ImageVor unser aller Augen spielt sich im Augenblick ein grausames Experiment ab. Auf Kosten von 10 TierschutzaktivistInnen, die seit 21. Mai in Untersuchungshaft sitzen, lotet der Staat aus, inwiefern er das Strafgesetzbuch gegen Personen verwenden kann, die sich außerhalb des Parlaments politisch engagieren. Die sogenannten Vereinigungsdelikte (§§ 278 ff) werden von Staatsanwaltschaft und Polizei nun erstmals herangezogen, um sie auf zivilgesellschaftliche Strukturen anzuwenden.

Ein Artikel von Harald Balluch (VGT) und ein Interview mit Bettina Kollegger (Tierrechtsgruppe Linz)

§ 278a: Der weit gefasste Organisationsbegriff. Im aktuellen Fall der TierschutzaktivistInnen ist die Staatsanwaltschaft gerade im Begriff auszutesten, wie weit sie den Vereinigungs- bzw. Organisationsbegriff dehnen kann. So argumentiert sie, dass auch autonom agierende Gruppen oder Einzelpersonen Teil einer Organisation im Sinne des § 278a sein können. Dafür sei es nicht einmal notwendig, dass sich diese autonom agierenden Gruppen oder Einzelpersonen untereinander kennen. Entscheidend sei nur, dass sie dieselben Ziele verfolgen und dieselbe Philosophie und dieselben Grundsätze teilen. Aufs politische Spektrum übertragen bedeutet das, dass alle Gruppen und Einzelpersonen, die allein und unabhängig entscheiden was sie tun und was nicht, die selbstbestimmt agieren und freiwillig ihre Freizeit der Erreichung eines politischen Ziels widmen, gemeinsam einer Organisation zugerechnet werden können. Was auf den ersten Blick unproblematisch klingt, ist es nicht, denn durch das formale Subsummieren zu einer Organisation entsteht eine Kollektivhaftung.

Sollte also eine einzelne Gruppierung oder eine Einzelperson in dieser konstruierten Organisation z.B. auf ökonomische Sabotage ausgerichtet sein, so wird die gesamte konstruierte Organisation mit all ihren Mitgliedern zu einer kriminellen Organisation nach § 278a. Möglich wird das dadurch, dass es in § 278a heißt, dass es keinesfalls notwenig sei, dass die Organisation ausschließlich auf das Ausüben von Straftaten ausgerichtet sein müsse. Es genügt, wenn sie unter anderem auch darauf ausgerichtet ist oder eben wie in diesem Fall nur eine Unterabteilung von vielen darauf ausgerichtet ist. Dieser ganze Argumentationsaufbau ist im aktuellen Fall der TierschützerInnen vor allem auf die Kampagnen gegen pelzführende Bekleidungskonzerne gemünzt, wie sie in den letzten Jahren durchgeführt wurden.

Kampagnen gegen pelzführende Bekleidungskonzerne. Obwohl also die Produktion von Pelzen in Österreich bereits seit 1998 aus ethischen Motiven verboten ist, wird nach wie vor Pelz in Österreich verkauft. Obwohl ein nationales Produktionsverbot möglich und auch erreicht worden ist, ist ein nationales Handelsverbot praktisch undenkbar. Das vor allem deshalb, weil Österreich im Zuge der allgemeinen Globalisierung in größere Handelsübereinkommen eingebunden ist. Ein nationales Handelsverbot würde einen Bruch dieser Abkommen bedeuten und hätte Sanktionen zur Folge. Einerseits durch die EU, was schon demokratiepolitisch problematisch genug ist, da sich die EU aufgrund ihrer Struktur dem Einfluss der BürgerInnen weitgehend entzieht. Andererseits aber durch die WTO, was endgültig ein demokratiepolitisches Debakel darstellt. Während die Konzerne über ihre Lobbys enormen Einfluss auf die Gestaltung der Welthandelsverträge haben, haben die BürgerInnen im Grunde überhaupt keinen Einfluss darauf.

Aus diesem demokratiepolitischen Defizit ergaben sich länderübergreifende Kampagnen, die das Ziel verfolgten, pelzführende Modehäuser derart unter Druck zu setzen, dass sie dazu bewegt werden, Bekleidung mit Pelz aus dem Sortiment zu streichen. Da eine Gesetzesänderung, also ein Handelsverbot, unmöglich ist, wurde das Kampagnenziel darauf ausgerichtet, die Konzerne in die Verantwortung zu nehmen, damit sie die gesellschaftlich anerkannten Werte übernehmen und ein Produkt, in diesem Fall Pelz, dessen Produktion bereits verboten ist, auch nicht mehr zum Verkauf anbieten. Diese Kampagnen brachten große Erfolge. Unternehmen wie C&A, Karstadt-Quelle, Zara, P&C und andere große Modehäuser beendeten den Pelzverkauf. Diese Kampagnen waren eine Neuerung: Sie waren nicht zentral von einer großen NGO organisiert und geführt, wie beispielsweise die Anti-Shell-Kampagne von Greenpeace in den 1990er Jahren, sondern sie wurden von Einzelinitiativen, also von der Basis, getragen. Zur Verbreitung der Information diente vor allem das Internet. So konnten Berichte über Aktivitäten schnell ausgetauscht werden, Termine für Aktionstage verbreitet werden, Reaktionen der Unternehmen veröffentlicht werden und so weiter. Viele kleinere und größere Organisationen und Einzelpersonen wurden so motiviert ihren Teil zum gemeinsamen Ziel beizutragen.

Diese internationale Vernetzung von AktivistInnen und NGOs, die von der Staatsanwaltschaft nun zum Bedrohungsszenario erklärt wird, erfüllt eigentlich eine wesentliche Funktion, um in einer globalisierten Welt überhaupt einen relevanten Einfluss auf multinationale Konzerne entwickeln zu können.

Nachweis einzelner Straftaten ist nicht erforderlich. Bedenklich ist nicht die Zielsetzung der engagierten BürgerInnen, sondern der Vorstoß der Staatsanwaltschaft legitime politische Ziele mit Strafe zu bedrohen. Und zuletzt alles in einen Topf werfen. Fassen wir noch einmal zusammen:
• Um nach § 278a bestraft zu werden, muss man keine herkömmlichen Straftaten begehen wie z.B. Sachbeschädigungen. Es ist auch nicht notwendig, dass man derartiges geplant oder die Ausführung unterstützt hätte.
• Die Staatsanwaltschaft fasst den Begriff der Verbindung bzw. Organisation so weit, dass alle Menschen dazuzurechnen sind, die die gleiche Philosophie vertreten und die gleichen Ziele verfolgen und zwar auch, wenn sie vollkommen unabhängig voneinander, selbstständig und freiwillig agieren.
• Im Rahmen der Kampagne gegen pelzführende Modekonzerne wurden von manchen Gruppen und/oder Einzelpersonen Sachbeschädigungen durchgeführt. Wer diese Sachbeschädigungen durchgeführt hat, ist unbekannt.
• Das Ziel jener Gruppen, die Sachbeschädigungen durchführten, und jener Gruppen, die keine Sachbeschädigungen durchführten, ist dasselbe, nämlich zu erreichen, dass Modekonzerne Bekleidung mit Pelz auslisten.
• Die Philosophie jener Gruppen die Sachbeschädigungen durchführten und jener Gruppen die keine Sachbeschädigung durchführten, ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch ident, nämlich die Idee von Tierrechten und die Idee der Tierindustrie zu schaden und sie zu schwächen.
Angesichts dieser Fakten wird schnell verständlich warum nun Gruppen wie der VGT (Verein gegen Tierfabriken), deren Tätigkeiten bisher als legal und legitim angesehen wurden, plötzlich als Teil eines kriminellen Netzwerks bzw. einer kriminellen Organisation verfolgt werden können. Es ist dafür gar nicht notwendig, dass sie sich selbst kriminell betätigten. Es reicht im Sinne der §§ 278 ff vollkommen aus, wenn andere das tun, die von der Justiz einer gemeinsamen Vereinigung zugerechnet werden können, weil sie dasselbe Ziel verfolgen. Entscheidend ist StGB § 278 Abs. 3: „Als Mitglied beteiligt sich an einer […] Vereinigung, wer […] sich an ihren Aktivitäten durch die Bereitstellung von Informationen oder Vermögenswerten oder auf andere Weise in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung […] fördert.“

Angesichts des Paragraphen und des Argumentationskonzepts erstaunt es nicht mehr, dass der Nachweis einzelner Straftaten für eine Verurteilung entbehrlich ist. Unter Strafe gestellt ist ja nicht die Durchführung einer Straftat, sondern die Förderung bzw. Mitgliedschaft in einer Vereinigung.

Straftaten im Namen des Tierschutzes hat es offenbar gegeben. Der Zusammenhang mit den Angeklagten wird durch die legalen Aktivitäten hergestellt, die die Beschuldigten zur Verfolgung der gleichen Ziele gesetzt haben wie jene, die die Straftaten begangen haben.
Da der Vereinigung alle ungeklärten Straftaten seit 1997 angelastet werden, die die Polizei mit Tierschutz in Zusammenhang bringt, sollen nun alle Beschuldigten für diese Taten bestraft werden.

Auswirkung auf politische Arbeit. Sollte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Argumentation durchsetzen, kann es in Zukunft auch für andere NGOs, sowohl im Tierschutz als auch in anderen politischen Bereichen, eng werden. Das gesamte Klima der Meinungsfreiheit, wie es bisher gelebt wurde, ist bedroht. Praktisch in allen politischen Bereichen wird es Personen geben, die dieselben Ziele verfolgen und dafür auch bereit sind Sachbeschädigungen (oder Schlimmeres) zu begehen. Mitgefangen, mitgehangen ist die Devise der §§ 278 ff – einer neue Form der Sippenhaftung. Dieser Vorstoß der Justiz ist ein Anschlag auf die Demokratie und jedenfalls viel gefährlicher als die vorgeworfenen Sachbeschädigungen, die den TierschützerInnen zur Last gelegt werden, jemals sein könnten. Würden die Landesämter für Verfassungsschutz ihre Aufgabe ernst nehmen, so müssten sie in diesem Fall gegen die unerquickliche Vereinigung von Polizei, Staatsanwaltschaft und RichterInnen ermitteln, die eine ernste Gefahr für eine freie pluralistische Gesellschaft darstellt.

Harald Balluch (VGT)


INTERVIEW

“Unüberhörbares Zeichen setzen!”

Image Interview mit Betty Kollegger, Tierrechtsgruppe Linz, in guernica 3/2008


guernica: Wie ist Eure Gruppe in den letzten Jahren für Tierrechte aktiv geworden?

Betty: Hier in Linz hat es damit angefangen, dass ein Tierrechtler einfach begonnen hat, in seiner Freizeit selbstgebastelte Flugblätter über die Vermeidung von Tiermissbrauch auszuteilen. Dem Einzelkämpfer  schlossen sich im Laufe der Zeit immer mehr Menschen an und beteiligten sich an gezielten Kampagnen, um Tierquälereien sichtbar zu machen, gewaltfreie Alternativen zu zeigen und gesetzliche Verbesserungen zu fordern.

guerncia: Die 10 Tierrechts-AktivistInnen sind Gefangene, deren politisches Engagement mit Hilfe des § 278a kriminalisiert wird. Was steckt Deiner Meinung dahinter?

Betty: Ich fürchte, dass unsere demokratischen Grundrechte bewusst schleichend abgebaut werden und die Angriffe auf aktive Privatpersonen und Vereine nur einen Anfang darstellen! Hinzu kommt, dass einige der Betroffenen kurz vor der Verhaftungswelle eine Reihe von Skandalen in Tierhaltungsbetrieben aufgedeckt haben. Hinter der Tierindustrie steckt eine einflussreiche Lobby: Der Verdacht liegt nahe, dass durch diese Abschreckungsmaßnahme gegen AktivistInnen verhindert werden sollte, dass weitere Tierquälereien ans Licht kommen. Der “Antimafia”-Paragraph bot erstmals die Gelegenheit, bisher legale Tierrechtsaktivitäten zu kriminalisieren. Die Forderung eines Pelzausstieges wird plötzlich als Erpressungsversuch geahndet! Unglaublich – wenn das durchgeht, wird in Zukunft jegliches politisches Engagement verunmöglicht, was einer lebendigen Demokratie die Grundlage entzieht.

guernica: Wie geht es den Verhafteten? Wie können sie unterstützt werden?

Betty: Die Einzelschicksale sind traurig mitanzusehen. Ein Aktivist vermisst enorm seine drei Kleinkinder, die noch nie so lange von ihrem Vater getrennt waren. Sie weinen bei jedem Besuch, der ohnehin nur selten möglich ist. Die 10 Inhaftierten haben ihr Vertrauen in unseren Rechtsstaat verloren. Ihre einzige Hoffnung sind jetzt wir, die Zivilgesellschaft. Es gibt viele Möglichkeiten, die Gefangenen zu unterstützen: Briefe schreiben an die Inhaftierten und an PolitikerInnen, Zeitungen etc. Aber auch sämtliche kreative Eigenideen sind gefragt: Es gab bereits international Aktionen, Demos, Soli-Konzerte, Online-Petitionen, Kunstauktionen, uvm.
 
guernica: Was sind die nächsten Aktivitäten, um die Freilassung der politischen Gefangnen durchzusetzen?

Betty: Die wichtigsten Termine sind der 5. und 6. September. Nur wenige Tage danach findet die nächste Haftprüfung statt. Daher müssen wir rechtzeitig ein unüberhörbares Zeichen setzen: Freitags sind bundesweite Demos geplant und am Samstag wird es einen riesigen Demozug zum Justizministerium in Wien geben - für die sofortige Freilassung der AktivistInnen und gegen die Diskriminierung politisch aktiver Personen im allgemeinen!


TERMINE:

DEMONSTRATIONEN
für die Freilassung der 10 inhaftierten Tierrechts-AktivistInnen und gegen die Kriminalisierung von politischem Engagement durch § 278 ff.

INNSBRUCK
Do, 21. August 2008
24-Stunden Mahnwache vor dem Innsbrucker Landhaus
Fr, 5. September 2008
Demozug durch Innsbruck, Treffpunkt: Triumphpforte, 17 Uhr

LINZ
Sa, 30. September 2008
Mahnwache Landstraße (vor Kleiderbauer), 10 bis 12 Uhr
Fr, 5. September 2008
Demonstration durch Landstraße, Treffpunkt:  Schillerpark, 16 Uhr

GRAZ
Fr, 5. September 2008
Demozug durch Graz, Treffpunkt: Hauptplatz 13, 16 Uhr

SALZBURG
Fr, 5. September 2008
Kundgebung Am Platzl (vor Kleider Bauer), 15-18:30 Uhr

WIENER NEUSTADT
Mi, 27. August 2008
Solidemo "100 Tage Haft", Beginn 14 Uhr vor dem Gefängnis
Sa, 5.September 2008
Demonstration; Uhrzeit und Ort wird noch nicht bekannt

WIEN
Sa, 6. September 2008
Auftaktkundgebung 14 Uhr vor dem Justizministerium
Abschlusskundgebung ca. 16:30 am Ballhausplatz

Aktuelle Termine auf www.werkstatt.or.at