brandenburger torDas blaue Spitzenpersonal betont, dass die FPÖ mit dem EU-Austritt nichts am Hut hat. Einmal mehr zeigt sich, wie im Doppelpass von rechtsaußen und EU-Establishment die Grundlagen der 2. Republik demoliert werden. Angesichts der bevorstehenden BP-Wahl ist man versucht, Ernst Jandl neu zu interpretieren.


Der langjährige FPÖ-Chefideologe und EU-Parlamentarier Andreas Mölzer äußerte einst unverhohlen seine Genugtuung darüber, dass mit dem österreichischen EU-Beitritt „der biedere Angehörige der ‚österreichischen Nation’ zur Kenntnis nehmen (muss), dass das angeblich primäre Kriterium seiner Identität, eben diese Neutralität, auf dem Misthaufen der Geschichte landen dürfte.“ (Servus Österreich, S. 45). Denn: „Das Gegenteil der neutralen ‚Kleinstaaterei’ ist der Reichsgedanke... Das neue Europa…kann nur an den alten Reichsgedanken anknüpfen. Neutralität, Neutralismus oder schlechthin der Typus des Neutralen werden für dieses Europa uninteressant, ja unverträglich sein.“ (ebd, S. 68) Selbstverständlich ebenfalls am „Misthaufen der Geschichte“ soll der Staatsvertrag entsorgt werden: „Der Staatsvertrag, zentral das Anschlussverbot an Deutschland, ist durch den Beitritt zur Europäischen Union, womit sich ja Österreich im gleichen supranationalen Gefüge befindet wie die übrigen Deutschen, von der Geschichte schlichtweg überholt.“ (ebd, S. 63)

Doppelpass zwischen rechtsaußen und EU-Establishment

Diese Mölzer-Aussagen zeigen: Der rechtsextreme Deutschnationalismus sieht den EU-Beitritt als Chance, den „Kleinstaat Österreich“, die verhasste 2. Republik – mit Anschlussverbot und Neutralität – „endlich auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgen“ und den nächsten Anlauf zu einer von Berlin geführten „europäischen Reich“ voranzubringen. Für die FPÖ das besonders Praktische dabei: Dieses Programm wurde ab Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von den Führungen von SPÖ und ÖVP übernommen. Ja die FPÖ durfte sogar taktisch zu ihrem eigenen Programm in Opposition gehen, sich immer wieder EU-kritisch gerieren, ohne es jemals ernst zu meinen. Dieses Doppelspiel hat(te) einen doppelten Nutzen: Zum einen für die FPÖ, die die Durchsetzung ihres eigenen bei der Bevölkerung durchaus unpopulären Programms nicht zu verantworten hatte, ja sogar als scheinbare Opposition wahlpolitisch enorm profitierten konnte, dass ihr diese Drecksarbeit von anderen abgenommen wurde. Zum anderen für das EU-Establishment, das die FPÖ-Agenda im EUropäischen Gewandt seither abarbeitet und zugleich jede/n, der/die dagegen Widerstand leistet, als rechtsextrem denunziert.

Durch dieses Doppelpassspiel von FPÖ und EU-Establishment konnte die Frage des EU-Austritts für viele fortschrittliche Kräfte tabuisiert werden– und damit jeder ernsthaften Alternative zu Neoliberalismus und Militarisierung der Entfaltungsraum genommen werden. Seither erleben wir den Niedergang von Sozialdemokratie und Gewerkschaften und den Aufstieg des Rechtsextremismus.

„Damit darf man gar nicht spekulieren“

Dass die EU-Opposition der FPÖ auch nicht ansatzweise ernst gemeint war, zeigte die freiheitliche Regierungsbeteiligung 2000 bis 2006: In dieser Zeit segnete die FPÖ alle zentralen EU-Projekte ab, ja trieb sie voran: Von der EU-Osterweiterung, der Teilnahme an den EU-Battlegroups, den Ankauf der Eurofighter, großangelegte Privatisierungsprogramme bis hin zur asozialen Pensionsreform. Offenbar bereitet sich nun die FPÖ abermals auf eine Regierungsbeteiligung vor. Entsprechend erteilt das freiheitliche Spitzenpersonals jedem Ansinnen in Richtung EU-Austritt eine klare Absage. Zum Beispiel der blaue BP-Kandidat Norbert Hofer: „Ich bin nicht für einen Austritt Österreichs aus der Europäischen Union. Ich ärgere mich jetzt seit Tagen, dass mir das unterstellt wird. Ich war not amused. Für Österreich wäre es zweifellos ein Schaden, aus der EU auszutreten.“ (Die Presse, 8.7.2016).

Manfred Haimbuchner, stv. FP-Bundesparteichef und stv. Landeshauptmann in OÖ, setzt nach: "Die FPÖ ist sicherlich keine EU-Austrittspartei. Damit darf man nicht spekulieren", so Haimbuchner im APA-Interview. In bestimmten Bereichen kann er sich sogar „eine Vertiefung der EU“ vorstellen – „etwa durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“. Bekanntlich hat die FPÖ bereits 2013 der neuen österreichischen Sicherheitsstrategie zugestimmt, die sich dazu bekennt, an der EU-Militarisierung „in allen ihren Dimensionen“ teilhaben zu wollen. Haimbuchner: "Zu glauben, dass da jedes Land für sich eine eigene Außenpolitik macht, das ist absurd." (OÖN, 13.7.2016).

Und schließlich betritt der Chef selbst die Bühne. HC Strache im ORF-Interview am 21.8.2016: „Ich habe nie den EU-Austritt gefordert, der EU-Austritt ist auch nicht Parteiprogramm. Die FPÖ ist nie eine EU-Austrittspartei nie gewesen.“ Damit bestätigen sich auch die Warnungen der Solidarwerkstatt vor den Proponenten des EU-Austritts-Volksbegehrens, die sich als Leimrutenfänger für die FPÖ betätigen und damit dem Anliegen des EU-Austritts einen Bärendienst erwiesen haben.

„… werch ein Illtum!“

Der grüne BP-Kandidat Van der Bellen wird die FPÖ-Töne gegen den EU-Austritt sicher interessiert hören, denn somit steht einer Angelobung von Strache, Hofer & Co aus seiner Sicht ja nichts mehr im Wege, sollte er Bundespräsident werden. Er hat ja ausdrücklich seine Weigerung, Freiheitliche als Regierungsmitglieder anzugeloben, NICHT daran geknüpft, dass die Blauen gegen das Verbotsgesetz und den antifaschistischen Verfassungsauftrag verstoßen (was man gut argumentieren kann), sondern dass diese – horribile dictu - „mit dem EU-Austritt spielen“ (Die Presse, 16.7.2016) und „für Kleinstaaterei“ wären. Mittlerweile braucht man nicht einmal mehr hinter die Kulissen zu schauen, um zu erkennen: Die sind das gar nicht. Im Gegenteil: Der Hass auf den „Kleinstaat“ Österreich eint das grüne und das freiheitliche Spitzenpersonal. Wenn FP-Vize Haimbuchner die Kompetenzen der Nationalstaaten im Rahmen der EU auf die Rolle von „Schweizer Kantonen“ reduzieren will (OÖN, 13.7.2016), dann ist das bloß die Kehrseite von Van der Bellens Schwärmerei für die „Vereinigten Staaten von Europa“.

Bei den Freiheitlichen liegt das Eintreten für Großmachtspolitik in den deutschnationalen Genen; und die Grünen haben sich unter dem langjährigen Parteivorsitz Van der Bellens zu einer Partei transformiert, die mittlerweile bereit ist, alle grün-alternativen Grundsätze dem Europäismus unterzuordnen – das reicht von der Befürwortung von EU-Battlegroupseinsätzen und der Unterstützung von EU- bzw. NATO-Kriegsmissionen (z.B. Jugoslawien, Libyen, Afghanistan) bis hin zur Befeuerung des prowestlichen Staatsstreichs in der Ukraine mit Hilfe von Neonazis.

Die politischen Konsequenzen dieses grünen EU-Chauvinismus ist ebenso deutschnational. Denn die konkrete EU-Entwicklung, ihr autoritärer Neoliberalismus, hat den Berliner Machteliten wieder zu ungeahnter Machtfülle in Europa verholfen. Und wenn Van der Bellen im März 2016 bei einer flammenden Rede im Berliner Reichstagsgebäude die deutschen Machteliten auffordert, Deutschland müsse seine Rolle als „verkappter Hegemon“ (Kurier, 4.3.2016) in Europa noch offensiver als bisher wahrzunehmen, dann wird wohl auch in so mancher Burschenschafterbude kräftig auf den Herrn Professor angestoßen worden sein. Freilich nicht zu laut, sonst könnte bald ein breiteres Publikum versucht sein, Ernst Jandl „rinks und lechts“ neu zu interpretieren: Glün und brau kann man nicht velwechsern, werch ein Illtum! Es braucht immer mehr Theaterdonner, um diese Gemeinsamkeiten des grünen und blauen Spitzenpersonals zu vernebeln. In den nächsten Wochen werden wir wieder besonders viel davon erleben.

Wen VdB tatsächlich nicht angeloben würde

Ziemlich genau vor 25 Jahren im Jahr 1991 fand ebenfalls eine Bundespräsidentschaftswahl statt. Für die Grünen ging damals der Zukunftsforscher, Friedens-, Umwelt- und Anti-Atomaktivist Robert Jungk in Rennen. Der deklarierte EG/EU-Gegner bezeichnete die EU bzw. EG „als eine höchst subtile Form des Faschismus“ (OÖN, 9.12.1991). IHN würde Van der Bellen tatsächlich nicht angeloben.

Gerald Oberansmayr
(August 2016)

Quelle:
Servus Österreich – Der lange Abschied von der zweiten Republik, Andreas Mölzer, Berg 1996