Mehr als ein Drittel der Arbeiterinnen und Arbeiter ist in Österreich vom Wahlrecht ausgeschlossen. In Wien sind es sogar sechs von zehn. Ein Auszug aus einem Artikel von www.kontrast.at

18 Prozent (1,4 Mio) der in Österreich lebenden Menschen im Wahlalter sind nicht wahlberechtigt, auch wenn sie hier arbeiten und Steuern zahlen. Noch problematischer ist die Situation in Wien. Allein in der Bundeshauptstadt sind 540.000 Menschen bzw. 32 Prozent der Bevölkerung von den Wahlen ausgeschlossen. 53 Prozent dieser Menschen leben bereits mehr als 10 Jahre in Österreich.

Wer hat ein Recht auf die österreichische Staatsbürgerschaft?

Ganz grundsätzlich haben Menschen einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft, wenn sie 30 Jahre lang ihren Hauptwohnsitz im Land haben oder sich 15 Jahre lang ununterbrochen in Österreich aufgehalten haben. Auch erhält man das Recht auf Verleihung der Staatsbürgerschaft nach 5-jähriger Ehe mit einer Österreicherin oder einem Österreicher sowie mit einem Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau “B2”, das ist Matura-Niveau. Zusätzlich nötig ist aber für alle diese Fälle der dauerhafte Aufenthalt in Österreich in den letzten 6 Jahren.

Für einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft braucht man überdies den Nachweis einer Krankenversicherung, einer ausreichenden Unterkunft und juristischer Unbescholtenheit im In- und Ausland.

Dann gibts es noch Regelungen wie diese: Wenn der Partner, die Partnerin oder eine Mitbewohner:in in einer Wohngemeinschaft Wohnbeihilfe oder Sozialhilfe bezieht, ist das Grund für Verweigerung der Staatsbürgerschaft.

Am Ende entscheidet das Geld

Sind alle formalen Kriterien erfüllt, beginnt allerdings erst die wirkliche Auslese. Denn wer die österreichische Staatsbürgerschaft erhält und wer nicht, entscheidet die Brieftasche. Denn jede/r Antragstellende muss den sogenannten „gesicherten Lebensunterhalt“ nachweisen. Dieser gesicherte Lebensunterhalt soll eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen ermöglichen.
Für Einzelpersonen gilt dabei eine Untergrenze von 1.030 Euro, die pro Monat frei zur Verfügung stehen müssen. Für eine Familie mit zwei Kindern sind es im Jahr 2022 1.943 Euro.

Dieses Geld muss vom Einkommen übrigbleiben, wenn Miete mit Betriebskosten, Strom & Gas, Leasing-Raten z.B. für das Kfz, Unterhaltsleistungen, Kreditraten usw. schon abgezogen sind. Aber: Wer hat das schon?

Bei den aktuellen Löhnen in vielen Branchen ist diese Vorgabe nicht zu erreichen. Zu den am schlechtesten bezahlten Branchen gehören etwa Küchenhilfen, Reinigungspersonal, Kassierer:innen, Call-Center Beschäftigte, Zusteller:innen oder Verkäufer:innen. Sie verdienen meist nur zwischen 1.300 und 1.500 Euro netto.

Klassen-Unterschied

Solche Gehälter sind eine unüberwindbare Hürde zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Denn wenn man von diesen Netto-Gehältern die regelmäßigen Kosten abzieht, ist es unmöglich, die verlangten 1.030 Euro im Monat “frei zur Verfügung” zu haben.

Dazu kommen noch hohe Gebühren für den Erwerb der Staatsbürgerschaft: Bis zu 1.115 Euro an Abgaben müssen an den Bund geleistet werden. Die Länder kassieren noch bis zu 865 Euro.

Das heißt, der österreichische Gesetzgeber macht einen Klassen-Unterschied zwischen Programmierer:innen, Rechtsanwält:innen, Ärzt:innen, qualifizierten Facharbeiter:innen und den hart arbeitenden Menschen mit geringem Einkommen. Die einen erhalten die Staatsbürgerschaft und damit das Wahlrecht, – die anderen haben darauf keine Chance.

Die Zahlen im Detail:

  • Von den 1,4 Millionen Arbeiter:innen in Österreich, hat eine halbe Million keine Staatsbürgerschaft, das sind rd. 36 Prozent. Unter den Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeitern sind es genau 50 Prozent, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben.
  • Am ausgeprägtesten ist diese Entwicklung in Wien: In der Bundeshauptstadt haben 60 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter kein Wahlrecht, unter den Hilfsarbeiter:innen sage und schreibe 82 Prozent.

Dieser schleichenden Entwicklung in Richtung Zensuswahlrecht, das die benachteiligten sozialen Gruppen von der politischen Mitbestimmung ausgrenzt, müssen wir entschieden entgegentreten.

Vorgestriges Abstammungsprinzip

Auch das vorgestrige Abstimmungsprinzips müssen wir endlich beseitigen. Dieses Abstammungsprinzip bedeutet, dass auch in Österreich geborene und hier aufwachsende Kinder keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, wenn die Eltern Ausländer:innen sind. Jedes fünfte in Österreich geborene Kind besitzt keine Staatsbürgerschaft. Seit dem Jahr 2000 wurden etwa 250.000 Kinder in Österreich geboren – und sind mittlerweile volljährig, ohne Staatsbürgerschaft, ohne Wahlrecht. Sie sind in Österreich integriert und zumeist ohne Bezug zum Herkunftsland ihrer Eltern. Das ist demokratie- und integrationspolitisch ebenso untragbar wie die sozialen Barrieren zur Staatsbürgerschaft. Es ist höchste Zeit, das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Mittelalter in die Gegenwart zu holen.