ImageDer britische Guardian berichtet über neue durchgesickerte Dokumente des ehemaligen National Security Agency Mitarbeiters Edward Snowden. Sie enthüllen, dass die Geheimdienste der großen EU-Staaten der US-amerikanischen NSA kaum nachstehen bei der Bespitzelung ihrer eigenen Bevölkerung. Die Ankündigung der EU-Justizministerin, die EU müsse bis 2020 einen EU-Geheimdienst vergleichbar der NSA aufbauen, kann daher nur als gefährliche Drohung gesehen werden.


Die vom Guardian am 1. November 2013 veröffentlichten Dokumente zeigen, dass britische, deutsche, französische, spanische, schwedische und holländische Geheimdienste in einem europäischen Spitzelnetz zusammenarbeiten. Diese Spitzeldienste zapfen direkt Glasfaserkabel an und entwickeln eine verdeckte Zusammenarbeit mit nationalen Telekomfirmen, genau wie die NSA das mit Google und Facebook macht.

Europäisches Spitzelnetz


Eine wesentliche Rolle in diesem europäischen Spionagenetzwerks nimmt das britische Government Communications Headquarters (GCHQ) ein, wegen seiner besonderen Beziehungen zu den NSA und wegen seiner weitreichenden gesetzlichen Lizenz zum Spitzeln. GCHW entwickelte 2008 das System „Tempora“, das über den Zugang zu Glasfaserkabeln die gesamte ankommende und abgehende Internetkommunikation Großbritanniens systematisch überwacht. Bekanntgewordene Dokumente zeigen, dass täglich ca. 600 Millionen Anrufe überwacht werden.

Im gleichen Jahr äußerte sich das GCHQ bewundernd über die technischen Möglichkeiten des deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Er habe „ein riesiges technisches Potential und guten Zugang zum Herz des Internets. Er hat mehrere 40Gbps- und 100Gbps-Leitungen fest im Blick.“ (1) Mit Gbps (Gigabit pro Sekunde)wird die Geschwindigkeit bezeichnet, mit der die Daten durch die Glasfaserkabel rauschen. Laut den Enthüllungen haben die britische Geheimdienstler einen neidischen Blick auf den BND geworfen, weil sie nicht so starke Leitungen überwachen konnten wie ihre deutschen Kollegen. Noch 2012 konnten sie nur 10Gbps-Kabel überwachen und waren schon ganz gierig darauf, auch 100Gbps-Glasfaserkabel anzuzapfen. Der britische Geheimdienst brüstet sich, dem BND geholfen zu haben, deutsche Gesetze zu umgehen, die seine Fähigkeit einschränkten, seine Technologie voll zu nutzen. In dem Bericht heißt es: „Wir haben dem BND … bei der Reform und der Neuinterpretation der sehr restriktiven Abhörgesetze in Deutschland geholfen.“ (1)

Intensiv kooperieren auch der britische und der französische Geheimdienst (DGSE). Begeistert schreibt der GCHQ über seine französischen Spitzelkollegen: „Das DGSE ist ein hoch motivierter, technisch kompetenter Partner, der nur allzu bereit ist, Fragen des IP (Internet Protocol) anzupacken und mit dem GCHQ auf der Basis von Kooperation und Austausch zusammenzuarbeiten.“ (1) Von besonderer Bedeutung sei dabei die enge Zusammenarbeit des französischen Geheimdienstes mit einem nicht näher benannten Telekommunikationskonzern.

„Post- und Fernmeldegeheimnis faktisch abgeschafft“

Eng eingebunden in das EU-weite Spitzelnetzwerk ist auch das spanischen National Intelligence Center (CNI), der in einer strategisch besonders günstigen Lage ist, Telefonanrufe zu überwachen, da das transatlantische Unterwassertelekommunikationskabel Columbus III, das Sizilien mit Florida verbindet, via Conil bei Cadiz führt.

Laut den Berichten im Guardian sind die britischen Geheimdienste auch voll des Lobes über neue Gesetze in Schweden, die es dem schwedischen Geheimdienst FRA erlauben, alle Email- und Telefonkommunikationen von, nach oder auch durch Schweden zu überwachen. Das neue Gesetz verlangt keine richterliche Anordnung für das Abhören. Alle europäischen Dienste sind laut den Enthüllungen von Snowden eng in die Ausspähaktivitäten der NSA verwickelt und liefern dem amerikanischen Dienst riesige Datenmengen.

Diese neuerlichen Enthüllungen Snowdens bestätigen die Untersuchungen des Historikers Josef Foschepotz, der die deutsch-amerikanischen Geheimdienstkooperation untersucht hat. Der Historiker spricht von „nahezu symbiotischen Zuständen zwischen den Geheimdiensten“, durch die „das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses faktisch abgeschafft worden“ sei (2).

EU-Geheimdienst bis 2020?

Die Kooperation dieser nationalen Datenschnüffler wird zunehmend über die EU-Ebene vorangetrieben und organisiert. Der EP-Abgeordnete Martin Ehrenhauser dazu: „Das Kooperationsnetz, das bisher etabliert wurde, umfasst derzeit vier Abteilungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und zwei EU-Agenturen Europol und Frontex. Insgesamt 1.300 Mitarbeiter sind beschäftigt und ein Jahresbudget von 230 Millionen Euro steht zur Verfügung“ (3). Dreh- und Angelpunkt für militärische und zivile nachrichtendienstliche Informationen ist das EU-Intelligence Analysis Center, das gemeinsam mit dem EU-Militärstab in den EAD eingegliedert worden ist.

Die Ankündigung der EU-Justizministerium Reding, die EU müsse bis 2020 einen eigenen Geheimdienst vergleichbar der NSA aufbauen „um genauso stark dazustehen wie die amerikanischen Partner“ (4), kann daher nur als gefährliche Drohung gesehen werden.

Quellen:
(1) Guardian, GCHQ and European spy agencies worked together on mass surveillance, 1.11.2013
(2) zit nach
www.german-foreign-policy.com
(3) www.ehrenhauser.at
(4) Der Standard, 6.11.2013