In seiner Rede anlässlich der 65. Jahrestages der Staatsvertragsunterzeichnung, am 15. Mai 2020, hält Raimund Boris Lechthaler fest, dass Antifaschismus und Unabhängigkeit Österreichs untrennbar miteinander verknüpft sind.
„Wer die Tatsache, dass Österreich Opfer der Aggression Nazideutschlands war, zum Mythos erklärt, erklärt die antifaschistischen Grundlagen der II. Republik zum Mythos!“ Raimund Boris Lechthaler, Aktivist der Solidarwerkstatt Österreich, beschäftigt sich in seiner Rede anlässlich des 65. Jahrestag des Österreichischen Staatsvertrags mit einer gefährlich Geschichtsverdrehung:
Wir feiern dieser Tage nicht nur 65 Jahre Staatsvertrag, sondern auch 75 Jahre Befreiung vom Faschismus. In diesem Zusammenhang wird vielfach vom Opfermythos gesprochen. Dass Österreich Opfer des deutschen NS Regimes gewesen ist, sei ein Mythos.
Insbesondere sei dieser Mythos dafür verantwortlich, dass Österreich seine Vergangenheit erst verspätet aufgearbeitet habe. Dieser Mythos sei dafür verantwortlich, dass hunderttausende ÖsterreicherInnen, die an den NS Verbrechen mitgewirkt haben, sich unter Bezugnahme auf diesen Opfermythos aus der Verantwortung gestohlen haben und stehlen konnten.
Freilich, es ist ein historisches Faktum: Nicht nur haben hunderttausende ÖsterreicherInnen den sogenannten Anschluss begrüßt. Während der ganzen I. Republik haben organisierte politische Kräfte, insbesondere der deutschnationale Rechtsextremismus, aber nicht nur dieser, oft an den führenden politischen Schaltstellen dieser Republik, alles unternommen, um diese Republik zu zerstören.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Es bleibt dennoch auch ein historisches Faktum, dass Österreich Opfer des deutschen Imperialismus, des deutschen Faschismus wurde. Selbst, wenn 90% der Menschen in Österreich den Anschluss begrüßt hätten, was nachweislich nicht der Fall war, würde das an dieser historischen Tatsache nichts ändern.
Vergessen wir nicht, auch in anderen Ländern wurde die deutsche Gewaltherrschaft von rechtsextremen, faschistischen Kräften bejubelt, haben sich sogenannte „hilfswillige Kräfte“ gefunden, die die Nazis bei der Errichtung und Exekutierung ihrer Gewaltherrschaft unterstützt haben. Das hat eine Rolle gespielt und muss natürlich in der Bearbeitung eine Rolle spielen.
Im völkerrechtlichen Sinne war der 12. März 1938, der sogenannte Anschluss, dennoch ein völkerrechtswidriger Gewaltakt, der auch nicht später durch die Volksabstimmung vom 10. April 1938 legitimiert wurde. In der Moskauer Deklaration vom November 1943 haben die alliierten Mächte unmissverständlich festgehalten, dass Österreich Opfer der Aggression Hitlerdeutschlands war.*) Auf dieser Rechtsposition wurde das freie, demokratische Österreich wiedererrichtet. Diese Tatsache steht für alle Zeiten fest und kann nicht mehr ausradiert werden. Auch nicht in tausend Jahren.
Liebe Freundinnen und Freunde,
für die mangelhafte Aufarbeitung der Geschichte Österreichs, für die Nichtverfolgung von NS-Verbrechern, ja für deren Integration in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, ist nicht der Opfermythos verantwortlich, sondern das Bestreben restaurativer politischer Kräfte den antifaschistischen Grundkonsens von 1945 durch einen antikommunistischen Grundkonsens zu ersetzen.
Umgekehrt gilt, die antifaschistischen Grundlagen der II. Republik sind untrennbar mit dieser völkerrechtlichen Tatsache verknüpft. Das wird unmittelbar deutlich, wenn wir uns mit den rechtlichen Grundlagen des Antifaschismus in Österreich auseinandersetzen, z. B. dem NS-Verbotsgesetz:
Hier wird eindeutig normiert, dass die Verpflichtung der II. Republik, jeglicher Form des Nationalsozialismus unnachgiebig entgegenzutreten, unmittelbar mit der Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Selbständigkeit, unmittelbar mit der Verpflichtung zur Verteidigung der Souveränität Österreichs verknüpft ist.
Umgekehrt sehen wir:
Wer die Tatsache, dass Österreich Opfer der Aggression Nazideutschlands war, zum Mythos erklärt, erklärt die antifaschistischen Grundlagen der II. Republik zum Mythos. Trotz aller betulichen antifaschistischen Bekenntnisse führender Repräsentanten der Republik, wird vom NS-Verbotsgesetz nicht mehr gesprochen. Damit wird der Antifaschismus zum hohlen, zahnlosen Bekenntnis.
Erst damit wird ermöglicht, dass dieses hohle antifaschistische Bekenntnis zum Schmiermittel wird, mit dem der Unterordnung Österreichs unter ein imperiales europäisches Projekt, namens EU, unter ein imperiales europäisches Projekt unter deutscher Führung der Weg freigemacht wird.
Es ist der Gipfel an Zynismus, wenn unser Bundespräsident, am Tag des Sieges über das NS-Regime, sein Verdikt über die österreichische Kleinstaaterei ausspricht. Unter direktem Rückgriff auf das Begriffssystem der Nazis, werden so die hunderttausenden österreichischen Opfer des NS-Regimes verhöhnt.
Liebe Freundinnen und Freunde.
Es ist Zeit, das auszusprechen.
Es lebe der Staatsvertrag!
Es lebe das freie, solidarische, demokratische, neutrale und weltoffene Österreich!
*) „Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll.“ (veröffentlicht am 1.11.1943)
Raimund Boris Lechthaler
(Mai 2020)