ImageDie Gemeindeautonomie ist heute nur mehr ein Schlagwort. Mit dem Österreichischen Stabilitätspakt kommen die Kommunen finanziell und politisch noch mehr unter die Knute. Rudi Schober, Solidarwerkstatt-Aktivist und Gemeinderat in Ottensheim, fordert einen Bundes-Gemeinderat, um die Gemeindeautonomie zurückzugewinnen und die Verfügung über die öffentlichen Haushalte zu demokratisieren.


Mit dem Beschluss eines Bundesverfassungsgesetzes im Rahmen der Gemeindeverfassungsnovelle 1962 über die Regelung der Grundsätze des Gemeinderechts und Verhältnisses zwischen Bund, Länder und Gemeinden, hat der Nationalrat am 12. 07. 1962 ein im Jahr 1925 gegebenes Versprechen bestätigt. 

Bundesverfassungsgesetz Artikel 118 (4) Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen und unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen.

Der Steirische Landeshauptmann Josef Krainer sen. hat im März 1963 den eigentlichen Kern der Kommunalen Selbstverwaltung klar beschrieben:

„Der Föderalistische Staatsbegriff, der sich bisher nur auf das Verhältnis von Bund und Länder bezog, schließt nunmehr auch die Gemeinden ein. Sie sind nicht nur territoriale Gliederung der Länder, sondern befinden sich mit ihrer Selbstverwaltung, ihrer wirtschaftlicher Freiheit, ihrem selbstständigen Verordnungsrecht, dem eingeschränkten Aufsichtsrecht des Bundes und der Länder, mit ihrem Weisungsfreien eigenen, gewährleistetem Wirkungsbereich zwar an der untersten, aber bedeutungsvollsten Stelle  unseres demokratischen Staatsgefüges, unseres Bundesstaates.“ (1)

Gestaltungsspielraum auf Null gesunken

Was für die Kommunen verfassungsrechtlich verankert wurde, aber mittlerweile realpolitisch praktiziert wird, lässt Zweifel am demokratischen Willen aller übergeordneten Instanzen aufkommen. Der verfassungsrechtliche Wirkbereich, der frei von Weisungen außerhalb der Gemeinden war,  hat sich durch die Konzentration der Entscheidungs- und somit Machtmonopole rauf bis zu EU-Ebene, faktisch in Luft aufgelöst. Die örtliche Raumplanung sowie die gemeindeübergreifende überörtliche Raumplanung  wurde den Kommunen, da teilweise schon europarechtlich angebunden, schon längst aus den Händen gerissen. Doch auch bei Kernaufgaben wie Kinderbetreuung, Sozialrecht und Vollzug, Baurecht, Vergaberecht oder Dienstrecht ist der Gestaltungsspielraum der Kommunen im eigenen Wirkungsbereich auf Null gesunken. 

Die Entrechtung und Entmündigung der Gemeinden geht aber im marktradikalen Wirtschaftsraum EU mit dem Österreichischen Stabilitätspakt (ÖStP 2011) noch einen Schritt weiter. Nicht nur die gemeindeeigenen Budgets sind  mit dem ÖStP 2011 vorab der übergeordneten Behördenebene zu melden, die wiederum sich verpflichteten, diese 6 Monate vor Beschluss im Parlament zur Begutachtung nach Brüssel zu raportieren.  Nein, die Kommunen werden sogar gezwungen, Überschüsse in ihrem Budget zu erzwingen, damit länderweise ausgeglichene  Maastricht-Ergebnisse erreicht werden können. Im Falle einer Nichterfüllung dieser Vorgaben oder einer schuldhaften Verletzung von Informationspflichten, wird mit „angemessenen Sanktionen“ von Seiten des Bundes und der Länder gedroht. Ab 2012 müssen die Gemeinden nach Anlage 2 des ÖStP 2011 sogar ihre Mittelfristige Finanzplanung vorab, standardisiert an die Landeskoordinationskomitees übermitteln. (2).

Mit diesen Politisch veränderten  Realitäten ist die Gemeindeautonomie, verankert im Bundesverfassungsgesetz §118, heute nur mehr ein Schlagwort. Denn die Gemeindeautonomie steht und fällt mit der wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Nur wenn eine Kommune ihre vielfältigen Aufgaben aus eigener Finanzkraft nachhaltig aufbringen kann, kann sie die  vielfältigen öffentlichen Dienstleistungen gegenüber ihren BürgerInnen erfüllen: im Bereich der Pflege, Bildung, Trinkwasser, Abwasser, Kindergärten, Schulen, Straßen, Sport, Kultur und, und, und...

Die derzeit vorherrschenden politischen Realitäten -  Landes-, Bundes- und EU-Vorschriften und Gesetze und nun auch noch der ÖStP 2011 – lassen das nicht zu.  In Oberösterreich können bereits zwei Drittel der 444 Gemeinden nicht mehr ausgeglichen bilanzieren, was sie in finanzielle Abhängigkeit bringt bzw. noch weiter finanziell auszehrt. Die Kommunen  müssen Ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie die verfassungsrechtlich verankerte Gemeindeautonomie wieder zurückgewinnen wollen. Das erfordert auch eine tiefgreifende Demokratiereform.

Volles Mitentscheidungsrecht für Bundesgemeinderat !

Ich schlage vor, die Gewaltenteilung von unten her neu zu strukturieren - von Gemeindeebene über Bezirksgremien bis zu einem Bundesgemeinderat, der als zweite Kammer der Österreichischen Gesetzgebung  in allen Belangen der Gemeinden volles Mitsprache-, Gestaltung-, Entscheidung- und auch Einspruchsrecht von im Nationalrat beschlossenen Gesetzen hat, insbesondere bei Budgetfragen. Das heißt von den Gemeinden her bestimmte und ihnen gegenüber verantwortliche VertreterInnen treten neben dem Nationalrat als Gesetzgebungsorgan – anstelle des weitgehend wirkungslosen Bundesrates.

Statt wie derzeit über die sog. Schuldenbremse und neue EU-Vorschriften dem Parlament das Budgetrecht völlig zu entziehen, muss der gerade umgekehrte Weg gegangen werden: die Demokratisierung der Gestaltung der öffentlichen Budgets, insbesondere durch die Mitbestimmung der Gemeinden über die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben.

Wenn wir nicht wollen, dass Gemeindeautonomie und Demokratie zu einem leeren Schlagwort verkommen, dann muss der Verfall von Entscheidungs- und Infrastrukturen in den Kommunen gestoppt werden. Vorwärts in den Bundesgemeinderat, um die Gemeindeautonomie zurückzugewinnen und die Verfügung über die öffentlichen Haushalte zu demokratisieren!

Rudi Schober
Dezember 2012


Quellen:
(1) Kommunal 9.2011 Seite 26
(2) Kommunal 9.2001 Seite 22