ImageWährend die Regierung die Ratifizierung des EU-Fiskalpakts auf Grund des öffentlichen Drucks verschieben musste, werden im sog. innerösterreichischen Stabilitätspakt zentrale Inhalte des EU-Budgetdiktats festgezurrt - und zwar unbefristet. Vor allem die Gemeinden drohen damit völlig unter die Räder zu kommen.


Im Jahr 2010 sind die Investitionen der Gemeinden bereits um 20% eingebrochen. Gemeindebundpräsident Mödlhammer hat das als „Vorgriff auf die Schuldenbremse“ des EU-Fiskalpakts gelobt. Mit dem im Mai zwischen Bund, Ländern und Gemeinden akkordierten innerösterreichischen Stabilitätspakt, mit dem die EU-Vorgaben auf Punkt und Beistrich umgesetzt werden sollen, drohen nun die Gemeinden endgültig auf den Hund zu kommen.

Ausgabenobergrenzen – Gemeindeinvestitionen brechen ein

Der österreichische Stabilitätspakt sieht für Bund, Länder und Gemeinden vor, dass das jährliche Ausgabenwachstum nicht höher sein darf als das Wachstum des Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das bedeutet, alle Investitionen, vor allem die der Gemeinden und dazu gehören Ortswasser, Kanal, Schulen, Kindergärten, Spielplätze, Sportplätze, Feuerwehr, Rettung, Alten und Pflegeeinrichtungen, Straßen, öffentliche Verkehrsmittel, usw. werden gedeckelt. Eine eigenständige, anti-zyklische Wirtschaftspolitik (Keynesianismus), die in Zeiten von Konjunkturabschwung durch öffentliche Mehrausgaben gegensteuert, um ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit zu verhindern und wichtige öffentliche Infrastrukturen zu schaffen, wird dadurch verunmöglicht. Darüber werden in Hinkunft die neoliberalen Technokraten der EU-Kommission in Brüssel wachen. Denn diese Ausgabenobergrenze ist bereits per bereits per EU-Verordnung 1175/2011 im Vorjahr in Kraft gesetzt worden (beschlossen unter maximalem Ausschluss öffentlicher Diskussion und Information). Es sieht vor, dass das jährliche Ausgabenwachstum der öffentlichen Haushalte das BIP-Wachstum, das derzeit durchschnittlich bei rund ein bis zwei Prozent pro Jahr liegt, zu unterschreiten ist. Damit wird wohl die Investitionsquote der Gemeinden nochmals absinken. Zur Erinnerung. Seit dem EU-Beitritt ist der Anteil der Gemeindeinvestitionen am BIP von 1,4% auf 0,59% abgesunken. Das bedeutet – im Vergleich zu 1994 – einen jährlichen Investitionsausfallen von 2,4 Milliarden, akkumuliert über den Zeitraum der letzten eineinhalb Jahrzehnte gar 17 Milliarden.

Dieser Investitionsausfall der Gemeinden geht zulasten der kleinteiligen Wirtschaft und Gewerbetreibenden, und den damit verbundenen vielen Arbeitsplätzen außerhalb der Ballungszentren. Wichtige Infrastrukturen drohen damit zusehends marode zu werden, bis im wahrsten Sinne des Wortes völlig zerfällt oder vorher aus „Sachzwängen“ privatisiert werden soll. Die Ausgabenobergrenze gemessen am BIP ist aber auch deshalb für die Kommunen besonders desaströs, weil gerade die kommunalen Ausgaben für Pflege, Soziales und Gesundheit zu jenen Bereichen gehören, die – auf Grund von Wirtschaftskrise und demographischen Veränderungen – weit über dem BIP wachsen!

Zwei-Zehntausendstel (!) des BIP als Spielraum für die Gemeinden

Als besondere Frechheit ist auszumachen, dass den Gemeinden nach possenreichem Hin und Her – und einer Schauspielerischen Höchstleistung, nämlich einer Vetodrohung von Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer – doch noch von den Ländern ein 20-Prozent-Anteil des gemeinsamen strukturellen Defizits erlaubt wird. Ab 2017 werden strukturelle Defizite der Gemeinden bis maximal 0,02 Prozent, das sind Zwei-Zehntausendstel des BIP!, also rund 60 bis 65 Millionen Euro pro Jahr, als Nulldefizit angesehen zuerkannt. Das so Mödlhammer, “bringt den Gemeinden etwas mehr Spielraum für investitionsintensive Jahre“.

Das Ausmaß der Frechheit solcher Aussagen lässt sich leicht berechnen: der Österreichweite Teiler mit 2357 Gemeinden ergibt ein fragwürdiges Ergebnis für die einzelne Notleidende aber Investitionswillige Gemeinde. Der offensichtlich ernst gemeinte  Spielraum macht 25.456,88 Euro pro Gemeinde für Investitionsintensive Jahre ab 2017 aus. Für wie Dumm werden hier Bürgermeister/Innen, Gemeinderäte/Innen und Amtsleiter/Innen und in weiterer Folge die Bürger/Innen in der Öffentlichkeit vorgeführt?

Zwanzigstel-Regelung = jährliche Sparpakete für die nächsten zwei Jahrzehnte

Ein besonders dicker Hund droht mit der sog. „Zwanzigstel“-Regelung, die ebenfalls per EU-Verordnung bereits im Vorjahr beschlossen wurde und nun bis in die letzte Gemeindestube exekutiert werden soll. Diese Regelung besagt, dass jedes Jahr die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte um ein Zwanzigstel der Differenz zwischen aktuellen Schuldenstand und dem Referenzwert von 60% des BIP verringt werden muss. Im Falle von Österreich bedeutet das jährliche Sparpakete von rd. 2,5 Milliarden für die nächsten zwei Jahrzehnte!

Herunter gebrochen auf die Gemeinden kann/wird das bedeuten, das die Finanzierungsregelung für Pflegefond und die Krankenanstaltenfinanzierung (KAF) aufgrund der Sparmaßnamen im Bund nicht oder unzureichend weiterverlängert werden. Das reißt Löcher in die Gemeindebudgets, ohne dies auch nur annähernd durch den Bund zu bedecken. In der Gemeindebundzeitung „Kommunal“ von Mai 2012 ist es klipp und klar dargelegt was darauf folgen wird: “Die Steigerungsraten für Transferleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich werden drastisch ein gebremst bzw. gestoppt“. Im Klartext: Das Zerschlagen der Strukturen ds Sozialstaats wird somit vom EU- Programm zum Gemeindeprogramm erhoben!

Zeitgleich ist geplant den dicken Hund weiter zu spielen, indem erstmal mehr Abgabenautonomie den Gemeinden zur Kaschierung der desaströsen Fiskalpolitik eingeräumt werden soll, um, wie von der EU vorgesehen, durch „diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen“ (Erhöhung anderer Staatseinnahmen) Überschreitungen beim Ausgabenwachstum in gleicher Höhe auszugleichen. Zum Ausgleich für milliardenschwere Rettungspakete für Banken und Krisenprofiteure, werden die BürgerInnen in den Gemeinde über drastische Gebührenerhöhung gezwungen, die leeren Kassen zu füllen.

Vernaderung und Sanktionen

Doch damit nicht genug. Neben einnahmen- und ausgabenseitigen Maßnahmen sieht der Stabilitätspakt wie bei allen seinen Fiskalregeln die gemeinsame Betrachtung aller Gemeinden eines Bundeslandes vor. Somit liegt es am zuständigen „Landeskoordinationskomitee“, in dem von Vertretern des jeweiligen Landes sowie der jeweiligen Landesorganisation von Gemeindebund und Städtebund einvernehmliche Beschlüsse zu fassen sind, für einen landesweiten Ausgleich von Über- und Unterschreitungen der Einzelgemeinden zu sorgen. Da es durch eine jahrelange Umverteilungsmechanik des Reichtums zugunsten der Vermögenden, schon zweit Drittel der Gemeinden nicht schaffen, Ihr Budget auszugleichen, wird mit dem landesweiten Haben- und Sollausgleich Vernaderung und Neidausbrüchen zwischen den Einzelgemeinden Tür und Tor geöffnet. Dies deshalb, weil alle 5 - 6 Jahre Kommunalwahlen und Bürgermeister/Innenwahlen anstehen und wirklich niemand vor seinen Wähler/Inne als Verlierer, gegenüber wem auch immer, dastehen möchte.

Letztendlich dürfen jene Gemeinden, welche sich aufgrund der maroden Strukturen oder sozialen Verantwortung und Gesinnung sich einem höheren Defizit ausliefern, selbst den Strick wählen, welcher sie in den Abgrund führt, den sog. „Sanktionsmechanismen“.

Geeinigt haben sich Bund Länder und Gemeinden im Stabilitätspakt auf Sanktionen, wiederum dient das EU-Modell als Vorbild. Eine Automatik gibt es nicht, Defizit-Sünder sollen zunächst gewarnt werden, wenn ihnen Sanktionen drohen. Grundlage für die Warnungen sind die (bereits jetzt) an die Statistik Austria gemeldeten Zahlen der Gebietskörperschaften. Der Rechnungshof erstellt dann in den jeweiligen Fällen einen Bericht. Ein Gremium - besetzt mit je zwei Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden - entscheidet im Anschluss über allfällige Strafzahlungen. Die Entscheidung in diesem Gremium muss einstimmig erfolgen, die betroffene Körperschaft, in unserem Fall die Gemeinde, hat kein Stimmrecht. Als Strafen sind Zahlungen in Höhe von 15 Prozent der größten Verfehlung vorgesehen, dies betrifft Abweichungen von der Ausgabenbremse, dem Schuldenstand oder dem strukturellen Defizit. Möglich sind Sanktionssetzungen ab dem Jahr 2012, also heuer.

„Bindend und ewig“

Die Vereinbarungen zwischen Bund, Länder und Gemeinden hatten bisher immer einen einjährigen Geltungszeitraum, der neue Stabilitätspakt wird dem gegenläufig auf Dauer abgeschlossen. Der Grund dafür liegt darin, dass ja auch die auf EU-Ebene vereinbarte Schuldenbremse unbefristet gelten soll. So wie Europakanzlerin Merkel im Ö1 Radio fixierte: Wichtig sei, "dass die Schuldenbremsen dauerhaft in die Rechtsordnungen eingefügt werden, dass sie bindend und ewig gelten!" (31.1.2012) Damit wird auch innerösterreichisch bereits dem EU-Fiskalpakt Rechnung getragen, der ebenfalls keine Kündigungsklausel kennt.

„Außerkrafttretensregeln“ dieses unbefristeten Österreichischen Stabilitätspakts sind nur für den Fall vorgesehen, dass gegen den Willen der Gemeinden oder der Länder Regelungen wie der Pflegefonds oder die Krankenanstaltenfinanzierung auslaufen oder kein Einvernehmen über Nachfolgeregelungen herrscht. Das wird freilich konkret wenig nützen, da das Bundesbudget über die EU-Budgetdiktate (Zwanzigstel-Regelung usw.) genauso auf Jahrzehnte in der budgetären Zwangsjacke steckt.

So, und das genügt, diese Bevormundung der Gemeinden durch willfährige Politiker muss ein Ende haben, denn unsere Gemeinden sind schon jetzt oft am Ende, und damit droht auch die Öffentliche Daseinsfürsorge an Ihr Ende kommen. Das hat uns schon Europazentralbankchef Mario Draghi heuer prophezeit: „ Der Europäische Sozialstaat ist ein Auslaufmodell“, so seine politische Perspektive. Unsere ist das nicht, denn wir brauchen und wollen einen Solidarstaat, mit starken, eingreifenden Armen und dichten sozialen Netzen.

Gemeinden brauchen mehr Macht und mehr Geld – Vorwärts zum Bundes-Gemeinderat!

Das kann nicht durch eine EU-geführte Fiskal-und Wirtschaftspolitik geschehen, denn wir sehen nicht nur im Großen, nein auch hier in unseren Gemeinden, derzeit das Ergebnis dieser neoliberalen Machenschaften. Unter diesen Bedingungen ist die Gemeindeautonomie, verankert im Bundesverfassungsgesetz §118, heute nur mehr ein Schlagwort.

Denn diese steht und fällt mit der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Gemeinden. Nur wenn eine Kommune ihre vielfältigen Aufgaben aus eigener Finanzkraft nachhaltig aufbringen kann, kann die Erfüllung dieser öffentlichen Dienstleistungen im Bereich der Pflege, Bildung, Trinkwasser, Abwasser, Kindergärten, Schulen, Straßen, Sport, Kultur und , und , und, gegenüber seinen Bürgern und Betrieben auf Dauer gewährleisten. Aufgrund der derzeitigen politischen Realitäten, die durch Landes-, Bundes- und EU-Vorschriften vorgegeben werden, werden die Kommunen in ihrer Finanzkraft ausgezehrt. Die Folge ist, dass z.B. in Oberösterreich bereits zwei Drittel der 444 Gemeinden nicht mehr ausgeglichen bilanzieren können, und deshalb immer mehr an Unabhängigkeit verlieren. Das muss sich ändern.

Ich schlage daher vor, die Gewaltenteilung neu zu strukturieren. Ausgehend von den Gemeinde soll eine zweite Kammer der Österreichischen Gesetzgebung, einen sog. Bundes-Gemeinderat, gewählt werden, der in allen für die Gemeinden wichtigen Belangen, insbesondere natürlich Budgetfragen, volles  Mitsprache und Mitentscheidungsrechte bekommt. Nur so kann der Verfall von Entscheidungs- und Infrastrukturen in den Kommunen gestoppt werden.

Vorwärts in den Bundesgemeinderat, um die Gemeindeautonomie wieder zurückzugewinnen!

Rudi Schober, Gemeinderat Ottensheim (OÖ)