Viel ist geschrieben und gesagt worden über die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die politische Willensbildung in der modernen Gesellschaft. Regelmäßig werden sogenannte Autokraten wie Putin oder Erdogan an den Pranger gestellt, weil sie AktivistInnen von NGOs (Nichtregierungsorganisationen) mit der Justiz verfolgen, während sich unsere EU-affinen PolitikerInnen den Glorienschein aufgeklärter Toleranz aufs Haupt setzen. Spätestens als 2005 Bewegungen von unten das EU-Verfassungsprojekt in Frankreich und den Niederlanden zum Kippen brachten, begann das Establishment die Zivilgesellschaft gezielt an die Kandare zu nehmen. Jene, die sich widersetzen, werden drangsaliert, wie die Vorgänge rund um die Medienfreiheit in Linz zeigen.

§48 des Mediengesetzes (BGBl 1993/20) formuliert eindeutig: "Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort bedarf es keiner behördlichen Bewilligung." Lediglich "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" kann eingeschränkt werden, "dass das Anschlagen nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf." Soweit die eindeutige Rechtslage. Von der Stadt Linz wird das Gesetz hingegen so praktiziert, dass das freie Plakatieren faktisch außer Kraft gesetzt ist. Bürgermeister Luger gibt in einer Anfragebeantwortung an die Grünen am 19. 10.2017 bekannt, dass es derzeit nur 4 freie Plakatierflächen in Linz gibt und zwar am Aubrunnerweg, an der Dauphin- und der Leonfeldnerstraße und in Ebelsberg. Faktisch 1 Plakat je 50.000 Einwohner. Wer das als unzulässige Einschränkung seiner Medienfreiheit empfindet und sich nicht daran hält, wird von Magistrat, Justiz und Polizei drangsaliert. Eine Eskalation in vier Fällen:

  1. Fall: Friedensstadt gegen "Lange Nacht des Friedens", zum 1.

Bereits im Juni 2015 affichierte die Solidarwerkstatt mangels an Alternativen zur Bewerbung der "Langen Nacht des Friedens" A3 Plakate mit handelsüblichen Klebebändern an Bauzäunen, Abspannmasten u. a. geeigneten Einrichtungen. Die Stadt erstattete Anzeige bei der Landespolizeidirektion Oberösterreich und stellte Kosten in Höhe von Eur 372,45 für die Entfernung und Beweissicherung in Rechnung. Während die LPD das Verfahren einstellte, klagte die Stadt Linz die Solidarwerkstatt beim Bezirksgericht Linz auf den Betrag von Eur 372,45. Nachdem die Solidarwerkstatt durchaus willig ist, angemessene zusätzliche Kosten zu ersetzen, einigte man sich beim Bezirksgericht auf einen Vergleich in Höhe von Eur 50,-

  1. Fall: Plakatständer für die Bewerbung des TTIP-Stoppen-Volksbegehrens

Im Jänner beantragte die Solidarwerkstatt beim Magistrat Linz die Genehmigung zum Aufstellen von 18 Plakatständern zur Bewerbung des TTIP-Stoppen Volksbegehrens. Die Stadt Linz genehmigte den Antrag, stellte aber dafür Eur 14,50 an Bundesgebühren und Eur 360,- gem. oö. Verwaltungsabgabengesetz 1974 resp. oö. Gemeindeverwaltungsabgabenordnung 2012 in Rechnung. Zudem wurde eine Gebühr für die Benützung öffentlichen Gutes in Höhe von Eur 182,46 verrechnet. Dabei wurden 50% aufgrund einer Intervention eines befreundeten sozialdemokratischen Funktionärs als Naturalsubvention erlassen. Die verbliebenen Eur 91,23 wurden von der Solidarwerkstatt beglichen, gegen die Vorschreibung der Verwaltungsabgabe in Höhe von Eur 360,- wurde jedoch Einspruch erhoben, weil sie in eklatantem Widerspruch zur Medienfreiheit gem. §48 Mediengesetz steht. Zunächst ist grundsätzlich zu fragen, zu welchem Zweck Steuern eingehoben werden, wenn dann extra jede Verwaltungstätigkeit vergebührt wird. Zudem begünstigt die Regelung des Verwaltungsabgabenordnung große und kommerzielle Organisationen, während einzelne BürgerInnen und kleinere Initiativen diskriminiert werden. Vorgesehen ist eine Gebühr von Eur 35,80 je Plakatständer, maximiert mit Eur 360,- . D.h. wer 10 Plakatständer aufstellt, zahlt Eur 360,-, wer 100 Plakatständer aufstellt, zahlt ebenso Eur 360,- . Zudem sind laut Mitteilung des Magistrats, Parteien generell von dieser Gebühr ausgenommen (OÖN v. 4.10.2017). Interessanterweise findet sich darüber keine Bestimmung weder im oö. Verwaltungsabgabengesetz noch in der Gemeindeverwaltungsabgabenordnung. Der Einspruch wurde vom Stadtsenat mittels Berufungsbescheid vom 16.8.2017 abgewiesen. Der Bürgermeister erließ daraufhin einen Vollstreckungsbescheid. Die Solidarwerkstatt prüft in der Zwischenzeit außerordentliche Rechtsmittel beim VerwGH resp. VerfGH und wartet ansonsten auf den Exekutor.

  1. Fall: Friedensstadt gegen "Lange Nacht des Friedens", zum 2.

Auch heuer wurden von der Solidarwerkstatt Linz für die Bewerbung der "Langen Nacht des Friedens" mangels an Alternativen A3 Plakate auf Bauzäunen und Abspannmasten u. dgl. affichiert. Auch diesmal wurde die Solidarwerkstatt, resp. deren Obmann, bei der LPD OÖ angezeigt, woraufhin diese eine Strafverfügung in Höhe von Eur 90,- verhängte. Diese Strafverfügung wurde von der Solidarwerkstatt unter Hinweis auf den Fall im Jahr 2015 beeinsprucht. Das Strafverfahren ist weiter anhängig. Weiters hat die Stadt Linz Eur 144,76 an Kosten für die Beseitigung der Plakate in Rechnung gestellt. Eur 50,-hat die Solidarwerkstatt unter Hinweis auf den Vergleich aus dem Jahr 2016 beglichen. Der Restbetrag von Eur 94,76 wurde in der Zwischenzeit von der Stadt Linz beim Bezirksgericht eingeklagt. Die Solidarwerkstatt hat dagegen Einspruch erhoben. Anzumerken ist hier noch, dass der Vergleich im Jahr 2016 von der Solidarwerkstatt auch deshalb eingegangen wurde, weil sich die Stadt Linz damals einsichtig zeigte und signalisierte, an einer Lösung interessiert zu sein. In der Zwischenzeit zeigt sich eine gegenteilige Entwicklung. Die Anzahl der freien Plakatflächen wurde von fünf auf vier reduziert. An eine Ausweitung ist laut Bgm Luger nicht gedacht (Anfragebeantwortung v. 19.10.2017). Das der Bürgermeister nicht an einer Lösung der unerträglichen Situation nicht interessiert ist, zeigt aber besonders der

  1. Fall: Stadt Linz entfernt widerrechtlich Plakatständer zur Bewerbung der Demonstration "Verkehrswende Jetzt" v. 6.10.2017

Die Initiative "Verkehrswende Jetzt" veranstaltete am 6. 10.2017 eine Demonstration zum Thema. Zur Bewerbung der Demonstration wurde bei der Stadt Linz das Aufstellen von 20 Plakatständern im Stadtgebiet beantragt. Die Stadt Linz ließ den Antrag jedoch unbearbeitet, woraufhin die Initiatoren die Plakatständer aufstellten, ohne die Zustellung des Bescheids abzuwarten. Die Stadt Linz hat daraufhin die Plakatständer einfach entfernt. Begründet wurde dieser widerrechtliche Vorgang in einer Presseaussendung v. 3.10.2017 mit der fehlenden Grundeigentümerzustimmung. Das ist insofern irreführend, weil die Plakatständer auf öffentlichem Grund und nicht auf Eigentum der Stadt Linz, welches der Privatwirtschaftsverwaltung unterliegen würde, aufgestellt wurden. Weiters wurde argumentiert, ein Bescheid sei deshalb nicht ausgestellt worden, weil die Initiative Verwaltungsstrafen in Höhe von Eur 560,- nicht bezahlt habe. Über die Initiative "Verkehrswende Jetzt" wurde jedoch nie eine Verwaltungsstrafe in Höhe von in Summe Eur 560,- verhängt. Offensichtlich beruft sich der Bürgermeister hier auf eine moderne Form von mittelalterlicher Sippenhaftung: Gemeint ist anscheinend das anhängige Verfahren der Stadt Linz gegen die Solidarwerkstatt wegen der Plakatständer zum TTIP-Stoppen Volksbegehren. Interessant ist auch, dass was eben noch als Verwaltungsabgabe und Gebühr für die Benützung öffentlichen Guts galt, im Handumdrehen als Verwaltungsstrafe interpretiert wird. Das zeigt, welchen Charakter diese Gebühren in Wahrheit haben.

Die Stadt Linz hat die Plakatständer bis dato nicht an die Initiative zurückgegeben. Das Verhältnis des Bürgermeisters zum Rechtsstaat scheint insgesamt nicht sehr entwickelt zu sein. So rechtfertigte Bgm. Luger in der Anfragebeantwortung an die Grünen v. 19.10.2017 das Nichtausstellen eines Bescheides für die Untersagung des Aufstellens von Plakatständern damit, dass "ein Bescheid bei einer Untersagung nur dann ausgestellt werden (müsse), wenn diese aufgrund der StVO ergeht. Wenn dies auf "Privatgrund" der Stadt Linz erfolgt braucht es defakto keinen Bescheid." Gleichzeitig wurde einer der Initiatoren der "Verkehrswende Jetzt" geladen, sich vor dem Magistrat zu rechtferigen, weil er gegen die StVO verstoßen habe. Tatsächlich wurde kein Plakatständer auf "Privatgrund" der Stadt Linz aufgestellt.

Welche Bedeutung die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum hat, wurde gerade im vergangenen Wahlkampf wieder deutlich. Es geht nicht mehr nur um 36 Bogen, sondern schon um 72 Bogen Plakate mit dümmlichen Sprüchen und nichtssagenden Politikerporträts. Um dies zu verstehen, gilt es eine österreichische Besonderheit zu verstehen. Der Plakatflächenmarkt ist in Österreich zwischen parteiabhängigen Firmen aufgeteilt. Der Kreislauf verläuft also wie folgt: Parteien finanzieren über öffentliche Parteienförderung großflächige Plakatkampagnen. Sie sind dabei von öffentlichen Gebühren befreit. Die Erlöse der Plakatflächenfirmen fließen so wieder in die Parteikassen zurück. A3 Plakate parteiunabhängiger Initiativen können da nur stören. Ziel ist rechtswidrig alle in diesen "Markt" hineinzuzwingen. Das dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen.

Die Solidarwerkstatt und die Initiative "Mehr Demokratie" laden deshalb ein zu einem Treffen für
"Medienfreiheit in Linz"
am Montag, 30.10.2017, 18.00, Veranstaltungsraum in der Waltherstraße 15, 4020 Linz
https://www.solidarwerkstatt.at/termin-eintragen/eventdetail/427/-/treffen-medienfreiheit-in-linz