besteht aber große Gefahr, dass viel mehr als nötig aussortiert wird, weil legaler Inhalt vielleicht nicht als solcher erkannt wird. Programme machen keinen Unterschied zwischen illegaler Kopie und erlaubter Satire, Zitate, Rezensionen, Karikatur, Parodie & Co.
Selbst das Filtersystem das Google für YouTube um 100 Millionen Dollar (Ang. Google) entwickeln ließ, ist nur sehr begrenzt in der Lage ist, den Kontext von Inhalten richtig zu erkennen. Der jedoch entscheidend dafür ist, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt oder nicht.
Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wals, geht davon aus, dass die UHRL den großen Techkonzernen wenig anhaben wird, den kleinen Betrieben und Organisationen aber schon. Das bedeutet noch mehr Macht für die Konzerne und die Gefahr von Grundrechtseinschnitten für InternetnutzerInnen. Es steht zu befürchten, dass wichtige gesellschafts- und demokratiepolitische Inhalte keinen Platz mehr haben werden.

EU-„Terror-Content-Verordnung“:
Über horrende Strafen zur vorbeugenden Zensur

Fast zeitgleich wurde eine Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte verabschiedet. Künftig sollen „terroristische“ Inhalte weggefiltert werden. Laut Verordnung können nationale Behörden Internetdienstleister nun auffordern „terroristische Inhalte“ binnen einer extrem kurzen Frist von nur einer Stunde zu löschen. Geschieht dies nicht schnell genug, drohen horrende Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten jährlichen Umsatzes. Mit dieser Anti-Terrorpropaganda Verordnung hängt ein Damoklesschwert existenzvernichtender Strafen über Betreibern von kleinen und mittleren auch nichtkommerziellen Internetplattformen. Diese können nicht so rasch wie größere Digitalkonzerne auf Löschbefehle reagieren. Diese werden wohl, um Strafen zu vermeiden, im Zweifelsfall dann gleich vorbeugend zensurieren oder Blogs etc. an größere Anbieter auslagern. Eine weitere Machtverschiebung hin zu Großkonzernen!
Was „terroristische Inhalte“ sind, definiert die Verordnung im Artikel 2 Absatz 5 a bis c nur sehr schwammig. Dies können nicht nur Aufrufe und Befürwortungen „terroristischer Straftaten“, sondern auch „technische Anleitungen“, „Darstellungen“ und bloße „Informationen“ sein, „die terroristische Vereinigungen fördern“.
Voraussetzung soll sein, dass „die Gefahr einer Begehung einer terroristischen Tat verursacht“ wird. Bei so einer Tat kann es sich nach Definition der EU-Antiterror-Richtlinie 2017/541 auch um zivilen Ungehorsam handeln. Wenn sie z.B. „grundlegende politische, verfassungsrechtliche, wirtschaftliche oder soziale Strukturen“ wie sie im EU-Primärrecht verankert sind, infrage stellen, z.B. den bedingungslosen Freihandel oder die Verpflichtung zur permanenten Aufrüstung. Werden dann Streikende oder UmweltaktivistInnen wie im Hambacher Forst als Terroristen eingestuft?

EU-Evidence Verordnung
Grenzüberschreitende Bespitzelung

Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene E-Evidence-Verordnung soll eine drastische Erleichterung der grenzüberschreitenden Abfrage persönlicher Daten durch Polizei- und Justizbehörden bei Internet- und Telekomfirmen zur Verfolgung von Straftaten mit einer Mindesthöchststrafe von 3 Jahren bringen - unabhängig davon, ob die verfolgte Tat dort, wo die Daten liegen, überhaupt strafbar ist. Die Daten können zwei Monate gespeichert werden, dies kann aber formlos verlängert werden.
Abgefragt werden dürften Teilnehmerdaten (Name, Geburtsdatum, Postanschrift, Telefonnummer), Zugangsdaten (Datum, Uhrzeit der Nutzung, IP-Adresse), Transaktionsdaten (Sende- und Empfangsdaten, Standort des Geräts, verwendetes Protokoll) sowie Inhaltsdaten (Text, Sprache, Videos, Bilder und Tonaufnahmen). Das wäre ein weiterer massiver Eingriff in unsere Privatsphäre, sowie unsere Grund- und Freiheitsrechte.
Die Provider müssten, nachdem sie - und nicht Behörden - die Legitimität des Ansuchens überprüft haben, den Justizbehörden des Anordnungsstaates innerhalb von zehn Tagen und bei Gefahr in Verzug in sechs Stunden antworten. Bei Nichterfüllung der Anordnung droht eine Strafe bis zwei Prozent ihres Jahresumsatzes.

„Digitales Vermummungsverbot“:
Frontalangriff auf Mitmachinternet und Whistleblowing

Die österreichische Bundesregierung plant für 2020 ein Gesetz für eine Ausweispflicht im Internet. Wollen Forennutzer oder Online-Netzwerker zukünftig weiterhin unter einem Pseudonym Postings machen, müssen sie dafür ihre volle Identität preisgeben. Die Registrierungspflicht soll auch rückwirkend gelten.
Plattformbetreiber, die in Österreich mehr als 100.000 registrierte Nutzer haben oder deren Vorjahresumsatz in Österreich 500.000 Euro übersteigt, müssen im Hintergrund Informationen, die User eindeutig identifizierbar machen (Vor- und Nachnamen, Adresse), speichern.
Die Betreiber müssen die Daten den Behörden im Falle einer Ermittlung, aber auch Privaten (Dritte) etwa bei Verdacht auf eine Ehrenbeleidigung, zur Verfügung stellen. Damit sollen offensichtlich Whistleblower, die aus guten Gründen anonym bleiben wollen, abgeschreckt werden. Aber auch Opfern von Hass im Netz, wie z.B. Minderheiten und politisch aktive Menschen, deren Täter ohnehin häufig mit Klarnamen posten, wird ein Bärendienst erwiesen. Wichtige Gegenrede findet dann aus Angst vielleicht nicht mehr offen statt. „Dieses Gesetz ist ein Frontalangriff auf des Mitmach-Internet“, meinen die Datenschützer von epcenter.works.
IT-Rechtsexperte Lukas Feiler der Kanzlei Baker McKenzie kritisiert, dass die Regelung gegen das Grundrecht auf Datenschutz verstoße. Die verpflichtende Identifikation sei ein schwerwiegender Eingriff, da sie „flächendeckend und anlasslos gelten würde“. Gleichzeitig wäre die Umsetzung vermutlich teuer. Zwar sind Plattformen unter bestimmten Kriterien ausgeschlossen, dennoch seien die Richtlinien laut Feiler nur von Großkonzernen erfüllbar.

Digitalsteuer
Vorwand für Bespitzelung?

Die österreichische Bundesregierung plant bis 2020 ein Digitalsteuer-Gesetz, das Internetwerbeanbieter zur Kassa bitten soll, aber dazu führt, dass jeder Schritt von Nutzern überwacht wird.
Kurioserweise verpflichtet die Digitalsteuer Internetkonzerne mit hohem Werbeanteil wie Facebook und Google zur Speicherung aller Zugangsdaten von Seitenzugriffen, sowie Standortdaten, IP-Adressen, der Geräte für 7 Jahre – statt weniger Daten der User zu erfassen wie häufig gefordert wird. Und zwar bereits dann, wenn User eine Werbeanzeige auf dem Gerät sehen (!). Der Providerverband ISPA kritisiert, dass damit wohl auch die Daten selbst gemeint sind, da die Behörden nur so die Informationen auch nachprüfen können.

Vorratdatenspeicherung neu
Wie eines zum anderen passt

Die britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat ein Dokument geleakt, woraus hervorgeht, dass die EU-Kommission bis Jahresende eine Machbarkeitsstudie mit Vorschlägen zur Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung (VDS) präsentieren soll.

Erich Möchel analysiert in seinem Beitrag vom 14.4.2019:
„Insgesamt fügt sich diese Initiative der österreichischen Bundesregierung (VDS, Anm.d.Red.) auf EU-Ebene nahtlos in die nationale Gesetzgebung auf dem Kommunikationssektor ein. Erst kam die Registrierpflicht mit Ausweis für alle Prepaid-Konten der Mobilfunker, also eine neue breitflächige Erhebung personenbezogener Daten in großem Stil. Dann wurde eine neue Schmalspursteuer (Red. Digitalsteuer) präsentiert, die von allen Internetkonzernen zusammen gerade einmal 15 Millionen einkassieren soll.
Dafür müssten dann aber alle IP-Adressen aller österreichischen Nutzer von diesen Konzernen sieben Jahre lang gespeichert werden. Zuletzt kam nun eine Registrierungspflicht für Online-Postings, die dazu führen wird, dass die Internetkonzernen noch mehr und wertvollere Daten wie etwa die Handynummer erhalten werden. Es zeichnet sich also ein „Prinzip des Datenreichtums“ ab, das über dieser „Digitalpolitik“ waltet. Internetkonzerne, Mobilfunker und Online-Services werden gesetzlich zur Erhebung von weiteren personenbezogenen Daten ihrer Benutzer verpflichtet, denn für jedes einzelne in diesem Artikel erwähnte Gesetz müssen neue Datenbanken eingerichtet werden. Wer bei Facebook aus guten Gründen bis jetzt keine Handynummer angegeben hat, wird das in Zukunft müssen.“

Engagieren wir uns!
Jene die das Überwachungsnetz immer enger zusammenziehen wollen, machen ihre Daten-Rechnung ohne die Zivilgesellschaft. Die Solidarwerkstatt wird immer wieder bereit sein, gemeinsam mit anderen unsere Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen - wie bereits in der Vergangenheit (Vorratsdatenspeicherung, Staatschutzgesetz, Überwachungspakt ...). Engagieren wir uns und seien wir wachsam! In diesem Sinne: „Wir sind hier, wir sind laut, wenn man uns die Freiheit klaut!“

Eveline Steinbacher
(April 2019)


 

https://fm4.orf.at/stories/2975759/

https://derstandard.at/2000101118088/Postings-Aufhebung-der-Anonymisierung-koennte-gegen-EU-Recht-verstossen

https://www.heise.de/tp/news/Uploadfilter-Terrorfilter-und-ungefiltert-abgeladener-Error-4399080.html?wt_mc=nl.tp-aktuell.taeglich

https://fm4.orf.at/stories/2973238/

https://futurezone.at/netzpolitik/registrierungspflicht-fuer-foren-nutzer-kommt-2020/400462315

https://futurezone.at/netzpolitik/digitalsteuer-fuehrt-zu-massiver-ueberwachung-aller-internet-user/400457806

https://epicenter.works/content/digitalsteuer-die-neue-vorratsdatenspeicherung-kommt-durch-die-hintertuer

https://www.heise.de/tp/features/Zehn-Tage-fuer-die-Beschlagnahme-von-Cloud-Daten-4323635.html