Rede des bekannten Sachbuchautors Hans-Henning Scharsach beim Großen Treffen des Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus am 9.10.2021 in Puchberg bei Wels. Er setzt sich mit der Frage "Ist die FPÖ regierungsfähig?" auseinander, angesichts der mittlerweile fixierten Neuauflage der schwarz-blauen Regierungskoalition in Oberösterreich ein hochaktuelle Frage.

Liebe Freundinnen und Freunde,

das Ergebnis der OÖ. Landtagswahl markiert einen erschreckenden Tiefpunkt unserer demokratischen Kultur. Da stimmten 20 Prozent der Oberösterreicher für eine Partei, die zuletzt wie eine kriminelle Vereinigung in Erscheinung getreten ist.

Die kriminellen Aktivitäten der FPÖ reichen viele Jahre zurück. An die spektakulären Verfahren gegen Peter Rosenstingl, Ernest Windholz, Josef Trenk oder Bernhard Gratzer werden sich die meisten von Euch nicht mehr erinnern. Aber das, was unter Jörg Haider in dieser Partei passiert ist, das müsste den Wählern eigentlich in Erinnerung sein.

Die sogenannte „Buberlpartie“, die unter Haider die Spitze der FPÖ repräsentierte, war in eine ganze Serie von Gerichtsverfahren verstrickt, die mit zum Teil exemplarischen Urteilen endeten.

Wir haben erst kürzlich den Prozess gegen Ex-Finanzminister Karl Heinz Grasser und den ehemaligen FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger in den Medien mitverfolgt. Grasser wurde in erster Instanz zu acht Jahren, Meischberger zu sieben Jahren Haft verurteilt. Diese Urteile sind nicht rechtskräftig.

Viele Dutzend Schuldsprüche anderer ehemalige FPÖ-Politiker aber haben längst Rechtskraft erlangt, u. a. gegen den ehemaligen stellvertretenden FPÖ-Bundesparteiobmann Peter Westenthaler, gegen Ewald Stadler, gegen Gernot Rumpold, gegen Stefan Petzner.

Ähnlich korrupt wie an der Spitze der Bundespartei ging es in Haiders Kärnten zu. Uwe Scheuch, stellvertretender Landeshauptmann und Haiders Nachfolger als Parteiobmann wurde gleich viermal verurteilt. Rechtskräftig verurteilt wurden auch Haiders Nachfolger als Landeshauptmann, Gerhard Dörfler, mit Ex-Landesrat Harald Dobernig ein weiteres Regierungsmitglied und mit Günter Willegger, Landtagsabgeordneter und Leiter der Kärntner Zweigstelle der Nationalbank, einer von Haiders engsten Vertrauten. Haiders langjähriger Sekretär Gerold Mikscha tauchte vor Beginn der Prozesslawine unter und hat sich vermutlich nach Paraguay abgesetzt.

Es sind aber nicht nur Haiders Parteifreunde, die da verurteilt wurden. Es sind auch Haiders Lobbyisten, Haiders Spender, Haiders Steuerberater, Haiders Werbeberater, Heiders Pressesprecher, Haiders Banker und Haiders Koalitionspartner.

Im Verfahren gegen den ehemaligen Kärntner Landesrat und ÖVP-Chef Josef Martinz wurde deutlich, dass dieser eigentlich nur Beitragstäter war. Es war Haider, der Kärnten (ich zitiere aus dem Gerichtsurteil) zum politischen „Selbstbedienungsladen“ gemacht hat. Ausdrücklich hat der Richter festgehalten, dass Haider nur auf Grund seines Ablebens nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Und es sind keine Kavaliersdelikte, für die FPÖ-Politiker verurteilt wurden. Es sind zum Teil schwere und schwerste Verbrechen:  Untreue, Amtsmissbrauch, Urkunden- und Beweismittelfälschung, Bestechung und Bestechlichkeit, Schwerer gewerbsmäßiger Betrug, Nötigung, betrügerische Krida, Spielautomatenbetrug, Falschaussage, Steuerdelikte, gefährliche Drohung, Körperverletzung und sexuelle Nötigung im Amt.

Gegen FPÖ-Politiker der zweiten, dritten und vierten Reihe kommen zahlreiche weiterer Straftatbestände hinzu: Illegaler Waffenhandel, Handel mit NS-Devotionalien, sexueller Missbrauch Unmündiger, Kinderpornographie und viele andere unappetitliche Delikte.

Aber auch das ist noch nicht alles. Dazu kommt eine lange, lange Reihe von rechtskräftigen Urteilen wegen rassistisch oder neonazistisch motivierter Straftatbestände: Verhetzung, Holocaust-Leugnung, nationalsozialistische Wiederbetätigung, Denkmal- und Friedhofsschändung, Herabwürdigung religiöser Lehren, rassistisch motivierte Gewalt und Aufrufe zur Gewalt.

Urteile für solche Delikte ergingen unter anderem gegen den ehemaligen Generalsekretär der FPÖ, Karl-Heinz Klement (Verhetzung), gegen die Nationalratsabgeordneten John Gudenus (Wiederbetätigung), gegen Susanne Winter (Verhetzung), gegen Werner Königshofer (Verhetzung), gegen zahlreiche Landes- Bezirks und Gemeindepolitiker, sowie gegen eine Reihe von Funktionären der Freiheitlichen Jugend.

Liebe Freundinnen und Freunde, eine solche Häufung krimineller Aktivitäten durch Politiker einer einzigen Partei hat es in der politischen Kultur westeuropäischer Demokratien bisher nie und nirgends gegeben.

Und dann kam Strache, dessen kriminelle Energie alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Gemeinsam mit dem Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus versuchte er, Österreichs größtes Medium unter seine Kontrolle zu bringen, damit den politischen Wettbewerb zu verfälschen und die Grundlage unserer demokratischen Kultur auszuhebeln.

Wäre ihm gelungen, was er in Ibiza einzufädeln versucht hat, der materielle, immaterielle und moralische Schaden für unsere Demokratie hätte alles in den Schatten gestellt, was es an kriminellen Delikten in der Freiheitlichen Partei je gegeben hat.

Den Kaufpreis für diesen Anschlag auf die Pressefreiheit wollte Strache den Steuerzahlern aufbürden, indem er der vermeintlichen Oligarchentochter staatliche Aufträge für eine noch zu gründende Baufirma in Aussicht stellte.

Zu schlechter Letzt haben wir es jetzt mit Straches Nachfolger zu tun: mit Herbert Kickl. Der heutige FPÖ-Chef empfindet Verurteilungen von FPÖ-Politikern nicht als Schande für die Partei, sondern (Zitat) „als Schande für Österreichs Justiz“.

Kickl hat vorgeschlagen, die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft zu setzen. Im Parlament verhöhnte er jene, die einst vor dem NS-Terror flüchten mussten, als (Zitat) „Davongelaufene“, die heute „verhätschelt“ werden. Und er hat mehrfach versucht, demokratische Grundrechte außer Kraft zu setzen.

Unter anderem hat er (Zitat) „Platzverbot statt Denkverbot“ gefordert. Mit Platzverbot meinte er Einschränkung des Demonstrationsrechtes, Denkverbot ist jener Ausdruck, mit dem Neonazis seit vielen Jahren gegen das Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung agitieren.

Ein Innenminister, der das Demonstrationsrecht attackiert und sich dabei der typischen Neonazi-Terminologie bedient: Dieses Beispiel zeigt, was sich die ÖVP im Ernstfall alles gefallen lässt, wenn sie erst einmal eine Koalition eingegangen ist.

Fast alle FPÖ-Politiker, die neben Kickl in der ersten Reihe stehen, gehören deutschnationalen schlagenden Studentenverbindungen an. Diese Burschenschaften haben sich vom Erbe des Nationalsozialismus nie getrennt und agieren eindeutig verfassungswidrig.

Österreich hat sich in seiner Bundesverfassung dazu verpflichtet, „alle Spuren des Nationalsozialismus“ aus Gesellschaft und Politik zu tilgen. Wir sind uns einig, was „Spuren“ bedeutet: auch kleinste Teile.

Die Burschenschaften aber halten bis heute am Arier-Paragrafen der Nazis fest. Dieses rassistische Abstammungsprinzip zählt zum Schlimmsten, was der Nationalsozialismus hervorgebracht hat. Der Arier-Paragraf war Ausgangspunkt und Vorbereitungshandlung der grausamsten Verbrechen des Nazi-Terrors.

Das gleiche gilt für die so genannten „Volksgemeinschaft“. In der wissenschaftlichen Literatur wird die Volksgemeinschaft als „Wesenselement der nationalsozialistischen Staatstheorie“ beschrieben. Der Deutsche Verfassungsschutz bezeichnet die Volksgemeinschaft als „Wunschbild der Neonazis“.

Für die Volksgemeinschaft gilt dasselbe wie für den Arier-Paragrafen: Auch diese traf die Unterscheidung zwischen den Zugehörigen der deutschen Herrenrasse und den so genannten Fremdrassigen, die ausgegrenzt, geächtet, verfolgt, beraubt, als Zwangsarbeiter ausgebeutet, in Konzentrationslagern interniert und zuletzt millionenfach ermordet wurden.

Es hat bis 1990 gedauert, bis sich die FPÖ unter Jörg Haider von dieser Erblast der Nazis befreite und die Volksgemeinschaft aus dem Parteiprogramm löschte. Und dann wurde 2011 – unter Strache als Parteiobmann und unter Norbert Hofer als redaktionell Verantwortlichem – dieser menschenverachtende Nazi-Begriff wieder in das Parteiprogramm der FPÖ hineingeschrieben. Und keiner hat es gemerkt.

Es gibt noch ein drittes Erbe des Nationalsozialismus, von dem sich Burschenschaften und FPÖ nie getrennt haben. Unsere Verfassung verbietet jede Werbung für Großdeutschland.

Österreichs Burschenschafter und Spitzenpolitiker der FPÖ aber halten unbeirrt an der Vision von Großdeutschland fest. Sie bekennen sich öffentlich als Deutsche und verhöhnen die österreichische Nation als „Hirngespinst“ oder „Missgeburt“.

Als die Wiener Burschenschaft „Olympia“, aus der zahlreiche FPÖ-Politiker und Führer der rechtsextremen Identitären hervorgegangen sind, 1996 den Vorsitz des Dachverbandes der deutschen Burschenschaften übernahm, hat sie allen erstes gefordert, Österreich (Zitat) „in die deutsche Wiedervereinigung einzubeziehen.“ Eindeutiger lässt sich Verfassungsfeindlichkeit nicht artikulieren.

Liebe Freundinnen und Freunde: Ich weiß, ich bin eigentlich am Ende meiner Redezeit angelangt. Habt bitte Verständnis dafür, dass ich noch ein paar Worte über den OÖ Spitzenkandidaten verlieren will. Unser stv. Landeshauptmann Manfred Haimbuchner hat es sich zur Gewohnheit gemacht, die vielen rassistischen und rechtsextremen Skandale aus dem Umfeld der FPÖ einem „rechten Narrensaum“ zuzuordnen.

In Wirklichkeit aber ist Haimbuchner als Landes-Parteiobmann der FPÖ und als Burschenschafter oberster Repräsentant des verfassungswidrigen NS-Erbes von Arierparagraph, Volksgemeinschaft und Großdeutschland-Visionen.

Nebenbei fungierte Haimbuchner als Vorsitzender des WITIKO-Bundes in Oberösterreich, dessen Mitgliederverzeichnis sich liest wie ein „Who is Who“ der deutschen Rechtsextremisten-Szene.

Der WITIKO-Bund tritt nicht nur offen für das verfassungsfeindliche Ziel eines Großdeutschlands in den Grenzen von 1939 ein. Er ist auch Herausgeber des WITIKO-Briefes, in dem sich Textstellen wie diese fanden (Zitat): „Zu den gewaltigsten Geschichtslügen zählen die sechs Millionen ermordeten Juden.“

Hätte Haimbuchner diesen Text selbst geschrieben, er könnte wegen Wiederbetätigung vor Gericht gestellt werden. Nein, er hat ihn nicht selbst geschrieben, aber er ist Vorsitzender eines Bundes, der solche Texte veröffentlicht hat.

Da wundert es nicht, dass Haimbuchner den Fememörder Ernst von Salomon als seinen Lieblingsautor nennt und dass er es sich nicht hatte nehmen lassen, Anton Reinthaller – SS-General und erster FPÖ-Bundesobmann – persönlich zu ehren.

Wo die Burschenschaften stehen, kann man der Webseite des von Burschenschaftern geführten Freiheitlichen Akademikerverbandes entnehmen. Dort fand sich unter anderem der folgende Eintrag (Zitat): „Demokratie schafft immer Unordnung. Sie spaltet das Volk. Sie ist eine Fehlgeburt der Geschichte. Die Hure des Westens.“

Demokratie als „Fehlgeburt der Geschichte“ und „Hure des Westens“ – präziser kann man es nicht auf den Punkt bringen, was uns droht, wenn sich das in Burschenschaften und FPÖ immer noch vorhandene Erbe der Nazis mit der kriminellen Energie dieser Partei verbinden.

Liebe Freundinnen und Freunde: Das ist die Partei, mit der unser Landeshauptmann bis heute koaliert hat und mit der er offenbar weiter koalieren will. Und darum bitte ich Euch: Wenn Ihr wieder zu Hause seid, setzt euch an Eure Computer, macht Eurer Empörung Luft in Form von Leserbriefen, in Form von Mails an Politiker, und durch Beiträge in Sozialen Medien.

Lasst unsere Demokratie nicht in der Menschenverachtung krimineller Rechtspopulisten untergehen. Gemeinsam müssen wir verhindern, dass Koalitionen mit dieser FPÖ in Österreich zum geduldeten Alltag werden.

(9.10.2021)