Am 26. Jänner 2022 fand anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Aschach eine beeindruckende Mahnwache für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Hier die  Rede von Robert Eiter vom OÖ Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Mahnwache!
Meine Damen und Herren!
Liebe Freundinnen und Freunde!

Erlaubt mir zu Beginn eine ganz persönliche Bemerkung: Heute hat ein langjähriger Freund und Mitstreiter Geburtstag. Er ist hier unter uns: der Vorsitzende der Welser Initiative gegen Faschismus, Werner Retzl. Ich möchte ihm sehr herzlich gratulieren und alles Gute wünschen, vor allem aber möchte ich ihm für sein unermüdliches demokratisches Engagement danken! Wir hoffen, dass es uns noch lange erhalten bleibt, lieber Werner!

Vor wenigen Tagen hat sich zum 80. Mal die Wannseekonferenz gejährt. Am 20. Jänner 1942 trafen einander in einer mondänen Villa in Berlin fünfzehn hochrangige Vertreter von Adolf Hitlers Reichsregierung, der NSDAP und der SS zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. Unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich wurde die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ nicht etwa beschlossen – die Massenmorde waren schon seit dem Überfall auf die Sowjetunion im Gang – aber systematisch organisiert und koordiniert. Protokoll führte der in Linz aufgewachsene SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Heydrichs „Referent für Judenangelegenheiten“.

Es war die Planung des Holocaust: Die gesamte jüdische Bevölkerung Europas – laut der Definition der NS-Bürokraten rund elf Millionen Menschen – sollte nach Osten deportiert und ausgerottet werden. Bis zur bedingungslosen Niederlage des Großdeutschen Reiches im Mai 1945 sind diesem unfassbaren Verbrechen rund sechs Millionen Menschen zum Opfer gefallen, darunter eineinhalb Millionen Kinder.

Vielleicht habt Ihr vorgestern Abend auf ORF 2 den Film „Die Wannseekonferenz“ gesehen. Dessen Regisseur Matti Geschonneck – sein Vater war politischer Häftling in drei Konzentrationslagern – sagt über das Treffen der Schreibtischtäter und ihre Verabredung zum millionenfachen Mord: „Das alles war einmal Gegenwart – und vor gar nicht so langer Zeit. Dessen müssen wir uns bewusst sein.“

Obwohl die Nationalsozialisten von fanatischem Judenhass getrieben wurden, galt ihr Rassenwahn auch anderen Gruppen. In Osteuropa führten sie einen doppelten Vernichtungskrieg: gegen den sogenannten „jüdischen Bolschewismus“ und gegen das sogenannte „slawische Untermenschentum“. Sie wollten einen riesigen „Lebensraum“ für deutsche Siedler freimorden. Dieses Ziel konnte durch die Wende im Kriegsverlauf nicht annähernd erreicht werden. Trotzdem kostete es 1,8 Millionen polnischen sowie sechs Millionen sowjetischen Zivilistinnen und Zivilisten das Leben, weiters drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die Hitlers Schergen gezielt verhungern ließen.

Lange ignoriert wurde der Genozid an den Sinti und Roma, auch Porajmos genannt. Geschätzte 200.000 Menschen sind ihm zum Opfer gefallen. Ebenso viele Tote verursachte die schönfärberisch als „Euthanasie“ bezeichnete Ermordung von Behinderten, die unter anderem im nahe gelegenen Schloss Hartheim geschah.

Verfolgt und vielfach ermordet wurden außerdem Homosexuelle und Personen, die das Regime als „Asoziale“ gebrandmarkt hatte. Und natürlich die politischen und religiösen Gegner der Nationalsozialisten. In Österreich waren sie kommunistisch, sozialistisch, katholisch oder monarchistisch gesinnt oder gehörten den Zeugen Jehovas an.

17 Millionen Ermordete, 50 Millionen Kriegsopfer

Insgesamt geht das „United States Holocaust Memorial Museum“ davon aus, dass die Nationalsozialisten mehr als 17 Millionen Menschen ermordet haben. Unberücksichtigt ist bei dieser Zahl die Schuld am mutwillig vom Zaun gebrochenen Weltkrieg, durch den weitere mehr als 50 Millionen Menschen zu Tode kamen.

Wir verneigen uns in tiefem Respekt vor allen Opfern der braunen Schreckensherrschaft! … Wer es aber ernst meint mit dem Gedenken an die Opfer, darf von den Tätern nicht schweigen und nicht von den Spuren, die sie hinterlassen haben.

In Oberösterreich, das von 1938 bis 1945 „Oberdonau“ hieß und sich damals rühmte, der „Heimatgau des Führers“ zu sein, gibt es leider viele solcher Spuren.

Noch heute gehört zum Kriegerdenkmal hier in Aschach ein Stein, auf dem in runenartiger Schrift der Spruch „Ewig ist der Toten Tatenruhm“ zu lesen ist. Dieser Stein wurde 1942 errichtet. Der Spruch stellt typische NS-Propaganda dar: Er gibt Hitlers Angriffs- und Vernichtungskrieg eine positive Bedeutung, indem er die gefallenen Wehrmachtssoldaten als Helden verklärt. Doch schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde ein fast gleichlautender Spruch verbreitet: „Ewig bleibt der Toten Tatenruhm“ war auf einer Medaille zu lesen, mit der die NSDAP an die „Märtyrer“ ihres gescheiterten Putsches gegen die österreichische Regierung im Juli 1934 erinnerte.

Staatsvertrag: "Alle Spuren des Nazismus entfernen"

Dank einer hervorragenden Arbeit des Historikers Clemens Gruber ist über die Hintergründe des besagten Steines vieles bekannt. Es handelt sich bei diesem Stein zweifelsfrei um eine „Spur des Nazismus“. Dafür gibt Artikel 9 des Staatsvertrages 1955 einen ganz klaren Auftrag: „Österreich wird auch die Bemühungen fortsetzen, aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen …“

77 Jahre nach dem Untergang von Hitlers Terrorregime und 67 Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages ist es hoch an der Zeit, diesem klaren Auftrag gerecht zu werden. Das Mauthausen Komitee Österreich sowie das OÖ. Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus appellieren an die Verantwortlichen, den Runenstein umgehend zu entfernen und darüber hinaus in Aschach an der Donau eine würdige Gedenkstätte für die NS-Opfer zu errichten!

Rechtsextrem Straftaten vervierfacht

Bei unserem Appell geht es keineswegs nur um Geschichte und Verfassungsrecht. Denn leider erweist sich ein Wort von Bert Brecht als erschreckend wahr: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch …“.

Die Zahl der rechtsextremen Straftaten hat sich bundesweit von 2005 bis 2020 vervierfacht, von 209 auf 853. Oberösterreich liegt regelmäßig an der Spitze aller Bundesländer, im Jahr 2020 mit 187 einschlägigen Delikten. NS-Propaganda und Verhetzung schüren Hass und Gewalt.

Folgende rechtsextreme Verbrechen wurden während der letzten Jahre in Oberösterreich verübt: Mord, Mordversuche, Körperverletzungen, Brandstiftungen, Anschläge auf Flüchtlingsheime, Schändungen von Gedenkstätten und die Schändung des jüdischen Friedhofs in Linz.

Viele dieser Verbrechen wurden nicht aufgeklärt, darunter die Schändung des jüdischen Friedhofs im Jahr 2018 und sämtliche 22 (!) Schändungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen von 2013 bis 2020.

Im Juli des Vorjahres entdeckte die Polizei in Oberösterreich ein großes rechtsextremes Waffenlager. Vor einigen Tagen erst berichteten Medien über eine mehr als 30-köpfige Neonazi-Gruppe im Bezirk Gmunden sowie über die Verhaftung eines „Corona-Aktivisten“ und Holocaust-Verharmlosers im Bezirk Urfahr-Umgebung.

Apropos Holocaust-Verharmlosung: Es kann nur empören, wie sehr sich große Teile der sogenannten „Querdenker“-Bewegung von gut organisierten Rechtsextremen instrumentalisieren lassen. Natürlich ist es legitim, Corona-Maßnahmen der Regierung in Frage zu stellen oder abzulehnen. Es ist auch legitim, diese Ablehnung auf der Straße zu zeigen. Aber dabei hinter Ewiggestrigen herzulaufen, die österreichische Demokratie als „Faschismus“ zu beschimpfen, Judensterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“ zu tragen oder zynische Parolen wie „Warum nicht gleich Mauthausen für Ungeimpfte?“ zu verbreiten, verhöhnt auf infame Weise alle wirklichen Opfer des wirklichen Faschismus. Kein Wunder, dass verhetzte „Maßnahmengegner“ nicht einmal vor Drohungen gegen das Gesundheitspersonal, vor Angriffen auf Journalisten und vor der Einschüchterung von Kindern zurückschrecken.

Angesicht der zunehmenden Gefahr von rechtsaußen, die mittlerweile auch durch die Innenminister Österreichs und Deutschlands betont wird, sind überzeugte Demokratinnen und Demokraten verpflichtet, auf allen Ebenen Widerstand zu leisten und klare Zeichen zu setzen.

"Das Letzte an Niedrigkeit, entarteter Dummheit und blutiger Schmach“

Bis auf wenige Unbelehrbare soll die gesamte Bevölkerung den Rechtsextremismus als das erkennen können, was er ist: keine sinnvolle Antwort auf aktuelle Probleme, sondern, nach den Worten des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, „das Letzte an Niedrigkeit, entarteter Dummheit und blutiger Schmach“.

Es versteht sich von selbst, dass auch deshalb „Spuren des Nazismus“ konsequent entfernt werden müssen. Das bedeutet weder das „Auslöschen von Geschichte“, die ja in Büchern und im Museum dokumentiert werden kann und soll. Noch bedeutet es im konkreten Fall das Ende des öffentlichen Gedenkens an gefallene Soldaten, sondern nur das Ende der braunen, glorifizierenden Tradition dieses Gedenkens.

Ich danke Bürgermeister Dietmar Groiss für seinen Mut, ein seit Jahrzehnten umstrittenes Thema in Angriff zu nehmen! Ich danke der Präsidentin der Katholischen Aktion Oberösterreich, Diplom-Pädagogin Maria Hasibeder, und der grünen Landtagsabgeordneten Anne-Sophie Bauer für ihre nun folgenden Redebeiträge sowie dem SPÖ-Bezirksvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Thomas Antlinger für seine Schlussworte!

Und nicht zuletzt danke ich Euch allen, die Ihr anlässlich des Holocaust-Gedenktages zu dieser Mahnwache gekommen seid, um gemeinsam ein unübersehbares Zeichen für eine demokratische und wahrheitsgemäße Erinnerungskultur zu setzen!

Nie wieder Faschismus!

Hinweis:
Ein Video von der Mahnwache am 26.1.2022 in Aschach kann auf diesem Video von Rudolf Schober auf Dorf TV nachgeschaut werden