Die sog. „Gemeinde-Investitionsmilliarde“ entpuppt sich als Nebelgranate. Tatsächlich droht den Gemeinden die finanzielle Aushungerung.

Da die Gemeinden 2020 aufgrund der Covid 19 Pandemie sowohl direkte Steuerausfälle als auch einen Rückgang bei den Bundesertragsanteilen wird für 2021 mit dramatischen Kürzungen in den Gemeindehaushalten zu rechnen sein. Im Juni 2020 gab es für die Kommunen einen Monatsverlusten von 31,9% gegenüber dem Juni im Vorjahr. (1) Über das gesamte heurige Jahr gerechnet wird mit einem satten Minus von 11,6% der budgetierten Ertragsanteile gerechnet. (2) Für die laufenden Budgets der Gemeinden - mit Pflichtausgaben in Höhe von bis zu 80% des Gesamtbudgets - eine existenzbedrohende Katastrophe! Der Bundeskanzler dazu: „Alle müssen den Gürtel enger schnallen…“, alle Gebietskörperschaften werden den Gürtel enger schnallen müssen. (3)

Potemkinsches Dorf „Gemeinde-Investitionsmilliarde“

Die türkis-grüne Bundesregierung zündete daraufhin im Sommer aufgrund des Corona-bedingten Wirtschaftseinbruchs die mediale Nebelgranate der „Gemeinde-Investitionsmilliarde“. Diese Gemeinde-Investitionsmilliarde ist jedoch bei genauerem Hinsehen ein potemkinsches Dorf. Denn hinter der schmucken Fassade versteckt sich die bedingungslose Bedingung, dass es sich nur um einen Finanzierungszuschuss für - Wortlaut des Bundeskanzler Kurz - „noch nie dagewesene Investitionen“ von maximal 50% handelt. Eine Kurze Falschaussage, welche schon als vorsätzliche Irreführung bezeichnet werden kann. Die restlichen 50% muss die oftmals verschuldete, zumeist ohne ausreichende Finanzspitze oder Reserven aus Rücklagen ausgestattete Kommune selbst stemmen. Für viele der 2095 österreichischen Gemeinden ein aussichtsloses Unterfangen, mit extremer Überschuldungsgefahr. Im schönen Tirol zum Beispiel, sind immerhin ein Drittel aller Gemeinden stark oder vollständig verschuldet. (4)

Der Städtebund und das KDZ (Zentrum für Verwaltungsforschung) wiesen erst im September 2020 darauf hin, dass die Städte und Gemeinden für 2020 und 2021 zumindest 1 Mrd. Euro benötigen werden, um die laufenden Kosten abzudecken, von einem Gemeindeinvestitionspaket seitens des Bundes ist keine Rede. (5)

40-Milliarden-Investitionsloch aus der Vergangenheit

In der Vergangenheit wurde wegen der EU-Spardiktate eine sehr abgespeckte jährliche Investitionstätigkeit der Gemeinden von annähernd 2 Milliarden Euro pro Jahr praktiziert. Aufgrund der Tatsache, dass seit 1994 der Anteil von Investitionen durch Gemeinden am BIP, schwankend von 1,3% auf unter 0,8% des BIP, gesunken ist, wird auch kein Zahlenmeister erkennen, was hinter der potemkinschen Fassade unserer Politik sich verbirgt. Durch diesen Rückgang der Investitionsquote entstand über den Zeitraum 1994 bis 2018 ein Investitionsloch von 40 Milliarden Euro. Diese fehlen heute in Form von Spitälern, Akutbetten, modernen Schulen, Senioreneinrichtungen, Umweltinvestitionen und vielen anderen mehr.

Die 2095 österreichischen Gemeinden sind der größte öffentliche Investor. Da die Investitionen zumeist kleinteilig an regionale Betriebe vergeben werden, sichern sie Arbeitsplätze und Einkommen im regionalen Umfeld – sofern das nicht durch das EU-Ausschreibungsdiktat unterbunden wird. Was diese Funktion als größter öffentlicher Investor bei anhaltenden Arbeitslosenzahlen von 450.000 Menschen und mehr bedeutet, entzieht sich offensichtlich dem Vorstellungsvermögen der Bundesregierung.

Fatale Folgen für die Gemeinden durch Steuerreform

Aber es kommt für die österreichischen Gemeinden noch wesentlich dicker bzw. dünner im Bereich der Finanzierung. Von gänzlich unerwarteter Seite. Die im Sommer 2020 durchgeführte Steuerreform, das „Konjunkturfördergesetz 2020“ bewirkt nämlich nochmals einen massiven Rückgang der Ertragsanteile für die Gemeinden. Während die Gemeinde-Investitionsmilliarde den Gemeinden zumindest einen Teil der Mindereinnahmen - unter beträchtlichen Hürden der Kofinanzierung - ersetzen soll, bewirkt die Bundesmaßnahme der Steuerreform 2020 eine weitgehende Egalisierung dieser Hilfsmaßnahme. Mit dem Konjunkturstärkungsgesetz 2020 entgehen den Gemeinden in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt eine Milliarde Euro. (6) Das entspricht genau jenem Betrag, welcher den Gemeinden über die Gemeindeinvestitionsmilliarde für Kommunale Investitionen zur möglichen Verfügung gestellt wird. Dies bedeutet für den Finanzminister ein Nullsummenspiel auf dem Rücken der Kommunen.

Gemeindeinvestitionsmilliarde hin, Steuerreform her - für unsere Gemeinden bleibt nichts außer leere Kassen übrig. Das KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung hat im Auftrag des Städtebundes die Prognosen zu den Gemeindefinanzen 2020 bis 2022 erarbeitet. Insgesamt, so die Prognose, fehlen den Gemeinden (ohne Wien) aufgrund der Einnahmenausfälle durch Corona und die Folgen der Steuerreform für die Jahre 2020 und 2021 2,5 Milliarden Euro. (7)

Direkte Mitsprache der Gemeinden notwendig!

Diese finanzielle Aushungerung der Gemeinden ist nur möglich, da diese keine direkte Mitsprache auf Bundeseben bei Gesetzen, welche sie betreffen, haben. Insbesondere das hochkomplexe Finanzausgleichssystem führte in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten zu steigenden Abhängigkeiten der Gemeinden von Ländern und dem Bund. Damit ist die Forderung nach einem unabhängigen Bundesgemeinderat, der von den Gemeinden direkt beschickt wird und als zweite Kammer dem Nationalrat gleichgestellt ist, mehr als aktuell und dringlich einzufordern. (8)

Das Ziel muss sein, unsere Gemeinden wieder in die Autonomie und damit Krisensicherheit zurückzuführen. In einem demokratischen Gebäude Österreich, in welchem nicht nur die schöne Fassade zu sehen ist, sondern darin auf Augenhöhe gleichberechtigt demokratisch für unsere Bürgerinnen ein Solidarstaat durch die autonomen Gemeinden gelebt wird.

Rudi Schober, Gemeinderat Ottensheim
(Dezember 2020)


Anmerkungen:

1.https://www.solidarwerkstatt.at/demokratie-politik/bundesertragsanteile-fuer-die-gemeinden-brechen-im-juni-um-31-6-ein

  1. OÖ Gemeindezeitung 10/2020 S.5
  2. Kommunal 06/2020 S. 18
  3. Tiroler Tageszeitung kompakt vom 3.8.2020
  4. https://www.diepresse.com/5864100/coronahilfen-gemeinden-fordern-von-bund
  5. file:///E:/Gemeinden/Gemeindefin%202020/document.pdf
  6. https://www.staedtebund.gv.at/services/aktuelles/aktuelles-details/artikel/gemeindefinanzen-werden-immer-kritischer/
  7. https://www.solidarwerkstatt.at/demokratie-politik/gemeindeautonomie-wieder-zurckgewinnen-vorwrts-in-den-bundesgemeinderat