Nach „Ibizagate“ dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen, in der Hoffnung, dass nach dem Ende der FPÖ-Regierungsbeteiligung nun alles wieder ins Lot kommen werde. Wir brauchen eine demokratische Wende und nicht einen bloßen Austausch des politischen Personals. Die Solidarwerkstatt benennt einige Eckpunkte einer solchen demokratischen Wende, die eine neue Regierung aus unserer Sicht sofort in Angriff nehmen muss.

 Zu diesen Eckpunkten gehört:

  • Rücknahme der Sozialversicherungs“reform“, durch die die dezentrale Selbstverwaltung der ArbeitnehmerInnen in ihrer eigenen Sozialversicherung eleminiert wird
  • Rücknahme der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes (12-Stundentag, 60-Sundenwoche)
  • Ausstieg aus der neutralitätswidrigen „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco), die Österreich zu einer enormen Aufrüstung und Teilnahme an globalen EU-Kriegen verpflichtet.
  • Gleiche Rechte für alle (z.B. humane Asylpolitik, keine Schikanen bei Mindestsicherung usw.)
  • Volksabstimmung über die EU-Freihandelsabkommen
  • Rücknahme der Pensionsraub-Reformen, die seit den Nuller Jahren stattgefunden haben
  • Rücknahme des Überwachungspakets und der vielen Bespitzelungsgesetze der letzten Jahre.
  • Schluss mit der Austeritätspolitik – ausreichende Mittel für Wohnen, Bildung, Gesundheit, Pflege, Öffentlich Verkehr, Umweltschutz usw.

Denn: Die FPÖ ist das Symptom…

Jeder Tag früher, an dem die blaue Ministerriege Geschichte ist, ist ein guter Tag. Das Ibizia-Video hat plastisch vor Augen geführt, was wir seit langem sagen: Die FPÖ ist nicht die Partei des „kleinen Mannes“, sondern der großen Abzocker. Sie wirft sich hemmungslos Milliardären – echten oder vermeintlichen – an den Hals, wenn sie sich davon den Zugang zu Pfründen verspricht. Trotzdem ist der Jubel, der momentan bei vielen angesichts von Strache-Rücktritt und Neuwahlen aufbrandet, mehr als verfrüht. Denn die FPÖ ist das Symptom, die Krankheit ist das System des autoritären, militaristischen Neoliberalismus, wie er in den Verträgen und Institutionen der Europäischen Union einzementiert worden ist. Matthias Lauer (ACUS-Bundesvorsitzender) hat das anhand der Scheingefechte, die sich die Parteien derzeit während des EP-Wahlkampfes liefern, gut beschrieben.

… die Krankheit ist der autoritäre, militaristische Neoliberalismus der EU

Dieses gnadenlose EU-Konkurrenzregime ist der Sumpfboden, auf dem der Rechtsextremismus blüht. Parteien wie die FPÖ erweisen sich für das EU-Establishment von unschätzbaren Wert: In der Opposition kanalisieren sie den Protest gegen EU und Sozialabbau in eine rassistische Richtung, um die Oppositionsbewegungen zu spalten und zu lähmen. In der Regierung arbeiten sie dann penibel das Programm der EU-Eliten ab und sind dabei zu jeder Drecksarbeit bereit: In der schwarz-blauen Regierung Schüssel war das vor allem die sog. „Pensionsreform“, die auf absehbare Zeit hunderttausende Menschen in die Altersarmut treiben wird. In der türkis-blauen Regierung Kurz sind das der 12-Stundentag, die Zerschlagung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen, das Durchpeitschen von CETA.

Das Ibiza-Video wurde vor knapp zwei Jahren, also Monate vor der Nationalratswahl 2017 gedreht. Wäre es sofort veröffentlicht worden, hätte natürlich jede Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindert werden können. Die Vermutung liegt daher nahe: Wer immer dieses Video gemacht hat, er/sie wollte, dass die FPÖ in die Regierung kommt, dort mit den Türkisen die Drecksarbeit erledigt und sie – nach getaner Arbeit? - auch wieder auf die Oppositionsbank schicken, damit die extreme Rechte dort wieder Pseudoopposition spielen und echten Widerstand unterlaufen kann.

TINA-Prinzip zerstört Demokratie

Die extreme Rechte und das neoliberale EU-Establishment sind in vielerlei Hinsicht siamesische Zwillinge: Sie teilen das sozialdarwinistische Menschenbild ebenso wie die Verachtung der Demokratie. Das EU-Konkurrenzregime meißelt das TINA-Prinzip („There is no alternative“) in den Stein des EU-Primärrechts. Wo es aber keine Alternativen gibt, gibt es auch keine echte Demokratie, bestenfalls eine demokratische Fassade. Denn Demokratie bedeutet immer auch, dass es unterschiedliche Alternative gibt, über die tatsächlich entschieden werden kann. Über die EU-Verträge und EU-Institutionen ist aber mittlerweile eine neoliberale Wirtschafts- und Freihandelspolitik ebenso festgeschrieben, wie die ständige Verpflichtung zur militärischen Aufrüstung. Während die gewählten Parlamente in nahezu allen Politikbereichen entmündigt werden, gewinnen schmale technokratische Gremien wie EU-Kommission, EZB, ESM eine enorme Macht. Sie sind engstens mit den Lobbys der Großkonzerne verfilzt. Eine Studie, die von der Arbeiterkammer veröffentlicht worden ist, zeigt wie stark die Oligarchisierung in der EU vorangeschritten ist. Rund 50.000 Lobbyisten, die meisten von Industrie- und Finanzkonzernen, beeinflussen mit einem geschätzten Budget von 1,8 Milliarden Euro jährlich in Brüssel die EU-Institutionen. Und zwar höchst erfolgreich, wie die Studie anhand der Finanz-, Rüstungs-, Pharma- und Energiebranche ausführt. Dafür gibt es selbstverständlich Gegenleistungen: In den letzten Jahren nahm rund ein Dutzend EU-Kommissare nach ihre politischen Tätigkeit in Brüssel hochdotierte Jobs bei Großkonzernen an, unter ihnen die EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi und Manuel Barroso.

Letzterer bedrohte, noch in seiner Funktion als EU-Kommissionspräsident, streikende Gewerkschafter offen mit „Umstürzen“ und „einem Verschwinden der der Demokratie“ (sh. hier), sollten sie nicht bereit sein, die EU-Sparpakete zu akzeptieren. Zumeist funktioniert TINA in der EU aber smarter. Regierungen kommen und gehen – die neoliberale Politik bleibt. In Österreich äußert sich diese Entdemokratisierung in Form eines schleichenden Staatsstreichs. Dazu gehört das teilweises Außer-Kraft-Setzen des Österreichischen Staatsvertrags, die Demontage des Neutralitätsgesetzes und eine immer weitergehende Entmündigung des Parlaments. Verträge wie der EU-Lissabon-Vertrag, der EU-Fiskalpakt oder Freihandelsverträge wie CETA werden ohne Volksabstimmung – oft sogar nur mit einfacher Mehrheit – durchs Parlament gejagt, obwohl das Parlament dadurch in zentralen Bereichen entmachtet wird. Dazu gehört auch das sog „Europäische Semester“, welches der EU-Kommission die Macht gibt, alljährlich das Bundesbudget auf stramme Austerität zu „prüfen“ bzw. sozialstaatsfeindlich zu „korrigieren“, lange bevor ein österreichischer Nationalratsabgeordneter, das Budget zu Gesicht bekommt.

Demokratische Wende statt bloßem Austausch des Regierungspersonals!

Wer die Demokratie retten will, darf nach „Ibizagate“ nicht zur Tagesordnung übergehen, in der Hoffnung, dass nach dem absehbaren Ende der FPÖ-Regierungsbeteiligung nun alles wieder ins Lot kommen werde. Wer die Demokratie retten (und den Nährboden des Rechtsextremismus austrocknen will), muss das TINA-Prinzip der EU aufknacken. Ein Austausch der Regierungsköpfe bei Fortsetzung derselben Politik wäre fatal. Das haben wir nach der schwarz-blauen Regierung Schüssel erlebt, wo unter sozialdemokratischen Kanzlern der Sozialraub nicht nur nicht rückgängig gemacht, sondern weiter verschärft wurde. Genau diese TINA-Politik hat letztlich die FPÖ in die Regierung gespült. Wir brauchen eine demokratische Wende und nicht einen bloßen Austausch des politischen Personals. Die Solidarwerkstatt ruft daher auf, entlang der Eckpunkte, die wir eingangs genannt haben, für eine demokratische Wende kämpfen. Dafür wollen wir so viel Druck wie möglich machen. Dafür werden wir auf die Straße gehen. Daran messen wir jene, die nun gewählt werden wollen.