Dem SPÖ-internen Wahlkampf haben wir es zu verdanken, dass wichtige Eckpunkte des Programms der Solidarwerkstatt Österreich einem breiteren Publikum vorgestellt wurden. 

In einem Artikel des Standards vom 16.4.2023 wird – quasi als „Jugendsünde“ von Andreas Babler – aufgerollt, dass dieser im Jahr 2011 eine niederösterreichische Regionalgruppe der Solidarwerkstatt aufbauen wollte. Das stößt dem „Standard“ sauer auf, denn: „In deren Programm ist – wie es auch damals war – neben sozialstaatlichen, ökologischen und antirassistischen Zielen in fetten Buchstaben die Forderung nach einem EU-Austritt zu lesen. Dieser Schritt, heißt es da, sei unabdingbar für eine echte Völkerverbindung und ein ‚neutrales, solidarisches und weltoffenes Österreich‘". (1) Zu diesem Programm habe sich Babler damals „100-prozentig“ bekannt.

Freilich hätte der Standard einige weitere Punkte – vor allem auch unser konsequentes friedenspolitischen Engagement – noch stärker hervorheben können, aber im Grunde genommen hat der Standard hier sauber recherchiert und wohltuenderweise auf den sonst üblichen hämischen Unterton verzichtet. Tatsächlich sind wir, gerade weil wir für Frieden, Sozialstaat, Ökologie und Anti-Rassismus eintreten, für den Austritt Österreichs aus der Europäischen Union. Die EU verpflichtet in ihren Grundlagenverträgen zur permanenten militärischen Aufrüstung und zu einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbeweb". Abrüstungsbefürworter und Verfechter einer solidarischen Ökonomie stehen also außerhalb des EU-Verfassungsbogens. Daraus ziehen wir unsere Konsequenzen.

Natürlich wissen wir, dass der EU-Austritt nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht, aber wir sehen auch, dass die fehlende Bereitschaft, den Bruch mit den neoliberalen und militaristischen Verträgen der EU anzudenken, geschweige denn zu riskieren, zum Niedergang fortschrittlicher Kräfte in Österreich maßgeblich beigetragen und Raum für den Aufstieg der extremen Rechten geöffnet hat. De facto ist selbst eine reformorientierte sozialdemokratische Politik Kreiskyscher Prägung innerhalb der EU-Verträge nicht mehr möglich. Eine Partei, die sozialdemokratische Politik verspricht, aber nicht umsetzen kann, weil sie den Tellerrand der EU-Verträge zum Tellerrand ihrer Politik erklärt, muss auf Dauer verlieren, weil sie WählerInnen und Mitglieder enttäuscht. Seit dem EU-Beitritt hat die SPÖ die Hälfte ihrer WählerInnen und zwei Drittel ihrer Mitglieder (2) verloren. Solange dieser zentrale Grund für den Niedergang der Partei tabuisiert wird, werden auch neue Hoffnungsträger rasch verglühen.

Andreas Babler ist sich dieses Dilemmas bewusst und bringt deshalb anstelle des EU-Austritts, für den er „keineswegs mehr steht“, die Idee einer „umfassenden Veränderung der EU-Verträge“ ins Spiel, um „eine echte Sozialunion“ zu erreichen. Ein verführerischer Gedanke, der allerdings einen Haken hat: Die Änderung der EU-Verträge bedarf der gleichzeitigen Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten mit Verfassungsmehrheit. Jeder, der weiß, wie schwierig es ist, auch in nur einem einzigen Land fortschrittliche Mehrheiten für eine Verfassungsänderung zu erreichen, kann ermessen, dass es sich bei der Forderung nach einer „umfassenden Veränderung der Verträge“ um keine realpolitische Ansage für hier und heute, sondern eine Vertröstung auf (n)irgendwann und (n)irgendwo handelt. Seinerzeit ist Babler mit solchen Aussagen von Politikern seiner eigenen Partei hart ins Gericht gegangen: "Es ist tatsächlich nur eine heuchlerische Art von Politik, wenn man den Menschen einreden mag, dass das System der Europäischen Union zu einer Sozialunion verbesserungswürdig ist. Das ist eine Lüge und die meisten Politikerinnen und Politiker, die diese behaupten, wissen das auch." (3).

Wir wollen diese harsche Kritik Bablers von damals an seinen heutigen Aussagen nicht weiter kommentieren, aber einen Satz von ihm, den der Standard dankenswerterweise ausgegraben hat, wollen wir unterstreichen: „Gerade ihre strikte EU-Kritik hebt die Solidarwerkstatt unter den progressiven Strömungen positiv hervor.“ (3). Das ist vielleicht heute wichtiger denn je, wo neue linke Hoffnungsträger glauben, sich von einer konsequenten EU-Opposition distanzieren zu müssen, um das Eintrittsticket zu den etablierten Bühnen und Mikrophonen dieses Landes lösen zu können.

Quellen:
(1) Der Standard, 16.4.2023
(2) https://diesubstanz.at/parteien/spoe-weniger-und-weniger-mitglieder/
(3) Andreas Babler, in: „Freies Radio Freistadt“ 20.3.2021, zit. nach Der Standard, 16.4.2023