Der Aufstieg des Rechtsextremismus in den USA und Europa. Er kann und muss aufgehalten werden. Ein Diskussionsanstoß von Gerald Oberansmayr.
Der Enthemmung von Gewalt und der Durchsetzung der Macht des Stärkeren, wie sie für den Faschismus charakteristisch war, wurden nach 1945 eine Reihe von Fesseln auferlegt: Vereinte Nationen und Völkerrecht, Menschenrechte, starke ArbeiterInnenbewegung, Sozialstaat, antikoloniale Befreiungskämpfe. Die Verrechtlichung sowohl im Inneren der Staaten als auch in den internationalen Beziehungen ließ – trotz vieler Rückschläge – die Hoffnung gedeihen, dass ein neues Niveau der Zivilisiertheit erreicht werde, in dem Konflikte kooperativ, auf der Basis von anerkannten Rechten, Souveränität und Gleichheit lösbar seien. Tatsächlich waren und sind das große Errungenschaften, die fortdauern und gerade angesichts der Klimakrise dringender denn je werden.
Doch gleichzeitig scheuerte dieser Prozess fortwährend an der kapitalistischen Wirklichkeit. In ihr zählen Konkurrenz, Überlegenheit, Stärke. Die machtpolitische Einhegung des Kapitalismus geriet mit dem Ende der Nachkriegsordnung von Bretton Woods, dem Aufstieg des Neoliberalismus, der Implosion des Sozialismus sowjetischer Prägung ins Wanken. Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Demokratie wurden zunehmend durch ein anderes Mantra abgelöst: Wettbewerbsfähigkeit, Markteroberung und Standortsicherung. General Klaus Naumann, damals Viersterne-General der deutschen Bundeswehr, wusste die „Zeitenwende“, die mit der Entstehung der EU verbunden ist, folgendermaßen zu charakterisieren: „Es gelten nur noch zwei Währungen in der Welt: Wirtschaftliche Macht und militärische Mittel, sie durchzusetzen“ (1).
Dollar und Pentagon als sich gegenseitig stützende Pfeiler der US-Weltmacht
Weltmacht zeichnet sich durch eine überlegene Militärmacht und Dominanz industrieller Macht aus. Das galt für das Britische Empire im 19. Jahrhundert, das galt auch für die USA nach dem 2. Weltkrieg. Heute bietet sich dagegen ein widersprüchliches Bild: Die USA haben mit 36 Prozent der globalen Militärausgaben die zwar klar überlegenen Streitkräfte (sh. Grafik 1), sind aber industriell schon länger am absteigenden Ast. Das drückt sich in einer immer stärker negativ werdenden Leistungsbilanz aus. 2023 machte das Leistungsbilanzdefizit bereits mehr als 900 Milliarden US-Dollar aus. Jedes andere Land würde angesichts dieser desaströsen Leistungsbilanz schon unter IWF-Kurtal stehen. Die USA können sich das leisten, weil der US-Dollar (noch) als Weltgeld fungiert. Die Dollars, die über den Warenimport hinauswandern, wandern über den Kapitalimport wieder herein oder werden als Transaktionsmittel für den internationalen Handel bzw. als Devisenreserven nachgefragt.
Die superiore Position des Dollars beruht nicht mehr auf einer überlegenen Produktivität der eigenen Wirtschaft, sondern auf militärischer Stärke. Nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods konnte der Dollar seine Rolle als globale Leitwährung aufrechterhalten, weil der Großteil der internationalen Erdölgeschäfte in Dollar fakturiert wurde. Mit ihrer militärischen Macht und ihren Kriegen vor allem in Nahen und Mittleren Osten zielten die USA darauf ab, die Kontrolle über den Erdölhandel abzusichern. Dollar und Pentagon sind die sich gegenseitig stützenden Pfleiler der US-Weltmacht: Ohne Militär keine Dollarhegemonie, ohne Dollarhegemonie keine Finanzierung des gewaltigen Rüstungsetats. Aber die Hegemonie bekommt Sprünge: China stieg in den letzten beiden Jahrzehnten fulminant auf; die BRICS-Staaten versuchen zunehmend, ihren Handel unter Umgehung des Dollars abzuwickeln. Der Anteil des Dollar an den Weltwährungsreserven ist von 71 Prozent im Jahr 1999 auf 58 Prozent (2024) gesunken.
EU: Harte Währung braucht hartes Militär
Gegenteilig schaut die Situation in der EU aus. Mit über einer halben Billion Dollar ist die Leistungsbilanz des Euro-Raums hochpositiv. Der Überschuss ist doppelt so hoch wie der Chinas, alleine Deutschland hat einen Leistungsbilanzüberschuss, der den der VR China übertrifft (sh. Grafik 1). Die EU und hier wieder vor allem Deutschland sind extrem exportlastig. Zur Sicherung der Absatzmärkte und der Rohstoffe hat die EU Freihandel und Kapitalverkehrsfreiheit nicht nur nach innen sondern auch nach außen zur Maxime erklärt und versucht, diese mit einer Vielzahl von neoliberalen Freihandels- und Assoziationsverträgen festzuzurren. Wo sich dem Widerstand entgegenstellt, wird mit Krieg, Anzetteln von Bürgerkrieg oder Unterstützung von – je nach Situation - Jihadisten oder Rechtsextremen nachgeholfen: am Balkan, Libyen, Syrien oder in der Ukraine hat der aggressive Export eines neoliberalen Regimes die blutigen Konflikte mitverursacht.
Der Euro ist eine im Grunde zutiefst dysfunktionale Währung, der die wirtschaftlichen Gräben und sozialen Unterschiede im Inneren der EU vertieft. Funktional ist er als politisches Projekt. Darauf wies schon der Urvater der Währungsunion, Helmut Schmidt, hin: „Der Euro ist primär keine ökonomische Veranstaltung. Der Euro ist eine strategische Veranstaltung. Er ist Teil des Aufbaus Europas in Etappen“ (2). Doch es hakt auf dem Weg zu Weltgeld und Weltmacht. Darauf verwies schon Walther Stützle, seinerzeit Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium: „Eine harte Währung, die eine schwache Verteidigung hat, ist auf lange Frist keine harte Währung“ (3). Zwar rüstet die EU gewaltig auf, seit 2014 und reale plus 42 Prozent, aber ein Mangel bleibt: Es fehlt ein zentrales Kommando über zentrales Streitkräfte mit einer kurzen Befehlskette. Solange bei Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, solange nicht eine EU-Armee einsatzbereit ist, kann das volle militärische Potential nicht eingesetzt. Erst dann kann „die Europäische Union … ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden.“, wie Geostratege James Rogers (Group on a Grand Strategy) schon 2011 schrieb (4).
Rechtsextreme Agenden: MAGA und MEGA
Sowohl in den USA als auch in der EU sind Rechtsextreme an der Macht oder drängen dazu. In den USA soll der weitere Niedergang aufgehalten und umgekehrt werden, indem das überlegene Waffenarsenal ohne die Fesseln des Völkerrechts eingesetzt wird. Zwar hat man schon bisher das Völkerrecht mit Füßen getreten, aber man bemühte sich, dem Krieg einen „humanitären“, einem moralischen Anstrich zu geben. Jetzt genügt es einfach kapitalistische Interessen zu haben. Trump droht Gaza, Grönland, Panama mit der US-Armee – Immobilienspekulation, Rohstoffe und Handelswege reichen als Begründung aus. Über allem thront MAGA: „Make America great again!“ In diesem Sinn ist die Sympathie für den russischen Präsidenten Putin verständlich, der mit seinem Überfall auf die Ukraine ebenfalls demonstriert hat, dass ihn internationales Recht wenig kümmert.
Dass Trump und seine MAGA-Bewegung rechtsextrem sind, wird in Europa wenig bezweifelt. Aber ist die Agenda der EU-Kommission und der Machteliten der großen EU-Staaten aber eine andere? Will sie ihr wirtschaftliches Gewicht nicht ebenfalls durch einen ungehemmten Militarismus zur Geltung bringen? Superstaat, Supernation, Supermacht – das schreit ja geradezu nach MEGA: „Make Europe great again!“ Es ist kein Zufall, dass beim „Patriotentreffen“ rechtsextremer europäischer Parteien „Make Europe great again!“ die zentrale Losung war. „Macht Europa wieder groß“, erklärte dort FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Videobotschaft (5). Aber sind diese MEGA-Fans nicht Feinde der EU? Das will man uns glauben machen. Aber schon 2017 trat die liberale französische Partei „En Marche“ mit dem Slogan „Make Europe great again!“ an. Im „strategischem Kompass“ haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs 2022 auf eine „Quantensprung“ bei der Aufrüstung verständigt, um die EU „zu einem geopolitischen Akteur der obersten Kategorie“ (EU-Außenbeauftragter Josep Borrell) zu machen. Im Jänner 2025 hat der voraussichtliche neue deutsche Kanzler Friedrich März in einer außenpolitischen Grundsatzrede von „Epochenbruch“ gesprochn. Deren „strategische Kern“: „Stärkung europäischer Souveränität“ durch „Wiederherstellung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit“ (6). Das 800 Milliarden Extra-Aufrüstungsprogramm der EU bricht schließlich alle Dämme, um Europa MEGA zu machen.
Natürlich gibt es (noch) Unterschiede zwischen dem (neo)liberalen MEGA und demjenigen von rechtsaußen. Da wird sogar eine „Brandmauer“ zwischen ihnen inszeniert. Doch diese dient eher dazu, zu verschleiern, dass man sich auf verschiedenen Wegen, ein unterschiedliches Publikum adressierend, dem gleichen Ziel nähert: einem aggressiven europäischen Militarismus mit Weltmachtsambitionen, eine europäisches „Imperium“ (O-Ton EU-Kommissionspräsident Barroso), das danach trachtet, seinen Leistungsbilanzüberschuss in (welt)politische Dominanz umzumünzen und die soziale Gegensätze im Inneren aggressiv nach außen zu richten. Wächst zusammen, was zusammengehört? In der italienischen rechtsaußen Regierung von Giorgia Meloni ist dieser Prozess schon weit gediehen.
MEGA und MAGA teilen dieselbe ideologische rechtsextreme Philosophie, machtpolitisch kommt man sich rasch in die Quere und treibt sich dadurch umso mehr gegenseitig an. Das hat man soeben bei der Münchner Sicherheitskonferenz erlebt.
Wir brauchen eine Brandmauer, aber die richtige. Eine, die sich gegen Militarismus und Großmachtswahn stellt, gegen den Hypernationalismus von „Make Europe great again!“, der die barbarischen Ideologien des Herrenmenschendünkel und des Sozialdarwinismus wieder nach oben spült.
Let`s cooperate!
Wir dürfen nicht verzweifeln. Diese Weltmachtsambitionen sind rückwärtsgewandt und letztendlich zum Scheitern verurteilt. Der Aufstieg der Rechtsextremen ist aufhaltbar. Denn wenn auch die kapitalistische Konkurrenz derzeit zu eskalieren droht, es gibt auch mächtige Gegenbewegungen, die oft noch zu wenig wahrgenommen werden. 40 bis 50 Prozent des Sozialprodukts werden in unseren Gesellschaften in Form öffentlicher Ausgaben über den Staat umverteilt und speisen soziale Dienste und Infrastrukturen von Energie und Verkehr bis hin zu Bildung und Gesundheit. Diese – im weitesten Sinn – Solidarwirtschaft steht zwar immer noch unter der Dominanz der exportorientierten Kapitalwirtschaft, aber sie lässt sich nicht so leicht zurückdrängen, weil sie unverzichtbar für das Funktionieren einer komplexen Gesellschaft geworden ist. Diese Solidarwirtschaft ist die Grundlage sozialer Rechtsansprüche – und damit das Gegengift zur Ideologie des Sozialdarwinismus, wie er für Rechtsextremismus und Neoliberalismus kennzeichnend ist.
Die Welt ist verletzlich geworden. Die kapitalistische Wirtschaftsweise, die auf Verbrennung fossiler Energie, permanente Expansion, Konkurrenzkampf und Kriege gerichtet ist, gefährdet unser Überleben. Um einen Weg aus der atomaren Bedrohung, der sich abzeichnenden Klimakatastrophe, Biodiversitätskrise und schwindender Bodenfruchtbarkeit zu finden, brauchen wir dagegen: Kooperation – solidarisch, Selbstbestimmung und Vielfalt respektierend. Die materiellen Grundlagen dieser Kooperation reifen heran, müssen zügig gefördert werden. Wir müssen den Automobilismus hinter uns lassen, der einer der Grundlagen des industriellen Exportwahnsinns und der Klimakrise geworden ist. Mit einem Bruchteil der bisherigen Auto- (und Flieger)flotte können die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen besser befriedigt werden, wenn der öffentliche Verkehr, vom Hochgeschwindigkeitszug bis zum regionalen MikroÖV ausgebaut wird. Erneuerbare Energien vor allem Wind- und Wasserkraft sind ökologischer, viel dezentraler und egalitärer als Fossil- und Atomkraftwerke. Die Forcierung biologischer und regionaler Landwirtschaft ist nicht nur gesünder für Mensch, Tier und Boden, sie kann auch Grundlage einer weitgehenden Ernährungssouveränität sein, die auf neoliberale Handelsabkommen und tausende fossile Transport-Kilometer verzichtet. In allen Bereichen lassen sich die Konturen einer sozialökologischen und friedensorientierten Alternative ausmachen.
Eine Wirtschaftsweise, die das Primat des Niederkonkurrierens und Dominierens ersetzt durch das Primat der Kooperation ist vorstellbar und wird immer greifbarer. Das erfordert die Befreiung der Gesellschaft vom Diktat der Eigenkapitalrendite und der Rivalität der militärisch-industriellen Komplexe um die Vorherrschaft. LET`S COOPERATE – muss die Antwort auf MAGA, MEGA und andere Scheußlichkeiten eines kapitalistischen Konkurrenzregimes sein, das zu Hochrüstung und Krieg treibt. Diese Antwort muss in einem vielschichtigen politischen Kampf durchgesetzt werden.
Die Hoffnung, dass uns das gelingt, ist begründet. Ein Scheitern können wir uns nicht leisten.
Gerald Oberansmayr
Quellen:
(1) Der Spiegel, 18.1.1993
(2) Zit. Nach „Rheinischer Merkur“, 30.1.1997
(3) Vortrag beim Symposium „Sicherheit, Menschenrechte & Stabilität in Europa und der NATO“, 28.6.1999, Haus der Industrie, Wien
(4) James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011
(5) Kurier, 12.2.2025
(6) Außenpolitische Grundsatzrede von Friedrich Merz bei der Körber-Stiftung, 23.01.2025.