ImageDie EU-Kommission hat bereits angekündigt, das Referendum der NiederländerInnen über das EU-Ukraine-Abkommen zu ignorieren. Auch etwaige negative Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten zum Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) will man in Brüssel wegwischen. Ermöglicht wird das durch den Putschartikel 218 (AEUV) im EU-Primärrecht, der durch den Lissabon-Vertrag eingeführt wurde.  

Vor wenigen Tagen stimmte in einem Referendum eine deutliche Mehrheit der NiederländerInnen gegen das EU-Ukraine-Assoziationsabkommen. Das ist eine gute Nachricht, denn:

=> Dieses Abkommen ist ein neoliberales Freihandelsabkommen , das einseitig den EU-Großkonzernen nutzt, während es Armut und Arbeitslosigkeit in der Ukraine verschärft.

=> Dieses Abkommen bedeutet die Einbindung der Ukraine in die EU-Militarisierung – über den Ausbau der EU-Battlegroups und die Stärkung der Rüstungsindustrie.

=> Für dieses Abkommen hat die EU neofaschisische und antisemitische Kräfte in der Ukraine hochgepäppelt, um die Regierung Janukowitsch, die die Unterzeichnung dieses Abkommens verweigerte, aus dem Amt zu putschen. Damit hat eine Spirale der Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg eingesetzt.

=> Die NiederländerInnen haben damit eine Chance genutzt, die den Menschen in Österreich von vornherein verweigert wurde. Es ist ein Skandal, dass der österreichische Nationalrat diese Abkommen klammheimlich durchgewunken und den Menschen in Österreich eine Volksabstimmung darüber verwehrt hat.

„Vorläufig angewendet“ – dauerhaft entmündigt

Wir wissen, wie in der EU mit Volksabstimmungen umgegangen wird, die gegen den Willen der Machteliten ausgehen: Entweder werden sie ignoriert - sh. Abstimmung der GriechInnen gegen den Austeritätskurs (2015) oder der FranzösInnen und NiederländerInnen gegen die geplante EU-Verfassung (2005) - oder sie werden solange wiederholt, bis das gewünschte Ergebnis zustande kommt - sh. Irland beim EU-Vertrag zu Nizza (2001) und Lissabon (2008/09). Deshalb hat auch die schlechte Nachricht nicht lange auf sich warten lassen. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, sich auch um das Ergebnis des niederländischen Referendums nicht zu scheren und das Assoziationsabkommen mit der Ukraine trotzdem „vorläufig anzuwenden“.

Die EU-Kommission kann sich dabei auf den Artikel 218 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) stützen, der mit dem EU-Vertrag von Lissabon (2009) eingeführt wurde. Dieser Artikel ist im Grunde ein Putschartikel, denn dieser ermöglicht der EU-Technokratie, internationale Verträge, die der Zustimmung durch die nationalen Parlamente bedürften, „vorläufig anzuwenden“, auch wenn keine demokratische Mehrheiten in einzelnen Parlament zustande kommen oder sogar die Bevölkerung in Volksabstimmungen – siehe Niederlande – dagegen votiert. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages wurde angefragt, was passiert, wenn der Ratifikationsprozess scheitert, weil die nationalen Parlamente auch später nicht zur Zustimmung zu Verträgen bereit sind, die von der EU „vorläufig angewendet“ werden. Die Antwort: Gar nichts. Dann wird das Abkommen auf unbestimmte Zeit „vorläufig angewendet“, also Parlament und Bevölkerung dauerhaft entmündigt (1).

Diese Entmündigung der Parlamente ist bereits jetzt Praxis. So wurde bis heute im österreichischen Parlament das EU-Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien nicht ratifiziert, die EU-Kommission hat es jedoch seit Mitte 2013 „vorläufig angewendet“.

Diktatorialverfassung

Die EU-Kommission hat ebenfalls angekündigt, auch das Freihandelsabkommen EU-Kanada (CETA) notfalls über diesen Putschartikel der „vorläufigen Anwendung“ durchzusetzen. Als nächstes werden dann wohl TTIP und TiSA „vorläufig angewendet“, wenn Parlamente und Bevölkerungen nicht spuren.

Halten wir fest: Regime, in denen die Exekutive den Willen von Parlamenten ignorieren bzw. konterkarieren kann, nennt man Diktaturen. Verfassungen, die eine solche Vorgehensweise legitimieren, nennt man Diktatorialverfassungen. Das EU-Primärrecht bzw. der EU-Lissabon-Vertrag ist eine solche Diktatorialverfassung. Wenn wir diesen Weg in die Diktatur nicht fortsetzen wollen, müssen wir endlich aufwachen und aufstehen:

=> Fordern wir Volksabstimmungen in Österreich über CETA, TTIP, TiSA & Co! Wir wollen in Österreich das Recht haben, über so fundamentale Abkommen wie Freihandelsverträge, die weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben, in einer Volksabstimmung zu entscheiden.

=> Machen wir uns für die Ausweitung der direkten Demokratie in Österreich stark! Wir brauchen – ähnlich wie in der Schweiz – die Möglichkeit, Volksabstimmungen von unten durchzusetzen, um einem autoritär entgleisenden Establishment demokratische Zügel anlegen zu können.

=> Steigen wir aus der Diktatorialverfassung des EU-Lissabonvertrags aus! Wir rufen in Erinnerung: In Österreich ist dieser Vertrag nie verfassungskonform ratifiziert worden, da der Bevölkerung darüber eine Volksabstimmung verwehrt wurde. In Österreich müssen aber Verträge bzw. Gesetze, die eine grundlegende Veränderung der Verfassung darstellen, zwingend einer Volksabstimmung unterworfen werden. Der EU-Lissabon-Vertrag, der u.a. den Putsch der Exekutive gegen das Parlament ermöglicht, gehört mit Sicherheit dazu. Das zu erkennen, muss man kein/e Verfassungsexperte/in sein.

Solidarwerkstatt, 10.4.2016

PS: Manche denken bereits darüber nach, wie diese Diktatorialverfassung weiter verschärft werden kann. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, fordert anlässlich des niederländischen Referendums, Volksabstimmungen in einzelnen EU-Staaten zu EU-Themen in Hinkunft generell zu verbieten. Für den Aufbau einer EU-Großmacht trampelt das grüne Establishment mittlerweile offensichtlich über jeden grünen Grundsatz hinweg.


Anmerkungen:

(1) Siehe dazu: Jürgen Maier, 2. Zivilgesellschaftliches Außenwirtschaftsforum in Berlin 24.2.2014: Freihandelsabkommen – Die Entmachtung der Parlamente: „Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages beantwortete die Frage, was die Nichtratifizierung durch den Bundesrat oder irgendeines anderen nationalen Parlaments für ein Abkommen bedeutet, das bereits »vorläufig angewendet« wird, so: Gar nichts. Dann wird das Abkommen auf unbestimmte Zeit vorläufig angewendet, was materiell dasselbe ist wie wenn es ratifiziert würde, es sei denn, der Rat würde beschließen, dies wieder rückgängig zu machen. Dazu ist er aber nicht verpflichtet. Kurzum: im Grundgesetz steht zwar, dass solche völkerrechtlichen Verträge von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden müssen, aber in der Praxis ist die parlamentarische Zustimmung auch entbehrlich.“ (http://ttip-unfairhandelbar.de/fileadmin/download/dokumente/Demokratie___Transparenz_in_der_Handelspolitik-final.pdf). Anmerkung: Der in diesem Beitrag angesprochene Artikel 188n AEUV entspricht dem jetzigen Artikel 218 AEUV.

Siehe dazu auch:
Das niederländische Referendum, die EU und die Reaktionen darauf
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1475&Itemid=1