ImageDer über 1 Jahr dauernde Prozess gegen 13 TierrechtsaktivistInnen findet seinen Abschluss mit der Urteilsverkündung am 2. Mai 2011. Was sich im letzten Jahr im Gerichtssaal "abspielte" von Verweigerung der Akteneinsicht, über eingeschleuste Spitzel, bis hin zur Nichtanhörung der Zeugen der Verteidigung und selbst die Anklage nach §278a,  löste heftige Kritik selbst in juristischen Kreisen aus. 

Die Solidarwerkstatt führte dazu mit dem Fünftangeklagten im Wr. Neustädter Tierrechtsprozess, DI Elmar Völkl, ein Interview über seine persönlichen Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse und wie es für ihn nach der Urteilsverkündung am 2. Mai weitergehen kann.

Werkstattblatt: Was wird dir vorgeworfen?

Elmar: Mir wird vorgeworfen der "EDV-Experte" einer kriminellen Organisation iSd §278a StGB zu sein, weil ich FreundInnen und anderen politischen AktivistInnen bei Computerproblemen geholfen habe, insbesondere auch Daten- und Emailverschlüsselung empfohlen habe.
Der §278a StGB (kriminelle Organisation) richtet sich gegen organisiserte Schwerstkriminalität, wie z.B. Menschenhandel, Waffenschmuggel oder der Verkehr mit gefährlichen, z.B. radioaktiven, Kampfstoffen. Der §278a soll auch die "DrahtzieherInnen" hinter den Ausführenden treffen. Daher muss für dieses Delikt zwar keine eigentliche Katalogstraftat (Sachbeschädigung, etc...) nachgewiesen werden, aber immerhin eine unternehmensähnliche (hierarchisch und arbeitsteilig) Organisation die im Kern auf die Ausführung schwerwiegender Straftaten ausgerichtet ist.

Dass sich bei den jahrelangen Ermittlungen, insbesonderen Telefon- und Emailüberwachung, als auch bei insgesamt vier(!) bei mir durchgeführten Hausdurchsuchungen ergeben hat, dass ich tatsächlich Datenschutzworkshops für die eine oder andere NGO abgehalten habe, reichte den ErmittlerInnen der "SOKO Kleiderbauer", um mich als den "EDV-Experten der kriminellen Organisation" zu bezeichnen.

Neben mir sind weitere 12 AktivistInnen angeklagt Mitglied ein- und derselben "kriminellen Organisation" zu sein. Der Staatsanwalt Mag. Wolfgang HANDLER (LG Wr. Neustadt) sieht in der Handvoll vereinzelter Sachbeschädigungen gegen pelzverkaufende Bekleidungsfirmen eine generalstabsmäßig geplante "Doppelstrategie" um die von uns geführten /legalen/ Kampagnen mit entsprechendem Nachdruck zu unterstreichen.

Werkstattblatt: Welche Erfahrungen hast du in diesem Prozess gemacht?

Elmar: Bereits lange vor Beginn des Prozesses - nämlich unmittelbar nach meiner überraschenden Inhaftierung (U-Haft) im Jahr 2008 - kamen mir erste Zweifel am Vorhandensein wesentlicher rechtsstaatlicher Prinzipien in diesem Land:
Noch während der ersten 48 Stunden polizeilicher Anhaltung, verschwieg ich meine Festnahme meiner Arbeitgeberin und meinen Eltern, weil ich mir sicher war, bei der Haftprüfungsverhandlung umgehend enthaftet zu werden.
Ein fataler Irrtum: Die nur zehn Minuten dauernde Verhandlung entpuppte sich als (erste) Farce: Nicht der Ankläger musste seinen Tatverdacht, sondern ich meine Unschuld beweisen. Die Haftrichterin übernahm die Behauptungen des Staatsanwaltes wortwörtlich in ihren Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft, während sämtliche Ausführungen und Beweisanträge der Verteidigung schlicht ignoriert wurden.
Diese formale Prozedur der Haftverlängerung sollte sich in den 3 1/2 Monaten U-Haft mit demselben Ergebnis fünf Mal wiederholen.
Erst eine außerordentliche Weisung aus dem Justizministerium (damals SPÖ/Berger) beendete die U-Haft, da sie drohe länger zu dauern als die zu erwartende Haftstrafe.

Erst ein Jahr später, im September 2009, wurde ein Strafantrag zugestellt; Erst Ende 2009 wurde mit der Zustellung der Gerichtstermine die Hoffnung zerstört, dass eine vernünftige Richterin die substanzlose Anklage erst gar nicht verhandeln würde.

Seit 2. März 2010 müssen sich daher 13 TierrechtsaktivistInnen am LG Wr. Neustadt dem Vorwurf stellen Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein:
Ich hatte noch nie mit der Strafgerichtsbarkeit in Österreich zu tun, und war eigentlich bis zum 2. März 2010 der Überzeugung, dass uns spätestens bei einer Hauptverhandlung die Richterin rasch freisprechen würde.
Auch das war ein Irrtum:
Entgegen jeder Erwartung übernahm die Richterin Mag. Sonja ARLETH die Rolle der Anklagebehörde! Das ging sogar so weit, dass Staatsanwalt HANDLER während der folgenden einjährigen(!) Verhandlung nur selten den Mund aufzumachen brauchte.
Ich war erschüttert mit welcher Voreingenommenheit eine theoretisch unparteiische Richterin Ausführungen und Beweisanträge der Verteidigung und Angeklagten ignorierte, den Wünschen des Staatsanwaltes aber immer sofort Folge leistete. Bei Entscheidungen fragte die Richterin auch immer den Staatsanwalt, um sich dann seiner Meinung anzuschließen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund habe ich auch mehrere Befangenheitsanträge gegen die Richterin gestellt; Zumal sie selbst darüber zu entscheiden hat, freilich ohne Erfolg.

In den fast 100 Verhandlungstagen kamen praktisch nur ausschließlich ZeugInnen der Anklage zu Wort: Es ging einerseits um Sachbeschädigungen unbekannter TäterInnen (die der kriminellen Organisation zugeordnet wurden), und andererseits um ZeugInnen über Demonstrationen oder Aktionen zivilen Ungehorsams wie Jagdstörungen, Tiertransportblockaden und ähnliches.
Die Doppelstrategie des Staatsanwaltes bestand nun darin die Straftaten unbekannter Täter mit den legalen Aktivitäten der Angeklagten in den Topf zu werfen, "§278a" draufzuschreiben und uns damit sämtliche tierschutzmotivierten Straftaten der letzten 21 Jahre in die Schuhe zu schieben.

Erst ein durch die Angeklagten engagierter Privatdetektiv konnte im Herbst 2010 die Identität einer bis dahin vertuschten verdeckten Ermittlerin ("Danielle DURAND") aufdecken. Die bis dahin aggressiv angestrebte Verurteilung begann damit zu wanken.
Anfang 2011 waren noch immer nicht alle ZeugInnen der Anklage vollständig gehört, trotzdem kündigte die Richterin plötzlich ein rasches Ende des Verfahrens an.
ZeugInnen der Verteidigung wurden nicht mehr geladen und am 01. April 2011 (kein Scherz) endete das Beweisverfahren.
Ohne gehörte EntlastungszeugInnen kann das nur einen Freispruch bedeuten!

Die große - und beängstigende - Lehre die ich aus diesem Verfahren gezogen habe ist, dass man in Österreich nicht auf "Rechtsstaatlichkeit" vertrauen darf!
Hätten wir nicht mit letzter Kraft gekämpft, uns freizubeweisen, wir wären schon längst - zu Unrecht! - verurteilt!
Hätten es keine prominente und mediale Prozessbeobachtung gegeben, wir wären schon längst verurteilt!
Hätten wir keine guten (sondern schlechte) RechtsvertreterInnen und -beraterInnen gehabt, wir wären ebenso schon längst verurteilt!

Mein Fazit:
In Österreich's Justiz kriegt man nur Recht, wenn sich Glück, fähige VerteidigerInnen und engagierte Angeklagte die Hand geben. In Österreich's Gerichten wird nicht der Schuldbeweis geführt, sondern man muss sich freibeweisen. Die Beweislast liegt offenbar bei den Angeklagten. Hierzulande gilt offenbar die Schuldvermutung!


Werkstattblatt: Welche persönlichen Konsequenzen ziehst du für dich persönlich, aber auch für den VGT aus dem Prozess? Wie wirkt sich dieser Prozess auf dich, aber auch auf euren Verein aus?

Elmar: Abgesehen von dem psychischen und materiellen Schaden den alleine dieser Prozess (auch im Fall des Freispruchs) den Angeklagten und den betroffenen Vereinen zugefügt hat, ist das größte politische Problem die bleibende Rechtsunsicherheit mit den "Organisationsparagrafen" §§278 ff StGB: Bis jetzt ist uns nicht klar, welche Handlung wir setzen hätten müssen um uns der Mitgliedschaft einer kriminellen Organisation iSd Gesetzes schuldig zu machen. Reicht es, legalen NGO Aktivismus zu betreiben mit dem Wissen, dass es im Rahmen der legalen Kampagnen auch zu vereinzelten Straftaten kommen kann? Oder müssen die StraftäterInnen aus demselben AktivistInnenkreis kommen, der sich für die legalen Aktionen verantwortlich zeichnet? Muss ich die konkreten TäterInnen überhaupt persönlich kennen? Muss ich ihnen Anweisungen gegeben haben, oder reicht eine "konkludente" Willensübereinkunft?

Meine persönliche Karriere als Universitätsassistent und Doktorand an der TU-Wien wurde durch die Repressionswelle gegen den Tierschutz irreparabel zerstört. Psychologisch fühle ich mich angeschlagen und vor allem handlungsunfähig, da mir bis heute nicht klar ist, bei welchen scheinbar legalen Aktionen ich wieder mit Hausdurchsuchungen, Untersuchungshaft und Terrorprozess rechnen muss.

Solange wir als NGO aber nicht auf auf das Tatbestandsmerkmals "erheblicher Einfluss auf Wirtschaft und Politik" verzichten wollen, werden wir genau so weiter machen wie bisher.


Werkstattblatt: Wie "übersteht" man eine derartige Erfahrung? Was hat euch vor dem Aufgeben bewahrt?

 
Jede Person der 13 Angeklagten ist ganz unterschiedlich mit der Repression umgegangen. Manche sind bereits in der Untersuchungshaft gebrochen, andere erst durch den Prozess an die Grenze des Wahnsinns getrieben worden.
Die Richterin hat in der Verhandlung die absolute Macht. Wir mussten erst lernen damit umzugehen, aber ich denke mit fortschreitender Prozessdauer ist uns das immer besser gelungen.
Für mich persönlich (und vielleicht auch andere) gestalte sich der Prozess unfreiwilligerweise zu meinem neuen Lebensinhalt. Ich konnte ihn als Herausforderung wahrnehmen und glaube auch etliches an Taktik und Diplomatie gelernt zu haben. Beides Methoden, die man in einem rechtsstaatlichen Prozess eigentlich nicht brauchen sollte.
Wenn uns nicht ein Privatdetektiv durch die Enttarnung einer verdeckten Ermittlerin etwas Rückenwind verschafft hätte, wer weiß, vielleicht hätten noch mehrere Angeklagte resigniert. Selbst in der offensichtlichen Freispruchstimmung in den letzten Verhandlungstagen war allen Angeklagten schon eine deutliche Prozessmüdigkeit anzumerken.
Immerhin wurden praktisch alle Angeklagten durch den Prozess in äußerst prekäre finanzielle Umstände geworfen, mussten aber trotzdem einen 60-Wochenstunden Job machen, da man neben der Challenge im Verhandlungssaal die "Freizeit" nutzen muss, um sich mit 300.000 Aktenseiten auf die nächsten Verhandlungstage vorzubereiten. Geschlafen hat wohl niemand von uns viel im letzten Jahr.

An dieser Stelle muss auch betont werden, dass uns die immense öffentliche, zum Teil auch parteipolitische, Unterstützung mehr als nur moralisch und ideell geholfen hat.

Mehr dazu unter: http://www.vegan.at/elmar/