Novellen des Sicherheitspolizeigesetzes und der Strafprozessordnung sollen ab 2020 der Polizei mit einer neuen Gesichtserkennungssoftware ein neues Instrument in die Hand geben, das das Potential zur Massenüberwachung hat. Menschenrechtsaktivisten warnen: "Geschichtserkennung ist möglicherweise das perfekteste Werkzeug zur kompletten Regierungskontrolle in öffentlichen Räumen."

Ab 2020 will die Polizei Gesichtserkennungssoftware nutzen, um Gesichter aus Videomaterial mit Bildern aus einer eigenen Referenzdatenbank im Nachhinein abzugleichen. Wie hoch die Fehlerquote bei den Treffern sein wird, ist noch unklar. Der Einsatz soll zunächst nur im Falle schwerer Straftaten erlaubt sein, doch Beispiele aus anderen Ländern zeigen, wie rasch daraus ein Instrument zur Massenüberwachung der BürgerInnen im öffentlichen Raum werden kann. Immerhin soll durch das neue Überwachungspaket die Polizei bereits Zugang zu öffentlichen und privaten Überwachungskameras, denen ein staatlicher Versorgungsauftrag zukommt, erhalten. In der Referenzdatenbank der Polizei sind lt. Sicherheitsbericht 2017 ca. 580.000 Personen erfasst. Die neue Gesichtserkennungs-Software ist auf bis zu fünf Millionen Bilder ausgelegt.

EU forciert
Der Einstieg in die flächendeckende Gesichtsüberwachung im öffentlichen Raum wird EU-weit vorangetrieben: „Es gibt Überlegungen die EU-weite Abfrage von Lichtbildern unbekannter Tatverdächtiger, wie im Bereich der Fingerabdruckdaten und der DNA-Daten bereits realisiert (Vertrag von PRÜM), in Zukunft zu ermöglichen“, erklärt der Pressesprecher des Bundeskriminalamts (BK) Kriegs-Au im futurezone-Interview.
Im Vertrag von PRÜM haben alle EU-Mitgliedsstaaten vereinbart, gegenseitig nationale Fingerabdrücke- und DNA-Datenbanken abfragen zu dürfen. Die EU-Kommission hat nun eine Beratungs-und Dienstleistungsfirma mit einer Machbarkeitsstudie, für eine Erweiterung beauftragt. Parallel dazu wurde vom EU-Ministerrat eine von Österreich geleitete, Fokusgruppe zum EU-weiten Austausch von Gesichtsbildern eingesetzt. Doch das ist noch nicht alles. Mit dem EU-Projekt „Interoperabilität“ wurde die Zusammenlegung von Datenbanken beschlossen, deren Daten in einem „gemeinsamen Identitätsspeicher“ landen sollen. Zudem prüft die EU grenzüberschreitende Vernetzung von Polizeiakten, wodurch Ermittlungsbehörden abfragen könnten, ob bei der Polizei in anderen Mitgliedsstaaten Informationen über Verdächtige bzw. Beschuldigte vorliegen.

Es ist zu befürchten, dass diese mächtigen Erweiterungen der Überwachung nicht nur zur Kriminalitätsbekämpfung, sondern auch zur Bespitzelung politischer Gegner oder von Minderheiten verwendet werden könnten. Der Datenschutzverein epicenter.works warnt: „Im Beschreibungs- bzw. Leistungskatalog der Software (Anm. für Österreich) ist auch vorgesehen, dass die Daten nach Metadaten, wie unter anderem ‚Herkunft‘ gefiltert werden können. Es werden also extrem sensible Daten (biometrische und über die Herkunft) kombiniert und analysiert. Das macht das System sehr gefährlich und anfällig für Diskriminierung. Menschen aufgrund bestimmter Merkmale zu filtern, wird immer die Gefahr bergen, dass eine Art von Racial Profiling entsteht.“

Widerstand gegen Massenüberwachung

  • 2019 haben aus diesem Grund in den USA die Städte San Francisco, Oakland und Somerville den Ankauf, Besitz sowie die Verwendung von Gesichtserkennung durch Behörden verboten. Es bestehe die Gefahr rassistischer Ungerechtigkeit. Zudem handle es sich um einen Eingriff in die Bürgerrechte. Der Bundesstaat Kalifornien hat auf Grund von Testreihen der Bürgerrechtsbewegung ACLU ein Verbot ausgesprochen, da Politiker fälschlicherweise als gesuchte Verbrecher „erkannt“ wurden. In den USA formiert sich zudem eine Bewegung, die verhindern will, dass Polizeibehörden, Schulen, Verwaltungen oder Privatfirmen ihre Überwachungsmaßnahmen verstärken. Man befürchtet, dass Dauerüberwachung zu Diskriminierung führt und eine abschreckende Wirkung auf die freie Meinungsäußerung haben könnte.
  • Als Prags Polizei Kameras zur automatisierten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum testen wollte, schaltete das Magistrat aufgrund starker Vorbehalte das Datenschutzamt ein. Dieses hatte bereits die automatische Gesichtserkennung in Fußballstadien ablehnte, da nicht ausreichend rechtliche Gründe dafür bestünden. Die unabhängige Rechtsinitiative Iuridicum remedium hält die automatische Gesichtserkennung für reine Big-Brother-Fantasie. „Die Zahl der Straftaten hierzulande sinkt. Warum sollte dies dann eingeführt werden? Die Staatsverwaltung sollte in angemessener Weise vorgehen.“, so der Iuridicum-remedium-Anwalt Jan Vobořil.
  • In Nizza und Marseilles sollten die Eingangstüren an Gymnasien mit Kameras zur automatischen Gesichtserkennung ausgestatteten werden, die nur jenen öffnen, deren Gesicht erkannt würde. Die Pariser Datenschutzbehörde CNIL hat dies vorerst verhindert, da die Maßnahme „unnötig und unverhältnismäßig“ sei und Ausweiskontrollen reichen würden.

In China ist Gesichtserkennung fest in den Alltag der Bevölkerung integriert und wird beim Einkauf im Supermarkt, der Bäckerei etc. eingesetzt. Seit Dezember sind Mobilfunkanbieter verpflichtet, die Gesichter ihrer Kunden bei Abschluss eines Vertrags zu scannen, vorgeblich um Betrug im Internet einzudämmen. KritikerInnen befürchten jedoch einen weiteren Ausbau der Überwachung. Die flächendeckende Verbreitung von Videoüberwachung und Gesichtserkennungssoftware soll bei der Bewertung des geplanten Social Credit Score - eine Art digitales Führungszeugnis für alle Bürger - eine Rolle spielen. In die Bewertung sollen Daten von Online-Plattformen, Behörden, Verwaltungsübertretungen, Online-Verhalten, Einkaufshistorie usw. einfließen.

Jeder wird die ganze Zeit verfolgt“
Shankar Narayan von der American Civil Liberties Union warnt im NBC Interview: „Der weit verbreitete Einsatz von Gesichtsüberwachung stellt die Prämisse der Freiheit auf den Kopf und die Gesellschaft wird zu einer, in der jede/r verfolgt wird, egal was er/sie tut, und das die ganze Zeit. Geschichtserkennung ist möglicherweise das perfekteste Werkzeug zur kompletten Regierungskontrolle in öffentlichen Räumen“.

Eveline Steinbacher
(Dezember 2019)