ImageAm 2. März 2010 startet am Landesgericht Wiener Neustadt der Prozess gegen zehn TierechtsaktivistInnen. Der Monsterprozeß ist für ein halbes Jahr geplant, mit drei Prozesstagen pro Woche. Geladen werden sollen 200 ZeugInnen werden. Die Verteidigungskosten werden pro Beschuldigten auf EUR 200.000,- geschätzt. Hauptanklagepunkt ist Bildung einer kriminellen Organisation nach § 278 a StGB. 4 Angeklagten wird ausschließlich dieser Tatbestand zur Last gelegt. Nach wie vor kursiert die Vermutung, daß eine niederösterreichische Jagdgesellschaft treibende Kraft hinter der Verfolgung der AktvistInnen ist. Ein Antrag den Prozeß nach Wien zu verlegen wurde jedoch bereits Anfang November abgewiesen.

Millionen für die Verfolgung von NGO - AktivistInnen - Wirtschaftskriminelle bleiben unbehelligt 

Seit 4 Jahren wird mit ungeheurem Aufwand gegen die AktivistInnen ermittelt. Die Ermittlungen - Observationen, Telefonüberwachungen, etc. - dauern auch weiterhin an. Am 21. Mai 2008 stürmten Sondereinheiten der Polizei frühmorgens 23 Wohnungen, Büros und Häuser von TierrechtsaktivistInnen. Die politischen AktivistInnen wurden mit vorgehaltener Pistole aus den Betten gerissen, ihre Computer beschlagnahmt, zehn kamen in Untersuchungshaft. Erst durch eine immer breiter werdende Solidaritätsbewegung gelang es schließlich, dass die Inhaftierten nach 105 Tagen Haft freikamen. An die 20 KriminalpolizistInnen in der "Soko - Pelz" sind ausschließlich mit der Verfolgung der TierrechtlerInnen beschäftigt. Alleine die Telefonfirmen verrechneten den Behörden für die Überwachung 100.000 Euro. Um dem Obmann des VGT DDr Martin Balluch die Autorenschaft diverser Bekennerschreiben bei Sachbeschädigungen nachzuweisen, erstellte der AHS-Professor, Dr. Wolfgang Schweiger, im Auftrag der Soko-Pelz ein Gutachten mit einem Honorar in Höhe von EUR 35.000,-. Univ.-Prof. Dr. Manfred Kienpointner vom Institut für Sprachen und Literaturen der Universität Innsbruck kommentierte Dr. Schweigers Gutachten so: „Ich erachte es für unhaltbar, aufgrund des Gutachtens von Dr. Schweiger davon auszugehen, dass DDr. Balluch und die AutorInnen der diversen Bekennerschreiben ‚mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‘ identisch sind."  Mag. Dr. Martin Reisigl, vom Institut für Sprachwissenschaften der Universität Wien, Autor verschiedener Sachverständigengutachten, befasste sich auch mit diesem Gutachten und kommentierte: „Aus meiner Sicht […] ist der [bezahlte] Betrag astronomisch überzogen, noch dazu für ein derart unhaltbares Gutachten." Der Aufwand ist völlig unverhältnismäßig. Viele Menschen fragen sich angesichts des Milliardendesasters bei Meinl, Hypo Alpe Adria, u. a., ob die Ressourcen für kriminalpolizeiliche Ermittlungen nicht völlig falsch eingesetzt werden.

EU-Binnenmarkt verunmöglicht Handelsverbot

Die Zucht von Tieren ausschließlich zur Pelzgewinnung ist in Österreich bereits seit 1998 verboten. Ein nationales Handeslverbot widerspricht jedoch den Binnenmarktregeln der EU und internationalen Handelsübereinkommen im Rahmen der WTO. Ein anderes Beispiel für diesen absurden Vorgang bildet Strom. Während in Österreich die Stromerzeugung aus Nuklearenergie verfassungsgesetzlich untersagt ist, widerspricht jede nationale Maßnahme gegen den Bezug von "Atomstrom" dem freien Binnenmarkt der EU. Das ist im Kern nichts weniger als eine elegante Entsorgung der demokratischen Mitbestimmung. Klar, daß sich nicht alle Menschen das gefallen lassen wollen: "Aus diesem demokratiepolitischen Defizit ergaben sich länderübergreifende Kampagnen, die das Ziel verfolgten, pelzführende Modehäuser derart unter Druck zu setzen, dass sie dazu bewegt werden, Bekleidung mit Pelz aus dem Sortiment zu streichen. Da eine Gesetzesänderung, also ein Handelsverbot, unmöglich ist, wurde das Kampagnenziel darauf ausgerichtet, die Konzerne in die Verantwortung zu nehmen, damit sie die gesellschaftlich anerkannten Werte übernehmen und ein Produkt, in diesem Fall Pelz, dessen Produktion bereits verboten ist, auch nicht mehr zum Verkauf anbieten. Diese Kampagnen brachten große Erfolge. Unternehmen wie C&A, Karstadt-Quelle, Zara, P&C und andere große Modehäuser beendeten den Pelzverkauf." Harald Balluch (VGT) in guernica 3/2008

Erfolg brachte TierschützerInnen ins Visier der Justiz

Auf legistischer Ebene konnte der VGT und andere Tierschutzorganisationen in den letzten Jahren durchaus Erfolge verzeichnen. Ein Beispiel ist das Verbot von Legebatterien. Doch auch hier bleibt zivilgesellschaftliches Engagement notwendig, wie z. B. die Besetzung der illegalen Legebatterie des ÖVP-Bürgermeisters von Goschenreith im Waldviertel, DI Karl Latschenberger Anfang November dieses Jahres zeigt.Nach Angaben des Betriebsleiters werden 72.000 Hühner in den 2 doppelstöckigen Hallen des Betriebes in winzigen Gitterkäfigen gehalten. Da die Bezirkshauptmannschaft versicherte, ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Legebatterie unverzüglich einzuleiten, beendeten die AktivistInnen ihre friedliche Besetzung nach 6 ½ Stunden freiwillig. VGT-Obmann DDr. Martin Balluch dazu: „An diesem Beispiel sieht man, wie wichtig Tierschutzaktivismus für die Gesellschaft ist, auch wenn dabei Gesetze übertreten werden. Ohne nächtliche Recherche mit Filmen von dem Betrieb wäre nicht bekannt geworden, dass es sich um eine illegale Legebatterie handelt. Und ohne die Besetzung würde der Fall nicht publik und die Behörde bliebe inaktiv. Durch diese harmlosen Gesetzesübertretungen wurde schwerste Tierquälerei an 72.000 Hühnern aufgedeckt und hoffentlich in Zukunft verhindert. Die gesamte Bevölkerung steht in solchen Fragen hinter uns und ist uns für diese Aktivität dankbar. Aber stattdessen gibt es eine SOKO gegen den Tierschutz und illegale Tierquälerei wird behördlich toleriert. Einmal mehr rufen wir die Bevölkerung auf, die Gefahr zu sehen und uns aktiv zu unterstützen, um diesen Frontalangriff auf die kritische Zivilgesellschaft abzuwehren!“ (siehe: www.vgt.at) Es sind offensichtlich diese Erfolge der Tierrechtsbewegung und die breite Unterstützung der Bevölkerung, die diese ins Visier der Justiz brachten. 

§ 278a StGB schafft einen neue Form der Sippenhaftung 

Von den Gebrüdern Graf, Eigentümer der Modekette Kleiderbauer, wurde nachweislich Druck auf die Polizei ausgeübt, die Anti-Pelz Kampagnen behördlich zu unterbinden. Nachdem man aufgrund des Verfassungsrechts hier wenig erfolgreich war, beschritt man offensichtlich den Weg der Kriminalisierung der AktvistInnen. Mangels an Beweisen für konkrete Straftaten - Sachbeschädigung, Nötigung, etc. - verstieg man sich auf die so genannten Vereinigungsdelikte des §278 des StGB als Pepressionsinstrument. Der Vorteil: eine konkrete Straftat muß hier nicht nachgewiesen werden, es muß auch nicht einmal eine Straftat tatsächlich begangen worden sein. Es genügt der Verdacht, eine solche vorzubereiten, bzw. auch nur die Vorbereitung indirekt zu unterstützen. Stefan Traxler, Anwalt von DDr Martin Balluch, schildert im Standard im Dez. 2008: "Vor wenigen Tagen wurde eine Frau, die vor fünf Jahren per Internet Infomaterial beim Verein gegen Tierfabriken angefordert und seither keinen Kontakt mit dieser Gruppe mehr hatte, von Polizisten aufgesucht und befragt." 

Was wäre, wenn es die §§ 278 ff schon früher gegeben hätte? Alle Punkte der §§ 278 ff StGB hätten auf zahlreiche Initiativen in der österreichischen Geschichte zugetroffen. Wie wäre es den DemonstrantInnen in der Hainburger Au ergangen, der Anti-Atomkraft-Bewegung, BürgerInneninititativen gegen die Brennerautobahn oder gegen grenznahe Atomkraftwerke. Diese müssten heute konsequenterweise zu Verfolgungen nach dem „Mafia-Paragraphen“ führen, denn jede der angeführten Initiativen

- bestand aus mehr als 10 Personen

- war auf längere Zeit ausgerichtet

- war unternehmensähnlich organisiert (Arbeitsteilung, Infrastruktur)

- erlebte in ihrem Umfeld Situationen, wo es bei Aktionen zu strafbaren Handlungen kam wie etwa Ausschreitungen bei Demonstrationen, schwere Sachbeschädigung durch Beseitigen von Bauzäunen, wirtschaftliche Schädigung durch Blockaden von Verkehrsflächen etc.

-  wollte ohne Zweifel Einfluss auf Politik und/oder Wirtschaft nehmen

- „schüchterte“ auf die eine oder andere Art z.B. durch Demonstrationen, Besetzungen den jeweiligen Gegner ein. 

Alle diese Kriterien treffen auch auf die aktuelle Studierendenbewegung mit den Hörsaalbesetzungen zu. Auch in deren Umfeld geschehen Sachbeschädigungen und andere strafrechtlich relevante Handlungen, für die die AktivistInnen jedoch nicht wirklich verantwortlich sind. Schon der § 278a weist eine bedenklich demokratiegefährdende Schlagseite auf, weil er es als ein Kriterium für eine „kriminelle Organisation“ festschreibt, „erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anzustreben.“ (§ 278 a, Z 2, StGB). Die §§ 278b, c und d legen noch ein Schäuferl nach. Diese „Anti-Terror“-Paragrafen leiten den „Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung“ der EU-Innen- und -Justizminister aus dem Jahr 2002 in das österreichische Strafgesetzbuch über. Die EU-Terrorismusdefinition wird wortwörtlich übernommen. Als „terroristische Ziele“ gelten u.a. Taten, die „öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation ernsthaft erschüttern“ (§ 278c, Abs 1, StGB).

ExpertInnenkritik: Hohes Risiko, auch für Fußballvereine 

Univ.-Prof. Dr. Petra Velten, Institutsvorständin des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Universität Linz, stellt fest: „Wenn man sich hier anschaut wie der OGH und die Strafverfolgungsbehörden mit dem Fall umgegangen sind, muss der Verdacht aufkommen […] weil man eben einen Ersatz dafür sucht, dass man einzelnen Personen die Anschläge nicht nachweisen kann, […] greift man jetzt zu den Organisationsdelikten und zwar nicht nur zu dem niedrigeren Organisationsdelikt, bei dem es schon fragwürdig wäre, also bei der Bandenbildung, ob sie erfüllt ist, man geht auch noch hin und bezeichnet die Leute als mafiöse Organisation, obwohl jeder weiß, was die Mafia darstellt und ist und dass das dann qualitativ was ganz anderes ist. Das heißt es entsteht auch für alle NGOs und auch für Fußballvereine oder sonst was mit dieser Auslegung der Straftatbestände krimineller Vereinigung, krimineller Organisation ein sehr hohes Risiko. Deswegen habe ich das in meinem Aufsatz als Sippenhaftung bezeichnet..."  und weiter: „Ein wirkliches Problem stellt dieser weite Mitgliedschafts-Definitionsbegriff dar. […] in sämtlichen Organisationsdelikten war der Versuch anfangend mit der terroristischen Vereinigung, eben zu sagen, wir wollen, dass eine Entsolidarisierung mit den Mittätern stattfindet und das ist genau das, wo man sagt, hier ist die Grenzlinie erreicht, wenn das Strafrecht sozusagen Gesinnungselemente, nämlich, ich erkläre mich solidarisch, was ich mache ist relativ sozial neutral, zum Anlass nimmt, um Straftatbestände zu etablieren.“

Dr. Hannes Jarolim, Justizsprecher der SPÖ:  „Insofern ist die Unterstellung, dieses Sachverhaltes unter diese Bestimmung also in höchstem Ausmaße nicht nur bedenklich sondern zumindest mit den Diskussionen, bei denen ich teilgenommen habe im Rahmen der Gesetzwerdung, sicherlich nicht vereinbar. […] Ich denke, dass wir mit dieser Entscheidung ein erhebliches Einschüchterungspotential für viele NGOs jetzt geschaffen haben.“

Univ-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien: „Es war ja damals schon absehbar wohin der Zug geht. Vielleicht nicht so weit, wie er dann zuletzt gegangen ist, nämlich, dass der OGH die Haftzeit, die Untersuchungshaft, praktisch fast gleich rechnet mit der drohenden Höchstdauer der Strafe. Also das muss man sich erst so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Da würde ich sagen, das ist fast schon denkunmöglich, ist es aber nicht, es ist geschehen."  (siehe: www.vgt.at)

Widerstand ist notwendig - Solidarität ist selbstverständlich

In Großbritannien hatte Sean Kirtley gemeinsam mit FreundInnen immer wieder legale Demonstrationen gegen die Pharmafirma Sequani organisiert und eine Kampagnenwebseite gegen diese Firma (http://sequani.wordpress.com/) betrieben. In der Kampagne gegen Sequani ist es zu keinerlei kriminellen Handlungen gekommen. Dennoch sah der Richter, der auch Jäger ist, im Verhalten von Sean Kirtley das Tatbild der Unterstützung einer kriminellen Organisation verwirklicht und verurteilte ihn zu 4 ½ von maximal möglichen 5 Jahren Haft. Sean Kirtley wurde bis zur Berufungsverhandlung in U-Haft genommen, die anderen 5 Angeklagten gingen frei. Jetzt, 16 Monate später, sah das Berufungsgericht keinen Grund, hinter den legalen Kampagnenaktivitäten von Sean Kirtley eine kriminelle Organisation zu vermuten. Er wurde sofort aus der U-Haft entlassen und brachte umgehend eine Klage gegen den Staat ein, um für die ungerechtfertigte Misshandlung und Haft Schadenersatz zu bekommen.

Im EU-Primärrecht ist jetzt bereits die Verpflichtung zu einer „freien Marktwirtschaft mit offenem Wettbewerb”  verankert. Mit dem neuen EU-Reformvertrag soll die Verpflichtung zu Aufrüstung und zum Aufbau einer mächtigen Rüstungsindustrie ebenfalls in Verfassungsrang gehoben werden. Die Werkstatt Frieden & Solidarität bekennt sich dazu, „verfassungsrechtliche, wirtschaftliche und soziale Grundstrukturen“, die Aufrüstung und hemmungslose Konkurrenz festschreiben wollen, „ernsthaft erschüttern“ zu wollen. Kommen wir damit auch ins Visier des §278 StGB?

Boris Lechthaler, Werkstatt Frieden & Solidarität: "Respektloser Umgang mit unserer Umwelt, mit den Tieren, endet offensichtlich beim respektlosen Umgang mit den Menschenrechten. Wenn wir uns selbst respektieren wollen, dürfen wir eine derartige Entwicklung nicht tolerieren. Die ganze Zivilgesellschaft ist aufgerufen, sich dagegen aufzulehnen.! Widerstand ist notwendig! Solidarität selbstverständlich!"