Donnerstag, 26. September 2024, Innsbruck, um vier Uhr in der Früh: Maskierte und schwer bewaffnete Spezialeinheiten schlagen die Türen zu Wohnungen ein, zerstören Regale, beschlagnahmen Computer, nehmen Menschen fest. Der Grund laut Behörden: Farbbeutelwürfe wegen Feminizide auf die ÖVP-Zentrale. 

Der Femizid ist die extremste Form der patriarchalen Gewalt, er bezeichnet die gezielte und bewusste Tötung von Frauen wegen ihres Geschlechts. Monatlich werden in Österreich etwa drei Frauen ermordet. Femizide werden in der feministischen Praxis bewusst mit dem Term Feminizide bezeichnet, da sie politisch sind und der Staat sie zulässt. So wird die strukturelle Ebene sichtbar gemacht und das vermeintlich Private politisiert. 

Feminzide passieren nicht im luftleeren Raum, sondern in bestehenden Verhältnissen. Weltweit vereinen sich Menschen unter dem Slogan "ni una menos" (Deutsch für "keine einzige weniger"), um gegen Feminzide zu kämpfen. Begründet wurde die Bewegung in Südamerika und Mexico, wo vor allem indigene und schwarze Frauen den brutalen Morden, der massiven patriarchalen Gewalt sowie dem fehlenden Schutz den Kampf angesagt haben. Entsprechend gilt die Wut der Bewegung auch der rassistischen Unterdrückung, der kapitalistischen Ausbeutung und ihren Profiteuren sowie all jenen, die dieses System aufrechterhalten: Politiker*innen, der Polizei und anderen staatlichen Institutionen.

Hier in Europa wird diese verheerende Politik, die auf dem Rücken der Leben der Frauen gemacht wird, vertuscht, indem Rassismus und Chauvinismus gegen Geflüchtete und Migranten verbreitet werden. Sie sollen, wie für jedes Thema, auch hier als Sündenböcke herhalten. Das Resultat dieser Manipulation der Gesellschaft ist ein immer stärker werdendes faschistisches Massendenken und damit die Bestärkung rassistischer Gewalt und Ausgrenzung. Eine Lösung für die steigende patriarchale Gewalt bietet diese unwissenschaftliche Propaganda nicht: Anstelle von Geldern für Gewaltschutz und Präventionsarbeit wird in das Grenzregime oder die Aufrüstung von Militär und Polizei investiert. Die Umsetzung der Istanbuler Konvention würde in Österreich um die 300 Millionen Euro kosten. Das Budget für Frauen und Gleichstellung betrug letztes Jahr nicht ganz drei Prozent davon. In Einrichtungen und Beratungsstellen reicht deshalb das Geld hinten und vorne nicht. 

Farbbeutel

Maskierte und schwerbewaffnete Spezialeinheiten

Anstelle richtiger Probleme bekämpft der Staat lieber jene Menschen, die er verdächtigt, seine eigenen Missstände sichtbar zu machen. Das zeigt die politisch motivierte Repression gegen die Tiroler feministische Linke deutlich.

Am Donnerstagmorgen, dem 26. September wurden um vier Uhr in der Früh fünf Personen in Innsbrucker Wohnungen und eine Person mittels genauester Handyortung verhaftet. Der Vorwurf lautete: Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 278 StGB. Im Auftrag von Staatsanwalt Markus Grüner und dem Tiroler Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) wurden zudem mit maskierten und schwerbewaffneten Spezialeinheiten in mehreren Wohnungen sowie dem linken Lokal "il Corvo" zeitgleich Hausdurchsuchungen durchgeführt. Mit dabei waren der Verfassungsschutz, die Kriminalpolizei, das LSE selbst, die Landespolizei Tirol sowie das EKO Cobra.

Beim Einsatz wurden drei Wohnungstüren sowie drei Zimmertüren eingeschlagen, mehrere Regale zerstört und alles „Uninteressante“ am Ende im Chaos liegen gelassen. Neben dem Beschlagnahmen von extrem vielen Gegenständen, hauptsächlich elektronische Datenträger und persönliche Hefte oder Kalender, wurden hunderte Fotos angefertigt. Alles, was irgendwie verdächtig war – das heißt konkret: einen politischen Inhalt hatte –, wurde abgelichtet. Die Wohnungen wurden skizziert und die Pläne ausführlich beschriftet. Nach mehreren Stunden wurden die Verhafteten wieder freigelassen, nachdem sie ausführlich und unter Zwang erkennungsdienstlich behandelt worden waren - Fotos, Fingerabdrücke und DNA-Entnahme.

Mit Paragraf 278 StGB gegen fortschrittliche Bewegungen

Der Paragraf 278 StGB wird gegenüber fortschrittlichen Bewegungen in Österreich hauptsächlich als Ermittlungsparagraf benützt. Er eröffnet den Beamt*innen große Möglichkeiten der Überwachung und viele finanzielle Ressourcen. Verurteilt wird danach in der Regel niemand nach dem Artikel selbst - wenn dann für erspitzelte und konstruierte "Straftaten", die aus dem durch Spionage gesammelten Material hervorgehen sollen. Der Paragraf ist vergleichbar mit dem deutschen Vereinigungsparagrafen 129a, der gerade aktuell zur Kriminalisierung von Antifaschist*innen eingesetzt wird.

Politische Menschen, und wenn sie nur ihre demokratischen Rechte einfordern, gerieten wegen ihrer Theorie und Praxis immer wieder ins Visier der Behörden. Einige Beispiele für die Anwendung des Vereinigungsparagrafen in Österreich sind die afrikanische Geflüchtetenbewegung, die Opfer der riesigen rassistischen Operation "Spring" wurde, die Tierschützer*innen um den Verein gegen Tierfabriken oder 2020 große Teile der palästinensischen Diaspora durch die Operation Luxor.

Alle diese Angriffe des Staates auf außerparlamentarische, soziale Oppositionen eint die Vorgehensweise und das Ziel: riesige Aufgebote und öffentlich sichtbare Kriminalisierung die der Einschüchterung, der Bloßstellung, der Spaltung und der Zermürbung dienen sollen.

Bei den Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Innsbruck ist rein sachlich gesehen das Ausmaß der angewendeten Gewalt und die Inszenierung des Einsatzes im Verhältnis zu den Vorwürfen enorm. Die kriminelle Vereinigung wird nämlich lediglich mit vermeintlich gemeinsamen Vergehen mehrerer Sachbeschädigungen konstruiert - und das ist bereits ab 5.000 Euro Schaden möglich. Die Vorwürfe beziehen sich hauptsächlich auf die "Wand der Feminzide" sowie einige Farbbeutelwürfe auf die ÖVP-Zentrale (siehe Fotos). Aus einem der Bekenner*innenschreiben ist zu entnehmen: Für jede tote Frau ein Farbbeutel. Die Tiroler Exekutive investierte (und investiert weiterhin, denn die Ermittlungen laufen noch) sicherlich zehntausende Euros und schlug zudem, vermutlich auf Druck der rechten Parteien, kurz vor den Nationalratswahlen zu. Spürhunde, Maschinengewehre, DNA-Entnahme, Beschlagnahmung sämtlicher elektronischer Datenträger, Medienhetze... das alles wird mit diesen paar Farbbeuteln gerechtfertigt.

Solcher Aufwand wird bei weitaus schlimmeren Verbrechen - z.B. sexualisierte oder körperliche Gewalt gegen Frauen - nicht betrieben. Im Gegenteil, gerade im Kontext von Feminiziden wird oft im Nachhinein das fehlende Handeln der Polizei oder auch der Justiz sichtbar.

Wir lassen uns nicht spalten!

Eine Woche nach den Hausdurchsuchungen und Verhaftungen fand in Innsbruck eine Kundgebung genau neben der ÖVP-Zentrale statt. Unter dem Titel "Fight Repression - wir kämpfen weiter" haben sich über hundert Menschen dort versammelt. (siehe Titelfoto)

Ein Mitglied der lokalen Rechtshilfegruppe geht in seiner Rede auf die Konsequenzen der Repression ein und zeigt sich zuversichtlich: "Es mag schlecht wirken, dass das passiert ist, in Wahrheit ist es aber ein Erfolg! Es zeigt, dass unsere feministische und antifaschistische Politik mit starken Protesten auf der Straße, ihre Aufmerksamkeit geweckt hat. Sie erkennen uns und schätzen uns als Bedrohung ein. Das ist positive Resonanz - es zeigt, dass die soziale Opposition den Staat ein wenig herauszufordern schafft oder ihn zumindest besorgt. Es bedeutet für uns "Autonome" "Linksradikale" ganz konkret: Wir haben das Nichts, in dem wir versunken waren, verlassen und die Befreiung aus der Irrelevanz schreitet voran. Wir sind - mit vielen anderen zusammen - wieder in Bewegung gekommen und wir sammeln und bündeln uns, wir erstarken und entwickeln uns - ja wir gedeihen und blühen auf. Wir sind stark genug, heute hier gemeinsam zu stehen, und das nicht zufällig, aus einem kurzfristigen Moment heraus, sondern als ein enges, vertrautes und gut vernetztes Bündnis an solidarischen Kräften! Danke dafür! Wir lassen uns nicht spalten!!

Was heißt das? Das heißt, wir distanzieren uns nicht! Wir sehen Widerstand - ob friedlich oder militant - als legitim an. Egal wer diese Farbbeutel, um die sich die Ermittlungen drehen, geschmissen hat, wir werden diese Personen nicht an den Pranger stellen. Sondern wir werden ihre Form, künstlerisch Widerstand zu leisten, als eine Form der vielen verteidigen. Die mörderische Politik der ÖVP und FPÖ sowie anderer Parteien kostet keine Reinigungsfirma, sondern Menschenleben. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Wir sind alle jetzt gefragt zusammenzustehen! Wir müssen stark bleiben und weiterkämpfen. Das Misstrauen, das sie säen mit ihrer Überwachung und Bespitzelung, darf uns nicht auseinandertreiben! Die Furcht, die sie verbreiten mit ihren Waffen, Hunden, Masken und Paragrafen, darf uns nicht handlungsunfähig machen!"

Spendenaufrufe, weitere Informationen zum Verlauf des Verfahrens und bevorstehenden Prozesse sowie generell zu politischen Aktivitäten in Innsbruck findet ihr unter: linksvominn.noblogs.org