„Travnicek, sie sind kein Demokrat, nicht!“ so seinerzeit der Vorwurf, nachdem dieser angekündigt hat, anstatt wählen zu gehen, sich mit einem Doppelliter Wein zu Hause einzubunkern und zu betrinken, „bis i nimma waas, wir i haas!“
 
Dazu muss man wissen, dass damals noch Wahlpflicht und am Wahltag Alkoholverbot herrschte. Die so verpflichteten sollten ihre Stimme in vollem Bewusstsein abgeben. Jedenfalls reagierte der so Beschuldigte mit dem Sager: „Das hat mir noch niemand gesagt, nicht einmal unter’m Hitler!“ Diese Sequenz Gerhard Bronners und Helmut Qualtingers kommt mir in den Sinn, wenn ich die unzähligen, nicht nur feiertäglichen, rituellen Demokratiebekenntnisse höre. Alle sind bekennende DemokratInnen. Wer kein „lupenreiner Demokrat“ (c Gerhard Schröder über Putin) ist, muss froh sein, über Nuklearwaffen zu verfügen, um mit wirtschaftlichen Sanktionen davon zu kommen. Ansonsten läuft er Gefahr, von glühenden DemokratInnen gleich weggebombt zu werden.
 
Jedenfalls haben wir am 29. September 2019 einen neuen Nationalrat gewählt. Genauer müssten wir sagen, jene die wählen gegangen sind. Die Wahlbeteiligung ist dramatisch gesunken. So kommt es, dass sich die Türkisen, mit ihrer Lichtgestalt, Sebastian Kurz, mit gerade einem Viertel der Stimmen der Wahlberechtigten als vom Volk zur Regierungsbildung legitimiert betrachten. Das ist so ziemlich das Einzige, was wir mit einigermaßen Gewissheit nach dieser Wahl sagen können, aber eigentlich auch schon vorher wussten: Kurz wird Kanzler.

Was sich auch mit einigermaßen Gewissheit sagen lässt: Am liebsten wäre den Eliten als notwendiger Partner bei der Regierungsbildung die G in Wien rünen. Warum? Darüber lässt sich nur spekulieren. Geht es um das Ingangsetzen eines neuen „grünen“ industriellen Zyklus, um mit E-Cars der Automobilindustrie einen zweiten Frühling zu verschaffen? Jedenfalls schwärmt auch WKO-Boss Harald Mahrer mittlerweile von einem „Green New Deal“. Nach den Abgasskandalen der deutschen Automobilindustrie muss dafür gesorgt werden, dass europäische Industrieprodukte auch weiterhin global abgesetzt werden können. Ist es ein höheres Niveau eines Supranationalismus, für die man die Klimabewegung zu instrumentalisieren versucht? „Unser Regenwald“ heißt es, und da wird schon einmal gefordert, den Zurückgebliebenen diesen abzukaufen, wenn sie nicht selbst für dessen Erhalt sorgen können. Oder geht es um den finalen Schritt zur Herausbildung einer europäischen Armee, inklusive nuklearem Drohpotential. Jedenfalls wird unser grüner Bundespräsident nicht müde, vor europäischen Finanz- und Industriebossen, vor der „Verzwergung Europas“ zu warnen.

Der Wähler hat gewählt. Jetzt darf er sich wieder unterhalten lassen. Spannung und Ungewissheit rühren weniger aus faktischer politischer Programmatik, als aus möglichen Unfällen bei der „control“ der damit verbundenen „message“. Werden die Wahlwerbenden vor der Wahl nach möglichen Koalitionen gefragt, antworten sie gebetsmühlenartig: „Jetzt ist einmal der Wähler am Wort!“ Die Folge: Dieser wählt, er weiß aber nicht, welche Politik er damit wirklich wählt.

Ich selbst habe einige Zeit damit spekuliert, Pamela Rendi-Wagner zu wählen. Die einfache Überlegung war: Wenn eine Vertreterin einer zweifelhaften SchauspielerInnendynastie Rendi-Wagner ungestraft beleidigen darf, dann darf ein in die Jahre gekommener Mann die charmanteste Frau wählen, die die österreichische Politik je hervorgebracht hat. Einfach, weil ihr Lächeln sein Herz erwärmt, wenn er sie auf Plakaten sieht. Das ist schon was. Heute bin ich froh, mich wie Travnicek verhalten zu haben. Von Traiskirchen bis Innsbruck wird von Porschefahrern mittlerweile an Pamelas Sessel gesägt. Eine Horrorvision, dass sich diese Typen ohne jegliche ernsthafte emanzipative politische Positionierung auch noch auf meine Stimme berufen könnten.

Die EU-Verträge kann man/frau nicht abwählen. Diese Tatsache gibt Anlass auf ein demokratisches Ereignis dieser Republik hinzuweisen: die jährliche Vollversammlung der Solidarwerkstatt Österreich. Freilich, dafür ist mehr erforderlich, als irgendwo ein Kreuzchen zu machen. Man/Frau muss ihren Arsch bewegen. Diesmal wollen wir uns explizit mit der Frage beschäftigen: Leben wir in einer Demokratie? Demokratie heißt Volksherrschaft, haben wir in der Schule gelernt. Das mutet als Widerspruch in sich an. Warum soll das Volk über sich selbst herrschen? Das Volk herrscht immer. Ohne Volk gibt es keine Herrschaft. Ein zum Islam konvertierter Kommunist erklärte mir einmal: „Wer herrschen will, muss sich zunächst selbst beherrschen!“ Die Solidarwerkstatt bietet dafür eine Möglichkeit. Um allen, auch jenen die weit entfernt wohnen, das zu ermöglichen, hat der Vorstand beschlossen, allen die Fahrtspesen zu ersetzen. Um das zu finanziell zu stemmen, wird ein TeilnehmerInnenbeitrag von Eur 10,- eingehoben. Wem das zuviel ist, der möge bei der nächsten Wahl irgendwo ein Kreuzchen machen und sich dann vor dem Bildschirm unterhalten lassen.

Boris Lechthaler
(Oktober 2019)
 
26. Vollversammlung der Solidarwerkstatt Österreich
Sa, 9. November 2019
11 Uhr, Veranstaltungsraum Waltherstraße 15, 4020 Linz
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