Eine beeindruckende Rede von Thomas Baum, Schriftsteller, Drehbuchautor und Menschenrechtsaktivist, bei der Kundgebung „Wir haben Platz“, die von der Plattform Solidarität Oberösterreich am 20. Juni Linz anlässlich des internationalen Weltflüchtlingstags veranstaltet wurde.
Migrationssteuerung: das ist für die Europäische Union eine ihrer wichtigsten aktuellen und zukünftigen Aufgaben. Nur: wie sieht diese Migrationssteuerung unter anderem aus?
Schlauchboote und Kähne, überfüllt mit Flüchtlingen, die vom türkischen Festland etwa auf die Insel Lesbos übersetzen wollen, werden von der Küstenwache gewaltsam in türkische Hoheitsgewässer zurückgedrängt.
Zum Beispiel, indem schwarz maskierte Mitarbeiter von FRONTEX – das ist die europäische Agentur für Grenzüberwachung - rund um die Boote mit scharfer Munition ins Wasser schießen und ihr Ziel so lange immer enger einkreisen, bis die Flüchtlinge in Panik kehrtmachen.
Oder, indem Mitarbeiter der griechischen Küstenwache auf Flüchtlingsfamilien und auch Kinder mit Eisenstangen einschlagen, den Außenbordmotor ihres Bootes abmontieren und ins Meer werfen oder ein Schlauchboot harpunieren beziehungsweise auf hoher See mit Messern zerschneiden.
Das sind alles keine Erfindungen, einige dieser schrecklichen Vorgänge gibt es dank der unermüdlichen NGO’s vor Ort auch auf Videos zu sehen.
Diese und ähnliche Grausamkeiten passieren mit dem Ziel, die Menschen daran zu hindern, auf europäischem Boden einen Asylantrag zu stellen.
Dabei hat laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jeder Mensch das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. Somit ist jeder dieser sogenannten Push back Aktionen ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte inmitten der angeblich so zivilisierten Europäischen Union.
Wer es trotz dieser unsagbaren Repressalien schafft an Land zu kommen, hat Aussicht auf einen Platz in der Hölle von Moria. So nennt der Fernsehsender Arte in einem Bericht das Flüchtlingslager auf Lesbos.
Auf engstem Raum wurden und werden hier 19.000 Menschen zusammengepfercht und warten monate- oder jahrelang auf die Abwicklung ihres Asylantrags. In notdürftigen Behausungen ohne Strom und fließendes Wasser.
Hunger, Dreck, Kälte. 167 Menschen teilen sich eine Toilette, 240 eine Dusche. Alles Umstände, die fast zwangsläufig zu Aggression, Kriminalität und Vergewaltigungen führen.
Die Gefahr von verzweifelten Suiziden oder Selbstverstümmelungen ist sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern allgegenwärtig. Der Soziologe Jean Ziegler bringt es auf den Punkt, wenn er sein Buch über den Umgang mit Flüchtlingen „Die Schande Europas“ nennt.
6 Milliarden Euro und weitere hunderte Millionen da und dort - die EU kauft sich aus der Verantwortung für das Schicksal von Flüchtlingen frei und lädt damit eine historische Schuld auf sich. Weil die Regierungen der Staaten in Europa nicht nur dulden, nicht nur zulassen, sondern aktiv finanzieren, dass verfolgte und vertriebene Menschen in katastrophalen und unwürdigen Umständen dahinvegetieren. Die EU produziert Tag für Tag absolute Hoffnungslosigkeit.
Während Europa den Familien, Vätern, Müttern und Kindern diese unsägliche Marter zumutete, und schon während bekannt war, dass sich allein im Lager auf Lesbos etwa 1000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge befinden, wurden in ganz Europa und auch in Österreich bestens funktionierende Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geschlossen. Wegen zu geringen Bedarfes. Wegen nicht ausreichender Belegung. Zur gleichen Zeit suchten direkt vor unserer Haustür Kinder im Schlamm nach Essen.
Wir hätten die Expertise. Wir verfügen über hochprofessionelle, toll engagierte Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen, die in den letzten Jahren auch vielen erwachsenen Flüchtlingen Sicherheit, Geborgenheit, Respekt und sogar Perspektiven vermitteln konnten. Und wir haben eine ganze Menge an freistehenden Quartieren.
Wir appellieren mit dieser Veranstaltung nicht an höherstehende, sondern an selbstverständliche Haltungen und Werte: Hilfeleistung, Gastfreundschaft und das Erfüllen von Grundbedürfnissen sind angesichts der dramatischen, menschenunwürdigen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern in Griechenland dringendes Gebot der Stunde.
Nehmen wir uns ein Herz. Holen wir Familien, Mütter, Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu uns nach Österreich und Oberösterreich. Es ist nicht schwierig, wir können es, und wir können es uns auch in Corona-Zeiten locker leisten.
Die Aktivierung des nötigen politischen Willens dürfte nicht schwerfallen, weil menschliche und materielle Zuwendung für Menschen in schlimmster existentieller Not nicht nur dem sozialdemokratischen und grünen, sondern auch dem christdemokratischen Weltbild entspricht.
Wir haben Platz. Stellen wir ihn bitte dringend zur Verfügung.
(20.6.2020, Rede am Martin Luther-Platz, Linz)
Fotos von der Kundgebung der Plattform Solidarität OÖ am 20.6.2020 am Martin Luther-Platz in Linz