ImageDie Empörung von europäischen Regierungen über das US-Schnüffelprogramm PRISM ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Bereits in den frühen 90er Jahren, lange vor 9/11, begann eine intensive Kooperation der US- und EU-Spitzeldienste. Auch die Geheimdienste der großen EU-Staaten gehören zu den großen Datenkraken, die EU selbst ist ein Treibriemen zum Ausbau des Überwachungsstaates.


Da wir beinahe täglich mit neuen Enthüllungen konfrontiert sind, in welch hypertropher Art und Weise die Menschen in der „freien westlichen Welt“ von Regierungen und Geheimdiensten bespitzelt werden, zunächst ein Versuch eine kurzen Zusammenfassung von Bekanntem und vielleicht weniger Bekanntem in dieser Causa.

Die NSA tut es

Mit Hilfe des Programms PRISM greifen die US-amerikanische National Security Agency (NSA) und das FBI elektronische Medien und elektronische gespeicherte Daten in größtem Stil ab . Um sich ein Bild von der Mega-Schnüffelei zu machen: Laut „Guardian“ wurden über PRISM alleine im März 2013 97 Milliarden Datensätze aus Computer-Netzwerken in aller Welt von der NSA gesammelt.

Der BND tut es

Zu Beginn der Enthüllungen übten sich EU-Führungspersonal in Ahnungslosigkeit und Empörung – pure Heuchelei, wie sich nunmehr herausstellt. Gert-René Polli, ein ehemaliger Leiter des österreichischen Geheimdienstes "Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung": "Wir kannten die Auswirkungen dieses Programms. Und diese Information und dieses Wissen war common understanding zwischen allen europäischen Nachrichtendiensten, auch der Deutschen." Polli geht davon aus, dass der BND auch "Kooperationspartner im Hinblick auf das Spähprogramm" gewesen ist; die Schutzbehauptung der Bundesregierung, sie habe nichts von PRISM gewusst, werde "nicht allzu lang haltbar sein" (1).

Es dauerte in der Tat nicht lange. Schon wenige Tage später zitierte "Der Spiegel" den US-Whistleblower Edward Snowden mit der Aussage, die NSA stecke "unter einer Decke mit den Deutschen" (2). Die Zusammenarbeit der Geheimdienste sei so organisiert, dass die Behörden anderer Länder „ihr politisches Führungspersonal vor dem ‚Backlash’ schützen“ können, falls herauskommen sollte, wie „massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet wird“ (2).

Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitet bei der Bespitzelung der BürgerInnen nicht nur eng mit dem NSA zusammen, sondern verwendet sogar eine vom NSA entwickelte Spähsoftware „XKeyscore“ zur digitalen Totalüberwachung, also nicht nur der Verbindungsdaten, sondern auch der Kommunikationsinhalte. Alleine im Dezember 2012 wurden damit 180 Millionen Datensätze in Deutschland erfasst. BND-Chef Gerhard Schindler arbeitete mit „besonderem Eifer“ an diesem Schnüffelprogrammen mit, zitiert der „Spiegel“ NSA-Dokumente. Der Historiker Josef Foschepotz, der die deutsch-amerikanischen Geheimdienstkooperation untersucht hat, spricht von „nahezu symbiotischen Zuständen zwischen den Geheimdiensten“, durch die „das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses faktisch abgeschafft worden“ sei (3).

Der französische Geheimdienst tut es

Doch nicht nur die deutsche Kanzlerin Merkel war schnell der Lüge überführt, ähnlich ging es ihrem französischen Amtskollegen Francois Hollande. Kaum hatte Hollande noch die NSA-Spitzelaktivitäten heftig kritisiert, enthüllte die französische Tageszeitung „Le Monde“, dass der französische Auslandsgeheimdienst DGSE über ein eigenes Datenspionalgesystem verfügt, das dem amerikanischen PRISM kaum nachstehe. Die DGSE sammelt und speichert systematisch sämtliche Telekommunikationssignale und Datenverkehrströme, die in Frankreich fließen oder von Frankreich ins Ausland gehen. Le Monde: „Die Gesamtheit unserer Daten wird ausspioniert […] Die Politiker wissen dies, doch Geheimhaltung ist die Regel. Dieser französische ‚Große Bruder’ entgehe jeder Kontrolle“ (4).

Der britische Geheimdienst tut es

Britische Politiker kamen nicht einmal dazu Empörung zu heucheln. Zu rasch kam ans Tageslicht, dass die britischen Geheimdienste mit „Tempora“ zum absoluten Spitzenreitern beim globalen Datensaugen gehören. Snwoden: Das Tempora-System der Briten sei „der erste ‚ich speichere alles’-Ansatz (‚full take’) in der Geheimdienstwelt“. In einem sog. Pufferspeicher werden auch alle Inhalte bis zu drei Tage lang gespeichert, dem  „kein einziges Bit entgeht“ (5).

Union der Schnüffler

Die Kooperation dieser nationalen Datenschnüffler wird zunehmend auch über die EU-Ebene vorangetrieben und organisiert. Der EP-Abgeordnete Martin Ehrenhauser dazu: „Das Kooperationsnetz, das bisher etabliert wurde, umfasst derzeit vier Abteilungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und zwei EU-Agenturen Europol und Frontex. Insgesamt 1.300 Mitarbeiter sind beschäftigt und ein Jahresbudget von 230 Millionen Euro steht zur Verfügung“ (6). Dreh- und Angelpunkt für militärische und zivile nachrichtendienstliche Informationen ist das EU-Intelligence Analysis Center, das gemeinsam mit dem EU-Militärstab in den EAD eingegliedert worden ist. Ehrenhauser: „Die privilegierten Mitgliedsstaaten Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Schweden, Spanien und Großbritannien entscheiden, welches Land Experten entsenden darf und welches nicht.“

US-EU-Spitzelkooperation beginnt lange vor 9/11

Auf EU-Ebene ist die nicht nur der Einfluss der Konzernlobbyisten besonders groß, auch Militär und Geheimdienste und die mit ihnen verwobene Politiker verstehen Brüssel besonders effizient zu nutzen, um den Überwachungsstaat in den Mitgliedsstaaten auszubauen. Wie künstlich die EU-Aufregung um PRIMS ist, zeigt, dass die Genese des Überwachungswahns weit zurückreicht und von Anbeginn in gemeinsamen US- und EU-Ambitionen wurzelt. Bereits seit 1993 gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen FBI und Polizeibehörden von EU-Staaten, um die Überwachung der Telekommunikation voranzutreiben. Unter dem Codenamen ENFOPOL schuf die EU an der Jahrtausendwende die Grundlage für die EU-weite Vereinheitlichung von Abhörstandards und Zugriffsrechten von Spitzeldiensten, die schließlich Schritt für Schritt in nationales Recht übergeführt wurden. Wesentliche Vorbereitungen dafür erfolgten 1998 im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Als Ergebnis der ENFOPOL wurden auch in Österreich die Telekommunikationsanbieter mittels „Überwachungsverordnung“ verpflichtet, ihre Netze mit Schnittstellen auszurüsten, von denen aus der überwachte Fernmeldeverkehr zur Überwachungseinrichtung der gesetzlich ermächtigten Behörde übertragen werden kann.

Auch das österreichische Militärbefugnisgesetz geht inhaltlich wie zeitlich auf diese ENFOPOL-Vorgaben zurück. Das Militärbefugnisgesetz räumt den Nachrichtendiensten des Bundesheeres eine nahezu unbeschränkte Spitzelermächtigung ein, ohne dass es dafür eine richterliche Ermächtigung braucht. Bereits 2000 erhielten die Heeresgeheimdienste das Recht, nicht nur den Telekommunikationsverkehr zu überwachen, auch alle Gebietskörperschaften sowie alle Körperschaften Öffentlichen Rechts (Kammern, ÖH, Sozialversicherung) sind verpflichtet, den Militärgeheimdiensten die gewünschten Auskünfte über ihre Mitglieder zu erteilen. Alle diese Daten dürfen an „ausländische öffentliche Dienststellen“ weitergegeben werden, „wenn es eine wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung von Aufgaben der nachrichtendienstlichen Aufklärung oder Abwehr darstellt“ (§ 25 MilBG) – sprich nach Gutdünken der Geheimdienste selbst. NSA, BND & Co werden das zu schätzen wissen.

Die Vorarbeiten zur exzessiven Schnüffelei begannen also lange vor 9/11, doch seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ging alles noch viel schneller. Kurz danach erließen die EU-Innenminister die „Anti-Terror“-Richtlinie, die seither in allen EU-Staaten in nationales Recht gegossen wurde, in Österreich in die berüchtigten §§ 278b ff. Dadurch kann nicht nur politisches Engagement rasch in die Kriminalität gedrängt werden, Polizei und Geheimdienste können sich auch leicht auf diese „Anti-Terror-Paragrafen“ berufen, um das Ausspionieren sozialer Netzwerke und Bewegungen zu legitimieren. In Österreich wurde z.B. in den Jahren 2009/10 gegen AktivistInnen der Uni-Proteste nach diesen Paragrafen ermittelt. Auch die Vorratsdatenspeicherung, die alle BürgerInnen unter Generalverdacht stellt, indem alle elektronischen Verbindungsdaten zumindest ein halbes Jahr lang gespeichert werden müssen, geht auf eine EU-Richtlinie zurück.

Die mit dem EU-Vertrag von Lissabon (2009) verankerte „Solidaritätsklausel“ verpflichtet die EU-Staaten zur gegenseitigen Unterstützung „mit allen Mitteln, einschließlich militärischen … um terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden“ (Art. 222., VAEU). Angesichts der jüngsten Enthüllungen muss diese „Solidaritätsklausel“ wohl in neuem Licht gelesen werden – als einen Persilschein zum wahrlich grenzenlosen Austausch der europäischen Spitzeldienste. Nicht vergessen werden sollte auch, dass über die EU derzeit eine Reihe von Forschungsprojekten finanziert und koordiniert werden (z.B. Indect), deren Ehrgeiz darin besteht, PRISM & Co noch zu überflügeln, indem die im Internet ausgeforschten Datensätze mit den von Drohnen ausgespähten verknüpft werden.

Österreich im EU/US-Schnüffelsumpf

Österreichs Geheimdienste und Politik sind vielfältig in die Spitzelnetzwerke von USA und EU eingebunden. Mitte Juni wurde in den Medien bekannt, dass die NSA beim österreichischen Heeresnachrichtenamt (HNA), dem Auslandsgeheimdienst des österreichischen Bundesheeres, eine Kontaktstelle eingerichtet hat. Weder Regierung noch HNA haben dementiert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Amerikaner die Errichtung der Königswarte bei Hainburg in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts finanziert haben – als Teil einer Kette von Horchposten von Norwegen bis Italien. Der HNA liefert die ausgespähten Ergebnisse postwendend an eine US-Station bei Frankfurt weiter – seit 1958 bis heute.

Traditionell eng ist auch die Zusammenarbeit von österreichischen und deutschen Geheimdiensten. 1999 half der HNA sogar dem BND und der deutschen Regierung dabei, das Lügengebäude vom sog. „Hufeisenplan“ zusammenzuschmieden, mit dem die Intensivierung des NATO-Bombenkrieges gegen die BR Jugoslawien gerechtfertigt wurde. Man kann annehmen, dass mit der zunehmenden Anbindung des österreichischen Bundesheeres an die deutsche Bundeswehr im Rahmen der EU-Battlegroups sowie diversen Auslandsmissionen auch die Anbindung an die deutschen Spitzeldienste intensiviert worden ist. In diese Richtung soll es verstärkt weitergehen. In der vor wenigen Wochen im Nationalrat beschlossenen neuen österreichischen Sicherheitsstrategie, die von SPÖ, ÖVP und FPÖ gemeinsam beschlossen wurde, heißt es unter anderem: „Die aktive Mitwirkung an der europäischen Kooperation beim nachrichtendienstlichen Informationsaustausch soll verbessert werden“ (7). Im Lichte der jüngsten Enthüllungen muss das als eine gefährliche Drohung für die Privatsphäre der BürgerInnen gesehen werden.

Österreich ist voll eingebunden an den Europäischen Auswärtigen Dienst samt seiner militärischen und geheimdienstlichen Strukturen, zum Teil sogar in führender Position. EU- bzw. ENFOPOL Vorgaben im Bereich der Bespitzelung werden auf Punkt und Beistrich umgesetzt – von Militärbefugnisgesetz bis hin zur Vorratsdatenspeicherung. Last but not least arbeiten österreichische Unternehmen und Institutionen höchst aktiv an diversen EU-Spitzelprogramme (Indect etc.) mit.

Raus aus den Schnüffelnetzwerken – Weg mit den Schnüffelgesetzen!

Manche wie etwa die Grüne Parteiführung haben zunächst versucht, aus dem NSA-PRISM-Skandal noch EU-propagandistisches Kleingeld rauszuschlagen, nach dem Motto: böse Ami, gute EUropäer. Dieser Versuch, den Bock zum Gärtner zu machen, ist mit den weiteren Enthüllungen über die tiefe Verstrickung der EU-Staaten in diesen Spitzelsumpf kläglich zusammengebrochen. In einem Punkt aber haben die Grünen recht: Leute wie Snowden verdienen Schutz und Asyl. Tatsache ist aber auch, dass Österreich selbst viel zu tief in diese Schnüffelnetzwerke verstrickt ist, als dass unser Land derzeit für ihn eine sichere Zuflucht bieten könnte. Die skandalöse Durchsuchung der Maschine des bolivianischen Präsidenten durch österreichische Behörden spricht Bände. Unsere Aufgabe ist es daher zuvorderst, Österreich aus diesem US- und EU-Spitzelsumpf rauszubekommen. Das heißt sofortige Beendigung der Kollaboration mit der NSA, dem BND und den Spitzeldiensten anderer EU-Staaten; Ausstieg aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst, der immer mehr als Koordinationszentrale der nationalen Spitzeldienste fungiert; Rücknahme der in verschiedenen Gesetzen niedergelegten EU-Spitzelbestimmungen (von der Vorratsdatenspeicherung bis zum Militärbefugnisgesetz); Letztlich also: Ausstieg aus der EU, die mehr und mehr an das Europa Metternichs erinnert.

Das gebietet auch eine glaubwürdige Neutralitätspolitik. Denn imperiale Militärmächte waren und sind auch immer Mächte der Unterdrückung und Bespitzelung – nach außen wie nach innen. Der Ausstieg aus der Kollaboration mit solchen Mächten ist nicht nur Voraussetzung für eine glaubwürdige Friedens- und Menschenrechtspolitik, er ist auch die Voraussetzung, dass wir den Deserteuren von Armeen und Geheimdiensten – ob aus den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder von wo auch immer – sicheres Asyl gewähren können. Auch das sollte Bestandteil einer modernen Neutralität im 21. Jahrhundert sein.

Gerald Oberansmayr

 

Anmerkungen:

(1) www.faz.net 27.06.2013
(2) Der Spiegel, 7.7.2013
(3) zit nach www.german-foreign-policy.com
(4) zit. nach Die Welt, 4.7.2013
(5) Der Spiegel, 7.7.2013
(5) www.ehrenhauser.at
(7) Entschließung betreffend eine österreichische Sicherheitsstrategie, 2524 der Beilagen XXIV. GP