Der Demokratieabbau in und durch die EU läuft vor allem dadurch, dass immer mehr Politikbereiche den gewählten Parlamenten entzogen werden. Eine ganz bestimme Form der (Wirtschafts-)politik - Neoliberalismus, Freihandel, Kapitalverkehrsfreiheit – wird durch das EU-Primärrecht so einzementiert, dass sie einer demokratischen Debatte und Veränderung nicht mehr zugänglich ist. Wir erleben das zunehmende Abgleiten in eine smarte Diktatur, maßgeschneidert für die Interessen der großen Industrie- und Finanzkonzerne. Teil I beschäftigt sich mit der Budgetpolitik.
Smarte Konzerndiktatur I: Budgetpolitik
Plan A bis G:
Budgetpolitik im „neoliberalen Schraubstock“
Seit 2011/12 werden die Parlamente über EU-Verträge (Fiskalpakt, ESM) sowie EU-Verordnungen und -Richtlinien (EU-Sixpack, Two-Pack) in ihrem demokratischen „Kronjuwel“, dem Budgetrecht, zunehmend entmündigt. Wie aus der Grafik ersichtlich hat die EU-Technokratie eine Reihe von Instrumenten in die Hand bekommen, die Staaten in einen neoliberalen Schraubstock zwischen den „entfesselten Finanzmärkten“ und EU-Budgetdiktaten einzuklemmen (sh. Grafik 1):
Plan A – ESM und „Rettungsschirme“: Wenn ein Land im EU-weiten Freihandel niederkonkurriert worden ist und die „internationalen Finanzmärkte“ daraufhin kein Geld mehr zur Verfügung stellen (oder nur mehr zu exorbitanten Zinsen), dann spannt sich über Schuldnerstaaten via „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) (sh. Kasten) ein „Rettungsschirm“ auf, den aus gutem Grund „noch niemand freiwillig aufgesucht hat“ (O-Ton Olli Rehn, EU-Kommissar). Denn der Preis dafür, dass die Gläubiger mit dem Geld der Steuerzahler schadlos gehalten werden, besteht darin, dass den „geretteten“ Schuldnern – siehe Griechenland - drakonische Sparpakete, Privatisierungen und Lohnsenkungen aufgezwungen werden. „Makroökonomisches Anpassungsprogramm“ nennt sich das im Bürokratendeutsch.
Plan B – das „Europäische Semester“: Wer noch nicht in der „Schuldenfalle“ sitzt, dem kann die EU-Kommission mittels des sog. „Europäischen Semesters“ zu Leibe rücken. Bevor die Parlamentarier die Budgetdaten zu Gesicht bekommen, müssen diese nach Brüssel rapportiert werden. Bis Ende November eines jeden Jahres kann die Kommission die Budgetentwürfe beeinspruchen. Erst am Ende des Jahres bekommt der eigentliche Souverän, die gewählten ParlamentarierInnen, das Budget zu Gesicht. Erdreisten diese sich, den „Empfehlungen“ der Kommission nicht Folge zu leisten, dann stehen dieser die Pläne C bis G zur Verfügung, um den Staat in den neoliberalen Schraubstock zu bringen.
Plan C - Verfahren wegen „übermäßigen Defizits“: Dieses liegt vor, wenn das „strukturelle Defizit“ 0,5% des BIP überschreitet. Das „strukturelle Defizit“ ist ein äußerst willkürlicher Begriff, dessen Wert hochgradig variiert, je nachdem was als „Normalauslastung“ der Wirtschaft angenommen wird. Wer darüber die Definitionsgewalt hat, also die EU-Kommission, kann seinen Willen besonders effizient durchsetzen. Wer einmal im „Defizitverfahren“ gefangen ist, muss mit Kommission und Rat ein „wirtschaftliches Partnerschaftsprogramm“ abschließen, das ebenfalls den Weg in neoliberale Strukturreformen öffnet. Um Widerspenstige zur Räson zur bringen, können Strafzahlungen bis zu 0,5% des BIP (im Falle Österreichs rd. 1,5 Milliarden) verhängt werden. Ein zusätzliches Damoklesschwert ist die Verschuldensobergrenze von max. 60% des BIP. Auf Grund der sog. „Zwanzigstel-Regelung“ müssen die Staaten jedes Jahr – 20 Jahre lang! – ein Zwanzigstel der Differenz zwischen dem aktuellen Verschuldensstand und dem – ebenso willkürlichen – Referenzwert von 60% abbauen. So wird der Sparzwang auf Jahrzehnte einzementiert.
Plan D - Verfahren wegen „übermäßigen Ungleichgewichts“: Die EU-Kommission hat die Ermächtigung, auf Grund einer selbst aufgestellten Latte von Kriterien über die „Wettbewerbsfähigkeit“ der EU-Staaten zu Gericht zu sitzen. Mit dem Damoklesschwert einer Strafandrohung in der Höhe von 0,2% des BIP können Kommission und Rat einen „Korrekturmaßnahmenplan“ einmahnen. Die EU-Kommission macht kein Hehl daraus, worin sie den Königsweg zur raschen Behebung der „übermäßigen Ungleichgewichte“ sieht: Lohnsenkungen, Auflösung von Kollektivverträgen, Lockerung des Kündigungsschutzes, Senkung von Arbeitslosengeldern, usw.
Plan E - Verfahren wegen „gravierender finanzieller Instabilität“: Sind bei den anderen Verfahren noch vage Kriterien festgelegt, so finden sie hier gar keine mehr. D.h. die EU-Kommission kann weitgehend willkürlich dieses Urteil fällen, darauf aufbauend eine „verstärkte Überwachung“ anordnen und dann gemeinsam mit dem Rat ein „makroökonomisches Anpassungsprogramm“ verlangen. Auf offizielle Strafgelder kann dabei sogar verzichtet werden. Denn wie der neoliberale Think-Tank „Centrum für Europäische Politik“ (CEP) mit Genugtuung analysiert: „Die verstärkte Überwachung bezweckt letztlich, Euro-Staaten zur Beantragung von Finanzhilfen (ESM) zwingen zu können. Zwar kann der Rat nur eine Empfehlung aussprechen, doch spätestens bei der Veröffentlichung einer solchen Empfehlung werden die Märkte so hohe Risikoaufschläge fordern, dass dem Euro-Staat keine andere Möglichkeit bleiben dürfte, als Finanzhilfen zu beantragen.“ Also ab zu Plan A.
Plan F: Makroökonomische Konditionalität: Mit dem Finanzrahmen 2014 – 2020 hat die EU-Kommission dieses zusätzliche Disziplinierungsinstrument in die Hand bekommen. Ab nun müssen sich die Staaten in sog. „Partnerschaftsvereinbarungen“ mit der EU-Kommission zur Einhaltung bestimmter Bedingungen verpflichten, wenn sie Zugang zu den Geldern aus den diversen EU-Töpfen (ESF, Kohäsionsfonds, etc.) haben wollen, in die sie vorher selbst eingezahlt haben. Ist die Kommission der Meinung, dass diese Vereinbarungen nicht eingehalten worden sind, können diese Gelder bis zu 100% gestrichen werden.
Plan G: Finanzielles Waterboarding. Bleibt ein Staat trotz Plan A bis F renitent, kann die Europäische Zentralbank (die selbst per EU-Vertrag jeder demokratischen Kontrolle entzogen ist) die ultimative Keule auspacken: Entzug der Liquidität. D.h. die EBZ verweigert die Rekapitalisierung der Geschäftsbanken des Landes; damit drohen die Wirtschaftsaktivitäten völlig zum Erliegen zu kommen. Mit diesem „finanziellen Waterboarding“ hat die EU die Syriza-Regierung in Griechenland dazu gebracht, alle Wahlversprechen zu brechen und das laut Verfassung verbindliche Ergebnis der Volksabstimmung zu ignorieren.
Österreich „im Würgegriff des europäischen Stabilitätspaktes“
Österreich befand sich von 2009 bis 2013 im „Verfahren wegen übermäßigen Defizits“. Eine Reihe von Spar- und Belastungspaketen gehen unmittelbar auf den Druck der EU zurück, z.B. das Sparpaket 2011 bis 2014 mit Einsparungen von rd. 7,8 Milliarden, darunter:
- 1,3 Milliarden bei Familie und Jugend (Kürzung der Familienbeihilfe, u. a.)
- 580 Millionen im Pflegebereich
- 1,5 Milliarden im Bereich der Sozialversicherung
- 480 Millionen im Bereich Unterricht, Wissenschaft und Forschung
- 550 Millionen im Bereich der Investitionen für den Öffentlichen Verkehr.
Dann das Spar- und Belastungspaket 2012 bis 2016 mit einem Gesamtvolumen von über 24 Milliarden, darunter:
- 2,5 Milliarden im öffentlichen Dienst (Nulllohnrunden, Aufnahmestopp, Kürzung von Ermessensausgaben)
- 7,7 Milliarden bei Pensionen und Arbeitsmarkt (Nichtanpassung der Pensionen an die Inflation, erhöhte Abschläge, Systemumstellung bei Invaliditätspension, usw.)
- 2,1 Milliarden bei öffentlichen Investitionen und Förderungen
- 2,6 Milliarden bei Ländern und Gemeinden
- „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben, durch die uns Milliarden bei der Gesundheit vorenthalten werden.
Alleine das sog. „Zwanzigstelkriterium“ (sh. oben) zwingt Österreich zu einem jährlichen Sparpaket in der Höhe von gut 3 Milliarden – zwei Jahrzehnte lang! Selbst ÖGB-Chef Erich Foglar rief deshalb dazu auf, „sich aus dem Würgegriff des europäischen Stabilitätspaktes zu befreien.“ (Standard, 15.10.2014)
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