Der Rechtsextremismus erweist sich nicht nur als Nutznießer und Helfershelfer des neoliberalen EU-Konkurrenzregimes. Rechtsextremismus und EU-Konkurrenzregime marschieren auch ideologisch im Gleichklang. Sieben Thesen und eine Schlussfolgerung.
1. Nährboden: Ununterbrochene Kränkung und Angst
Moreau beschrieb im „Brennstoff“ treffend, wie das neoliberale Konkurrenzregime die Gesellschaft vergiftet: „Im real existierenden Neoliberalismus wurde uns die Idee der Selbstoptimierung untergejubelt. Wir sollen in Wahrheit gerade nicht wir selbst sein, sondern anders, eben: besser werden. Wenn dir aber einer dauernd sagt, dass du besser, gesünder, kompetenter, kreativer, schöner, intelligenter und, besonders perfide: authentischer werden sollst, sagt er dir zugleich immer, dass du so, wie du eben bist, nichts taugst. Das ist die heimliche, kränkende Kernbotschaft der neoliberalen Selbst-optimierungsdiktatur. Ihr Zweck besteht darin, uns ununterbrochen zu kränken. Diese millionenfache Kränkung, gepaart mit der Angst, im aufgezwungenen Wettbewerb zu versagen, nicht zu genügen, nicht gut genug zu sein, oder noch schlimmer: nicht gebraucht zu werden, überflüssig zu sein, wie es heute immer mehr, vor allem jungen Menschen widerfährt, ist der Boden, auf dem unterirdisch ein Hass heranwächst wie ein Vulkan, der eines nicht allzu fernen Tages ausbrechen wird. Man braucht schon gar kein sehr feines Ohr mehr, um das Brodeln hören zu können.“ (brennstoff Nr. 43, Jänner 2016)
2. Helfershelfer I – Spaltung des sozialen Protests
Diese Angst und Kränkung ist der Nährboden für Rassismus und Rechtsextremismus. Die Rechtsextremen erweisen sich dabei als Helfershelfer der neoliberalen EU-Kapital- und –Machteliten: Sie spalten und lähmen den sozialen Protest, indem sie die Wut nicht gegen die Mächtigen, sondern gegen die besonders Ohnmächtigen kanalisieren. Sie bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen, nicht die Armut, sondern die Armen, nicht die Fluchtursachen, sondern die Flüchtlinge. Anstelle von solidarischem Widerstand tritt Ohnmacht und Führerglaube.
3. Helfershelfer II – Tabuisierung der Alternativen
Freilich kann diese Spaltung und Lähmung nur gelingen, wenn fortschrittliche Kräfte nicht in der Lage sind, solidarischen Widerstand von unten zu organisieren, damit der „brodelnde Vulkan“ sich gegen die unmenschlichen neoliberalen Verhältnisse richtet. Warum geling das in EU-Europa so wenig?
Erstens: In der EU wurde dieses neoliberale Konkurrenzregime durch Verträge im Korsett des EU-Primärrechts einzementiert, so dass Wahlen und Regierungswechsel daran kaum etwas ändern (sh. S. 15). Um EU-Primärrecht neuzugestalten, braucht es eine Verfassungsmehrheit in allen 28 EU-Staaten – gleichzeitig! Wer die Erfahrung gemacht hat, wie schwierig es für Bewegungen von unten ist, auch nur in einem einzigen Land eine solche Mehrheit zu erreichen, der weiß, dass es faktisch unmöglich ist, das in 28 gleichzeitig zu schaffen.
Zweitens: Die einzig reale Alternative – nämlich dieses EU-Korsett zu verlassen - wird mit allen Mitteln tabuisiert. Diese Tabuisierung des EU-Austritts – insbesondere für linke Kräfte - konnte nur mit Hilfe einer extremen Rechten gelingen, die „EU-Opposition“ vorgaukelt. Das sind freilich „alternative facts“, die Trump neidisch machen würden, denn die FPÖ war nie „EU-oppositionell“, geschweige denn für den EU-Austritt (sh. dazu auch die Thesen 6 und 7). Man könnte die FPÖ diesbezüglich tagtäglich der Lächerlichkeit überführen, doch daran besteht herrschaftlich kein Interesse. Im Gegenteil: Seit mehr als zwei Jahrzehnten trommeln alle großen Medien die Botschaft: „Wer gegen die EU ist, ist rechtsextrem bzw. sitzt mit den Rechtsextremen in einem Boot.“ Für fortschrittliche Kräfte, die unter diesem Trommelfeuer zusammengebrochen sind, schnappte eine perfide Falle zu. Der Niedergang der SPÖ verdeutlicht das. Vor den Wahlen verspricht die SP-Führung sozialdemokratische Politik, um dann in der Regierung neoliberale Politik zu machen, weil im Rahmen dieses EU-Regimes eine wirkliche sozialdemokratische Politik nicht möglich ist. Da man den Ausweg aus diesem Dilemma – den Ausstieg aus diesem EU-Regime - zum absoluten „No go“ erklärte, mussten WählerInnen und Mitglieder systematisch enttäuscht werden. Erst dadurch wurden die Schleusen für die rechten Rattenfänger sperrangelweit geöffnet. Kurz gefasst: Die extreme Rechte gaukelt EU-Opposition vor, damit die Linke keine reale EU-Opposition betreibt. Jeder politische Raum für eine reale Alternative zum Neoliberalismus wird im Keim erstickt.
Die EU zu verteidigen, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen, führt in die völlige politische Schizophrenie. Nicht nur weil das EU-Regime der Nährboden für Rechtsextremismus ist und die Rechtsextremen die Helfershelfer der EU-Eliten sind, sondern auch weil EU-Regime und Rechtsextremismus ideologische Brüder im Geist sind.
4. Ideologischer Gleichklang I – Sozialdarwinismus
Rechtextremismus und Neoliberalismus wurzeln in der Ideologie des Sozialdarwinismus, d.h. der Verachtung der Schwächeren, derjenigen, die in der brutalen Ellbogengesellschaft nicht mithalten können. Der EU-Binnenmarkt, die EU-Währungsunion und die EU-Freihandelsverträge sind eine Konkurrenzmaschine, die die arbeitenden Menschen in gnadenlose Konkurrenz auf kontinentaler, ja globaler Ebene zueinander bringt, um die Interessen der großen Konzerne durchzusetzen. Der „glühender Europäer“ Alexander Stubb, damals finnischer Europaminister, verherrlicht offen diese menschenverachtende Ideologie: „Der Euro ist im Grunde eine darwinistische Währung geworden. Es gilt das Prinzip vom Überleben des Stärkeren.“ Staaten wie Griechenland, die in dieser Konkurrenz unterliegen, kommen unter die neokoloniale Bevormundung von Brüssel und Berlin. Das Ziel des deutschnationalen Rechtsextremismus, die Dominanz der Berliner Machteliten über den Kontinent, ist Resultat dieses EU-Konkurrenzregimes.
5. Ideologischer Gleichklang II – Supernationalismus
Sozialdarwinismus ist die ideologische Grundlage für Chauvinismus, Überlegenheitswahn und Herrenmenschendünkel. Militarisierung und Krieg sind die Fortsetzung des globalen Konkurrenzkampfes der Konzerne mit anderen Mitteln. Der frühere britische Premierminister Tony Blair räumt selbst mit dem Mythos der „Friedensmacht EU“ auf: „Heute geht es für Europa nicht mehr um Frieden. Es geht um Macht“ (Profil, 9.5.2017). Die EU-Eliten starten derzeit eine regelrechte „Rüstungsrevolution“ (Mogherini), als reaktionäre Flucht nach vorne aus der Dauerkrise, in die der Neoliberalismus geführt hat. James Rogers, ein führender sicherheitspolitischer Berater des EU-Rats, hat den machtpolitischen Kern der EU prägnant zusammengefasst: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden.“ Auch die rechtsradikale Bewegung der „Identitären“ beschwört die waffenstarrende „Nation Europa“. Sehr zur Freude der extremen Rechten werden die EU-Außengrenzen abgeschottet und militarisiert. Im Drang nach einem autoritären , hochgerüsteten „4. Reich“ wächst zusammen, was zusammengehört: EU-Konkurrenzregime und Rechtsextremismus.
6. Ideologischer Gleichklang III – Hass auf die 2. Republik
Nach dem 2. Weltkrieg war der Hass auf die kleinstaatliche 2. Republik und ihre Grundlagen – Staatsvertag, Neutralität, Verstaatlichtengesetze – Monopol des deutschnationalen Rechtsextremismus. Lange Zeit war die FPÖ die einzige Partei, die einen EG-Beitritt propagierte, sah sie darin doch eine Möglichkeit, den Anschluss an Deutschland durch die europäische Hintertür zu erreichen. Doch im Vorfeld des EU-Beitritts kam es zu einer bemerkenswerten Rochade. Die historische Agenda des deutschnationalen Rechtsex-tremismus – die Demontage der 2. Republik – wurde von den Regierungsparteien übernommen, weil Neutralität, Verstaatlichte Industrie, nationale Unabhängigkeit – im Widerspruch zur EU-Integration standen. Süffisant vermerkte dazu der FPÖ-Rechtsaußen Otto Scrinzi: „Hatte man bisher die Europapolitik der Freiheitlichen als staatsvertragsgefährdend, neutralitätswidrig und anschlussverdächtig vernadert, rissen die beiden Altparteien die europäische Meinungsführerschaft nun an sich und traten in ernsthafte Beitrittsverhandlungen ein. Diese endeten schließlich 1994 mit dem berühmten ‚Ohne-Wenn-und-Aber-Beitritt‘ zur EU" (in: Europa im rechten Licht, Wien 2004). Die FPÖ konnte in den darauffolgenden Jahrzehnten phasenweise sogar in Opposition zu ihrem eigenen Programm gehen und ihren Hass auf die 2. Republik durch vordergründigen rot-weiß-rot Patriotismus bemänteln. Das hatte für beide Seiten Vorteile: Die FPÖ erlebte als – scheinbare – Anti-Establishmentpartei ungeahnte wahlpolitische Erfolge. Und das EU-Establishment konnte das historische Programm der extremen Rechten ohne den altrechten Mundgeruch viel effizienter umsetzen, indem jene, die sich dem entgegenstellen, als rechtsextrem denunziert wurden.
7. Helfershelfer III – Militarisierung und Sozialabbau
Sobald die FPÖ in Regierungsverantwortung aufstieg, bewies sie umgehend ihre völlige EU-Konformität. Einige Stichworte aus der Zeit der schwarz-blauen Regierungszeit 2000 bis 2006: Teilnahme an EU-Battlegroups, EU-Osterweiterung, Eurofighter-Ankauf, große Privatisierungsprogramme, asoziale Pensionsreformen. Auch jetzt, wo sich die FPÖ erneut auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet, legt das blaue Führungspersonal ein Programm vor, das in jeder Hinsicht den Ambitionen des EU-Establishments, insbesondere der deutschen Machteliten, entspricht: Strache, Hofer und Haimbuchner fordern die weitere Zentralisierung der EU-Militärpolitik und die Teilnahme Österreichs an einer EU-Armee. Namhafte FP-Politiker treten für die Zerschlagung der Kollektivverträge ein; das aktuelle freiheitliche Wirtschaftsprogramm stammt direkt aus der Mottenkiste von EU-Kommission und Industriellenvereinigung: strikteste Umsetzung der Vorgaben des EU-Fiskalpakts mit Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben in der Höhe von sagenhaften 14 Milliarden Euro. Hier wird ein weiterer Großangriff auf ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose, auf unser Pensions- und Gesundheitssystem vorbereitet (Dazu als update das Regierungsprogramm der VP/FP-Regierung).
Schlussfolgerung: Raus aus der politischen Schizophrenie!
Der Aufstieg des Rechtsextremismus ist aufhaltbar. Voraussetzung: Die fortschrittlichen Kräfte müssen endlich aus der politischen Schizophrenie ausbrechen, den Rechtsextremismus dadurch bekämpfen zu wollen, indem man dessen Alter ego – das EU-Regime – für sakrosankt erklärt bzw. die Menschen mit der Illusion einer „sozialen und demokratischen EU“ ins politische Nirwana schickt. Der Bruch mit dem EU-Konkurrenzregime, der Austritt aus der EU, das Ringen um ein unabhängiges und weltoffenes Österreich müssen zentrale Bezugspunkte für emanzipatorische Politik sein. Erst dadurch kann der Raum für soziale und demokratische Alternativen geöffnet werden.
Gerald Oberansmayr
(Juni 2017)