ImageAlle wollen den Euro retten - von den neoliberalen Gralshütern in Brüssel bis zu Attac, Gewerkschaftsspitzen und der deutschen “Linken”. Boris Lechthaler (Solidarwerkstatt) hält diesen Schulterschluss für den Euro für fatal. Denn im Kern geht es bei dieser “Euro-Rettung” um Durchgriffsrechte für die Machteliten, um Widerstandspotentiale auf einzelstaatlicher Ebene zu eliminieren und 450 Millionen Menschen unter den Takt einer Produktivitätspeitsche zu zwingen. Letztlich mündet das in einer fundamentalen Machtverschiebung zu Gunsten der deutschen Eliten.  Nicht die Rettung des Euro, sondern der Ausstieg aus dem Euro-Regime, Solidarstaat statt EU-Konkurrenzregime müssen daher für fortschrittliche Kräfte auf der Tagesordnung stehen.

Vor unseren Augen findet ein bizarres Schauspiel statt: die Finanz- und Wirtschaftskrise mündet in einer Herrschaftskrise. Sie erreicht jene Zentren der Verschmelzung wirtschaftlicher mit politischer Macht,  von denen die neoliberale Wende ihren Ausgangspunkt genommen hat. Zum Epizentrum sind die EU und die Eurozone  geworden, bzw. ihre politischen Instanzen. Darin äußert sich ihr gescheiterter herrschaftlicher Anspruch. Der Euro wurde nicht eingeführt, weil es einen einheitlichen EU-Wirtschaftsraum gibt, auch nicht eine einheitliche Eurozone. Mit Binnenmarkt und gemeinsamer Währung sollte ein gemeinsamer Wirtschaftsraum erzwungen werden. Das hat nicht funktioniert.  „Die südeuropäischen Staaten haben das Versprechen, das sie bei der Gründung der Eurozone gemacht haben – mehr Wettbewerbsfähigkeit – nicht eingehalten.“ Chris Patten (eh. EU-Außenkommissar, Die Presse, 27.9.2011) Jetzt steht es Spitz auf Knopf. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder man gibt es auf, oder man sagt: es muss funktionieren! Und wenn es mit den bisherigen Methoden nicht geklappt hat, dann müssen halt andere her. Im Kern geht es um die Herstellung eines zentralisierten Produktivitätsregimes. 450 Millionen Menschen – einem Produktivitätsregime unterworfen – mit diesem Einsatz vermeinen die europäischen Eliten, ihren Platz am Spieltisch der ganz großen Player verteidigen zu können.  Der unbedingte Wille zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung des Euroregimes ist aus der Perspektive der Machteliten deshalb verständlich. Und so konnte die Deutsche Bank schon am 5.8.2011 selbstsicher verkünden: „Der Euro kommt vergleichsweise schwach daher – seine Existenz ist aber nicht gefährdet. Alle Beteiligten werden für ihn kämpfen, nicht zuletzt Deutschland.“ (DWS active, 5.8.11)

„Die Zeit ist reif, um echte europäische Führungsstärke zu beweisen…“ Das ist folgerichtig, kommt aber aus der anderen Ecke, von Bernadette Ségol, Generalsekretärin des EGB (17.9.2011). Woher der Wille zur Rettung des Euro im ganzen Reihum des politischen Spektrums? Und das nicht einmal verlegen. Mit einem „Rettet den Euro“ auf den Lippen stürzen sich junge und ergraute europäische Freiheitshelden auf die Hydra, Finanzmärkte, vor der „die Politik weiterhin wie das Kaninchen vor der Schlange…sitzt“  (Marica Frangakis, Attac-PA, 16.09.2011) Und so heißt es im Manifest zur Eurokrise von Attac-Deutschland: „  Sahra Wagenknecht („Die Linke“) ist alarmiert: „Wenn Griechenland in den Bankrott getrieben wird, fliegt die Eurozone auseinander.“

Die europäischen Eliten sind eine Wette eingegangen und wären knapp daran sie zu verlieren, würden nicht ausgerechnet jene zu Hilfe gerufen, auf deren Leben gewettet wurde. „Wir schaffen es, dass 450 Millionen EuropäerInnen nach unserer Pfeife tanzen.“, so lautet der Inhalt der Eurowette unserer Eliten. Wenn man sich auch in entspannteren Zeiten für Demokratie und Menschenrechte, ein sozialeres Europa, ein bedingungsloses Grundeinkommen, ein neues Geld, eine Gemeinwohlökonomie oder gar den Sozialismus, europäisch oder vielleicht gleich global, engagiert, so könne man das Establishment  jetzt in seiner Ratlosigkeit nicht hängen lassen. Deshalb alle in die Hände gespuckt und ran.

Die einen verkünden die Drohbotschaft: Ohne Euro seien wir schutzlos chinesischen junk Produkten und den Finanzhaien der Wall Street ausgeliefert. Die anderen die Frohbotschaft: mit dem Geld der Reichen retten wir den Euro und treten ein in die neue europäische Epoche des Friedens, des Fortschritts und der Eierkuchen. Eine Warnung geht um: Unter uns gäbe es Leute, die den Euro sausen lassen wollen. Wer wird das wohl sein? Auch FPÖ und BZÖ besetzen mit ihrem Modell einer Hartwährungsunion, eine Art Anschluss ohne Wehrmacht, nur den anderen Ausgang, wenn es mit der „Blitzzentralisierung“ (C. Michael Fleischhacker) nichts wird. Ebenso wie die Unkeuschheit nicht nur in Werken, sondern bereits in Gedanken und Worten sündhaft ist, soll offenkundig auch der bloße Gedanke an ein Leben ohne herrschaftliches Europrojekt eine Bekreuzigung auslösen.

Sind Euro-Rettung und eine demokratische und solidarische Wende denkbar? Ist der Euro ein neutrales Gefäß in das sich beliebig einmal reaktionärer Herrschaftswille, ein andermal Solidarität und Befreiung gießen lassen? Schiebt man die jeweilige Rhetorik beiseite wird ein einfacher machtpolitischer Funktionszusammenhang sichtbar. Die politische Macht muss zentralisiert werden. Dieses Zentrum braucht „Durchgriffsrechte“ (Angela Merkel bei Günter Jauch, 26.9.2011) bis in die europäische Peripherie. Darauf läuft jegliche Eurorettung hinaus. Und so kommt u. a. auch Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im deutschen Bundestag zum Schluss: „Frau Bundeskanzlerin, wenn ich etwas zu entscheiden gehabt hätte, dann hätte ich den Griechen auch Bedingungen gesetzt. Das muss man auch. Wenn man denen Geld gibt, dann darf man das…“ (zit. nach Akin, Nr. 21. 2011)

Genügt es einen zentralisierten politischen Willen mit fortschrittlichen Bedingungen zu verknüpfen? Mit Finanztransaktions- und Reichensteuern wolle man die Töpfe füllen, aus denen dann die gemeinsamen Standards gesichert werden. Das klingt verlockend. Erscheint es doch ganz mühelos. Allein, es kann nicht funktionieren. Die aufgehäuften Vermögen sind Ergebnis der Umverteilung von unten nach oben und der handelspolitischen Ungleichgewichte.  Jede Strategie zur Überwindung der Krise wird diese Vermögensmassen abschmelzen müssen. Fiktiver Reichtum steht für reale Umverteilungsprozesse nicht zur Verfügung. Umverteilt werden nicht reale Güter- und Leistungsströme, sondern Entscheidungsmacht. 

EU-Treuhand. Und so kommt es, dass der griechische Ministerpräsident Papandreou bei seinem Deutschlandbesuch, nicht bei irgendwelchen Börsehändlern einen Auftritt hat, sondern beim Bund der deutschen Industrie. (Die Presse, 27.09.2011) Was da wie vor sich gehen könnte, skizziert die Agentur Roland Berger, die „größte Strategieberatung mit europäischen Wurzeln“: „Die (griechische) Regierung gründet eine Holding, die veräußerbares öffentliches Vermögen wie Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Immobilien im Wert von 125 Mrd. zusammenfasst… Die Holding wird dann an eine europäische Institution verkauft…, die einzelne Vermögenswerte ohne Eile und zu vernünftigen Preisen weiter(zu- )verkaufen. Da zu den anvisierten Assets auch verlustbringende Staatsfirmen zählen,  für die sich in ihrem jetzigen Zustand kaum ein Käufer finden ließe, soll die EU-Treuhand zusätzlich etwa 20 Milliarden investieren, um diese Unternehmen zu sanieren. EU-Infrastrukturmittel von 15 Mrd. könnten dafür zusätzlich eingesetzt werden.“ (Die Presse, 27.9.2011) Dafür braucht man dann die Eurobonds, zur öffentlichen Finanzierung privater Unternehmenssanierungen.  Für Sozialleistungen, Bildung u. a. werden sie mit Sicherheit nicht zur Verfügung stehen. Das sind die „neue(n) Aussichten“, die laut EGB das „Bündeln von Risiken“ bietet.
 
Die Rettung des Euro mündet in einer fundamentalen Machtverschiebung zu Gunsten der deutschen Eliten. Mit welchen Eigenschaftsworten diese versehen wird, bleibt letztlich ebenso zweitrangig wie die Frage, ob diese Verschiebung institutionell oder informell durchgezogen wird. Peinlich mutet das von elder statesmen und fortschrittlicher Opposition vorgetragene Lamento über die Zögerlichkeit der Regierung Merkel an: Warum sollte von jemandem, der sicher sein kann zu gewinnen, Hektik verlangt werden, wenn mit jeder Minute der Preis, den er dafür bekommt, steigt?  Sollten EU-Staaten nicht zu Vertragsänderungen mit Durchgriffsrechten für das Berliner Kabinett bereit sein, dann kann immer noch ein „kerneuropäischer Anleihemarkt“ entstehen, als „Fels in der Brandung, mit starker Liquidität und Bonität“ (Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission, Der Standard, 24.9.2011).

Österreich ist Teil dieses Kerneuropas und unterfüttert damit diese Machtverschiebung. Solidarstaat statt EU-Konkurrenzregime, Schilling statt Euro, sind deshalb ein lebendiger Beitrag zu europäischer Solidarität.