Die Gemeindeautonomie wird immer stärker ausgehöhlt, immer mehr Lasten werden auf die ohnehin bereits ausgezehrten Gemeinden abgewälzt. Das droht nun auch bei den Kosten für den Entfall des Pflegeregress. Rudi Schober skizziert einen sozial- und demokratiepolitischen Ausweg.
„Wegen einiger Probleme in ganz wenigen Gemeinden, darf man jetzt die Autonomie der Gemeinden nicht untergraben oder gar in Frage stellen. Kommunalpolitik muss Politik für die Menschen sein und nicht für eine überbordende Bürokratie, die sich jetzt manche Entscheidungsträger auf der bundes- und landespolitischen ebene herbeireden.“
Beinahe ketzerisch muten diese Sätze an, so der Urheber dieser Gedanken einer breiten Öffentlichkeit bekannt wäre. Aber lesen wir weiter, denn alles scheint noch nicht gesagt worden zu sein.
„So manches ist ja sehr typisch für die Entwicklung der Zeit. Man entzieht den Kommunen über Transferzahlungen und überzogene Gesetzeswerke die Finanzkraft und damit die Eigenständigkeit. Im Sozialbereich versucht man, alle Lasten (Pflegeregress, Notstandshilfe, Mindestsicherung, usw.) den Gemeinden umzuhängen und schwächt die Kommunen damit noch einmal. In vielen anderen Bereichen erhöht man Normen, Richtlinien bis hin zu Stellungnahmen von Sachverständigen so lange, bis diese Vorgaben nicht mehr zu erbringen sind. Und am Ende des Tages steht der Bürgermeister am Pranger.“
„Wenn es um das Zuschieben von Lasten geht, sind die Gemeinden immer die ersten, die es trifft.“
So, jetzt genügt es mit den realen Angriffen auf die Vorgehensweise von Landes-, Bundes- und EU-Politik.
Kein geringerer als der Bürgermeister und Präsident des Oberösterreichischen Gemeindebundes LAbg. Bgm. Hans Hingsamer präsentiert sich in der OÖ Gemeindezeitung vom März 2018 zum Verfechter der vielzitierten aber vielnegierten Gemeindeautonomie. Er und die Masse an Gemeindemandataren aus 2098 an sich selbstständigen Kommunen, erleben seit Jahrzehnten die vorsätzliche Aushöhlung und Aushebelung der in Verfassungsrang stehenden Gemeindeautonomie direkt. Ist doch die Gemeinde das einzige und direkt arbeitende Organ unserer Daseinsfürsorge vor Ort, die den BürgerInnen mit ihren Entscheidungen und Tätigkeiten direkt ins Auge sehen muss. Zugleich müssen die Kommunen die Diktate der Landes- Bundes- und EU-Politik vollziehen. Diese sind in wenigsten Fällen populär, in den meisten Fällen unsozial. Darum überlässt man gerne den Gemeinden die Umsetzung.
Aushöhlung der Gemeindeautonomie
Die vielen von EU (Fiskalpakt), Bund und Ländern (Schuldenbremse) diktierten Spardiktate, die den ohnehin schon schlanken Finanzrahmen jeder Gemeinde erodieren lassen, spüren unsere Bürgerinnen an allen Ecken und Enden: Kindergärten in Container, Schulen mit desolater Bausubstanz, fehlende Einrichtungen der Pflege für SeniorInnen und nicht mehr vorhandene Gesundheitseinrichtungen, geschweige von Sicherheitsposten oder Post, ganz zu schweigen von öffentlichen Verkehrsmittel wie Bus und Bahn, welche „sich nicht rentieren“, sind die ernüchternden Ergebnisse der Sparpolitik in den letzten 25 Jahren. Von den Kommunen wird jedoch verlangt, die eierlegende Wollmilchsau zu spielen und der nicht mehr vorhandenen Infrastruktur und Daseinsfürsorge einen normalen Anstrich zu geben. Straßenbau funktioniert noch einigermaßen, aber kommunaler Wohnbau zum Beispiel, ist schon lange als Thema abgeschrieben. Private Wohnbauträger machen das angeblich viel effizienter. Und das ist für immer mehr BürgerInnen, die den „Wohnungsmarkt“ als immer weniger leistbar erleben, eine Schreckensvision.
Sollten Konzerngewinne genauso besteuert werden wie das Einkommen der Lohnabhängigen, so könnte von Dividendenausschüttungen und Gewinnentnahmen in der Höhe von 37 Mrd. Euro (2015) so einiges für die notleidenden Gemeinden, zum Wohle ihrer Bürgerinnen, zu holen sein. Dazu müsste wahrscheinlich eine Strukturänderung in der Bundesgesetzgebung erfolgen. Denn das Österreichische Parlament hat bis Dato hauptsächlich steuerliche Entlastung für Konzerne und Vermögende beschlossen. Sie wissen schon, der Investor ist schützenswert, da angeblich ein scheues Reh. Für unsere Gemeinden und deren Bürgerinnen, gibt es nur Reformen, welche sich in unsozialen Belastungen darstellen.
Pflege in die Sozialversicherung...
Durch die Abschaffung des Pflegeregress im Jahr 2017 kommt es zu einem Einnahmenausfall in der Höhe von 500 Millionen Euro. Bund und Länder wollen den Gemeinden aber nur rd. 100 Millionen Euro abgelten. Das heißt der Großteil der Belastung müsste wieder von den Gemeinden gestemmt werden. Der Anteil, den die Kommunen, neben Bund und Länder zur Pflege derzeit schon leisten, liegt im Jahr 2016 bei 20%, in Summe 951Millionen Euro.
Gerade an diesem Beispiel zeigt sich aber auch, wie eine sozialverträgliche, nachhaltige Lösung ausschauen könnte: nämlich die Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung, finanziert durch Beiträge, die sich auf die gesamte Wertschöpfung (und nicht nur Löhne und Gehälter) beziehen. Damit kann sowohl soziale Sicherheit für alle betroffenen Menschen als auch eine spürbare Entlastung der ausgezehrten Gemeinden gesichert werden.
… braucht mehr Mitsprache für Gemeinden
Um solche sozialpolitischen Maßnahmen durchzusetzen, braucht es aber eine Veränderung im politischen System, durch die die Gemeinden machtpolitisch gestärkt werden. Die Solidarwerkstatt hat dazu den Vorschlag entwickelt, anstelle des weitgehend bedeutungslosen Bundesrats eine zweite Kamer auf Bundesebene zu errichten, die mit Entscheidungsträgern aus den Gemeinden beschickt wird, einen „Bundesgemeinderat“ sozusagen, der volles Mitentscheidungsrecht in Budgetfragen hat. Diese BundesgemeinderätInnen sollten direkt über die Bezirke gewählt werden und jederzeit auch wieder abwählbar sein, wenn sie ihre Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Vertretenen ausüben.
Das wäre sowohl eine enorme Aufwertung der Gemeinden als auch eine Stärkung der Demokratie. Dafür sollte sich auch ein Gemeindebundpräsident einsetzen.
Rudolf Schober
(März 2018)