ueberwachungsstaatIn Österreich ist in den letzten beiden Jahrzehnten, seit dem EU Beitritt, eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten geschaffen worden, BürgerInnen zu überwachen und Grundrechte einzuschränken. Wir geben hier einen exemplarischen Überblick über die Einbindung Österreichs in diesen Prozess. Damit wollen wir aufrütteln – und zum Widerstand anregen: gegen Überwachungs- und Supermachtswahn!

 

 

In den letzten beiden Jahrzehnten sind in Österreich eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten geschaffen worden, die BürgerInnen zu überwachen und Grundrechte einzuschränken. Dabei gibt es auf unterschiedlichen Ebenen einen Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft Österreichs:

  • Direkt über entsprechende Richtlinien (z.B. Anti-Terror-Richtlinie, Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenspeicherung, Smart Meter ua)
  • Vermittelt über Absprachen auf Ratsebene (z.B. nach den Anschlägen in Paris 2015)
  • Finanzierung von Bespitzelungsprojekten und Technologien über EU-Gelder (z.B. INDECT, Drohnenprogramme, ua)

Die EU ist ein Zusammenschluss nationaler Macht- und Konzerneliten, um eine wirtschaftliche, politische und militärische Supermacht zu werden. Aus der Geschichte wissen wir: Die Herausbildung solcher Supermächte gehört zu den aggressivsten Elitenprojekten, sie sind untrennbar mit einer Militarisierung nach außen und innen verbunden. Denn Supermacht werden heißt nicht zuletzt, Opposition im Inneren entweder einzubinden („his majesty´s loyal opposition“) oder kategorisch zu unterbinden. Das treibt die Zentralisierung und Hierarchisierung von Spitzelapparaten an. So hat EU-Kommissarin Reding den Aufbau eines EU-Geheimdienstes „nach dem Vorbild der NSA“ bis 2020 angekündigt. Ein militärisch-sicherheitsindustrieller Komplex gewinnt enorme Eigendynamik. Dabei befeuern sich die Militarisierung nach außen und innen gegenseitig. Die Kriege gegen Staaten an der Peripherie schlagen oftmals als blutiger Terror zurück, der wiederum den Eliten als Vorwand für den Ausbau des Überwachungsstaates und zur Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte dient.

Wir geben hier einen exemplarischen Überblick über die Einbindung Österreichs in diesen Prozess. Damit wollen wir aufrütteln – und zum Widerstand anregen: gegen Überwachungs- und Supermachtswahn!

Chronologie

1997 Rasterfahndung
Beschluss der "Rasterfahndung". Bei der Rasterfahndung werden bestimmte Personengruppen, die einem Täterprofil gleichen, durch elektronischen Abgleich vieler Datenbestände nach bestimmten, übereinstimmenden Merkmalen verglichen („verrastert“), um auf diese Weise Personen festzustellen, die als Verdächtige in Betracht kommen.

1998 Lauschangriff
Der "große und kleine Lauschangriff“ bzw. „Spähangriff" mittels optischer und akustischer Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel wird erlaubt. Videoüberwachung und Abhören von außen wird damit erlaubt, was u.a. zum ausufernden Einsatz von Videokameras geführt hat. Mittlerweile sind alleine in Wien über 1 Million Kameras im Einsatz.

1998 Enfopol
Unter dem Codenamen ENFOPOL (Enforcement Police) wurde Ende der 90er Jahre die Grundlage für die EU-weite Vereinheitlichung von Abhörstandards und Zugriffsrechten von Spitzeldiensten geschaffen, die schließlich Schritt für Schritt in nationales Recht übergeführt wurden. Als Ergebnis von ENFOPOL wurden auch in Österreich die Telekommunikationsanbieter mittels „Überwachungsverordnung“ verpflichtet, ihre Netze mit Schnittstellen auszurüsten, von denen aus der Fernmeldeverkehr zur Überwachungseinrichtung der gesetzlich ermächtigten Behörde übertragen werden kann.

2000 Militärbefugnisgesetz
geht inhaltlich wie zeitlich auf diese ENFOPOL-Vorgaben zurück. Das Militärbefugnisgesetz räumt den Nachrichtendiensten des Bundesheeres eine nahezu unbeschränkte Spitzelermächtigung ein, ohne dass es dafür eine richterliche Ermächtigung braucht. Bereits 2000 erhielten die Heeresgeheimdienste das Recht, nicht nur den Telekommunikationsverkehr zu überwachen, auch alle Gebietskörperschaften sowie alle Körperschaften Öffentlichen Rechts (Kammern, ÖH, Sozialversicherung) sind verpflichtet, den Militärgeheimdiensten die gewünschten Auskünfte über ihre Mitglieder zu erteilen. Alle diese Daten dürfen an „ausländische öffentliche Dienststellen“ weitergegeben werden, „wenn es eine wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung von Aufgaben der nachrichtendienstlichen Aufklärung oder Abwehr darstellt“ (§ 25 MilBG) – sprich nach Gutdünken der Geheimdienste selbst.

2001 „Antiterror“-Paket
Basierend auf der EU-„Anti-Terror“-Richtlinie werden in Österreich die sog. „Anti-Terror“-Paragraphen §§ 278 b ff StGB beschlossen. Als „terroristisch“ kann unter anderem verfolgt werden, wer „die fundamentalen politischen, verfassungsmäßigen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation destabilisieren“ will bzw. „beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden“ an einem „Transportsystem, einer Infrastruktur, einem öffentlichen Platz oder einem Privateigentum verursacht“. Dadurch kann politisches Engagement leicht kriminalisiert werden. Streiks und Blockadeaktionen können rasch ins Visier solcher Gummiparagraphen kommen - und zu hohen Freiheitsstrafen führen. Die BesetzerInnen der Hainburger Au würden heute möglicherweise schon unter Terrorismusverdacht geraten. In Österreich wurde in den Jahren 2009/10 gegen AktivistInnen der Uni-Proteste nach diesen Paragrafen ermittelt.

2007 Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz
Mobilfunkanbieter müssen Standortdaten und die internationale Mobilfunkteilnehmerkennung (IMSI) eines Handys oder die Daten zu einer IP-Adresse ohne Richterkontrolle an die Polizei bekanntgeben. Auf Daten von privaten Personen und Unternehmen darf ab sofort ohne Gerichtsbeschluss zugegriffen werden. Abhören von Mobilfunktelefonaten ohne richterliche Kontrolle ermöglicht das Aufzeichnen und Entschlüsseln von Telefonaten, mit IMSI-Catchern. Bereits in den ersten sechs Monaten nach Inkrafttreten stellte sich heraus, dass die Exekutive ihre neuen Möglichkeiten voll ausschöpft.

2009 – Start von INDECT
INDECT ist ein von der EU gefördertes Projekt mit dem Ziel, eine Technologie zu entwickeln, die sämtliche bestehende Technologien (Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikation, Gesichtserkennung, Websites, Diskussionsforen, Usernet-Gruppen, Datenserver, P2P-Netzwerke, polizeiliche, geheimdienstliche, militärische, forensische und zivile Datenbanken, Daten von luft- und seegestützten Plattformen und Satelliten, usw.) logisch miteinander verknüpft, in Echtzeit auswertet und verwaltet. INDECT soll der blitzschnellen Ausforschung sozialer Netzwerke, der Überwachung im virtuellen, aber auch im physischen Raum dienen, wo Drohnen als fliegende Kameras zum Einsatz kommen und miteinander vernetzt werden sollen. Die „Zeit“ bezeichnete Indect als “Traum der EU vom Polizeistaat, in dem Begriffe wie Unschuldsvermutung oder gerichtsfester Beweis keine Bedeutung mehr haben.“ (24.9.2009)

Zeitgleich werden von der EU Gelder in Projekte investiert, die ähnliche Ziele verfolgen, z.B. SMART, MOSAIC, SAMURAI, ADABTS, ARENA, IMSK, CleanIT.

2012 Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz
Die „erweiterte Gefahrenforschung“ wird damit auch bei Einzelpersonen möglich gemacht. Durch diese Änderung kann jeder einzelne Bürger durch unbedachte Äußerungen zum potentiellen Überwachungsobjekt werden. Observationen, auch mit Peilsendern, oder der Einsatz verdeckter Ermittler mit Ton- und Bildaufnahmegeräten sind dann auch hinsichtlich einzelner Personen zulässige Überwachungsmethoden.

2012 Beschluss der Vorratsdatenspeicherung
Basierend auf der EU-Richtline zur Vorratsdatenspeicherung werden Anbieter von Telekomdiensten in Österreich gesetzlich verpflichtet, die Kommunikationsdaten aller BürgerInnen mindestens sechs Monate lang "auf Vorrat" zu speichern, also: wer, wann, wo, mit wem, wie lange per Telefonat, SMS und E-Mail kommunizierte. Der EUGH hob 2013 diese anlasslose und verdachtsunabhängige Datensammlung als unverhältnismäßig und damit grundrechtswidrig wieder auf. 2014 wird das Gesetz auch in Österreich aufgehoben. Im Dezember 2015 forderte eine Mehrheit im EU-Rat die Kommission auf, einen Neuanlauf für eine EU-weite Vorratsdatenspeicherung zu starten.

2013 – Beschluss zur Einführung von „Smart Metern“
Aufgrund einer EU-Richtlinie wird mit der Novelle zum ElWOG 2013 beschlossen, dass in Österreich bis 2019 95% die bisherigen analogen Strommessgeräte durch digitale Messgeräte („Smart Meter“) ersetzt werden sollen.

Dadurch droht eine Totalüberwachung unserer Privatsphäre. Mit dem Smart Meter kann unser Stromverbrauch im Sekundentakt abgelesen werden, dadurch werden wir zum „gläsernen Haushalt“. Forscher der FH Münster haben herausgefunden, dass durch die von Smart Meter gelieferten Daten sogar das konsumierte Fernsehprogramm identifiziert werden kann (sh. auch Seite 20).

2016 EU–Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung (PNR-Passenger Name Record)

Bei einer zentralen PNR-Meldestelle werden bis zu 60 Einzeldaten, von Hotelreservierungen, Gesundheitsinformationen bis hin zu speziellen Essenswünschen von Fluggästen der Flüge in die EU sowie aus der EU heraus - und innereuropäisch (von den Mitgliedsstaaten freiwillig zugesagt) gespeichert - und zwar mindestens 5 Jahre: ein halbes Jahr unter Klarnamen (unmaskiert) danach 4 1/2 Jahre unter Pseudonymen (maskiert).

In der PNR-Meldestelle werden die PNR-Daten mit denen aus anderen, polizeilichen Datenbanken abgegleichen, also gerastert. Ein Austausch von Daten mit den Behörden anderer Länder soll möglich sein. Bereits seit 2011 werden unsere Daten den Sicherheitsbehörden von Australien und seit 2012 den USA übermittelt.

2016 Polizeiliches Staatsschutzgesetz

Wurde am  27.1.2016 im Parlament beschlossen, und ist mit 1.7.2016 in Kraft getreten. Dadurch wurde in Österreich ein Inlandsgeheimdienst mit umfassenden Bespitzelungsermächtigung eingerichtet werden:

  • Körperschaften öffentlichen Rechts, Behörden, Beförderungsunternehmen (Fluglinien, ...), Telekommunikationsdienste müssen Daten an die Geheimdienste liefern.
    Einsatz bezahlter V-Leute/Spitzel zur Auspionierung von Organisationen und sozialen Netzwerken
    Bespitzelung ohne richterliche Kontrolle
    Weitergabe von Daten an ausländische Geheimdienste
    Durch die enge Verkoppelung des PStSG mit dem „Anti-Terror-Paragrafen“ 278 ff StGB (sh. oben) droht die rasche Kriminalisierung von politischem Engagement.
    Speicherdauer der Daten: 6 Jahre =12x länger als bei der wegen Grundrechtswidrigkeit aufgehobenen Vorratsdatenspeicherung!

2016 – Öffnung des Luftraums für Drohnen

Ab 2016 soll der Luftraum EU-weit schrittweise für Drohnen geöffnet werden. Eine entsprechende Verordnung wird derzeit vorbereitet. Drohnen dienen unter anderem der lückenlosen Überwachung im urbanen Raum (sh. Projekt INDECT).

2018 - Chips in allen Autos (E-Call)

Ab März 2018 schreibt eine EU-Verordnung ein automatisches Notrufsystem für Kraftfahrzeuge vor, das ab dem 31. März 2018 verpflichtend in alle neuen Modelle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen eingebaut werden muss. Datenschützer sind alarmiert: anlasslose Überwachung des gesamten Autoverkehrs - keine Fahrt bleibt unbeobachtet; wem gehören die Daten; wer hat Zugriff darauf; wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Eveline Steinbacher


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