Der Terroranschlag in Christchurch, Neuseeland, bei dem 50 Menschen in zwei Moscheen ermordet wurden, brachte Verbindungen des Attentäters zur rechtsextremen Szene in Österreich zu Tage. Alarmierend ist dabei weniger die Spende des Attentäters an Martin Sellner, Funktionär der „Identitären Bewegung“, sondern der ideologische Gleichklang beider. Sowohl der Attentäter als auch die Rechtsextremen in Österreich sehen sich in einem Abwehrkampf gegen die "Umvolkung Europas."


Damit formulieren sie nicht eine Position am äußerst rechten Rand der Szene. Die Verteidigung der „Identität Europas“ reicht als ideologische Klammer bis in die Mitte nicht nur der derzeitigen Bundesregierung, sondern auch der Opposition. Die FPÖ ist ideologisch, organisatorisch und personell untrennbar mit der rechtsextremen Szene verwoben. Die Bekundungen der FPÖ-Führung, nichts mit rechtsextremer Gewalt tun haben zu wollen, sind lächerlich, angesichts der erwiesenen Verstrickungen. FPÖ-Innenminister Kickl ist selbst beim rechtsextremen „Kongress zur Verteidigung Europas“ 2016 in Linz als Referent aufgetreten und hat dort seine Nähe zur „Identitären Bewegung“ bekundet. Doch die Verstrickung macht nicht bei der FPÖ halt. Auch der Bundeskanzler und der türkise Teil der Regierung sind betroffen. Der Bundeskanzler fordert jetzt eine saubere Trennlinie zur rechtsextremen Szene. Mit seinem Diktum, wir müssten uns „an hässliche Bilder gewöhnen“, hat er jedoch selbst den Boden für die Rechtsextremen aufbereitet. Er skizzierte damit das Bild eines Abwehrkampfes. Der Abwehrkampf gegen Migrationsbewegungen und die angebliche Islamisierung mache es notwendig, harte Entscheidungen zu treffen, und auch Verbrechen in Kauf zu nehmen. Am Ende steht Massenmord.

Der Massenmörder von Christchurch beruft sich somit auf eine Ideologie, von der auch die Regierungslinie in Österreich durchsetzt ist. Darüber kann auch die Antisemitismuskampagne der Bundesregierung nicht hinwegtäuschen. Türken und Araber, die die rechte israelische Regierung kritisieren, werden als Antisemiten denunziert, während das regierungseigene Personal selbst von Antisemiten durchsetzt ist. Die ins Gespräch gebrachte Auflösung des Vereins Martin Sellners benennt bloß einen Nebenschauplatz. Bundespräsident Van der Bellen bezeichnet dieses Ansinnen als „juridisch sehr heikel“. (OÖN, 30.3.2019) Er ruft dazu auf, „so viel Distanz wie möglich“ (ebda.) zum Attentäter zu schaffen. Wie soll sich aber eine Regierung von etwas distanzieren, das in ihre Agenda eingewoben ist: die antiislamische Mobilisierung?

Das NS-Verbotsgesetz – unmittelbar wirksames Recht

Wie ist das NS-Verbotsgesetz aus 1947 in diesem Kontext zu sehen? Zunächst gilt es festzuhalten, dass das Verbotsgesetz in den letzten Jahren und Jahrzehnten marginalisiert wurde. Je stärker der Rechtsextremismus in die Mitte der Gesellschaft strebte und je mehr ein staatstragender und EU-affiner Antifaschismus zum ideologischen Klebstoff des linksliberalen Milieus wurde, umso weniger wurde über das NS-Verbotsgesetz gesprochen. Den meisten mutet es als eine Spezialsanktionierung des Strafrechts an, allenfalls anwendbar, wenn ein paar Verwirrte Nazi-Devotionalien huldigen. Und so wurden vor zwei Jahren „identitäre“ Funktionäre nicht nach dem NS-Verbotsgesetz angeklagt, sondern wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und prompt freigesprochen.

Das NS-Verbotsgesetz steht im Verfassungsrang. Es sticht aber aus anderen Gründen unter den übrigen Rechtsnormen hervor. Das österreichische Rechtssystem folgt weitgehend einer materiellen Rechtsauffassung: Ein Gesetz ist ein Gesetz, wenn es als solches im Parlament beschlossen wird, ein Verfassungsgesetz, wenn es mit Verfassungsmehrheit beschlossen wird. Das Verbotsgesetz folgt im Unterschied dazu einer positiven Rechtsauffassung. „§3 Verbotsgesetz enthält ein unmittelbar wirksames, von jedem Staatsorgan im Rahmen seines Wirkungsbereiches zu beachtendes Verbot.“ (Erkenntnis d. VfGH v. 19.11.1985)1) „Das Wiederbetätigungsverbot ist ….umfassende Maßgabe jeglichen staatlichen Verhaltens. Die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit hat sich an diesem Verbot zu orientieren. Es darf kein behördlicher Akt gesetzt werden, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialistischer Wiederbetätigung bedeuten würde.“ (ebda) Damit kann, folgt man dem VfGH, ein Staatsakt, der Wiederbetätigung bedeuten würde, nicht rechtsgültig werden, unabhängig z. B. auch von einer strafrechtlichen Verurteilung: „Die Rechtsordnung darf auch dann der nationalsozialistischen Wiederbetätigung keine Unterstützung gewähren, wenn eine Verurteilung noch nicht ergangen ist.“ (VfGH, ebda) Aber auch unabhängig von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen im Parlament oder der Zusammensetzung der Bundesregierung.

Wie begründet sich die derartig weitgehende Wirkung des NS-Verbotsgesetzes. Das Verbotsgesetz verbindet zwei Tatbestandsmerkmale. Der §3a, Z.2 des Verbotsgesetzes lautet: „Eines Verbrechens macht sich schuldig, wer eine Verbindung gründet, deren Zweck es ist, durch Betätigung ihrer Mitglieder im nationalsozialistischen Sinn die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Österreich zu untergraben.“ Es bildet gewissermaßen eine Notwehrbestimmung aufgrund der historischen Erfahrung, dass „Betätigung … im nationalsozialistischen Sinn“ eben nicht eine Meinungäußerung unter anderen ist, sondern auf die Zerstörung des Staates gerichtet ist, der die Meinungsfreiheit sicherstellen soll. Die Existenz der Republik Österreich lässt sich eben nicht mit einer Blut- und Boden Ideologie begründen. Im Gegenteil: Wer mit Blut- und Boden und damit nationalsozialistisch argumentiert, gefährdet substanziell Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Republik.

Damit erschließt sich aber auch, warum das Verbotsgesetz im Zeitalter der offiziösen Vergangenheitsbewältigung nur mehr am Rande eine Rolle spielt. Die Sicherung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Österreich ist schon lange kein Ziel des linksliberalen Milieus mehr. Umgekehrt inszenierte sich der deutschnationale Rechtsextremismus in Gestalt der FPÖ in den letzten Jahren als Bannerträger des österreichischen Patriotismus. Während also der „grüne“ Bundespräsident in Berlin und Brüssel in Hitler’scher Tradition gegen die österreichische „Kleinstaaterei“ agitiert, schwenken deutschnationale FPÖ’ler rot-weiss-rote Fahnen am Viktor-Adler-Markt. Phasenweise gewann man den Eindruck, Österreich und nicht das unter deutscher Herrschaft stehende Europa wären das wesentliche Wirkungsfeld der Nazis gewesen. Für einen Antifaschismus, der die Sache so betrachtet und so an sie herangeht, wurde das NS-Verbotsgesetz gezwungenermaßen unanwendbar.

Die „Identitären“ – EU-affine Nazis?

Die Identitären bringen das wieder auf die Reihe: „Niemals war es wichtiger, dass sich die Europäer als solche begreifen und sich nicht durch nationalistische Ressentiments bei der Findung eines gemeinsamen und starken Überlebenswillens selbst im Wege stehen.“ (Warum die Identitären nicht nationalistisch sind!“, Identitäre Generation 2014) Teilweise liest sich „identitäre“ Programmatik wie aus dem Nähkästchen ökoliberalen Wordings entliehen: „Ein Ergebnis der Globalisierung ist der Umstand, dass Nationalstaaten zu klein sind, um ihre Angehörigen ausreichend zu vertreten, und mit wachsenden Problemen zu groß, um auf die Bedürfnisse der Regionen eingehen zu können.“ (ebda. Könnte aber auch von R. Menasse sein.) Österreich-Patriotismus ist per se nicht rechts(extrem) und EU-Affinität nicht per se links oder gar antifaschistisch. Freilich EU-Affinität ist auch per se nicht „Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn“. Es zeigt sich nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn auch dann vorliegen kann, wenn sie expressis verbis und praktisch mit EU-Affirmation verbunden ist. Der Nationalsozialismus war u.a. ein historisch-konkreter Ausdruck einer auf Weltherrschaft gerichteten Europakonzeption vor allem, aber nicht nur, der deutschen Eliten. Es gab und gibt andere Konzeptionen. Es zeigt sich, die Grenze zwischen der Bezugnahme auf die europäischen Werte und der Bezugnahme auf den europäischen Überlebenswillen, bei der Begründung einer europäischen globalen Machtprojektion sind fließend. Mit dem von R. Menasse zum antifaschistischen Kronzeugen hochstilisierten Walter Hallstein, fand ein Architekt der nationalsozialistischen Großraumkonzeptionen Eingang direkt an die Spitze der EU-Bürokratie. SS-Veteranen verweisen gerne darauf, dass mit der europaweiten, transnationalen Rekrutierung für diese Verbrecherorganisation erstmals eine europäische Armee begründet wurde. Die EU ist nicht der Antipol zur nationalsozialistischen Wiederbetätigung, sondern der ideale Raum zu deren Entfaltung. Das haben die „Identitären“ begriffen. Das zeigt aber auch, was vom Lederhosenpatriotismus der FPÖ wirklich zu halten ist. Es geht hier nicht um Patriotismus, sondern um mit Blut und Boden begründete globale Machtprojektion.

Das NS-Verbotsgesetz ist kein Antiextremismusgesetz

Wie groß das Unverständnis für den Zusammenhang zwischen antifaschistischem Widerstand und Bezugnahme auf die „Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Österreich.“ (NS-Verbotsgetz) ist, zeigt die jüngste Wortmeldung des Spitzenkandidaten der SPÖ fürs EU-Parlament, Andreas Schieder. „Europäisch oder identitär“ titelt die SPÖ in einer Plakatkampagne. „Denn Schieder will ein europaweites Verbotsgesetz gegen rechtsextreme Parteien wie die deutsche NPD oder Ungarns Jobbik durchsetzen.“ lesen wir im Standard (6.7. April 2019). „Und was ist mit der FPÖ?“ möchte man fragen. „Wer nun rechtsextrem ist, soll der Europäische Gerichtshof definieren!“ (ebda.) Das österreichische NS-Verbotsgesetz ist aber eben kein allgemeines Antiextremismusgesetz. Es gründet auf der konkreten österreichischen Geschichte und kann nicht europäisiert werden. Das NS-Verbotsgesetz zu europäisieren, heißt das Verbotsgesetz endgültig abzuschaffen.

In Bezug auf die „Identitäre Bewegung“ ist das Verbotsgesetz anwendbar. Ihre Blut- und Bodenideologie steht in der Tradition nationalsozialistischer Ideologie. Ihr Appell für einen europäischen Abwehrkampf ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Republik. Die Anwendung des NS-Verbotsgesetz in Hinblick auf die „Identitären“ hat jedoch weitgehende Konsequenzen. Sie sind in der FPÖ und damit in einer Regierungspartei fest verankert. Mit der Anwendung des Verbotsgesetzes würde das gesamte Regierungshandeln, so z. B. auch der Vorschlag zur Einführung einer Sicherungshaft, in einem anderen Licht erscheinen. Das Verbotsgesetz ist auch unmittelbare rechtliche Legitimation antifaschistischen Handelns.

Das Verbotsgesetz erfordert auch den Bruch mit der Verklärung der EU. Wer ein europäisches Imperium beschwört, um sich gegen sinistre äußere Mächte zur Wehr zur setzen, findet sich rasch an der Seite der „Identitären“ wieder. Umgekehrt gilt, mit Rassismus und antiislamischer Mobilisierung lässt sich nicht für die österreichische Souveränität streiten. Mit dem NS-Verbotsgesetz, dem Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität und dem Staatsvertrag hat der Kampf für ein souveränes Österreich eine starke rechtliche Grundlage. Es ist Zeit diesen Kampf wieder zu einem Kernelement der antifaschistischen Bewegung in Österreich zu machen.

Es ist Zeit zu handeln, auch wenn wir uns nicht unmittelbar vor einer faschistischen Machtergreifung befinden. Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist im Vorjahr wieder eklatant gestiegen. Am stärksten in Oberösterreich. Was wenig wundert, wenn man berücksichtigt, dass rechtsextreme, deutschnationale Burschenschaften seit Jahren per einstimmigem Beschluss der Landesregierung mit einem wahren Geldsegen bedacht werden. Die Rechtsextremen sind nicht ein paar gewaltbereite Verirrte am Rande der Gesellschaft. Sie befinden sich längst in der Mitte der Gesellschaft. Ihr Rassismus ist europäisch. Ihr Ziel die Zerstörung eines souveränen, demokratischen und weltoffenen Österreichs.

Boris Lechthaler
(9.4.2019)

Anmerkung:

(1) Dieses Erkenntnis d. VfGH ist das Ergebnis eines Gesetzesprüfungsverfahrens, mit dem die Hochschülerschaftswahlordnung aufgrund einer Beschwerde von VSStÖ und KSV geprüft wurde.