Frankreich praktiziert eine extensive Überwachung seiner BürgerInnen. Die Terroranschläge in Paris konnten dadurch nicht verhindert werden. Doch die EU-Regierungen nutzen jetzt diese Anschläge, um die Bespitzelung EU-weit auszubauen. Zielperspektive: ein EU-Geheimdienst nach dem Muster der NSA bzw. CIA. Dazu passt auch das von der österreichischen Regierung für 2016 geplante neue Polizeiliche Staatsschutzgesetz (PStSG).
Dem Engagement zivilgesellschaftlicher Bewegungen für unsere Grund- und Freiheitsrechte ist es zu verdanken, dass dieses Bespitzelungsgesetz bislang noch nicht im Parlament verabschiedet werden konnte. Das PStSG würde tief in unsere Grund- und Freiheitsrechte eingreifen u.a.:
- Körperschaften öffentlichen Rechts, Behörden, Beförderungsunternehmen (Fluglinien, ...), Telekommunikationsdienste und sonstige Dienstanbieter werden zur Kollaboration bei der Bespitzelung mit dem Bundesamt verpflichtet,
- Bespitzelung ohne richterliche Kontrolle erlaubt
- bezahlte V-Leute, also Spitzel, sollen in Gruppen eingeschleust werden
- die von BürgerInnen gesammelten Daten sollen bis zu sechs Jahre gespeichert werden können.
Ein solches System schafft Misstrauen und öffnet Anschwärzung, Vernaderung und Verleumdung Tür und Tor, die Kriminalisierung politischen Engagements droht. Richtersprecherin Yvonne Summer: „Man muss sich vorstellen, dass dieses Gesetz Eingriffe in das Kommunikationsgeheimnis erlaubt, die nach der bisher gültigen Strafprozess-Ordnung nicht einmal mit einem Gerichtsbeschluss für zulässig erklärt werden können“.
„Schrecklichste Spionagemaschine“
Während BürgerrechtlerInnen und NetzwerkaktivistInnen das Recht auf Anonymität verteidigen, wollen Politiker, Geheimdienste und Unternehmen Menschen im Internet in zunehmendem Maß identifizieren und beobachten. Unsere Daten von Smartphones, Facebook, Twitter, Google sowie Zahlung mit Kundenkarten sind für Datenhandelsfirmen als auch Geheimdienste heißbegehrte Ware. Mit jedem Facebook „like“, werden wir gläserner, lässt es doch klare Rückschlüsse auf persönliche Vorlieben, politische Einstellung und sexuelle Orientierung zu. Facebook und Amazon zögern nicht lange mit Behörden zu kooperieren, da kann es fatal sein, wenn wir aufgrund falscher Rückschlüsse in der falschen Schublade des Überwachungssystems gelandet sind. Schon der Whistleblower Julian Assange meinte: „Facebook ist die schrecklichste Spionagemaschine, die jemals erfunden wurde. Hier haben wir die weltweit umfassendste Datenbank über Menschen, ihre Beziehungen, ihre Namen, ihre Adressen, ihre Standorte, ihre Angehörigen und die Kommunikation untereinander, und das alles ist den US-Geheimdiensten zugänglich.“
Nun soll darauf auch die europäische Polizeibehörde Europol diesen Zugriff bekommen, denn nach dem Beschluss des EU-Innenausschusses im November darf die „Hinweisstelle zur Internetüberwachung“, die der europäische Polizeibehörde (Europol) unterstellt ist, künftig auch unsere Daten von Firmen wie Facebook, Google oder Twitter verarbeiten .
Im Kern geht es der europäischen Polizeibehörde um einen Auskunftsanspruch für Bestands- und Nutzungsdaten vor allem bei Betreibern sozialer Netzwerke. Facebook etwa müsse bei einem Hinweis von Europol verpflichtet sein, die Fahnder über weitere Konten und Profile aufzuklären, die eine mit einer bestimmten IP-Adresse verknüpfte Person habe, heißt es in dem Papier von Ende September, das der Tagesspiegel jetzt an die Öffentlichkeit brachte.
Immer mehr Macht für Europol
Seit dem 1. August 2015 ist die Europol-Internetüberwachungseinheit IRU im Einsatz, die ab Jänner 2016 dem neuen „Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung“ unterstellt wird. IRU identifiziert Internetinhalte von Terroristen oder gewaltbereiten Extremisten, stellt Löschanfragen an die Unternehmen, auf deren Servern diese Inhalte liegen, und unterstützt nationale Behörden bei der Analyse. Einem Papier des Anti-Terrorbeauftragten der EU von Anfang Oktober 2015 zufolge hat die IRU seit August 500 Löschanfragen gestellt, in 90 Prozent erfolgreich.
Europol koordiniert die Arbeit der nationalen Polizeibehörden Europas im Bereich der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität (OK) und soll den Informationsaustausch zwischen den nationalen Polizeibehörden fördern. Sie analysiert eingehende polizeiliche Informationen von dort und speichert diese in der eigenen Analysedatenbank „Europol Information System“ (EIS), wo sie mit vorhandenen Einträgen abgeglichen werden. Die angeschlossenen Kriminalämter der Mitgliedstaaten können das EIS auch selbst abfragen. Verarbeitet werden beispielsweise Namen, Telefonnummern, Mailadressen und Mails, DNA-Daten oder Informationen aus der Internetauswertung. Bei Europol sind auch rund 20 Analyseprojekte zu unterschiedlichen Themen angesiedelt, die jeweils über eigene Datensammlungen verfügen. Auch diese werden bei jeder Datenlieferung automatisch abgefragt. Europol schlägt vor, dass der Zugriff auf weitere nationale Anti-Terror-Einheiten ausgeweitet werden könnte. Bei der rückwirkenden Analyse verdächtiger Finanzströme will Europol ein neues Echtzeit-System für Benachrichtigungen einführen. Europols Datenbestände würden auch an das neue EU-Register für Passagierdaten gekoppelt.
Europol erhält immer mehr Befugnisse und ist so auf dem Weg zu einer immer schwerer kontrollierbaren Daten-Superbehörde, worauf auch die steigende Zahl der MitarbeiterInnen schließen lässt. Hatte sie 2001 noch 323, sind es Jahr 2014 schon 912.
Vorratsdatenspeicherung 2.0?
Nach dem EuGH-Urteil, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung den Datenschutz verletzt, überzogen und grundrechtswidrig ist, wurde 2014 die Vorratsdatenspeicherung (VDS) in Österreich wieder abgeschafft. Befürchtungen von BürgerrechtlerInnen, NetzaktivistInnen und NGOs, die VDS würde in versteckter Form wieder auftauchen, bewahrheiten sich zusehends. Als Folge der Attentate von Paris begegnet uns der Geist der VDS in Form der EU-Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung (Passanger Name Record – PNR), nach der alle Daten 10 x länger als in der VDS gespeichert werden und im geplanten österreichischen Staatsschutzgesetz, nach dem sie sogar 12x länger gespeichert werden dürfen.
Sobald das EU-Parlament 2016 der EU-weiten Passagierdatenerfassung zustimmt, werden alle Daten von Fluggästen in die und aus der EU (verpflichtend) sowie innereuropäisch (freiwillig) - mindestens 5 Jahre ein halbes Jahr unter Klarnamen (unmaskiert) uns danach viereinhalb Jahre unter Pseudonymen (maskiert) - gespeichert.
Maskieren bedeutet dabei, dass unsere Flugdaten, Informationen über Zahlung, unser Gepäck, Essenswünsche, Kontakte, medizinische Information, Mailadresse, Handynummern, Informationen über unser Leihauto Auto und Hotel usw. nur ausgeblendet, nicht aber gelöscht oder unzugänglich gemacht werden. Sie bleiben vollständig erhalten. Maskiert bis eine Behörde sie braucht oder nur bis zum nächsten Flug des Passagiers, wonach sie dann wieder für ein halbes Jahr im Klarnamen aufscheinen. Vielflieger scheinen dann wohl sehr lange mit Klarnamen auf.
Fluggesellschaften werden verpflichtet, ihre PNR-Daten an eine zentrale Sammelstelle zu übermitteln, die jedes Land einrichten muss. Dort werden die PNR-Daten mit jenen aus anderen polizeilichen Datenbanken abgeglichen, also gerastert, um bislang unbekannte Verdächtige zu identifizieren, die dann von den zuständigen Behörden genauer überprüft werden.
Sie fragen nach Datenschutz? Dem Datenschutzbeauftragten kommt nach Artikel 9, Abs.4 der Richtlinie eine reine Datenvermittlerrolle zu. Ein Austausch von Daten mit den Behörden und Diensten anderer Länder soll möglich sein. In Österreich ermöglicht diesen Austausch und den Zugriff auch für Geheimdienste das geplante Staatsschutzgesetz. Und wie bei diesem wird dafür auch bei der PNR die Gerichtsbarkeit systematisch umgangen.
EU-Spionagestelle IntCen als europäische CIA?
„Im Zuge der Entwicklung einer Sicherheits- und Verteidigungspolitik braucht Europa einen gemeinsamen Nachrichtendienst“; „Sollte die EU militärisch intervenieren wollen“, dann müsse „die Versorgung der politischen und militärischen Führung Europas mit verlässlicher, umfassender Analyse gesichert“ sein, ist bereits 1996 in der Fachzeitschrift „Internationale Politik“ zu lesen. Das Begehren ist also nicht neu, nur konnten sich bisher die Befürworter noch nicht durchsetzen. Nun, nach den Anschlägen in Paris, bekommen diese wieder Wind unter den Flügeln und der Ruf nach dem Ausbau von IntCen zu einem vollwertigen EU-Geheimdienst inklusive operativer Spionage wird wieder lauter.
Im Kern besteht das Intelligence Analysis Centre (IntCen) seit 1999 und ist beim Europäischen Auswärtigen Dienst angesiedelt. Es verschafft der Außen- und Militärpolitik der EU eine nachrichtendienstliche Grundlage. Neben 70 Mitarbeitern finden sich dort auch Vertreter der nationalen Geheimdienste aus den EU-Mitgliedstaaten. IntCen arbeitet mit anderen EU-Stellen zusammen, insbesondere mit der Geheimdienststruktur, die beim EU-Militärstab (EU Military Staff, EUMS) angesiedelt ist (Intelligence Division, IntDiv). Offiziell darf IntCen keine operative Spionage betreiben und verwendet Berichte der nationalen Geheimdienste, soweit sie zur Verfügung gestellt werden, sowie öffentliche Quellen zur Analyse.Staatsschutzgesetz – Vorarbeit für EU-Geheimdienst?
Durch das PStSG wird die Weitergabe von Daten von Österreich an ausländische Geheimdienste erleichtert werden. Denn dann dürfen auch Informationen von Sicherheitsorganisationen sowie von Organen der Europäischen Union zur Bespitzelung verwendet und Daten im Zuge der internationalen polizeilichen Amtshilfe auch an diese übermittelt werden. Dieses Staatsschutzgesetz soll wohl mithelfen, die Spitzeldienste EU-weit zu verknüpfen und auf Perspektive einen zentralisierten EU-Geheimdienst nach dem „Vorbild“ der USA zu schaffen. Erinnern wir uns an Edward Snowdens Enthüllungen, wonach die Geheimdienste der EU-Staaten bereits jetzt ihre BürgerInnen kaum weniger bespitzeln als die NSA!
Es drohen immer weitere Eingriffe in unsere Privatsphäre, in unser Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. Um unabhängig und frei seine Meinung äußern und demokratische Rechte leben zu können, Ideen und Innovationen für unser aller Zukunft erarbeiten und denken zu können, bedarf es eines Umfeldes frei von überbordender Überwachung und Bespitzelung sowie frei von Misstrauen. Man kann Benjamin Franklin nicht oft genug zitieren: „Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird am Ende beides verlieren.“
Eveline Steinbacher
27.12.2015
Mehr dazu:
https://netzpolitik.org/2015/eu-einigt-sich-auf-fluggastdatenspeicherung/
https://richtervereinigung.at/wp-content/uploads/delightful-downloads/2015/12/2015_PStSG2.pdf
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Big-Brother-Awards-Austria-Doppelsieg-fuer-Staatsschutzgesetz-2854809.html
http://fm4.orf.at/search?q=Staatsschutzgesetz&sort=date_desc&submit.x=0&submit.y=0
http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4878332/Staatsschutz_Richter-sehen-Mogelpackung
http://www.heise.de/tp/artikel/44/44706/1.html
https://www.staatsschutz.at/
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1308&Itemid=77
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00110/
http://www.anwaltaktuell.at/home/%C3%B6rak/
http://www.europarl.europa.eu/news/en/news-room/20151130IPR05456/Europol-deal-on-new-powers-to-step-up-EU-police-cooperation-and-fight-terrorism