ImageAntifaschismus gehört zu den Grundlagen der II. Republik. Unsere politischen Repräsentanten werden nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, den Anfängen zu wehren. Und das ist gut so. Ebenso richtig ist, dass auch den kleinsten faschistischen, antisemitischen Erscheinungen und Aktionen mit aller Entschiedenheit entgegengetreten wird. In völligem Widerspruch dazu werden neofaschistische Aktionen und Gräueltaten in der Ukraine klein- und weggeredet.

 

ImageDer „Euromaidan“ sei keine rein neofaschistische Bewegung. Das hat auch niemand behauptet. Erwiesen hingegen ist die Tatsache, dass politische Kräfte wie der „Rechte Sektor“ oder die Partei „Swoboda“ eine tragende Rolle beim Machtwechsel am 21. Februar d. J. gespielt haben. Ebenso erwiesen ist, dass zentrale Figuren dieser Bewegung mit diesem Machtwechsel an zentrale Schaltstellen des Staates gehievt wurden, dass diese Kräfte nunmehr unter den Auspizien des Staates ihr Unwesen treiben können. Die Hinwendung zur EU und zu europäischen Werten entpuppt sich als Wiederaufleben einer chauvinistischen Ideologie, mit der der Überlegenheit des Europäischen gegenüber dem Asiatischen gehuldigt wird. Alexander Amethystow schreibt in Akin (Nr. 16, Jg. 41): „Wer sich näher mit aktuellen Identitätsdebatten in den verschiedenen Teilen der Ukraine beschäftigt, wird feststellen, dass die Anhänger der ‚demokratischen Revolution’ nicht selten die Bevölkerung der ostukrainischen Bergbaugebiete als stumpf, ungebildet und autoritätshörig abwerten. Die WählerInnen Janukowitschs aus den Arbeitersiedlungen von Donbass werden von den Majdan-Demokraten als ‚watniki’ (nach Watnik – Jacke mit Wattefütterung, Arbeitskleidung) und ‚bydlo’ (Abschaum) bezeichnet.“

ImageWelche Behandlung manche diesen ‚watniki’ zukommen lassen wollen, zeigte sich am 2. Mai in Odessa. Die Solidarwerkstatt hat dazu am 10. Juni Sergiy Markhel, einen Augenzeugen des Massakers im Gewerkschaftshaus, eingeladen. Hr. Markhel konfrontierte uns mit einer erschreckenden Fotodokumentation und einem persönlichen Bericht. Er ist Aktivist einer Volksbewegung in Odessa, die sich für die Verankerung der russischen Sprache als 2. Staatssprache und eine Dezentralisierung der staatlichen Macht, sprich einer Föderalisierung ähnlich wie in Österreich oder der Schweiz einsetzt. Die Forderungen sollen über ein Referendum durchgesetzt werden. 30 – 40.000 Menschen versammelten sich jeden Sonntag zur Durchsetzung dieser Forderungen.

ImageOdessa ist eine multiethnische Stadt, in der Ukrainer, Russen, Juden, Griechen und viele andere leben. Der 2. Mai war ein Feiertag, an dem ein Fußballspiel zwischen den Mannschaften „Metallist“ aus Charkow und „Tschernomorez“ aus Odessa stattfinden sollte. Unter dem Deckmantel Fußballfäns begannen bereits in den Tagen vorher gewaltbereite Neonazis in die Stadt einzusickern. Bereits am frühen Nachmittag sammelten sich an die 3.000 Schläger und begannen die Stadt zu terrorisieren. Die Ordnungskräfte blieben weitgehend untätig, selbst als begonnen wurde auf die AntifaschistInnen scharf zu schießen. Später wurde das Zeltlager der Volksbewegung auf dem „Kulikower Feld“ angegriffen, wodurch die dort versammelten Menschen gezwungen waren zu fliehen. Sergiy Markhel äußerte den Verdacht, dass die Fliehenden gezielt motiviert wurden, in das Gewerkschaftshaus zu fliehen, weil dort bereits eine Falle vorbereitet war. Es gebe eindeutige Indizien, dass einige Schläger des „Rechten Sektors“ bereits vorher im Haus waren und das Haus für das Massaker vorbereitet war. So wurde der Strom und das Wasser abgedreht. Viele Feuerwehrschläuche seien verknotet gewesen. Die Feuerwehr ist erst 40 Minuten nach Ausbruch des Feuers eingetroffen, obwohl die Feuerwehrstation nur 200 m entfernt ist. Eine halbe Stunde lang wurden keine Anrufe angenommen. Markhel berichtete, es gebe auch Hinweise, dass Napalm und Ammoniakampullen gegen jene eingesetzt wurden, die sich in einzelnen Räumen des Hauses in Sicherheit bringen wollten. Im Ergebnis sind nach offiziellen Angaben 48 Menschen ermordet worden. Obwohl manche nur geringe Verbrennungen hatten, sind sie im Krankenhaus verstorben. Nur ein Teil ist durch das Feuer umgekommen. Viele wurden erstochen oder erschossen. Eine Frau wurde mit einem Telefonkabel erdrosselt. In jenem Gebäudeteil, der nicht brannte, sind die dort versteckten Menschen systematisch ermordet worden. Ärzte müssen Verwundete, die vor dem Haus vom Pöbel malträtiert werden, diesem richtiggehend entreißen. Die Ordnungskräfte gehen nicht gegen diesen Pöbel vor, sondern verhaften später reihenweise AktivistInnen der Volksbewegung.

ImageNach dem Massaker wurde wohl der Gebietsgouverneur ausgetauscht und eine Untersuchungskommission eingesetzt, die aber bis jetzt keinerlei Untersuchungsergebnisse vorgelegt hat. Zu einer Gedenkfeier kamen ca. 700 TeilnehmerInnen. „Es hätten 30.000 sein können.“, meinte Sergiy Markhel. Alle Teilnehmer mussten auf Anweisung der Miliz das schwarz-orange Georgsband, ein Symbol des Widerstands gegen die Naziusurpatoren aus dem II. Weltkrieg, abnehmen. Die AktivistInnen werden mit Gefängnis bedroht. Seither herrscht Angst in Odessa, eine Angst, die es nach den Worten alter Menschen seit der Naziokkupation, als auf den Straßen SS und Gestapo wüteten, nicht mehr gab.

Und was macht die Europäische Union, die sonst überall mit dem Menschenrechtszeigefinger herumfuchtelt. Sie unterschreibt das Assoziationsabkommen mit der Ukraine. Dass sich in dieser Atmosphäre der Angst die Menschen nicht mehr gegen die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, ausgelöst durch dieses Assoziierungsabkommen, zu wehren trauen, wird dem Abkommen nicht schaden.

Boris Lechthaler
1.7.2014