ImageDie Wiener Stadtzeitung Augustin organisierte am 19. November am Rathausplatz eine Protestaktion gegen ein Augustin-Verkaufsverbot auf acht Wiener Weihnachtsmärkten, gegen ein Bettelverbot ebendort und überhaupt gegen „die Verscherbelung von Gemeingütern an private Profiteure in Wien (…)“.
Im Folgenden eine Chronologie der Ereignisse, die uns dankenswerterweise Robert Sommer vom Augustin zur Verfügung gestellt hat:

A. Der Aufruf: 

Liebe Freundinnen und Freunde des Augustin! 

Eigentlich wollten wir nicht auch noch unseren Senf zur allgemein üblichen, fast schon obligatorischen, jedenfalls längst zum Ritual gewordenen Zuwendung zu den Ärmsten in der Zeit des Advents dazu geben. Wir wollen nicht mitspielen beim bekannten Spiel der jährlichen Kalt-Warm-Fluktuation: In den Monaten mit «R» Mitleid mit den Marginalisierten und Obdachlosen, in den Monaten ohne «R» business as usual, und das heißt in Bezug auf die «Randgruppen»: sie in erster Linie als «Problem» für die Stadt wahrzunehmen, als Störung des Stadtbildes. 

Heuer müssen wir unsere Prinzipien ein bisschen lockern und Ihnen doch eine Adventgeschichte anbieten eine Geschichte über das soziale Gewissen einer Stadt, die nachdenklich macht, als hätten wir sie extra für die Vorweihnachtszeit erfunden. 

Die Geschichte beginnt mit dem Hinweis von Augustin-Leser_innen, sie hätten auf einigen Wiener Christkindlmärkten die Warnung «Betteln verboten!» gesehen. Damit zerstöre man die einzige Gelegenheit, die den Bettler_innen verbleibt, um auf früher übliche «Barmherzigkeits»-Einheiten und damit zu mehr als den im Jahresdurchschnitt üblichen Einnahmen zu kommen. 

Sensibilisiert durch dieses offen zur Schau getragene Anliegen, nur Konsumierende auf den Plätzen zuzulassen, und gewitzt durch Erfahrungen vergangener Jahre, fragte der Augustin bei den Veranstalter_innen der größten Wiener Christkindlmärkte an, ob u. a. Verkäufer_innen der Wiener Straßenzeitung Augustin die Ausübung ihrer Tätigkeit in den Weihnachtsmärkten verwehrt wird. 

Resultat: Es gibt zwei private Event-Firmen, die mit dem Wissen, der Billigung oder sogar mit dem Auftrag der öffentlichen Hand öffentliche Plätze der Stadt für die Dauer der Events zum Privateigentum erklären und den Straßenzeitungsverkauf verbieten. Es handelt sich dabei um die Event- und Promotion-Agentur MAGMAG (Chef: Christian Clement) und um den «Verein zur Förderung des Marktgewerbes» des Herrn Akan Keskin, Landesgremialobmann der Wirtschaftskammer, Unternehmer am Naschmarkt mit besten Beziehungen zur Rathausspitze.  

Diese beiden Unternehmen verbieten auf öffentlichen Plätzen den Augustin-Verkauf in folgenden Weihnachtsmärkten: Rathausplatz, Fuzo Favoritenstraße, Mariahilfer Straße 51-55, Meidlinger Hauptstraße, Campus im Alten AKH, Maria-Theresien-Platz und Belvedere. Adventmärkte anderer Trägervereine erlauben Armen und Obdachlosen (zum Teil sogar mit gewisser Empathie), ihre Zeitungen zu vertreiben: Am Hof, Türkenschanzpark, Spittelberg, Karlsplatz, Freyung& 

Besonders am Beispiel Rathausplatz zeigt sich, wie sehr die Verscherbelung von Gemeingütern an private Profiteure in Wien gediehen ist und welche absurden gesellschaftlichen Kosten bei dieser Politik der Durchkapitalisierung der wichtigsten Plätze der Stadt entstehen. Der Rathausplatz ist die «Mutter der öffentlichen Plätze in Wien. Nicht zufällig endeten und enden hier die Demonstrationen der Arbeiter_innenbewegung. Bis 2006 vergab die Gemeinde Wien die Christkindlmarktstände am Rathausplatz selbst, die Einnahmen flossen in den gesellschaftlichen Topf. Heute «verschenkt» der Bürgermeister den Platz an den Unternehmer Akan Keskin. Dieser muss nur 5 bis 10 Euro je Marktplatz pro Tag an die MA 59 (Marktamt) zahlen. Er kassiert jedoch 7000 bis 10.000 Euro von jedem der rund 150 Christkindlmarkt-Stände für die Dauer des Markts; außerdem subventioniert die Gemeinde Keskins «Adventzauber» mit EINER Million Euro; eine weitere Viertelmillion steuert die Wirtschaftskammer bei. Der Markt am Rathausplatz erwartet 3 Millionen Besucher_innen, jede_r von ihnen wird rund 20 Euro am Platz lassen. 

Wie er bei solchen Gewinnaussichten, die ihm die öffentliche Hand quasi risikofrei garantiere, den Ausschluss von Obdachlosen oder arbeitslosen Augustin-Leuten legitimieren könne, fragten wir Herrn Akan Keskin. Michael Häupls Platzhirsch vor dem Rathaus reagierte wirsch: Falls der Augustin mit dieser Angelegenheit an die Öffentlichkeit gehe, werde er juristische Schritte gegen das Blatt einleiten. Im Übrigen werde er heuer eine 5000-Euro-Spende für «Licht ins Dunkel» abliefern. 

Die Verkäuferinnen und Verkäufer des Augustin lassen sich die Freiheit, den öffentlichen Raum zu benützen, nicht nehmen. Sie werden am kommenden Samstag, 19. November, gemeinsam mit Leserinnen und Lesern der Straßenzeitung, gegen die Kommerzialisierung des Advents, gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums protestieren. Sie werden u.a. solche Forderungen an die rot-grüne Stadtregierung richten:
Die Armut bekämpfen und nicht die Armen! Suppenküchen für jeden Christkindlmarkt! Plätze gehören allen und niemanden! Occupy Rathausplatz! 

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B. Erste Reaktionen: 

(…) Unter dem Eindruck dieser Empörung hat der Geschäftsmann Akan Keskin, der auf dem Rathausplatz und an anderen Orten Christkindlmärkte veranstalten darf, das Augustin-Verbot zurück genommen, 24 Stunden vor unserer Aktion.

Nicht zurück genommen wurde das Verbot des Verkaufs anderer Straßenzeitungen sowie das Bettelverbot – obwohl Herr Keskin zuvor in einem Gespräch mit dem Augustin versprochen hatte, sich öffentlich zum Recht auf Betteln im Bereich seines Marktes zu bekennen. 

Keskins Tolerieren des Augustin-Verkaufs kann als erster Erfolg eines koordinierten Aufstands der zivilen Gesellschaft (Medien, facebook-Gruppen, künstlerische und soziale Initiativen, engagierte Stadtbewohner_innen) gesehen werden. Unser Protest hat sich dadurch nicht erübrigt.  

Erstens lassen wir nicht zu, dass durch eine privilegierte Behandlung der Augustin-Leute die Verelendeten in eine «gute» und «schlechte» Kategorie auseinander dividiert werden.  

Zweitens gibt es nach wie vor Adventmärkte, auf denen Straßenzeitungsverkauf allgemein als Besitzstörung angesehen wird (z.B. CAMPUS, Altes AKH).  

Drittens richtet sich unser Protest gegen ein Stadtmanagement, das den öffentlichen Raum der Stadt zunehmend an kommerzielle und profitorientierte Nutzer_innen ausliefert. Ausdruck dieser Kommerzialisierung ist die Vertreibung der Habenichtse von ihren Treffpunkten. 

Plätze gehören allen und niemanden. Der Rathausplatz ist weder das Eigentum des Bürgermeisters Michael Häupl noch des Event-Machers Akan Keskin. Schafft einen Berg anstelle des Christbaums vor dem Rathaus! Wir brauchen eine neue Bergpredigt! Aber diesmal sind WIR es, die die Predigt schreiben.(…) 


C. Ein Nachtrag von Robert Sommer:

(zu Medienberichten etwa auf Ö1 und im Falter, dass sich Augustin und Akan Keskin doch noch hätten einigen können und dass lt. A. Keskin überhaupt alles nur ein Missverständnis gewesen sei…)

Beide Weihnachtsmarktveranstalter, Keskin und die Magmag Agentur, haben ca.10 Tage vor unserer Aktion unmissverständlich das Verkaufsverbot bestätigt; und zwar telefonisch gegenüber unseren Mitarbeiterinnen Eva Rohrmoser und Riki Parzer. Die beiden hatten eine Telefonumfrage über Verkaufsverbot oder Verkaufserlaubnis auf den größten Wiener Christkindlmärkten gemacht, um den Verkäufer_innen Informationen zu geben, wo sie mit Schwierigkeiten rechnen müssten. Beide Unternehmer waren am Telefon extrem unfreundlich, Keskin drohte ja gleich mit einer Klage, falls wir etwas über Augustin und Christkindlmarkt publizieren sollten. Mit der vermeintlichen Nullmacht namens Augustin glaubten sie, Schlitten fahren zu können.
Doch dann kriegten sie mit, wie unsere Presseaussendung wirkte, wie sehr die Medien auf unserer Seite waren, wie sich die Solidaritätserklärungen häuften, wie lästig die Anfragen wurden, welche Dynamik die ‚occupy Christkindlmarkt Bewegung’ erreichte, wie facebook seine Wirkung entfaltete, und sie begannen zu lügen, um uns als unglaubwürdig darzustellen, schlussendlich um die Demo vom Samstag zu verhindern. Wir hätten alles missverstanden, erklärten sie den Medien, nie im Leben hätten sie an ein Augustinverkaufsverbot gedacht.

Jetzt, nach der Demo, werden sie es schwer haben, Augustinverkäufer_innen zu vertreiben. Wir werden das beobachten. Das vertreiben der Pseudo-Augustinverkäufer_innen, unter ihnen viele Roma, wird ihnen leichter fallen, weil diese Menschen leider wenig Solidarität genießen; selbst superliberale Bobos fühlen sich inzwischen ja enerviert, wenn sie von «5 Roma innerhalb von 5 Minuten» (stereotyper Unsicherheits-Code) angebettelt werden.