ImageIn vielen europäischen Ländern sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. Auch in Österreich. Nach jedem neuen Wahlerfolg der äußersten Rechten beklagen VertreterInnen der politischen Mitte diese Entwicklung. Dabei ist es oft genau diese politische Mitte, deren neoliberale Politik den Rechtsextremen die Stimmen zutreibt. Von Bernhard Golob.

Die neoliberale  Katze beißt sich in den rechtsextremen Schwanz.

Oktober 2010: Bei der Landtags- und Gemeinderatswahl kommt die FPÖ auf 27 % der Stimmen. „Sieg der Hetzer“ titelt das „Profil, die KommentatorInnen im „ Standard“ und im „Falter“ sind entsetzt, der (sozial)demokratisch-bürgerliche-grün/liberale Teil der veröffentlichten politischen Meinung in Österreich treibt Ursachenforschung. Wie schafft der Strache das? Diese Karikatur eines Haider-Klons? Mit seinen ewig gleichen Worthülsen von wegen „Ausländer“ und „Österreich zuerst“. Warum fallen sie bloß rein auf ihn, die „Wohlstandsverlierer“? Wo wir ihnen doch eh die ganze Zeit sagen, dass die Rechten schlimme Populisten sind, die nur Scheinlösungen anbieten….

Mittlerweile sehen neue Umfragen die FPÖ bei kommenden Nationalratswahlen bereits in der Nähe von Platz eins, aber die Debatte über die Gründe dafür stagniert. – Dabei wäre es durchaus interessant, den Vormarsch der Rechtsextremen in weiten Teilen Europas in Bezug zu setzen mit dem Vormarsch neoliberaler Politik und Ideologie in die „Mitte“ der Gesellschaft. Denn eines ist offensichtlich: In den meisten europäischen Ländern hat sich das politische Spektrum in den letzten Jahren klar nach rechts verschoben. Die großen politischen Parteien sind sich weitgehend einig über Grundstrukturen einer Politik, die in Richtung neoliberaler Umformung der Gesellschaft geht. Eckpunkte sind etwa Abbau des staatlichen und kommunalen Sektors, Privatisierung, Sozialabbau, Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose, Verschärfung der Asylpolitik, vermehrter Arbeits- und Leistungsdruck, Entsolidarisierung… Debattiert wird zwischen den großen politischen Parteien über das Ausmaß der Einsparungen, über das Ausmaß der Privatisierungen: Die Christlichsozialen und die Liberalen wollen ein bisschen mehr, die Sozialdemokraten ein bisschen weniger - aber die Richtung ist weitgehend unbestritten. Der „rote“ Sozialminister bedauert die Kürzungen im Familienbereich, der schwarze Finanzminister lobt die „Budgetdisziplin“ – aber beide sind sich einig, dass es halt nicht anders geht. Währenddessen wächst die Kluft zwischen Arm und Reich in Österreich wie in der ganzen EU, die soziale Schere geht immer weiter auseinander, und Strache, Le Pen oder Geert Wilders können sich wieder als Verteidiger des „kleinen Mannes“ in Szene setzen.

Es ist nicht zuletzt das betriebswirtschaftliche Denken in Input – Output-Kategorien, das sich immer mehr durchsetzt, immer mehr Lebensbereiche durchzieht. In den Betrieben wie beim Studium, im Gesundheitsbereich wie in der Schule – was zählt sind die Kriterien des Marktes: Leistung, Effizienz, Konkurrenz. Gut ist, was Profit bringt - oder ihn zumindest vorbereitet (etwa im Bildungsbereich). Beispiel Universitäten: Persönlichkeitsbildung, kritische Analyse, gesellschaftliche Reflexion? Uninteressant! Romantische Träumereien von vorgestern! - Stattdessen Mindeststudienzeit, ECTS-Punkte, learning for the test.

Das Denken in den Kategorien von „Ich-AG“ und „Geiz ist geil“ wird zum gesellschaftlichen Mainstream, das „Säurebad der Konkurrenz“ (Karl Marx) dominiert nicht nur die Ökonomie, sondern durchdringt alle Lebensbereiche. Die Sonntagsreden vom sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft werden durch die neoliberale „Modernisierung“ immer offen- sichtlicher zum blanken Hohn. Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher, und die Mittelschicht fürchtet sich – zu Recht - vor dem sozialen Abstieg. Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Teilzeit- und Leiharbeit sind Ausdruck dieser Entwicklung. Mittlerweile sind bereits 29,6 % der unselbständig Erwerbstätigen in Österreich „atypisch Beschäftigte“.

Natürlich sind es die vielzitierten „kleinen Leute“, einst die klassischen WählerInnen der Sozialdemokratie, die diese Entwicklung am stärksten zu spüren bekommen. Nicht ohne Grund wächst ihre Wut auf „die da oben“, die ständig von den „Herausforderungen der Globalisierung“ reden, während sich die Lage der breiten Massen verschlechtert. Und „die da oben“, das sind eben nicht nur die Bürgerlichen, von denen sich die meisten ArbeiterInnen ohnehin kaum je etwas erwartet haben – das sind auch die Spitzen der Sozialdemokratie, die den ganzen Sozialabbau mittragen und schönzureden versuchen. In der Bundes- und Landesregierung, im Siemens-Vorstand, als Berater eines internationalen Baukonzerns oder eines kaukasischen Autokraten.

Und manchmal wird es ja derart deutlich, dass es einem fast die Sprache verschlägt: Ende Februar 2011, kurz vor dem einhundertsten internationalen Frauentag, den auch die Stadt Wien festlich begeht, meldet die Wiener Pflegefirma „Sozial Global“ 385 MitarbeiterInnen (großteils Frauen) beim Arbeitsmarktservice zur Kündigung an. Nicht, um sie abzubauen! Im Gegenteil, auf der Homepage werden sogar MitarbeiterInnen gesucht. Vielmehr handelt es sich um eine klassische „Änderungskündigung“: Die MitarbeiterInnen sollen mit neuen, schlechteren Verträgen wieder eingestellt werden – und damit dann deutlich weniger verdienen. Neoliberalismus pur also. Die Pointe daran: Die Firma „Sozial Global“ ist zu hundert Prozent in der Hand der Wiener SPÖ-Frauenorganisation.

Fälle wie dieser sind nur die Spitze des Eisbergs, aber sie machen die Wut vieler „kleiner Leute“ verständlich, die von klugen KommentatorInnen etwas abfällig „Wohl- standsverlierer“ genannt werden.

Und wohin gehen die Menschen dann mit ihrer Wut? Großteils zu jenen, die die Schuld an der ganzen sozialen Misere bei den „Ausländern“ suchen. Die Rechtsextremen brauchen die Empörung der Menschen nur aufzugreifen und auf jene Sündenböcke hinzuleiten, die auch dem politischen Mainstream suspekt sind: MigrantInnen, AsylwerberInnen, Langzeitarbeitslose, BettlerInnen, Obdachlose…


Schwer wird den Rechten ihr Geschäft nicht gemacht. Wenn die Regierung die Ausländergesetze ständig schikanöser verschärft, wenn Sozialdemokraten „das Boot ist voll“ rufen, wenn die Boulevardpresse vor der Ausländerflut warnt – warum ist HC Strache dann eigentlich nicht längst in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen? Und wenn die meisten österreichischen Landesregierungen (wie in den letzten Monaten geschehen) BettlerInnen immer mehr kriminalisieren, wenn die Behörden statt der Armut die Armen bekämpfen – wie könnten die Regierenden dann glaubhaft der rechtsextremen Hetze gegen die „Asozialen“ entgegentreten? Mit dem Appell an die LehrerInnen , doch mehr Projekte zum Thema „Toleranz“ zu machen, wird man die Folgen der eigenen Politik nicht wegreden können. Und wenn die Stadt Graz, nachdem sie die BettlerInnen gerade aus der Innenstadt vertrieben hat, einen Menschenrechtspreis verleihen will, ist die Doppelmoral nur noch lächerlich.
Der Bürgermeister im Maßanzug, der die BettlerInnen von der Polizei wegschaffen lässt, und der glatzköpfige Skinhead, der einen Obdachlosen zusammenschlägt, sie mögen sich optisch deutlich unterscheiden - ideologisch stehen sie einander durchaus nahe: Sie eint die Ansicht, dass Armut nicht (auch) Ergebnis sozioökonomischer Ungerechtigkeit ist, sondern die Folge von persönlichem Versagen. Also weg mit den „Arbeitsscheuen“! Der Skinhead geht den Weg, den der Herr Bürgermeister gewiesen hat, halt konsequent ein paar Tritte weiter…

Einige der störenden BettlerInnen sind übrigens Roma aus den Staaten des ehemaligen „Osteuropa“. Gerade an ihrem Schicksal wird der Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und der Zunahme des Rechts- extremismus in Ländern wie Ungarn oder Tschechien höchst plastisch. Hannes Hofbauer hat im letzten „Werkstattblatt“ skizziert, wie der Zusammenbruch der „realsozialistischen“ Gesellschaften Osteuropas die soziale Lage der Roma massiv verschlechtert hat: Vor 1989 hatten die meisten Roma eine Wohnung und ein bescheidenes Auskommen als Hilfsarbeiter in Fabriken oder in der Landwirtschaft. Mit der „Wende“ kamen die Fabriks-Schließungen und Privatisierungen, mit ihnen massenhafte Entlassungen. Die Ersten, die es traf, waren die (meist ungelernten) Roma. Die staatlichen Sozialleistungen wurden gekürzt, dafür wurden die Wohnungen zur Ware, ein „Wohnungsmarkt“ entstand. Viele Roma konnten sich ihre alten Wohnungen nicht mehr leisten und zogen in Ghettos am Stadtrand. Aus Not und Arbeitslosigkeit entwickelte sich Kleinkriminalität, die von rechtsextremen Gruppen sogleich zur typischen „Zigeunerkriminalität“ erklärt wurde. Zu einem traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung kam es am 17. November 2008 im tschechischen Litvinow: Im Zuge einer Demonstration gegen den „Zigeuner- terror“ drangen hunderte bewaffnete Rechtsextremisten in das lokale Roma-Ghetto ein und lieferten sich eine stundenlange Straßenschlacht mit Polizisten und Roma. Auf einer deutschen Neonazi-Homepage wurde danach das Verhalten der Nicht-Roma-Bevölkerung des Ortes gelobt: Viele „weiße“ Bürger der Stadt versorgten die Faschisten mit Utensilien für den Straßenkampf und halfen ihnen, sich der Festnahme zu entziehen. - Auch sie sahen offenbar die Opfer der herrschenden Wirtschafts- und Sozialpolitik als die Schuldigen an.


Und wo bleibt das Positive? Was wäre die Alternative? – Die wäre durchaus vorstellbar. Aber dazu bedürfte es eines grundlegenden Bruchs mit der gegenwärtig dominierenden neoliberalen Politik in Österreich und der EU: Ab jetzt das Geld dort holen, wo es reichlich vorhanden ist: bei den multinationalen Konzernen, den Stiftungen, den Finanzjongleuren. (Siemens z.B. hat 2010 Rekordgewinn geschrieben). Also Umverteilung von oben nach unten statt Sozialabbau. Massive Investitionen in Bildung und Gesundheit, ins Sozialsystem, in Wissen- schaft und Kultur, in innovative Arbeitsmarktpolitik, in die Qualifikation von MigrantInnen. - Kürzen kö- nnte man stattdessen bei der Rüstung, bei Battlegroups, bei Euratom.

Mit einer derartigen Politik könnte man den Rechtsextremen besser den Boden entziehen als mit noch so vielen - gut gemeinten - multikulturellen Straßenfesten.

Ein derartiger Paradigmenwechsel ist allerdings schwer vorstellbar innerhalb des Rahmens des EU-Verfassungsvertrages, der Grundlinien neo- liberaler Politik geradezu in den Verfassungsrang erhoben hat. Derart beißt sich die neoliberale Katze quasi selber in den rechtsextremen Schwanz.