Am 12./13. Juli veranstaltete die Werkstatt Frieden & Solidarität in Ebensee das Antifaschismus-Seminar „1938-2008 Europa der Konzerne und Generäle“. Es ging darum, zu thematisieren, was in den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten tabuisiert wird: die historischen Kontinuitäten jener gesellschaftlichen Triebkräfte und Akteure, die – bei aller Unterschiedlichkeit der Mittel - 1938 wie 2008 zum Kampf um die Weltmacht drängen.
Der Zeitgeschichts-Professor Dr. Hans Hautmann (Univ. Linz) entwickelte in seinem Vortrag, wie der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland im Jahr 1938 der ökonomische „Anschluss“ zuvorging: Dresdner Bank und Deutsche Bank und die von ihnen kontrollierten Konzerne sicherten sich schon lange davor maßgeblichen Einfluss auf österreichische Banken und Industrieunternehmen. Es waren letztlich diese Kapitalgruppen wie Creditanstalt/Bankverein und Merkur sowie die autoritären Ständestaats-Eliten, die Österreich den Nazis und ihren Weltmachtsplänen auslieferten. Die Vertreter derselben deutschen Kapitalgruppen (Deutsche Bank, Thyssen, Siemens, usw.), die sich damals die Filetstücke der österreichischen Wirtschaft einverleibten sitzen auch heute wieder im Aufsichtsrat der ÖIAG und haben sich ehemals „deutsches Eigentum“, das nach 1945 verstaatlicht wurde, wieder angeeignet (z.B. VA-Tech).
"Etwas vollbringen, woran wir zweimal gescheitert sind"
Gerald Oberansmayr, Werkstatt-Aktivist und Redakteur der Zeitung guernica, verwies in seinem Referat darauf, daß es auch heute vor allem die deutschen Machteliten sind, die im Gewand der Europäischen Union ihre Weltmachtsambitionen vorantreiben. Bereits unmittelbar nach der Wiedervereinigung posaunte der damalige deutsche Kanzler Kohl, dass „sich Deutschland nun offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und diese ausweiten soll“ (taz 31.1.1991) und für den damaligen BRD-Außenminister Kinkel ging es ab nun darum „nach außen etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind“ (FAZ, 19.3.1993). Sein Nachfolger, Joschka Fischer, setzte diese Politik fort: Deutschland solle nun „zurückerhalten, was ihm Europa, ja die Welt, in zwei großen Kriegen erfolgreich verwehrt hat, nämlich eine Art sanfter Hegemonie über Europa, Ergebnis seiner Größe, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner Lage.“ (in: Risiko Deutschland, 1995) Dass man dabei gegen Widerspenstige durchaus „unsanft“ zur Sache zu gehen bereit ist, haben die Berliner Machthaber in Jugoslawien vorexerziert. Durch eine Politik der völkischen Parzellierung, deren Grundlagen in die NS-Zeit zurückreichen, wurde der Balkan wieder weitgehend zum Hinterhof deutscher Politik und Konzerne degradiert.
Doppelpass zwischen FPÖ und politischem Zentrum
Die 2. Republik hat in ihren Verfassungsgrundlagen nach 1945 Konsequenzen aus der verheerenden Verstrickung in großdeutsche Weltmachtspläne gezogen, allen voran: Neutralitätsgesetz (Antimilitarismus), Staatsvertrag (Antifaschismus und Anschlussverbot), Verstaatlichtengesetze (um den ökonomischen „Anschluss“ zu verhindern, der 1938 dem politischen voranging). Seit dem EU-Beitritt werden diese antifaschistischen Grundlagen der 2. Republik systematisch ausgehöhlt. Privatisierung und Neutralitätsdemontage gehen Hand in Hand mit einer Außenpolitik, die mittlerweile offen als verlängerter Arm der deutschen Machteliten fungiert. Es gehört zu den für SP-, VP- und Grün-Spitzen geradezu existenziellen Tabus, die Kontinuitäten der Triebkräfte und Akteure zu verschleiern, die die heutige EU-Entwicklung mit der Zeit vor 1945 verbindet. Als – für beide Seiten – hilfreich hat sich dabei das Doppelpassspiel mit rechtsaußen, insbesondere der FPÖ, erwiesen. Indem sich die FPÖ als scheinbare „Anti-EU“-Partei gebärdet, kann EU-Opposition ins rechte Eck gerückt und EU-Befürwortung geradezu als eine neue Form des Antifaschismus geadelt werden. Medial totgeschwiegen wird dabei, dass die FPÖ keineswegs ein Gegner der EU ist, sondern deren „Finalität“ besonders vehement vorträgt: ein deutsch geführtes Europa, das aggressiv die Supermachtskonfrontation sucht. So fordert ein FPÖ-Programmpapier „ein klares Bekenntnis zur europäischen Integration“, um „sich im Zeitalter der Globalisierung in den weltweiten Verteilungskämpfen, insbesondere gegenüber den USA, gegenüber China, gegenüber Russland, gegenüber der islamischen Welt und anderen Teilen der Dritten Welt“ behaupten zu können. Auch HC Strache mahnt, „unsere Energie darauf konzentrieren, eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, welche nur die europäischen Interessen und nicht die der Wall Street vertritt.“ (Zur Zeit, 20/2004) Konsequenterweise fordert die FPÖ in ihrem Programm eine militärische Beistandsverpflichtung in der EU und die Teilnahme Österreichs an globalen EU-Militärmissionen (Petersberg Missionen). Das zeigt, dass das Neutralitätsbekenntnis der Freiheitlichen ebenso verlogen ist, wie das der anderen Parteien. Deckungsgleich mit der Beschlusslage der Grünen will FP-Chefideologe Andreas Mölzer die österreichische Neutralität auch formell beerdigen, sobald es eine "wirklich europäische Verteidigung" gibt. Ähnlich wie bei SPÖ, ÖVP und Grünen dient auch der FPÖ die Neutralität nur als Sperrriegel gegen die NATO, hat aber keine Einwände gegen das Mitmarschieren bei der EU-Militarisierung. Mölzer macht aus seiner Abscheu vor der Neutralität kein Hehl: „Das Gegenteil der neutralen ‚Kleinstaaterei’ ist der Reichsgedanke, für den Österreich einst stand. Das neue Europa kann nur an den alten Reichsgedanken anknüpfen. Neutralität, Neutralismus und schlechthin der Typus des Neutralen werden für dieses Europa uninteressant, ja unverträglich sein. Österreich, die Österreicher, sie wären einer der berufensten Träger dieses neuen europäischen Reichsgedanken, wenn sie sich nur entschließen könnten, die Neutralität … als obsolet zu betrachten.“ (Servus Österreich, 1996).
Besonders angetan ist Andreas Mölzer davon, dass sich innerhalb der EU die politischen Grenzen auflösen werden und dadurch eine „grenzenlos deutsche alte und wieder neue europäische Mitte“ (Europa unser, 2005) entstehe. Dieser „Anschluss“ durch die europäische Hintertür werde auf dem Hintergrund der EU-Osterweiterung dazu führen, dass „Berlin und Wien in die Mitte des neuen Europas (rücken). Die Achse Brüssel-Straßburg, die bisher sowohl geopolitisch als auch von den politischen Entscheidungsträgern her, das Zentrum der EU war, dürfte damit von der Achse Berlin-Wien mit einer gewissen Zwangsläufigkeit abgelöst werden.“ (Europa unser, 2005). Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich also der Konflikt zwischen politischem Zentrum und extremer Rechter zum Gutteil als medialer Theaterdonner, der von der Ungeheuerlichkeit ablenken soll, dass heute die österreichischen Machteliten – parteiübergreifend - wieder eine Großmachtsrolle im Rahmen der EU an der Seite Deutschlands anstreben.
Sozialdarwinismus - Vom Neoliberalismus zum Rechtsextremismus
Die EU ist freilich auch Motor für jenen neoliberalen Kapitalismus, dessen sozialdarwinistisches Menschen- und Gesellschaftsbild Gewaltphantasien, Überlegenheitsdünkel und Verachtung für die Schwachen treibhausmäßig gedeihen lässt. Elke Renner, Werkstatt-Aktivistin und Redakteurin der pädagogischen Zeitschrift schulhefte entwickelte in ihrem Vortrag den Nachweis, dass gerade eine von Aufstiegskämpfen und Abstiegsängsten zermürbte Mittelschicht sich als zunehmend anfällig für rechtsextreme Ideologien erweist. Bei aller systemkritischen Rhetorik erweist sich der Rechtsextremismus als zutiefst herrschaftskonform. Statt solidarischen Widerstand gegen die neoliberalen Zumutungen von „oben“ zu leisten, sollen die sozialen Abstiegsängste in Aggressionen gegen die Schwächsten der Gesellschaft (MigrantInnen, Arbeitslose) umgelenkt werden.
An den konkreten antifaschistischen Errungenschaften der 2. Republik anknüpfen
In der Debatte über die Frage, worin die aktuellen antifaschistischen Herausforderungen in der heutigen Zeit bestehen, nahmen zwei Punkte einen zentralen Raum ein:
1 Kampf gegen EU-Großmachtspolitik und Rechtsextremismus, gegen Neoliberalismus und Rassismus sind zwei Seiten einer Medaille. Wir brauchen keine abstrakten Modelle, deren Einlösung uns auf ein Irgendwann und Irgendwo vertrösten, sondern die konkrete Anknüpfung an die antifaschistischen Errungenschaften der 2. Republik, die nach wie vor in der österreichischen Gesellschaft lebendig sind: Neutralität, Staatsvertrag, öffentliches Eigentum in Kernbereichen, ein solidarisches Sozialversicherungssystem – lassen sich letztlich nur dadurch verteidigen bzw. wiedererringen, indem Österreich aus der Festung EU ausbricht. Souveräne Kleinstaatlichkeit, beruhend auf Neutralität und solidarischen Sozialbeziehungen, ist die notwendige Grundlage für weltoffene Allianzen mit anderen Neutralen und Blockfreien in und außerhalb Europas.
2 Wir brauchen keinen Bekenntnisantifaschismus und keine Abgrenzungszeremonien, sondern den konkreten Kampf um ein neutrales, solidarisches und weltoffenes Österreich. Dies erfordert in erster Linie Eigenaktivität und organisierte Selbstermächtigung von unten, statt darauf zu vertrauen, dass ein Kreuz alle fünf Jahre etwas verändern wird. Auf diese Selbstorganisation von unten, ausgehend von Gemeinden, Betrieben und Schulen, wollen wir uns als Werkstatt Frieden & Solidarität konzentrieren, dafür wollen wir hilfreich und nützlich sein.
Zeitzeugengespräch - Zeitgeschichtemuseum - Gedenkstätte KZ Ebensee
Am zweiten Tag des Seminars beschäftigten wir uns mit der Geschichte Ebensees sowohl im antifaschistischen Widerstand als auch als Standort eines Außenlagers des KZ Mauthausen. Sehr empfehlenswert ist ein Besuch und die kompetente Führung im Zeitgeschichtemuseum Ebensee (http://bob.swe.uni-linz.ac.at/Ebensee), das einen Überblick über die politische und soziale Entwicklung Ebensees in der Zwischenkriegszeit und der NS-Zeit gibt. Einen wichtigen Stellenwert nimmt dabei der antifaschistische Widerstand im Salzkammergut ein. Beeindruckt waren die TeilnehmerInnen auch von der anschließenden Begegnung mit dem Zeitzeugen Ladislaus Zuk, der 1940 in Polen von der Gestapo festgenommen und schließlich zur Zwangsarbeit ins KZ Ebensee deportiert wurde. Der 89-Jährige schilderte authentisch und berührend seine entsetzlichen Erfahrungen im KZ. Er beeindruckte nicht nur durch diese Schilderungen, sondern auch durch seine ungebrochene Vitalität, die zeigt, wie wichtig es ihm ist, nachkommenden Generationen zu vermitteln, welche Barbarei sich hier zutrug, um zu verhindern, dass sie sich jemals wiederholt. Abschließend besuchten wir das Gelände des ehemaligen KZ-Ebensee, wo zehntausende Häftlinge, insbesondere aus Russland und Polen, unter grausamsten Bedingungen Stollen für die Kriegsproduktion graben mussten. In der Zeit von November 1943 bis Mai 1945 kamen in Ebensee 8.745 Häftlinge durch diese Arbeit zu Tode. Einen Tag vor der Befreiung des Lagers, am 5. Mai 1945, versuchte der Lagerkommandant noch, die über 18.000 Häftlinge in die Stollen zu treiben und diese zu sprengen, um sich aller Zeugen zu entledigen. Sie leisteten allerdings einen so starken Widerstand, dass der Lagerkommandant das Vorhaben fallen lassen musste.
Mit dem Seminar "1938-2008: Europa der Konzerne und Generäle" unterstrich die Werkstatt Frieden&Solidarität, daß ihr Programm "Für eine Friedensrepublik Österreich" und ihre konkreten Kämpfe gegen Sozialkahlschlag, Entdemokratisierung und Militarisierung in der Tradition des antifaschistischen Widerstands in Österreich steht. Besonderen Dank zollten die TeilnehmerInnen, dem Werkstattaktivisten und Gemeinderat Rudi Schober, für die gute Vorbereitung und Organisation des Seminars. Zeitzeugengespräch mit Ladislaus Zuk
Besuch des Zeitgeschichtemuseums Ebensee
Stollen des ehemaligen KZ-Ebensee