Einige Dutzend AktivistInnen versammelten sich am 12. Mai vor dem Haus der EU zum „Auszug aus dem Haus der EU und Umzug zum österreichischen Parlament“ unter dem Motto: „Solidarsta.At statt EU-Konkurrenzregime!“
„Die Arbeitslosigkeit erreicht in der EU, besonders in der Euro-Zone historisch noch nie dagewesene Werte. Auch in Österreich steigt in den letzten Monaten die Arbeitslosigkeit dramatisch. Die Wirtschaftspolitik der EU, die zu diesem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt, ist nicht schlechten Ratgebern oder mangelnder Einsicht geschuldet. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, hat es im Jänner beim Weltwirtschaftsforum auf den Punkt gebracht: Es brauche einen gewissen Druck, sprich hohe Arbeitslosigkeit, damit die Menschen zu Reformen bereit seien. Die Menschen sollen also für die Weltherrschaftsphantasien der EU- Konzerneliten weichgespart werden. Das ist der Grund für die Austeritätspolitik der EU. Auf eine solche Union können wir verzichten. Wir ziehen deshalb heute vom Haus der EU zum österreichischen Parlament, weil wir das EU-Konkurrenzregime verlassen und einen Solidarstaat Österreich errichten wollen.“ Mit diesen Worten, eröffnete Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt Österreich, die Kundgebung vor dem Haus der EU.
Explodierende Dividenden – Aushungerung der öffentlichen Leistungen
Beim ersten Halt vor der Wiener Börse erinnerte Gerald Oberansmayr, Solidar-Werkstatt, daran, wer Gewinner und Verlierer dieses in die EU-Verträge eingemeißelten Konkurrenzregimes sind: auf der einen Seite explodieren die Dividenden für die Aktionäre, auf der anderen werden Sozialleistungen abgebaut, Löhne gedrückt und die Gemeinden finanziell ausgehungert. Im Jahr 2011 wurden fulminante 11 Milliarden Euro an Gewinnen an die Aktionäre österreichischer Kapitalgesellschaften ausgeschüttet, das entspricht mehr als dem 7-Fachen der kommunalen Investitionen in diesem Jahr, fast dem Doppelten der Lohnsumme aller Arbeiterinnen (über einer halben Millionen Frauen) und in etwa der Summe, die durch die sog. „Gesundheitsreform“ bis 2020 im Gesundheitsbereich eingespart werden soll. Seit dem EU-Beitritt sind die Gemeindeinvestitionen um zwei Drittel (gemessen am Anteil des BIP) zurückgegangen und die Löhne und Gehälter vollkommen von der Wirtschaftsleistung abgekoppelt worden, während die Gewinne der Kapitalgesellschaften rasch anstiegen. Sein Resümee: „Statt Aktionäre zu mästen, muss die gewachsene Produktivität durch höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung und vor allen durch einen Ausbau der öffentlichen sozialwirtschaftlichen Dienste – Bildung, Gesundheit, Pflege, sozialer Wohnbau, öffentlicher Verkehr, erneuerbare Energien, usw. - allen zu gut kommen. Wer einen solchen Solidarstaat will, darf über den Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime nicht schweigen!“
Weil die EU-Mächtigen wissen, dass sie den Sozialstaat demokratisch nicht eliminieren können, eliminieren sie Schritt für Schritt die Demokratie in der Wirtschafts- und Budgetpolitik, indem die gewählten Parlamente in der Wirtschafts- und Budgetpolitik entmündigt werden. Mit dem EU-Fiskalpakt im Vorjahr und dem sog. „EU-Twopack “ im Frühjahr 2013 sind große Schritte in diese Richtung gesetzt worden.
Tödliches EU-Grenzregime
Beim nächsten Zwischenstopp vor der Universität wies Johanna Weichselbaumer, Gärtnerin aus Alkoven und Solidar-Werkstatt-Aktivistin, auf die tödlichen Auswirkungen des EU-Grenzregimes hin: „Folgen der brutalen Vorgangsweise der Frontex-Einsatztruppen und deren höriger Helfer sind tausende Tote im Mittelmeer und vor den Kanaren. Infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in Libyen wurden im Jahr 2011 alarmierende Spitzenzahlen von ertrunkenen oder verdursteten Flüchtlingen erreicht, durch Abdrängen aus den EU-Hoheitsgewässern oder durch Unterlassung von Hilfeleistung, usw.“. Johanna Weichselbaumer unterstrich die Forderung der Solidarwerkstatt nach sofortiger Aufkündigung des Dublin II Abkommens, mit dem hilfesuchende Menschen ohne humanitäre Überprüfung in jenen Staat abgeschoben werden können, über den sie in den Schengen-Raum eingereist sind. „Die völkerrechtliche Verpflichtung hilfesuchenden Menschen Schutz zu gewähren, kann nicht an andere Staaten abgeschoben werden.“
Johanna Weichselbaumer hob den Zusammenhang zwischen dem entfesselten EU-Konkurrenzregime und steigenden Flüchtlingszahlen hervor: „Die Hauptursache für den steigenden Flüchtlingsandrang ist vorwiegend auf die aggressive Exportwirtschaft, Gier nach Rohstoffen und die neoliberalen Wirtschaftpolitik zurückzuführen, durch viele Mittelmeerstaaten und die Staaten Afrikas hemmungslos ausgebeutet werden. Denen, die sich dem nicht beugen, drohen militärischen Interventionen.“ Die zunehmende Militarisierung der EU diene der Durchsetzung dieser Konzerninteressen.
Bei der Abschlusskundgebung vor dem Parlament sorgten Hans Breuer & das WanDeRer-Trio für ein ermutigendes und zum Nachdenken anregendes Kulturprogramm. Eine Tafelaktion auf den Stufen vor dem Parlament mit dem Schriftzug „SOLIDARSTAAT STATT EU-KONKURRENZREGIME!“ und die weiteren Redebeiträge unterstrichen die Entschlossenheit der KundgebungsteilnehmerInnen, trotz widriger Bedingungen an der Durchsetzung eines Solidarstaates gegen das EU-Konkurrenzregime festzuhalten.
Illusion vom „friedlichen und sozialen Umbau“ der EU
Renate Pacher, Stadträtin in Knittelfeld, KPÖ Steiermark, arbeitete heraus, dass sich die Hoffnung von linken Kräften, die EU sozial und demokratisch reformieren zu können, als bittere Illusion erwiesen hat: „Nach 1945 erhob sich der Ruf ‚Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus’, mit Staatsvertrag, der immerwährenden Neutralität und dem hohen Anteil an öffentlichem Eigentum bot sich die Chance für eine fortschrittliche Entwicklung unseres Landes – diese Chance wurde vertan. Stück für Stück hat das Kapital alle Errungenschaften der arbeitenden Menschen, die durch den Sieg über den Nationalsozialismus möglich waren, ausgehöhlt und aus dem Weg geräumt. Die politischen Eliten waren dabei willfährige Handlager, der Beitritt zur EU die logische Konsequenz dieser Politik im Interesse der Banken, Superreichen und Konzerne. 1955 ertönte der Ruf ‚Österreich ist frei’ – heute sind wir Mitglied der EU - einer Konstruktion geschaffen um die Interessen des europäischen Kapitals nach außen gegen andere Konkurrenten, und nach innen gegen die arbeitenden Menschen durchzusetzen. Und weil genau das der ‚Bauplan’ der EU ist, ist es eine Illusion auf einen Umbau der EU zu einer friedlichen und sozialen Konstruktion zu hoffen.“
Sozialabbau und Arbeitslosigkeit als Nährboden des Faschismus
Nuray Orhan von der MigrantInnenorganisation DIDF betonte den Zusammenhang zwischen Sozialabbau und Rassismus: „Am 8.Mai wurden es 68 Jahre seit dem der Faschismus durch die Rote Armee besiegt wurde. Der Nährboden des rasanten Aufstiegs des Faschismus waren Armut, hohe Arbeitslosigkeit und die Desorganisation der davon Betroffenen untereinander. Wenn man die heutige Entwicklung innerhalb der EU-Grenzen vor Augen hält, sieht man gewisse Parallelen. Armut und Arbeitslosigkeit - insbesondere in den südeuropäischen Ländern- steigen rasant. Die Entwicklung seit dem Beitritt in die EU kennzeichnet alles Andere als ein soziales und friedvolles Europa. Auf Anordnung der EU-Konzerne nimmt die österreichische Regierung fast in allen sozialen und staatlichen Bereichen Privatisierungen vor. Universitäten sind überfüllt, Studiengebühren und Lehrpersonalmangel sind auf der Tagesordnung. Das Gesundheitswesen, ein unabdingbares Gut eines jeden Menschen, wird in Richtung Zwei-Klassen-Medizin orientiert und alles - wie auch Bildung - nur noch vom Einkommen abhängig gemacht. Zusätzlich zu steigender Arbeitslosigkeit, Teuerung der Lebensmittel, Armut und sinkenden Löhne steht demnächst das Wasser auf dem Plan der Privatisierung. Ich könnte noch sehr viele andere Dinge erwähnen, die den Austritt aus der Europäischen Union rechtfertigen würden“, resümierte Nuray Orhan, um mit dem Aufruf zu schließen: „Wir müssen gemeinsam unabhängig von Herkunft, Religion etc. aktiv werden, um rassistischen Organisationen den Nährboden zu entziehen.“
„EU bringt keine Lösungen, sondern ist das Problem!“
Selma Schacht (Betriebsratsvorsitzende bei der Wiener Kinder- und Jugendbetreuung, KOMintern-AK-Rätin in der Wiener Arbeiterkammer) strich heraus, dass „die EU die kapitalistischen Interessen bündelt, um die Krisenlasten auf den Rücken der sozial Schwachen und Arbeitslosen abzuwälzen“. Derzeit werden bereits wieder weitere Vorbereitungen zur Verschärfung von Sozialabbau und Lohnkürzungen unternommen: „Gerade jetzt wird unter dem Namen ‚Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit’ ein neuer Schlag von der EU-Kommission vorbereitet. Beim Gipfel des Europäischen Rates im Juni 2013 sollen Beschlüsse gefasst werden, nach denen sich alle Mitgliedsstaaten in bindenden ‚Verträgen für Wettbewerbsfähigkeit’ zu sogenannten ‚Strukturreformen’ verpflichten. Das bedeutet Lohn- und Pensionskürzungen, längere Arbeitszeiten, Privatisierungen, Kürzungen im Bildungswesen und Gesundheitssystem! Dies zeigt deutlich: Die EU ist Triebfeder einer Verschärfung der Krise, sie bringt keine Lösungen, sondern ist das Problem.“ Eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse erfordere nicht nur den Austritt aus der EU, sondern darüber hinaus „die Überwindung der EU.“„Hoch der 15. Mai, hoch der 26. Oktober!“
Die Rede von David Stockinger, Solidar-Werkstatt und SPÖ-Funktionär in Schwechat, zeigte, dass auch in der Sozialdemokratie die Kritik an der EU-Politik, und damit an der Politik der eigenen Parteiführung, nicht zum Verstummen gebracht werden kann: „Die EU ist nicht das Haus der europäischen Völker’, nicht das Haus der einfachen Menschen und der arbeitenden Klassen. Die EU ist das Haus der Kapitaleliten, der Finanzkonzerne und Monopole. Wenn wir die Elitenpolitik überwinden und stattdessen eine volksorientierte Politik eines neuen Solidarstaates etablieren möchten, dann ist das auf Grundlage der EU-Verträge nicht möglich. Die EU-Verträge müssen daher aufgekündigt und eine neue Form einer gerechten Kooperation und eines gedeihlichen Miteinanders der Länder Europas eingegangen werden. Erst wenn das Konkurrenzregime überwunden ist, kann es auch wieder zu einem Ausgleich zwischen dem europäischen Zentrum und der südlichen Peripherie und zu einer Machtverschiebung zugunsten der einfachen Menschen und der arbeitenden Klassen im Zentrum selbst kommen. In diesem Sinne: Hoch der 15.Mai, hoch der 26.Oktober- für ein selbstbestimmtes, ernsthaft neutrales und soziales Österreich!“
„Austritt aus der EU unumgänglich“
Abschließend ergriff Norbert Bauer, Betriebsratsvorsitzender einer großen Hotelkette in Wien und Vorsitzender der Solidar-Werkstatt, das Wort. Er unterstrich zuerst den antifaschistischen Charakter der Kundgebung: „Der zunehmende Rechtsradikalismus in der EU wächst ganz offensichtlich parallel zur neoliberalen EU-Politik, ja man muss ganz klar feststellen: Neoliberale EU-Politik und Rechtsradikalismus sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Aufgabe der rechtsradikalen Parteien ist es dabei vor allem, den Protest zu kanalisieren und ihn gleichzeitig aber auch als Instrument zur weiteren Verschärfung der neoliberalen Agenda einzusetzen. Das beste Beispiel in Österreich dafür ist natürlich die FPÖ, die in Wahrheit das Gegenteil einer EU-oppositionellen Partei ist, wenn man sie an ihrem realpolitischen Verhalten misst.“
Nachdem Norbert Bauer betonte, dass die Einbeziehung der gesamte Wertschöpfung in die Finanzierung des Sozialstaats notwendig sei, beendete er die Kundgebung mit dem Aufruf, wer Europa wirklich „von unten neu begründen“ wolle, dürfe die Frage des EU-Austritts nicht mehr länger tabuisieren: „Wenn wir auf ein Europa der Sozialstaaten hinarbeiten wollen, die zum Wohle der Bürger Europas auf Augenhöhe miteinander kooperieren, dann ist ein sofortiger Ausstieg aus den EU-Verträgen, ist also ein Austritt Österreichs aus der EU unumgänglich. Darum stehen wir heute hier. Darum werden wir auch nächstes Jahr wieder hier stehen, solange, bis wir eben dieses Ziel erreicht haben. Lasst uns - jeder in seinem Umfeld - täglich daran arbeiten. Danke!“
Weitere Bilder von Aktion am 12. Mai 2013 siehe hier