Auf den Offenen Brief „Für eine Volksabstimmung über den neuen EU-Vertrag!“ haben wir einige inhaltlichen Antworten erhalten, so von den NR-Abgeordneten Caspar Einem, Josef Cap und Alexander van der Bellen, von der NR-Präsidentin Barbara Prammer, sowie von Bundesministerin Doris Bures und im Auftrag des Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer. Die Werkstatt Frieden & Solidarität hat zu diesen Politikerantworten (sh. oben) eine Stellungnahme erarbeitet. Wir beziehen uns dabei nur auf konkrete Einwände zum Offenen Brief, allgemeine Politiker-Floskeln („mehr Bürgernähe“, „mehr Rechte“, „soziale Marktwirtschaft“, etc.) die nicht einmal ansatzweise begründet werden, lassen wir außer Acht.

1) Aufrüstungsverpflichtung

Bemerkenswert ist zunächst, welche Argumente des Offenen Briefes offensichtlich akzeptiert werden. Weder Cap, Einem, Prammer, Bures noch das Schreiben aus dem Bundeskanzleramt bestreiten, dass mit der EU-Verfassung eine – durch ein eigenes Rüstungsamt – abgesicherte Aufrüstungsverpflichtung für alle Mitgliedstaaten durch diesen EU-Vertrag erfolgt. D.h. durch diesen Vertrag wird auf Generationen einzementiert, dass Friedensbewegungen und AbrüstungsbefürworterInnen außerhalb des EU-Primärrechts stehen. Nur Van der Bellen bestreitet das. Er behauptet, die Aufrüstungsverpflichtung gelte nur für jene Staaten, die sich der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (militärisches Kerneuropa) anschlössen. Ein glatte Lüge. Jede/r, der/die die EU-Verfassung bzw. den derzeit vorliegenden Vertragstext gelesen hat, kann nachvollziehen, dass diese Aufrüstungspflicht für alle EU-Mitgliedstaaten gilt. Wir bringen die besagte Passage im vollen Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) ermittelt den operativen Bedarf und fördert Maßnahmen zur Bedarfsdeckung, trägt zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors bei und führt diese Maßnahmen gegebenenfalls durch, beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung und unterstützt den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten.“ (Art. 27, 3).

2) UNO-Charta

Van der Bellen behauptet, dass der EU-Reformvertrag eine strikte Einhaltung der UNO-Charta beinhaltet. Auch das ist unrichtig. Es findet sich bloß ein Verweis darauf, dass EU-Militärmissionen im Einklang mit den „Grundsätzen der UN-Charta“ erfolgen sollen. Ein kleiner semantischer Unterschied – mit großen politischen Folgen: es bedeutet nämlich, dass sich der EU-Rat selbst ermächtigt darüber zu befinden, ob diese Grundsätze erfüllt seien. Ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates ist eben nicht erforderlich. EU-Kommissarin Ferrero-Waldner hat das unlängst unmissverständlich klargestellt: „Die EU (kann) ihre geplanten Battle-Groups auch ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats in Einsätze schicken“ (zit. nach Standard, 11.09.2007).
Dass Van der Bellen doppelbödig argumentiert, zeigt sich daran, dass er selbst bereits im Jahr 2004 den Einsatz von EU-Battle-Groups auch ohne UNO-Mandat befürwortet hat (1).

3) Militärische Beistandsverpflichtung/Solidaritätsverpflichtung

Cap, Einem und Prammer bestreiten, dass der neue EU-Vertrag eine Beistandsverpflichtung enthält. Auch das ist unwahr. Der EU-Reformvertrag enthält eine klare militärische Beistandsverpflichtung.

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats müssen die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt“ (Art. 27, 7).

Diese Beistandsverpflichtung ist schärfer als die der NATO, die es den Mitgliedstaaten überlässt, in welcher Form sie Beistand leisten wollen. Der letzte Satz könnte zwar noch als Möglichkeit zur Wahrung der Neutralität interpretiert werden, wird aber mit Sicherheit von der Regierung über den „Kriegsermächtigungsartikel“ 23f B-VG weggedrückt, wenn es zum militärischen Ernstfall kommt. Dieser von SPÖ und ÖVP beschlossene neutralitätswidrige Artikel 23f BV-G ermöglicht die Teilnahme Österreichs an weltweiten EU-Militäraktionen. In den Erläuterungen zu diesem Artikel (Khol, Kostelka) haben die Regierungsparteien sogar explizit ausgeführt, dass diese Teilnahme an EU-Kriegen auch dann erfolgen kann, wenn kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt.

Prammer, Cap und Einem behaupten darüber hinaus, dass der Vertragsentwurf lediglich eine „Solidaritätsverpflichtung bei Umweltkatastrophen“ vorsieht. Richtig ist, dass auch Umweltkatastrophen erwähnt werden, aber ein ganzer Satz des Vertrages wird den Menschen vorenthalten. Er lautet folgendermaßen:

„Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden.“ (Art. 188r)

D.h. vom EU-Rat festgestellte sog. „terroristische Bedrohungen“ reichen aus, eine militärische „Solidaritäts“verpflichtung zu aktualisieren, um diese „terroristischen Bedrohungen“ abzuwenden. Nicht anders hat Georg W. Bush seine sog. „Präventivkriege“ begründet. D.h. dieser Artikel geht über eine militärische Beistandsverpflichtung im Verteidigungsfall hinaus, er kann auch für offensive Militäraktionen instrumentalisiert werden. Im Artikel 28 wird das Spektrum für offensive Kriege der EU deutlich erweitert: So sollen Kriege in Zukunft auch möglich sein, um den Gegner „abzurüsten“ und um zur Bekämpfung des Terrorismus beizutragen, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ Damit wird dem EU-Rat de facto eine globale militärische Interventionsermächtigung, wenn wir uns vor Augen halten, wie dehnbar und manipulierbar der „Terrorismus“-Begriff ist. Interessanterweise wird in der Stellungnahme aus dem Bundeskanzleramt diese durch den EU-Reformvertrag erweiterte Kriegsermächtigung der EU relativ korrekt dargestellt – freilich ohne ein Wort der Kritik daran zu finden.

4) Außen- und Sicherheitspolitik/Militärisches Kerneuropa

Richtig ist die Bemerkung, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der EU nach wie vor der Einstimmigkeit unterliegt. Doch sie entbehrt nicht einer gewissen Doppelbödigkeit. Denn Cap, Einem, Prammer & Co. verschweigen, dass im Dezember 2004 der Nationale Sicherheitsrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen einstimmig die Aufhebung dieses Einstimmigkeitsprinzip verlangte und die Regierung aufforderte, in diesem Sinne aktiv zu werden (Beschluss vom 01.12.2004). Sie argumentieren also mit einer Regelung, die sie selbst zu Fall bringen wollen.

Weiteres wird verschwiegen, dass sich die großen EU-Staaten mit dem neuen EU-Reformvertrag eine Hintertür basteln, um dieses Einstimmigkeitsprinzip auszuhebeln, nämlich die Schaffung eines militärischen Kerneuropas, die sog. „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ). Hier versammeln sich jene EU-Staaten, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weiter gehende Verpflichtungen eingegangen sind“ (Art. 27, 6). Wenn also auf EU-Ebene die Einstimmigkeit nicht erreicht wird, können auf Grundlage des neuen EU-Vertrag Koalitionen geschlossen werden, die militärpolitisch „voranmarschieren“ und damit vollende Fakten schaffen. Bei der Begründung der SSZ gibt es keine Vetomöglichkeiten mehr: wer als erster in diesen militärischen Führungszirkel reindarf, wird mit Mehrheit entschieden. In Folge entscheiden die Klubmitglieder selbst nach dem Mehrheitsprinzip, wer noch zu ihnen dazustoßen darf bzw. wieder vor die Tür gesetzt wird. Die Eliten der großen Nationalstaaten (mit ihren durch den EU-Vertrag deutlich verstärkten Stimmgewichten) sind damit die Türwärter für Einlass und Rausschmiss beim zukünftigen EU-Führungszirkel. Es existieren bereits Papiere im Verteidigungsministerium, die nahelegen, dass sich Österreich „frühzeitig an dieser sicherheitspolitischen Avantgarde“ beteiligen soll (Strategische Analysen, Wien, Oktober 2005). Auch Bundeskanzler Gusenbauer und ÖVP-Klubobmann Schüssel haben sich bereits in diese Richtung geäußert.

Erwähnt sollte noch werden, dass bei der EU-Rüstungs/Verteidigungsagentur, die durch den EU-Vertrag nun primärrechtlich verankert werden soll, ebenfalls kein Einstimmigkeitsprinzip mehr gilt.

5) Liberalisierung und Privatisierung

Weiteres behauptet Einem, dass „die von Ihnen behauptete Festschreibung der Marktwirtschaft mit ungezügeltem Wettbewerb weder heute noch morgen Vertragsgrundlage“ sei. Hier spielt Einem mit der Unwissenheit der Menschen (oder stellt seine eigene unter Beweis). Richtig ist zwar, dass die Zielbestimmung des „unverfälschten Wettbewerbs“ zwar aus den Zielbestimmungen der EU-Verfassung herausgenommen wurde, um Sarkozy ein Argument in die Hand zu geben, in Frankreich keine Volksabstimmung mehr durchführen zu müssen. Gleichzeitig wurde dieselbe Formulierung nun in einem Zusatzprotokoll zum EU-Reformvertrag festgehalten, wo es heißt, „dass zum Binnenmarkt ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt.“ Selbstverständlich wird im neuen EU-Vertrag auch wieder die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten auf eine Wirtschaftspolitik „der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ fortschrieben. Nicht umsonst wird eine Liberalisierungsoffensive nach der anderen über die EU-Ebene losgetreten, derzeit vor allem im Bereich öffentlicher Verkehr, Energie und Nachrichtenwesen. Diese EU-Politik treibt die Privatisierung der öffentlichen Dienste voran, da in einem liberalisierten Markt große private Konzerne öffentliche Unternehmungen, die nicht auf kurzfristige Profitmaximierung sondern langfristige Versorgungssicherheit ausgerichtet sind, rasch niederkonkurrieren können.

Die Behauptung in der Stellungnahme des Bundeskanzleramtes der EU-Reformvertrag sehe „einen ausdrücklichen Schutz vor der Privatisierung“ der öffentlichen Dienste vor, ist pure Halluzination. Der dafür ins Treffen geführte Artikel III-122 ermöglicht, dass in Zukunft „Grundsätze und Bedingungen“ dieser öffentlichen Dienste durch eine EU-Gesetz geregelt werden können. Da die Vorlagen solcher Gesetze nur von der EU-Kommission kommen können, kann man sich ausmalen, welcher Natur dieses Gesetze sein werden. Die EU-Kommission hat den Artikel III-122 in einem „Weißbuch“ bereits als Chance zur flächendeckenden Liberalisierung der öffentlichen Güter begrüßt. Es besteht auf der Grundlage des neuen Vertrages nun die Gefahr, dass die EU-Kommission nach den vielen Sektorliberalisierungen (Strom, Gas, Telefon, Post, Verkehr) nun mit dem Rasenmäher über alles fährt, von Sozialdiensten bis zur Bildung und Gesundheit.

6) Demokratisierung?

Die wiederkehrenden Behauptung, der neue EU-Vertrag bringe eine „Demokratisierung“ der EU, können wir nicht nachvollziehen. Zwar ist es richtig, dass das Europäische Parlament vermehrt Mitentscheidungsmöglichkeiten bekommt, diese werden jedoch um den Preis erkauft, dass die Mehrheitsentscheidungen massiv ausgeweitet werden – und zwar auf der Grundlage von Stimmgewichten, die nachhaltig zu Gunsten der Regierungen der großen Nationalstaaten verändert werden. Die Stimmgewichte der deutschen Regierung steigen um 100%, die Frankreichs und Großbritanniens um 45%, die Stimmgewichte kleinerer Länder wie Österreich, Tschechische Republik, Dänemark, Portugal, Slowenien, Ungarn, usw. sinken zwischen 35% und 65%. Die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen bedeutet vor allem, dass es den Machteliten der großen EU-Staaten leichter fallen wird, ihre Politik den anderen aufzuoktroyieren, da die Vetomöglichkeit verloren geht. Die größten und einflussreichsten Kapitalgruppen werden von jenen Regierungen protegiert, die nun eine deutliche Aufwertung ihrer Stimmgewichte erfahren haben.

Weiters soll durch die EU-Verfassung/Reformvertrag den Parlamenten der Mitgliedstaaten die Mitentscheidung bei Handelsverträgen betreffend die sensiblen Bereiche Gesundheit, Bildung und soziale Dienste genommen werden. Damit könnte sich die Liberalisierungswut der EU-Kommission, die zur Aushandlung dieser Verträge befugt ist, noch leichter durchsetzen. Die EU-Kommission ist einer der aggressivsten Liberalisierungsbefürworter im Rahmen von WTO- und GATS-Verhandlungen. Die von Prammer herausgestrichene
Subsidiaritätskontrolle zu Gesetzesinitiativen und –entwürfen“ ist für die Organe der EU unverbindlich und daher weitgehend fiktiv, die Entmachtung der Parlamente der Mitgliedstaaten dagegen sehr real – nun auch in so wichtigen Bereichen wie Handelsverträge bei so existenziellen Gütern und Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Soziales.

Das „europäischen BürgerInnenbegehren“, das Prammer und Cap lobend erwähnen, kann getrost unter der Rubik „aufgeklärter Absolutismus“ abgehandelt werden. Eine Millionen UnionsbürgerInnen dürfen „die Kommission auffordern im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge ... zu unterbreiten.“ D.h. man darf der EU-Kommission einen Wunschzettel schicken, wenn dieser von einer Millionen Menschen unterschrieben wurde. Die EU-Kommission muss in keiner Weise darauf reagieren.

Weiters wird eine enorme Machtzusammenballung durch neue zentrale Funktionen wie den „Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ geschaffen, der sowohl Außen- als auch Verteidigungs-/Kriegsminister ist, weil er für die Koordinierung von EU-Militäreinsätzen zuständig ist und auf den neu geschaffenen EU-Rüstungshaushalt zugreifen kann. Und vor allem: zentrale Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik werden der demokratischen Diskussion und Entscheidung weitestgehend entzogen. Denn was bedeutet es, wenn per Verfassung (d.h. im EU-Primärrecht) die Verpflichtung zur Aufrüstung, die Festlegung auf den Vorrang einer Hartwährungs- vor Beschäftigungspolitik (Europäische Zentralbank) sowie einer restriktiven Budgetpolitik (Stabilitätspakt) erfolgt? Es bedeutet letztlich, dass dort in der EU die Demokratie aufhört, wo es um harte Waffen und harte Währung geht. All das wird durch diesen EU-Vertrag einzementiert. Keiner der VertreterInnen von Parteien, die in ihren Sonntagsreden gerne vom sozialen, ökologischen und friedlichen Europa reden, verliert dazu auch nur ein Wort.

7) Grundrechte

Ein „Argument“ wird interessanterweise nur mehr von Van der Bellen und Prammer bemüht, nämlich die „Fortschritte“ bei den „Grundrechten“ durch die sog. „EU-Grundrechtscharta“. Niemand geringer als die EU-Staatsoberhäupter haben selbst zu Protokoll gegeben, dass die Grundrechtscharta bloß heiße Luft ist. Im Protokoll 7 zum EU-Reformvertrag steht ausdrücklich, dass die Grundrechtecharta „keine neuen Rechte oder Grundsätze schafft“. Was „keine neuen Rechte oder Grundsätze schafft“, kann aber schwerlich „ein Fortschritt“ sein. Vielleicht hat sich dieses Protokoll bis zur Prammer und Van der Bellen noch nicht durchgesprochen. (als kleines Service für diese beiden bitte nachlesen unter: http://www.consilium.europa.eu/cms3_applications/Applications/igc2007/doc_register.asp?lang=DE&cmsid=1300)

8) Volksabstimmung

Abschließend wird von allen Antwortenden die Bereitschaft, den EU-Reformvertrag eine Volksabstimmung zu unterziehen, zurückgewiesen. Angesichts der Vielzahl an Halbwahrheiten, Lügen, Verdrehungen und Auslassungen, die ihre Antwortbriefe beinhalten, verwundert das nicht unbedingt. Trotz ihrer medialen Übermacht fürchtet das Establishment offensichtlich, dass die Bevölkerung beginnen könnte, die Vertragstexte zu lesen, wenn sie selbst die Entscheidung treffen kann. Genau das hat nämlich bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlande stattgefunden. Und das soll sich nicht mehr wiederholen. Um keinen Preis. Der Architekt der EU-Verfassung Giscard d´Estaing hat das offen eingestanden: man habe „den alten Brief (EU-Verfassung) in einen neuen Umschlag (EU-Reformvertrag) gesteckt“, um „Volksabstimmungen zu umgehen“ (2). Es zeugt von einem grundsätzlich gestörten Verhältnis zu Formen der Mitentscheidung der BürgerInnen, wenn Van der Bellen eine Volksabstimmung als „Alibiaktion“ denunziert. Wir empfinden es als Zynismus und Beleidigung, wenn Einem uns erklärt, das vorliegende Vertragswerk sei für die Bevölkerung zu „komplex“. Prammer versteigt sich gar zur Ansicht, es sei „gar nicht im Interesse der betroffenen Bürger“, selbst über diesen Vertrag entscheiden zu können. Der demokratiepolitische Rückwärtsgang, der mit diesen EU-Verträgen verbunden ist, begegnet uns in Form einer arroganten Politikerkaste, die uns eine Frage partout nicht beantworten kann und will: Warum sollen wir die Entscheidungen über einen so wichtigen Vertrag RepräsentantInnen wie ihnen überlassen, die uns über den Inhalt dieses Vertrages entweder bewusst belügen oder diesen selbst nur unzureichend kennen? Wir sind der Überzeugung: Wenn die Menschen berechtigt werden, selbst zu entscheiden, sind sie auch in der Lage, sich das dafür notwendige Wissen anzueignen. Und sie wissen auch, was in ihrem Interesse ist und was nicht.

Der Einwurf Einems, dass der Vertrag von Nizza auch nicht besser ist, geht ins Leere. Auch über diesen Vertrag wurde uns, der Bevölkerung, eine Volksabstimmung von allen Parlamentsparteien verweigert. Die dahinter stehende Logik – einmal entmündig, immer entmündigt – zeugt von einer außerordentlichen Geringschätzung des Souveräns.(3) Tatsächlich hätte natürlich bereits der EU-Vertrag von Nizza einer Volksabstimmung unterworfen werden müssen, da auch durch diesen die österreichische Neutralität ausgehöhlt wurde (z.B. durch die Eingliederung des Militärpaktes WEU in die EU). Für den jetzt vorliegenden EU-Reformvertrag trifft das noch stärker zu: Aufrüstungsverpflichtung, weltweite Kriegsermächtigung ohne UN-Mandat, militärische Beistandsverpflichtungen usw. sind mit der Neutralität unvereinbar. Das Mandat für die Regierungskonferenz über den Reformvertrag sieht außerdem eine Erklärung vor, die den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht „entsprechend der Rechtsprechung des EuGH“ bestätigt. Mit einer Ratifizierung dieser Erklärung wird aber - aufgrund der Nichterwähnung - zugleich die dem EuGH entgegenstehende nationale Rechtsprechung implizit verworfen, welche auf einen integrations-resistenten Verfassungskern im Bereich der Baugesetze der Verfassung - Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat - besteht. Da eine solche Gesamtänderung der Verfassung zwingend eine Volksabstimmung erfordert, sehen wir es als Verfassungsbruch an, wenn der neue EU-Vertrag nicht einer Volksabstimmung unterworfen wird. Wir sehen es als unseren Aufgabe an, diesen Verfassungsbruch zu verhindern. Sollte uns das nicht gelingen, so muss das politische Establishment wissen, dass wir das von ihnen geschaffene Unrecht nicht anerkennen werden. Nicht in unserem Namen!

Schlussbemerkung

Bemerkenswert ist die knappe Antwort, die im Auftrag von Bundesministerin Doris Bures zurückkam: es gebe keinen Anlass zu einer Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag, weil es auch keine über den EU-Verfassungsvertrag gegeben habe. Das Motto der Frau Minister scheint zu sein: wer gestern Unrecht geschaffen hat, darf daraus das Recht ableiten, dieses Unrecht heute zu wiederholen. Alle diese Reaktionen erinnern frappant an einen Ausspruch von J. C. Juncker, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten, über die Art und Weise, wie auf EU-Ebene Politik gemacht wird: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.” (Jean-Claude Juncker erklärt seinen EU-Kollegen die Demokratie, in: Spiegel 52/1999)

Wir können das auch positiv lesen: es hängt davon ab, ob wir aufstehen und entsprechend laut schreien, dass es wieder ein Zurück aus der Sackgasse gibt, in die uns die Machteliten mit dem „EU-Reformvertrag“ beschleunigt hineinmanövrieren wollen.


Anmerkungen:

(1) "Natürlich soll im Prinzip jeder Einsatz vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet werden. Aber meiner Meinung nach darf die EU nicht a priori ausschließen, dass ihre Battle-Groups in Ausnahmefällen auch ohne UNO-Mandat in Krisengebieten intervenieren.“ (Van der Bellen, Grüner Bundessprecher, Standard, 30.11.2004).

(2) Rede vor dem Zentrum für Europäische Reformen, London, 12.07.2007

(3) Ob das im Fall Caspar Einem auch damit zu tun hat, dass er sich während seiner Zeit als Nationalratsabgeordneter beim Rüstungskonzern EADS bzw. dessen Tochterfirma Galileo GmbH um einen Chefposten beworben hat, wollen wir hier nicht beurteilen. Einem dürfte jedoch insgesamt ein gewissen Naheverhältnis zur EU-Rüstungsindustrie aufweisen. So hat er sich im Jahr 2002 für den Ankauf der sündteuren Militärflugzeuge A400M (Produzent EADS) ausgesprochen. Im Jahr 2006 ergriff er die Partei des freiheitlichen Sektionschefs im Verteidigungsministeriums, Erich Reiter, der sich für eine EU-Atombombe aussprach. Einem: "Atomwaffen haben ihren größten militärischen Nutzen als Abschreckungsmittel - wenn  man sie nicht einsetzt, sondern besitzt und einsetzen könnte. Und sie haben  darin auch ihren größten politischen Nutzen, indem sie sicherstellen, dass deren Besitzer politisch ernst genommen werden." (Standard, 13.02.2006) Wiederholt hat sich Einem auch für den Aufbau einer EU-Armee ausgesprochen.