ImageChristoph Lengauer, Aktivist gegen ACTA und Vorratsdatenspeicherung, zieht im Gespräch mit dem WERKSTATT-Blatt ein erstes Resümee über die Vorratsdatenspeicherung.


WERKSTATT-Blatt: Die Vorratsdatenspeicherung ist seit 1. April in Österreich aktiv. Wie ist die Situation 9 Monate nach Einführung?

Christoph: Zum Jahreswechsel ist natürlich der Blick auf die Bürgerinitiative sehr ernüchternd. Obwohl diese mit 106.067 UnterstützerInnen die größte Bürgerinitiative der jüngeren Geschichte Österreichs ist, wurde sie im Justizausschuss nach einem großen Expertenhearing ohne nennenswerten Beschluss „zur Kenntnis genommen“ und damit zu den Akten gelegt. Besonders enttäuschend, nachdem sämtliche Experten abseits der Ministerien die VDS scharf kritisierten.

Der Widerstand gegen die VDS hängt allerdings nicht nur an einer Bürgerinitiative. Über 11.000 BürgerInnen haben sich ebenfalls der Verfassungsklage angeschlossen. Der Verfassungsgerichtshof (VfGh) hat sich bereits mit einer Fragestellung an den europäischen Gerichtshof (EuGh) gewandt, um prüfen zu lassen, ob die Richtlinie überhaupt mit europäischem Recht im Einklang steht. Damit unterstreicht der oberste Gerichtshof in Österreich die Befürchtungen der Kritiker, die diese Richtlinie nicht für grundrechtskonform halten. Man wird nun die Entscheidung des EuGh abwarten müssen, dann wird die Beratung des VfGh wieder aufgenommen, solange bleibt allerdings die Vorratsdatenspeicherung aktiv. Dem Gerichtshof fehlt es leider in Österreich laut eigenen Aussagen an Möglichkeiten, eine solch fragliche Richtlinie bis zu einer endgültigen Entscheidung außer Kraft zu setzen.

Die Chancen stehen also gut, auf europäischer Ebene etwas zu bewegen, leider hatten unsere nationalen Politiker nicht den Mut, sich aktiv gegen die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen, trotz der großen Bürgerproteste.

WERKSTATT-Blatt: Du bist gegen die Vorratsdatenspeicherung in verschiedenen Feldern aktiv. Wie weit haben sich die Befürchtungen bewahrheitet?

Christoph: Als Kritiker der VDS wäre man sehr gerne im Unrecht. Leider haben sich die Befürchtungen bewahrheitet. Überall dort wo Daten, insbesondere solch intimen Datensätze wie Vorratsdaten, gespeichert werden wecken sie Begehrlichkeiten. So sind beispielsweise „Anti-Piraterie Organisationen“ wie der Verein für Anti-Piraterie (VAP) in Österreich an Vorratsdaten gegen Urheberrechtsverletzungen interessiert und finden mit dieser Forderung offensichtlich im Justizministerium Anklang. Von der Vorratsdatenspeicherung zur Terrorismusbekämpfung sind wir bereits bei der Umsetzung weit abgerückt. Diese verfehlte EU-Richtlinie noch tiefer im Gesetz und Zivilrecht zu verwurzeln, hat nicht nur fatale Auswirkungen sondern würde es noch schwieriger machen, diese wieder abzuschaffen.

WERKSTATT-Blatt: Kunnert und Eva Souhrada-Kirchmayer von der Datenschutzkommission berichteten im Justizausschuss, das vor allem in Polen exzessiv auf Vorratsdaten zugegriffen werde. Wie sieht die Lage in Österreich aus?

Christoph: In Polen kann man sich verdeutlichen, welches Missbrauchspotenzial die Vorratsdatenspeicherung hat. Aus „Terrorismusbekämpfung“ sind in Polen im Jahr 2011 1,86 Millionen Zugriffe auf Vorratsdaten entstanden, das entspricht etwa jedem 20. Bürger. Zwar beinhaltet die polnische Umsetzung dieser Richtlinie weniger Beschränkungen als die österreichische, sind diese Daten aber vorhanden, so wird auch der Ruf nach Zugriff darauf lauter. Von diesen Zahlen sind wir in Österreich noch weit entfernt, wir sollten uns aber noch viel weiter davon entfernen, das Missbrauchspotenzial dieser EU-Richtlinie mit verfehltem Nutzen lässt sich leider nicht leugnen.

WERKSTATT-Blatt: Die „Initiative für Netzfreiheit“ hat einen Bericht zur Datensicherheit der Vorratsdaten ausgearbeitet. Wie sieht es mit der Datensicherheit aus?

Christoph: Die große Frage – unsere Telekommunikationsanbieter speichern riesige Datenberge über uns, wer kümmert sich um die Sicherheit dieser Daten? Die Bedenken unserseits waren groß, doch die Auskünfte der Datenschutzkommission (DSK) waren noch schockierender. Bis zur Publikation des Berichts gab es noch keine einzige Überprüfung der Provider auf Datensicherheit. Fraglich bleibt auch, ob und wann überhaupt jemals eine Überprüfung stattfinden wird. Obwohl die Provider zig Milliarden intime Datensätze speichern müssen, wurde zu keiner Zeit die Sicherheit dieser Daten bedacht. Dem Umstand liegt zugrunde, dass die DSK weder mit Ressourcen, Personalstand, Technikern oder Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet wurde, die einer solchen Aufgabe entsprechen würden. Ebenfalls wird im Bericht klar: Kopien dieser Daten können nie ausgeschlossen werden, diese Daten könnten somit schon längst ihren Weg in unbefugte Hände gefunden haben. Image

WERKSTATT-Blatt: Was können wir weiter aktiv unternehmen?

Christoph: 2012 war ein gutes Jahr und es wurden viele Zeichen gesetzt. Große Demonstrationen, Bürgerinitiativen und Verfassungsklagen, die Zivilgesellschaft hat ihre Stimme erhoben und klare Statements an die Politik gerichtet. Wir müssen aber alle wachsam bleiben, damit diese Bemühungen nicht im Sand verlaufen. Die Zivilgesellschaft muss sich vernetzen und gemeinsam für Rechte eintreten. Viele NGOs engagieren sich ehrenamtlich und leisten hervorragende Arbeit, aber es ist immer wieder die Unterstützung eines jeden Einzelnen gefragt und hier kann ich nur jeden bitten – nur keine falsche Scheu, vernetzt euch, stellt Fragen, fordert Antworten und vor allem die richtigen Taten!

aus: WERKSTATT-Blatt 4/2012; ein Probeexemplar schicken wir gerne kostenlos zu. Bestellung mailto: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!