Image105 Tage waren 10 TierschützerInnen in Untersuchungshaft. Die Begründung der Generalprokuratur lässt schaudern. Sie ist ein Freibrief für Bespitzelung, Kriminalisierung von politischem Engagement und für Repression gegen Gesellschaftsveränderung.


Am 21. Mai 2008 stürmten Sondereinheiten der Polizei frühmorgens 23 Wohnungen, Büros und Häuser von TierrechtsaktivistInnen. Die politischen AktivistInnen wurden mit vorgehaltener Pistole aus den Betten gerissen, ihre Computer beschlagnahmt, zehn kamen in Untersuchungshaft. Erst durch eine immer breiter werdende Solidaritätsbewegung gelang es schließlich, dass die Inhaftierten nach 105 Tagen Haft freikamen. Die Anklage gegen sie ist allerdings nach wie vor aufrecht, obwohl ihnen keine konkreten Straftatbestände nachgewiesen werden können. Doch das ist nach den „Vereinigungsdelikten“ des sog. „Anti-Mafia“-§ 278a („Bildung einer kriminellen Organisation“) und des sog. „Anti-Terror“-§ 278b („Bildung einer terroristischen Organisation“) auch gar nicht notwendig. Durch die §§ 278 ff  wird die juristische Tür in Richtung eines Spitzel- und Repressionsstaates aufgestoßen.

Freibrief für Bespitzelung:

Die §§ 278 ff gelten als „Vorbereitungsdelikte“, d.h. es ist gar nicht notwendig, dass jemals eine Straftat begangen wurde, es reicht der Verdacht, dass eine begangen werden könnte – und schon kann der Staatsapparat sein ganzes Arsenal an Überwachungs- und Bespitzelungsaktivitäten zum Einsatz bringen. Im Fall der Tierrechts-AktivistInnen wurden 12 Telefone abgehört, 17 Personen rund um die Uhr observiert, zwei Autos mit Peilsendern ausgestattet. Alleine die Telefonfirmen verrechneten den Behörden für die Überwachung 100.000 Euro. Wohin diese Entwicklung führt, kann man in der BRD erkennen, wo im Zug der RAF-Hysterie bereits 1976 ein ähnlicher Paragraf, der Anti-Terror § 129a StGB eingeführt wurde. Unter Verweis auf § 129a wurden etwa in den 90er Jahren bei einer Antifa-Gruppe in Göttingen 14.000 Telefonate abgehört. Es kam nie zu einer Verurteilung, das Ziel war die Ausforschung der antifaschistischen Szene. Wer sich gegen solche Bespitzelungen abschirmen will, gerät erst recht in die Mühlen des § 278a. Denn als besondere Verdachtsmomente gegen die Tierschützer listet die Generalprokuratur auf:
- “Absicherungsstrategien gegen den Einsatz von ‘Polizei-Trojanern’” (1)
- Verschlüsselung elektronischer Kontaktaufnahmen
- Einrichtung eines moderierten Internetforums
- Aufbau eines Handypools und der Ankauf von 20 Mobiltelefonen  und „die Erwägungen zur Sinnhaftigkeit des Umstiegs auf einen Unternehmertarif, mit dem zahlreiche Personen gratis telefonieren und dem Betreiber die Nutzer der Mobiltelefone nicht bekannt gegeben werden.” (1)
- Existenz von „Ausbildungscamps, die sich mit dem Schutz vor polizeilicher Verfolgung befassen“ (1)

Freibrief für die Kriminalisierung politischen Engagements:

Die §§ 278 ff stellen die „Mitgliedschaft“ in einer „kriminellen“ bzw. „terroristischen Organisation“ unter Strafe. Wie kann man sich das vorstellen? Die Generalprokuratur klärt uns auf, dass „das Oberlandesgericht von einer zumindest auf konkludentes Verhalten gestützten Willeneinigung einer größeren Zahl von Personen im Hinblick auf den Zusammenschluss in seiner kriminellen Zielsetzung ausging.“ (1) Wie bitte? „Konkludentes“, also „schlüssiges“ Verhalten kann heißen: Hier schmeißt z.B. einer die Fensterscheibe einer Kleider Bauer-Filiale ein, dort demonstrieren Menschen gewaltfrei vor Kleider Bauer-Filialen. Die brauchen sich nicht zu kennen, müssen nichts miteinander zu tun haben, aber weil sie beide dasselbe wollen – den Ausstieg des Unternehmens aus dem Pelzhandel – kann die Staatsanwaltschaft zwischen beiden auf Grund „schlüssigen Verhaltens“ die gemeinsame „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ konstruieren. Es müssen halt zumindest zehn Menschen sein. Damit kann jede gewaltfreie soziale Bewegung kriminalisiert werden. Es wird immer wieder Irrläufer geben, die die falschen Mittel für die richtigen Ziele einsetzen – und schon kann der Staatsapparat die Repressionsfalle zuschnappen lassen. Findet sich kein Irrläufer, kann mit „Agent provocateurs“ etwas nachhelfen werden, wie es z.B. bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 in Rostock geschah. VGT-Obmann Martin Balluch, selbst 105 Tage in U-Haft, schlussfolgert: „Man müsste eine legitime und legale Kampagne gegen z.B. eine Firma sofort beenden, wenn andere, einem unbekannte Personen kriminelle Handlungen mit gleicher Zielsetzung gegen diese Firma gesetzt hätten, ansonsten würde man sofort zu einem Teil einer kriminellen Organisation mit diesen unbekannten Tätern werden. Das bedroht die Grundrechte unserer Gesellschaft auf freien Zusammenschluss, freie Meinungsäußerung und freies Versammlungsrecht.“

Zu den Straftatbeständen der §§ 278 ff zählt unter anderem auch die „gefährliche Drohung“ und „schwere Nötigung“. Die Generalprokuratur sieht diesen Tatbestand bereits erfüllt durch die „Aufforderung an Kleider Bauer aus dem Pelzhandel auszusteigen, unter Ankündigung einer widrigenfalls einsetzenden ‚Kampagne wie gegen Peek & Cloppenburg’“. Zur Klarstellung: Diese Kampagnentätigkeit umfasste angemeldete und gewaltfreie Demonstrationen vor den Verkaufsfilialen. Das lässt schaudern. Werden demnächst GewerkschafterInnen, die mit einem Streik drohen, oder Bürgerinitiativen, die Demonstrationen und Blockaden ankündigen, auch bald als „gefährliche Droher“ und „schwere Nötiger“ hinter Gitter verschwinden?

Freibrief für Repression gegen Gesellschaftsveränderung:

Schon der § 278a weist eine bedenklich demokratiegefährdende Schlagseite auf, weil er es als ein Kriterium für eine „kriminelle Organisation“ festschreibt, „erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anzustreben.“ (§ 278 a, Z 2, StGB). Die §§ 278b, c und d legen noch ein Schäuferl nach. Diese „Anti-Terror“-Paragrafen leiten den „Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung“ der EU-Innen- und -Justizminister aus dem Jahr 2002 in das österreichische Strafgesetzbuch über. Die EU-Terrorismusdefinition wird wortwörtlich übernommen. Als „terroristische Ziele“ gelten u.a. Taten, die „öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation ernsthaft erschüttern“ (§ 278c, Abs 1, StGB).

Im EU-Primärrecht ist jetzt bereits die Verpflichtung zu einer „freien Marktwirtschaft mit offenem Wettbewerb”  verankert. Mit dem neuen EU-Reformvertrag soll die Verpflichtung zu Aufrüstung und zum Aufbau einer mächtigen Rüstungsindustrie ebenfalls in Verfassungsrang gehoben werden. Die Werkstatt Frieden & Solidarität bekennt sich dazu, „verfassungsrechtliche, wirtschaftliche und soziale Grundstrukturen“, die Aufrüstung und hemmungslose Konkurrenz festschreiben wollen, „ernsthaft erschüttern“ zu wollen. Werden auch bei uns bald die Polizeieinsatzkommandos die Türen eintreten?

in: guernica 4/2008

(1) Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof, Gs 478/08v – 15 Os 116/08k, 03.09.2008