Anfang November 2022 brachte Russland in der UN-Generalversammlung eine Resolution für die Bekämpfung der Verherrlichung des Nationalsozialismus, des Neonazismus und Rassismus ein. Alle EU-Staaten einschließlich Österreich stimmten dagegen. Ein unfassbarer, aber vorhersehbarer Skandal.

Am 4. November 2022 brachte Russland – wie jedes Jahr - in der UN-Generalversammlung eine Resolution ein mit dem Titel: „Bekämpfung der Verherrlichung des Nationalsozialismus, des Neonazismus und anderer Praktiken, die zur Eskalation gegenwärtiger Formen des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und der damit verbundenen Intoleranz beitragen.“ (Auszüge siehe Kasten unten).

Rechtsextremer Geschichtsrevisionismus wird EU-Mainstream

In den vergangenen Jahren hat Österreich mit den EU-Staaten sich bei dieser Resolution immer der Stimme enthalten. Schlimm genug. Die Solidarwerkstatt Österreich und andere antifaschistische Organisationen haben das wiederholt kritisiert. Doch heuer gingen die EU-Staaten einen Schritt weiter. In einer Blockabstimmung votierten alle EU-Staaten gegen die Bekämpfung der Verherrlichung von Nazismus, Neonazismus und Rassismus. Ein unfassbarer Skandal.

Die EU rechtfertigte diese Ablehnung in einer gemeinsamen (mit der Ukraine akkordierten) Erklärung folgendermaßen: "Für viele europäische Länder brachte das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht die Freiheit, sondern weitere Besatzung und mehr Unterdrückung und in einigen Fällen sogar Verbrechen gegen die Menschheit durch andere totalitäre Regime. In der Tat waren die verheerendsten Teile der europäischen Geschichte das Ergebnis totalitärer Ideologien, einschließlich des Nationalsozialismus." Das lässt tief blicken. Hier werden die Schlächter und die Befreier von Ausschwitz auf eine Stufe gestellt, ja letztere hätten sogar „mehr Unterdrückung“ gebracht als erstere.

Der NS-Barbarei, die zu Weltkrieg und Holocaust mit 60 Millionen Toten führte, wird damit in einer Art und Weise verharmlost, wie sie bislang nur vom äußersten rechten Rand bekannt war. In einer Zeit, in die deutsche Regierung die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ (sh. hier) machen will, und EU-Ideologen bereits wieder von einer Grand Area träumen, die bis hinter den Ural reicht, dringt die Relativierung des Nationalsozialismus offenkundig vom braunen Rand ins EU-Zentrum. Der rechtsextreme Geschichtsrevisionismus wird EU-Mainstream. Imperiale Machtexpansion geht Hand in Hand mit Herrenmenschendünkel und Überlegenheitswahn. Gerade beim prowestlichen Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 haben sich EU und USA auf rechtsextreme, neonazistische Gruppierung gestützt, die sich in der Tradition von ukrainischen Kollaborateuren der NS-Herrschaft bewegen.

Große Mehrheit der Staaten unterstützt die antinazistische Resolution

Die weitere Begründung der EU, man habe gegen den Antrag gestimmt, weil der Antragsteller Russland den Terminus „Denazifizierung“ für seinen „inhumanen, grausamen und illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ missbrauche, ist an Absurdität kaum zu überbieten: Weil man gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ist, darf man die Verherrlichung jenes Regimes, das den bislang grausamsten völkerrechtswidrigen Krieg der Menschheitsgeschichte verbrochen hat, nicht mehr verurteilen?!

Die große Mehrheit der Staaten in der UN-Generalversammlung konnte über diese verrückte Ideologie der westlichen Staaten nur den Kopf schütteln. Sie unterstützten die russische Resolution gegen den (Neo-)Nazismus ebenso, wie sie davor die völkerrechtswidrige Aggression Russlands gegen die Ukraine verurteilt hatten. Deshalb fand die antinazistische Resolution auch eine große Mehrheit, die NATO- und EU-Staaten blieben in der deutlichen Minderheit (sh. Bild oben).

Österreich: Bruch von Verfassung und Völkerrecht

Dass sich die österreichische Regierung bei dieser UN-Abstimmung den Vorgaben aus Brüssel und Berlin angeschlossen hat, ist nicht nur politisch skandalös, es ist ein offener Bruch der eigenen Verfassung und der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Österreich mit dem Staatsvertrag eingegangen ist. So verpflichtet sich Österreich im Artikel 9 des Staatsvertrages dazu „aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen“ und „alle nazistische oder militaristische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern“. Genau darin besteht der Kerninhalt der UNO-Resolution, gegen den der österreichische Vertreter in der UNO gestimmt hat.

Skandalös und absehbar

So skandalös das Abstimmungsverhalten, so absehbar war es. Erst vor kurzem hat der deutsche Kanzler Scholz kommandiert, dass in der EU „jetzt die Reihen geschlossen werden müssen“ und „Schluss mit nationalen Alleingängen“ sei  (sh. hier). Die VP-Grün-Regierung hat diesen EU-Gleichschritt sogar in ihrem Regierungsprogramm verankert, indem sie die Aufhebung der Vetomöglichkeit in der EU-Außenpolitik fordert. Die österreichische Regierung hat mit ihrem Abstimmungsverhalten in der UN-Generalversammlung dokumentiert, dass für sie der EU-Gleichschritt über dem antifaschistischen Verfassungsauftrag der 2. Republik steht. Die hiesigen Rechtsextremen von der FPÖ, denen der Staatsvertrag und die antifaschistische Nachkriegsverfassung schon immer verhasst war, können sich ins Fäustchen lachen, dass ihnen die schwarz-grüne Regierung die Drecksarbeit abnimmt.

Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft

Die Solidarwerkstatt Österreich wird deshalb eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft schicken. Es kann nicht sein, dass die Vertreter Österreichs in der UNO-Generalversammlung gegen die verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs votieren. Wir tun das ohne Illusionen, dadurch unmittelbar etwas bewegen zu können. Aber wir dürfen nicht aufhören, es immer wieder zu betonen: Die antifaschistische österreichische Verfassung ist ebenso wie die Neutralität nur gegen die Unterordnung unter die Europäische Union zu verteidigen. Die Unabhängigkeit Österreichs von imperialen Blöcken ist Grundlage für eine antimilitaristische und weltoffene Außenpolitik. Das ist das Bohren sehr dicker Bretter. Das zukünftigen Abstimmungsverhalten Österreichs auf UN-Ebene wird ein Gradmesser sein, wie weit wir bohren konnten.

Gerald Oberansmayr
(November 2022)

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Auszüge aus der Resolution

In der Resolution heißt es unter anderem:

„Die UN-Generalversammlung …

… äußert tiefe Besorgnis über jegliche Art der Glorifizierung der Nazi-Bewegung, von Neonazismus und früheren Mitgliedern der Waffen-SS-Organisationen, einschließlich der Errichtungen von Denkmälern und Gedenkstätten und öffentlicher Demonstrationen im Namen der Glorifizierung der Nazi-Vergangenheit, der Nazi-Bewegung und des Neonazismus, … 

…äußert Besorgnis über die wiederkehrenden Versuche, Denkmäler zu entehren und zu zerstören, die zur Erinnerung an jene errichtet wurden, die gegen den Nazismus während des 2. Weltkrieges kämpften;

… registriert mit Sorge die wachsende Zahl rassistischer Vorfälle weltweit, einschließlich der Zunahme von Skinhead-Gruppen, die für viele dieser Vorfälle verantwortlich sind, ebenso das Wiederaufleben rassistischer und ausländerfeindlicher Gewalt, die auf Menschen zielt, die nationalen, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören. 

… ruft zur Verurteilung von jeder Art der Leugnung und des Versuchs zur Leugnung des Holocaust auf und … ermutigt alle Staaten, Maßnahmen zu ergreifen – einschließlich gesetzlicher und erzieherischer – um allen Formen der Holocaustleugnung ein Ende zu bereiten. 

... äußert tiefe Sorge über die wachsende Zahl von Abgeordneten extremistischer politischer Parteien in nationalen und lokalen Parlamenten in einer Anzahl von Ländern und Regionen, als auch über die Tatsache, dass in einigen Staaten traditionelle politische Parteien mit diesen Koalitionen bilden. 

… bekräftigt den Artikel 4 der (Antirassimus-)Konvention, entsprechend dem die Staaten jede Propaganda und alle Organisationen verurteilen, die auf der Idee oder Theorie der Überlegenheit einer Rasse oder Gruppe von Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder ethnischen Herkunft beruhen; ebenso den Versuch, Rassismus und ethnische Diskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern… 

…(ruft auf), unmittelbare und positive Maßnahmen zu beschließen, die darauf ausgerichtet sind, alle Formen der Aufstachelung zu bzw Akte solcher Diskriminierung zu beseitigen…“