ImageDie Großkoalitionäre in der Steiermark wollen die Gemeindefusionen autoritär von oben durchziehen – auch gegen den Willen von BürgerInnen und Gemeindemandataren. Zum letzten Male wurden Gemeindefusionen unfreiwillig durchgeführt, als Österreich schon Oberdonau genannt wurde. Ein Kommentar von Rudi Schober.

 

Wir leben seit geraumer Zeit mit der Tatsache, dass von den österreichweit 2.356 Gemeinden, 1.131 nicht mehr ausgeglichen bilanzieren können. Das sind 48% aller Kommunen, in denen die Verschuldung um 51% gestiegen ist - auf sage und schreibe 11,3 Milliarden Euro (1) für das Jahr 2012. Tendenz zunehmend! Und das bei einem Gesamtetat aller Österreichischen Kommunen im Jahr 2010 von 16,8 Mrd. Euro. Die finanzielle Aushungerung der Gemeinden schein kein Zufall zu sein und lässt die Vermutung wachsen, dass die Demontage der öffentlichen Daseinsfürsorge nicht nur auf Gemeindeebene bewusst und mit Methode vorangetrieben wird.

In diesem Verschuldungsszenario sind allerdings nur die EU-Maastricht-konformen Außenstände der Gemeinden aufgeführt. Das führte etwa zu dem unfassbaren Zustand, dass im Jahr 2010 von den 444 Gemeinden Oberösterreichs, 300 keinen ausgeglichenen Haushalt erstellen können, somit Abgangsgemeinden sind und zu waghalsigen Finanzierungslösungen von Seiten der Landespolitik gezwungen werden. Die „kreativen“ Verschuldensformen, wie Cross Border Leasing, PPP- Finanzierung, KG-Modelle und exotische Finanzderivate, die aus der erdrückenden Finanznot heraus zum vermeintlichen Strohhalm für verschuldeten Gemeinden wurden - unter großzügiger Duldung oder sogar direkten Vorschreibung der höheren Kontrollinstanzen - werden in Zukunft noch für gehörige Aufmerksamkeit sorgen. Diese Schulden werden in zuerst aufgezwungenen und mittlerweile untersagten Kommanditgesellschaften(KG) sowie diversen anderen ausgelagerten Verbänden vor dem Maastricht-Kriterium versteckt.

Sollten diese Finanzierungsgeschäfte und Auslagerungen nicht die hochgesteckten Hoffnungen erfüllen, werden die betroffenen Gemeinden und Bürgermeister/Innen pauschal als unfähige Dummköpfe der Öffentlichkeit vorgeführt, ohne darauf hinzuweisen, dass solches vor den neoliberalen Crash-Jahren, und zum Teil auch noch danach, von Bund, Land und allen übergeordneten Kontrollinstanzen „dringlich empfohlen“ wurden. Im Nachhinein reift in so manchen Gemeindemandatar die Erkenntnis, dass sich die Bevormundung von Bund und Land als extrem nachteilig, ja als ruinös, für die Finanzgebarung ihrer Gemeinden herausstellt.
Mit der aus Brüssel vorgegebenen sozialstaatsfeindlichen Austeritätspolitik werden demokratiefeindliche und realitätsferne neoliberale Dogmen wie eine unantastbare Monstranz nicht nur den Gemeinden zur ausnahmslosen Anbetung vorgehalten. Das Psalmodieren der Maastricht-Kriterien und des Sparzwangs in den öffentlichen Haushalten, die verfassungswidrige Nötigung zu Zwangsverträgen wie den EU-Fiskalpakt sowie das Mantra des „freien“ Konkurrenzregimes, nehmen fast schon religiöse Züge an, hinter denen sich ein wachsender politischer Absolutismus von EU-Kommission und EU-Rat verbirgt. EU-Verträgen und EU-Verordnungen werden bis in die letzte Gemeindestube in atemberaubender Geschwindigkeit durchdekliniert. Von freien und selbstbestimmten Gemeinden in einem demokratischen Sozialstaat ist dabei immer weniger zu sehen.

Experimentierfeld Steiermark

Bundesregierung und Parlament haben die österreichische Verfassung gebrochen, als sie 2008 ohne Volksabstimmung den EU-Reformvertrag installiert haben. Die autokratische Vorgehensweise setzt sich auf Länderebene fort. Ein besonderes Experimentierfeld ist dabei die Steiermark. In diesem Bundesland sollen, so der Plan der großkoalitionären Landeshauptleute, durch Gemeindefusionen von derzeit 542 auf 288 Gemeinden bis ins Jahr 2015 zusammengeschrumpft werden. „Freiwillig“, so der in der Öffentlichkeit verbreitete zynische Terminus. Landeshauptmann Voves (SPÖ) und sein Stellvertreter Schützenhöfer(ÖVP) werden nicht müde der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass 80% der betroffenen Gemeinden dies freiwillig täten. Allein die Presseinformation, dass im Jahr 2013 zu diesem Behufe gut 1000 Gespräche geführt wurden, lässt massive Zweifel an der Freiwilligkeit dieser Selbstbeschneidung aufkeimen. Als praktikables Argument in diesen Gesprächen wird sicherlich gegolten haben, dass von Seiten der Fusionsbetreiber, dem Land Steiermark, die horrenden Löcher in den ausgemergelten Gemeindebudget über sog. Bedarfszuweisungen (BZ-Mittel) notdürftig abzudecken. Natürlich auch freiwillig, widerruflich. Anfangs sind die Kleingemeinden unter 1.000 Einwohner/Innen als Grund dieser Fusionswelle bemüht worden, jetzt sollen bereits Gemeinden mit über 4.500 Einwohnerinnen mit mehreren andern großfusioniert werden.

Am brutalsten schlägt dieser Fusionswahn in der Südoststeiermark zu, in welcher im Bezirk Deutschlandsberg von 40 nur mehr 15 Gemeinden übrig bleiben sollen. Für einige Gemeinden wird die Wahl, so zu bleiben oder zusammenlegen nicht wirklich freiwillig sein. Für viele von ihnen (ca. 85), soll es gegen den Willen der Bürger/Innen, der Gemeinderäte und Bürgermeister/Innen zu der von Landesregierung verordneten Zwangsfusionierungen kommen sollen. Autokratisch wie in Diktaturen, gegen den Willen von Volk und Souverän. Auch hier wird also EU-Politik bis in die Gemeinde durchgestellt. Wenn den Menschen Volksabstimmungen über den EU-Reformvertrag oder den Fiskalpakt verweigert werden, warum sollen die Menschen dann über Gemeindezusammenlegungen selbst entscheiden dürfen. Der Wille von Bevölkerung und Gemeindemandataren ist bei unbestimmtem Ausgang eine Abstimmung den Mächtigen zu hinderlich. Zum letzten Male wurden Gemeindefusionen unfreiwillig durchgeführt, als Österreich schon Oberdonau genannt wurde.

Kleine Gemeinden wirtschaften am effizientesten

Dass die öffentliche Verwaltungsaufwendungen durch Gemeindefusion effizienter und billiger würde, hat die OECD-Studie „Government at a Glance“ (2) von Anfang November 2013 selbst widerlegt. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass Gemeindeverwaltungen bei bis zu 5.000 Einwohner/Innen über die kostenmäßig effektivsten Verwaltungen verfügen. 90% aller Österreicher/innen sind mit Ihrer öffentlichen Verwaltung hoch zufrieden sind, ein Spitzenwert, während 38% der Österreicher/Innen mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sind bzw. dieser gänzlich misstrauen.

Der Anteil der Öffentlich-Beschäftigten in Österreich, inklusive Länder und Gemeinden an der Gesamtbeschäftigung beträgt 10,7%, in im OECD-Durchschnitt 15,5%. Die Einkommen der öffentlichen Bediensteten in Österreich liegen unter dem Durchschnitt der OECD Länder, wobei die Einkommen der hohen Beamten und Vertragsbediensteten genau so mit eingerechnet wurden, wie jene der Sekretäre/Innen, Gemeindebeamten und allen anderen öffentlichen Bediensteten in Bauhöfen, Schulküchen und Krankenhäusern. Doch noch haben sich die öffentlich Bediensteten zu wenig bemerkbar gemacht, sonst würde Ihr Wert entsprechend gewürdigt, nicht mit Kürzungen und Zusammenlegungen, sondern mit kräftigen Lohnabschlüssen und ausreichender Personalaufstockung in allen Bereichen.

Verfassungsbruch


Es ist jedoch nicht nur politisch autoritär, wenn ohne jeglichen sachlichen Nachweis, ein selbstbestimmtes, bürgernahes Verwaltungsorgan wie unsere Gemeinden entmündigt, zerschlagen und rechtswidrig zerstört werden. Es ist auch rechts- und verfassungswidrig. So heißt es im Bundesverfassungsgesetz Artikel 118 (4):


„Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen und unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen.“


Das heißt: Mit Zahlenspielereien wird ein kleinteiliges und politisch nicht leicht lenkbares Basiselement unsere Gesellschaft in EU-konforme Maßeinheiten gebracht. In weiterer Folge können dadurch neoliberale Maßnahmen wieder ein Stück leichter durchgedrückt und umgesetzt werden.


Das Wahlverhalten der Steiermärkischen Bevölkerung und Gemeindeverantwortlichen zur Nationalratswahl September 2013 zeigte deutlich die fehlende Akzeptanz des Wütens von LH. Voves(SPÖ) und LHstv. Schützenhofer (ÖVP) in der Causa Gemeindezusammenlegung. Die Parteien des Gemeindekahlschlages schrumpften um jeweils über 5%. Deren Reaktion: „Wir machen weiter, Augen zu und durch“. Lernunfähigkeit ist das Ergebnis, wenn hoheitlicher Verfassungsbruch zum hoheitlichen Demokratieverständnis wird.


Ein ausgleichender Sozialstaat braucht Gemeinden, die in der Lage sind, Infrastrukturen und Leistungen der Daseinsfürsorge für alle zu finanzieren, um ein sozialverträgliches, ausgewogenes und somit friedliches Zusammenleben zu gewährleisten. Das erfordert eine gesellschaftliche Übereinkunft, durch wertschöpfungsorientierte Steuern und Beiträge ein entsprechend hohes Niveau eines Sozialstaates zu halten und auszubauen. Das steht freilich in diametralem Gegensatz zu den Sparvorgaben des EU-Fiskalpaktes und des Österreichischen Stabilitätspaktes. Darin ist vorgesehen, für Länder und Gemeinden ein Defizit von 0,44 Prozent in Jahr 2013. Im Jahr 2014 soll das Defizit auf 0,29 Prozent und 2015 auf 0,14 Prozent schrumpfen. Für 2016 ist vorgesehen, dass die beiden Gebietskörperschaften dann in Summe ausgeglichen bilanzieren, veranschlagt ist ein Überschuss von 0,01 Prozent. Den Löwenanteil dafür müssen die Gemeinden stemmen, nämlich schon derzeit Überschüsse bis 2016.

Nachdem die Investitionsquote der Gemeinden von 1996 knapp 1,4% des BIP auf klägliche 0,5% im Jahr 2011 gesunken ist, wird weiterhin dogmatisches Sparen befohlen. Der Investitionsstau der Gemeinden beläuft sich bereits auf über 5 Mrd. Euro; das sorgt für hohe Arbeitslosigkeit, einbrechende Umsätze bei der regionalen Wirtschaft, fehlende Beitragsleistungen in Gebietskörperschaften, Verschlechterung der Infrastrukturen, jedoch zufriedene Gesichter in Brüssel, denn die Zahlen auf dem Schreibtisch müssen stimmen, egal wie.


Bundesgemeinderat statt Länderfürsten


Um hier gegensteuern zu können, müssen die Gemeinden nicht nur ihr in der österreichischen Bundesverfassung festgelegtes Selbstbestimmungsrecht zurückerobern. Es muss im Dienste der Öffentlichen Daseinsfürsorge für einen ausgleichenden Sozialstaat eine neue Plattform zur Artikulation des Willens an Gestaltung der Gemeinden gegründet werden. Anstelle des Bundesrates, der keinerlei legislative und exekutive Macht besitzt, und anstelle von Landespotentaten und ihren Scheinparlamenten, die derzeit vor allem EU-Direktiven in die Gemeinden durchstellen, brauchen wir eine Bundesvertretung der Gemeinden, einen Bundesgemeinderat, dessen Mitglieder von den Gemeinden direkt gewählt bzw. auch wieder abberufen werden können. Vertreter/Innen in dieses dem Nationalrat gleich gestellte Gremium beschickt. Dieser Bundesgemeinderat muss bei allen die Gemeinden betreffenden Fragen, insbesondere Budgetfragen, volles Mitentscheidungsrecht haben. Nur so können sozialstaatliche Aufgaben ausreichend wahrgenommen können; nur so kann der Wille des Souveräns, aller Menschen in Österreich, auch auf Bundesstaatsebene ausreichend Gehör finden.


Nicht der Wille einer kleinen Elitenschicht ist das Maß der Legislative, der Wille von Mehrheiten muss das Maß der Legislative sein und das Handeln der Exekutive bestimmen. Daran müssen die Gemeinden beteiligt sein, alles andere geht an der Verfassung und am Willen des Souveräns vorbei.

Rudolf Schober


Anmerkungen:
(1)Gemeindebundpräsident Mödlhammer, DerStandard 14.11.2013 S.2
(2) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Der Standard 15.11.2013 S.23