ImageÖsterreichs Gemeinden haben die „Schuldenbremse vorgezogen“. Das Resultat ist verheerend: Die kommunalen Investitionen gehen um fast ein Fünftel zurück. Wo und wie ist anhand der Grafiken sehr gut zu erkennen.

 

 

Gemeindebundchef Mödlhammer ist stolz: „Die heimischen Gemeinden haben die Schuldenbremse schon zu einem Zeitpunkt gelebt, als das Wort bundespolitisch noch nicht einmal erfunden worden ist“. (www.kommunal.at) Die Gemeinden, so Mödlhammer, hätten trotz sinkender Ertragsanteile und Steuereinnahmen im Jahr 2010 kein strukturelles Defizit zu verzeichnen gehabt, auch der Schuldenstand sei nur unwesentlich gestiegen. Liest man den Gemeindefinanzbericht etwas weiter, wird freilich klar, wodurch dieses Ergebnis erreicht werden konnte: Beim Sparen auf Kosten der Zukunft. Denn im Jahr 2010 sind die Gemeindeinvestitionen um sage und schreibe 18,1% gesunken. Das ist der bisher massivste Einbruch bei den kommunalen Investitionen seit Mitte der 90er Jahre.

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Gespart wird faktisch bei allen Investitionen, wobei vom Volumen her die kommunalen Dienstleistungen und Versorgungsaufträge (z.B. Wasserver- und -entsorgung, Müllabfuhr), gefolgt von Verkehrs- und Wasserbau und Unterricht, Erziehung, Sport, Wissenschaft am stärksten ins Gewicht fallen (vgl. Tabelle). Damit haben die Gemeinden vorweggenommen, was uns auch auf Bundes- und Länderebene mit der Schuldenbremse droht: eine Zukunftsbremse, die auf Kosten der Leistungen der Daseinsvorsorge und der Qualität von lebenswichtigen Infrastrukturen spart. Und die Arbeitsplätze vernichtet. Gerade kommunale Investitionen sichern oft viele Arbeitsplätze im regionalen Umfeld, auch abseits der Ballungszentren. Der Österreichische Gemeindebund zitiert Studien, wonach 70.000 Euro Gemeindeinvestitionen 1,55 Arbeitsplätze schaffen bzw. sichern. Umgerechnet bedeutet das, dass alleine der Rückgang von 2009 auf 2010 um 368 Millionen über 8.000 Arbeitsplätze gekostet hat.

55.000 Arbeitsplätze vernichtet. Das Schrumpfen der Gemeindeinvestitionen um fast ein Fünftel stellt zwar einen Sprung nach unten dar, folgt aber einer Entwicklung, die mit dem EU-Beitritt beginnt. 1994/95 erreichten die kommunalen Investitionen sowohl absolut als auch als Anteil am Bruttoinlandsprodukt den bisherigen Höhepunkt. Seither geht es kontinuierlich bergab. Von rd. 1,42% Anteil am BIP im Jahr 1994 auf 0,59% sind die Investitionen der Gemeinden auf weit unter die Hälfte zurückgegangen (vgl. Grafik). Das klingt in Prozent wenig, rechnet man aber in Geldbeträge um, ergeben sich beeindruckende Zahlen. Wäre 2010 der Anteil der Gemeindeinvestitionen noch so hoch im Jahr 1994 gewesen, wäre um fast 2,4 Milliarden mehr von und in den Gemeinden und Städten investiert worden. In Arbeitsplätze umgerechnet: 55.000 Menschen könnten einer – hochgradig sinnvollen – Beschäftigung nachgehen. Damit könnte die durchschnittliche Arbeitslosigkeit im Österreich um fast ein Fünftel reduziert werden.

Verlust von Lebensqualität. Insgesamt sind uns allen durch diesen Rückgang im Zeitraum 1994 – 2010 über 17 Milliarden Euro an Investitionen verloren gegangen. Wenn wir uns vor Augen halten, wofür unsere Gemeinden und Städte mittlerweile sorgen, so wird klar, dass der große Teil der Bevölkerung an Lebensqualität und verliert, wenn in den Gemeinden gespart wird. Die Gemeinden sichern wichtige Infrastrukturen für Mobilität und Transport, insbesondere auch den Öffentlichen Personennahverkehr. Gemeinden sorgen für eine Grundversorgung im Sozial- und Gesundheitsbereich, indem sie Kindergärten, Volks- und Hauptschulen oder die meisten Pflege- und Betreuungseinrichtungen errichten und erhalten. Auch in der Errichtung und der Erhaltung sämtlicher Wasser- und Abwasseranlagen spielt die Gemeinde die maßgebliche Rolle. Die Gemeinden sorgen dafür, dass der Müll regelmäßig abgeholt und fachgerecht entsorgt wird. Gemeinden sichern eine vielfältige Grundversorgung im Kultur- und Freizeitbereich, unterstützen die Arbeit von Sport-, Freizeit- und Kulturvereinen. Darüber hinaus haben die Gemeinden eine Vielzahl von Verwaltungsaufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungsbereich.

Beispiele, wie jenes der oberösterreichischen Gemeinde in Saxen, wo im vergangenen Jahr die Decke des örtlichen Schulgebäudes einstürzte, könnten sich also bald häufen, wenn immer mehr bei Investitionen gespart wird.

ImageAnforderungen steigen – Ertragsanteile sinken. Die Finanznot der Gemeinden fällt nicht von Himmel, sie ist politisch verursacht und wohl auch gewollt. Während die Anforderungen an eine moderne, sozial und ökologisch nachhaltige Infrastruktur laufend wächst, wird über die EU-Ebene ein rigides neoliberales Regime verordnet, das die öffentlichen Einnahmen austrocknen lässt. Bei den Gemeinden zeigt sich diese Diskrepanz besonders deutlich: Die steigenden sozialen Anforderungen (z.B. vorschulische Erziehung, Pflege, Armutsbekämpfung) haben dazu geführt, dass die kommunalen Ausgaben für soziale Wohlfahrt 2008/2010 um 16,4% oder 268 Millionen gewachsen sind. Im selben Zeitraum sind die vom Bund an die Gemeinden überwiesenen Ertragsanteile, die den Hauptteil der kommunalen Einnahmen darstellen, um 344 Millionen oder 6,7% gesunken. Die Folge: Die sog. „freie Finanzspitze“, also jener Teil der Gemeindefinanzen, der für investive Zwecke im eigenen Gemeindehaushalt zur Verfügung steht, schrumpft rapide: von plus 623 Millionen im Jahr 2007 auf minus 7 Millionen im Jahr 2009. Immer mehr Gemeinden werden daher zu sogenannten Abgangsgemeinden, d.h. die Ausgaben aus dem ordentlichen Haushalt übersteigen die ordentlichen Einnahmen, sodass sie unter Kuratel der Landespolitik geraten, also faktisch entmündigt werden. Knapp die Hälfte aller österreichischen Gemeinden befanden sich 2010 in dieser misslichen Situation. Der Bürgermeister von Grein (OÖ), Manfred Michlmayr verdeutlicht, was das heißt: „Ein Einsatzfahrzeug unserer Feuerwehr hatte eine Reifenpanne. Die Reifen waren 21 Jahre alt! Was tut man? Auf den Felgen zum Einsatz fahren? Natürlich kauft man neue Reifen. Halt, das geht nicht! Wir warten seit zwei Monaten gespannt darauf, ob unser untertänigstes Ansuchen bewilligt wird. Allein die Tatsache, dass man Selbstverständlichkeiten genehmigen lassen muss, sie werden sonst in der Abgangsdeckung nicht ersetzt, ist unmöglich, demütigend, schwachsinnig und produziert nur völlig überflüssigen Aufwand.“ (Bezirksrundschau Perg, 1.12.2011).

Politische Entmündigung und die von oben dekredierte Zwangsverwaltung ziehen sich in der EU mittlerweile von den Parlamenten der einzelnen Mitgliedsstaaten bis zu den kleinsten Gemeindestuben. Gewählte VolksvertreterInnen haben immer weniger zu reden. Wenn wir uns mit diesem Marsch zurück in vordemokratische Verhältnisse nicht abfinden wollen, müssen wir das neoliberale EU-Korsett abschütteln.