ImageAngesichts der hohen Arbeitslosigkeit wird auch die Forderung nach „Bedingungslosem Grundeinkommen“ (BGE) wieder vermehrt gestellt – sowohl von linker wie neoliberaler Seite. Freilich sind die Intentionen der beiden Seiten unterschiedlich. Und so sehr wir die Beweggründe der fortschrittlichen Befürworter eines BGE teilen – Verhinderung von Armut und sozialer Erniedrigung – so sehr glauben wir, dass die Forderung nach einem BGE in die falsche Richtung geht.

Nicht emanzipatorisch. Auch wenn emanzipatorische Kräfte die Forderung nach BGE aufstellen, das BGE selbst ist es nicht. Emanzipatorisch – im Sinne der Beförderung von Freiheit und Selbstbestimmung aller – können nur Maßnahmen sein, die auch verallgemeinerbar sind, d.h. von jedem und jeder in Anspruch genommen werden können. Das geht beim BGE natürlich nicht. Würden sich zu viele Menschen für das BGE entscheiden, würden (Grund- und Lohn-)Einkommen rasch inflationär verdampfen. Verallgemeinerbar und damit emanzipatorisch ist daher nicht das BGE sondern sind Arbeitszeitverkürzung, Recht auf Arbeit, Ausbau der Sozialversicherung, Mindestlöhne und bedarfsorientierte Mindestsicherungen, Demokratisierung und Humanisierung der Arbeitswelt, usw..

Einfallstor für Neoliberalismus. Das BGE wird auch von hartgesotten neoliberalen Kräften vertreten. Das ist kein Zufall. Denn diese sehen ein BGE als eine willkommene staatliche Lohnsubventionierung, durch die die Kollektivverträge unterlaufen und somit die Löhne massiv gedrückt werden können. So freut sich etwa Werner Götz, Chef der Drogeriekette dm, dass durch ein BGE „die Arbeitskosten extrem sinken würden.“(2) Zugleich öffnet ein BGE auch die Tür für die Privatisierung der Sozialversicherung und anderer öffentlicher Leistungen. Motto: Jeder bekommt eine bestimmte Geldsumme, um sich z.B. am Gesundheits- oder Bildungsmarkt die gewünschten Leistungen privat einkaufen zu können. Wir wissen, wie rasch dadurch Zwei-Klassen-Medizin, Zwei-Klassenbildung, usw. voranschreiten würde. Kollektivverträge, Sozialversicherung und öffentliche Dienste sind – trotz vielfältiger Angriffe  - noch immer tragende Pfeiler von Sozialstaatlichkeit und ArbeitsnehmerInnenrechten. Auf sie zielen daher auch die Hauptattacken der Neoliberalen. So hat die Europäische Zentralbank 2006 eine Studie (1) vorgelegt, in der ein radikales Privatisierungs-, Deregulierungs- und Sozialabbauprogramm  (Reduzierung der Staatsausgaben um mehr als die Hälfte!) mit eindeutigen Sympathien für ein Grundeinkommen verbunden wird -  wohlwissend, dass das eine das Einfallstor für das andere darstellt.

Neue Spaltungslinien. Fortschrittliche BefürworterInnen des BGE sehen zwar auch die Gefahr, dass ein BGE zu Niedriglohn und Privatisierung der sozialen Sicherheit führen kann, wenden aber ein, dass sie ja ein ganz anderes Modell des BGE fordern; eines, das den Sozialstaat weiterentwickelt anstatt ihn zu demontieren. Doch was sich gesellschaftlich durchsetzt, darüber entscheiden nicht ausgeklügelte Modelle, sondern die politischen und sozialen Kräfteverhältnisse. Und genau hier droht das BGE zum Fallstrick zu werden: Denn die Gegenmachtsfähigkeit (und wohl auch ein Gutteil der Würde) der abhängig Beschäftigten resultiert aus ihrer Kompetenz im Arbeitsprozess und ihrer Fähigkeit zu organisiertem, solidarischen Handeln – bis hin zur kollektiven Vorenthaltung dieser Kompetenz im Streik. Mit dem BGE wird diese kollektive Gegenmachtsfähigkeit untergraben, die Verhandlungspositionen der Lohnabhängigen weiter individualisiert und damit geschwächt. Wir brauchen heute mehr denn je politische Programme und soziale Bewegungen, die die immer heterogener werdenden unteren Schichten der Bevölkerung zusammenführen – Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft ebenso wie mittlere Angestellte, kleine Selbständige, ArbeiterInnen, prekär Beschäftigte und Arbeitslose. Nur solche bereiten sozialen Bündnisse können die Macht von Konzernen und der mit ihnen verbunden Staatseliten ernsthaft herausfordern. Es gehört nicht viel Phantasie dazu zu erkennen, dass ein BGE – eben weil es nicht verallgemeinerbar ist – nicht zur Solidarisierung dieser heterogenen sozialen Gruppen führen würde, sondern von oben her leicht dafür instrumentalisiert werden kann, neue Spaltungslinien zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen aufzureißen, um den Gegensatz zwischen der großen Bevölkerungsmehrheit und einer ebenso kleinen wie mächtigen Spitze ganz oben zu verschleiern. Das BGE erleichtert damit das Vordringen des Neoliberalismus, öffnet möglicherweise sogar die Tür in Richtung einer staatlich verordneten Arbeitspflicht zu Dumpinglöhnen.

Wie gesagt: Wir teilen die Grundanliegen vieler fortschrittlicher BGE-BefürworterInnen, aber wir sind überzeugt, dass sich das BGE rasch als neoliberaler Fallstrick entpuppen würde, der zudem schon heute die Verständigung auf fortschrittliche Auswege aus der Krise erschwert. Denn hier und heute lenkt die Debatte um das BGE von der Herausforderung ab, jene Rahmenbedingungen zu überwinden, durch die der Neoliberalismus in Europa einzementiert wurde: das EU-Konkurrenzregime. Denn dieses in den EU-Verträgen festgeschriebene Konkurrenzregime ermöglicht es den Eliten, mitten in der Krise den Neoberalismus nochmals zu radikalisieren. Die wilde EU-Sparpolitik trifft die sozial Benachteiligten besonders hart und verschärft die Wirtschaftskrise zusätzlich. Dringender denn je brauchen wir einen Ausweg aus dieser Sackgasse. In diesem Sinn laden wir zu einer Diskussion über unsere Vorschläge „Solidarstaat Österreich statt EU-Konkurrenzregime“ ein.

Anmerkungen:
(1) sh. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die EZB wirbt für einen Rückzug des Staates, 22.04.2006
(2) zit. nach. R. Roth, „Zur Kritik des Bedingungslosen Grundeinkommens“, 2006, S. 10

aus: guernica 1_2010