ImageDie Flüchtlingstragödie vor Lampedusa, die über 300 Menschen das Leben gekostet hat, ist die Spitze des Eisbergs. Seit 1988 starben 19.144 Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen. Die Solidar-Werkstatt ruft auf, nicht die Flüchtlinge, sondern die Ursachen der Flucht zu bekämpfen.


Die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa, die über 300 Menschen das Leben gekostet hat, ist die Spitze des Eisbergs. Folgenden Horrorbericht entnehmen wir der Nicht-Regierungsorganisation Fortress Europe: „Seit 1988 starben entlang der europäischen Grenzen mindestens 19.144 Immigranten, davon sind 8.822 Leichen immer noch im Mittelmeer verschollen. Im Mittelmeer, sowie im Atlantischen Ozean nach Spanien starben 14.309 Personen. 6.837 sind im Kanal von Sizilien ertrunken, zwischen Libyen, Tunesien, Malta und Italien, davon 5.086 verschollen; 229 weitere Tote zwischen Algerien und Sardinien, Italien. Weitere 4.899 Tote zwischen Marokko, Algerien, Mauretanien, Senegal und Spanien, beim Überqueren der Meeresenge von Gibraltar oder in der Nähe der Kanarischen Inseln, davon sind 2.462 verschollen. 1.504 Tote in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland, davon sind 842 verschollen. 705 Tote in der Adria, zwischen Albanien, Montenegro und Italien, davon sind 314 verschollen.“ (1)

Ursachen der Flucht: Krieg und neoliberale Wirtschaftspolitik

Der Großteil der Debatten in Medien und Politik übersehen geflissentlich das Wesentliche: Menschen flüchten nicht leichtfertig; sie flüchten, weil ihr Leben bedroht, ihre Lebensgrundlagen zerstört sind. Die Politik der westlichen Staaten, nicht zuletzt der EU tragen eine große Verantwortung dafür, dass so viele Menschen bedroht, dass ihre Lebensgrundlagen zerstört wurden und werden: die westlichen Kriege gegen Irak, Afghanistan, Pakistan und Libyen, die indirekte militärische Intervention des Westmächte in Syrien haben nicht nur über eine Million Menschen das Leben gekostet, sie haben auch Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU, die den Mittelmeerstaaten Freihandelsregime aufzwingt, die europäischen Fischfangflotten, die die Küsten West- und Ostafrikas leerfischen, zerstören tagtäglich die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen von Menschen in Afrika und im Nahen Osten.

Mit Hilfe eines mörderischen Grenzregimes will man sich dann jene Menschen vom Leib halten, die vor Krieg und Elend flüchten. Diesem Zweck dient die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX, an der auch Österreich beteiligt ist. Deren Wirkungsweise beschreibt die internationale NGO „Afrique-Europe-Interact“ folgendermaßen: „Tausende sterben auf See nach oder bei illegalen Rückschiebungen, das Abfangen und 'Umdrehen' der Bootsflüchtlinge ist das tägliche Geschäft von Frontex: vor den Küsten Westafrikas (Operation Hera), im Mittelmeer (Operation Nautilus) oder in der Ägäis (Operation Poseidon). Natürlich spielen die spanischen, italienischen oder griechischen Grenzpolizeien eine zentrale und oftmals die schlimmere Rolle bei der Blockierung und Rückschiebung von Flüchtlingen und MigrantInnen nach Senegal, Libyen oder in die Türkei. Aber die militarisierte Frontex-Armada toleriert nicht nur diese lebensgefährlichen Praktiken der Menschenjagd und unrechtmäßigen Abschiebungen. Frontex moderiert, koordiniert und bilanziert diesen Krieg gegen Flüchtlinge und MigrantInnen in der Absicht, ein Abschreckungsregime zu installieren“ (2).

„Abriegelungsaktionen“

In EU-Strategiedokumenten wird diese zynische Politik offen propagiert. So heißt es in einem Papier „der EU-Agentur „Institut für Sicherheitsstudien“ aus dem Jahr 2009: „Die wichtigste Aufgabe der EU-Sicherheitspolitik“ sei es, die „die transnationalen funktionellen Ströme und deren Knotenpunkte“ sicherzustellen: also vor allem die Waren-, Kapital- und Rohstoffströme. Das erfordere „globale militärische Überwachungskapazitäten und die Fähigkeit zur Machtprojektion“ – vor allem durch die Zusammenarbeit von "Transnationalen Konzernen" und den sog. „Postmodernen Gesellschaften EU und USA“, da diese an der Spitze der „globalen hierarchischen Klassengesellschaft“ stünden und damit die wichtigsten „stakeholder der Globalisierung“ seien. Während also für die Konzerne die „Ströme der Globalisierung“ – wenn es sein muss mit Waffengewalt - fließen sollen, sollen gegenüber „der untersten Milliarde“ diese Ströme unterbunden werden und zwar durch entsprechende „Abriegelungs-Operationen, die die global Reichen von den Spannungen und Problemen der Armen abschirmen. Da das Verhältnis der Weltbevölkerung, die in Armut und Frustration lebt, massiv bleiben wird, werden die Spannungen und Konflikte zwischen ihrer Welt und der der Reichen weiterhin wachsen. Da wir bis zum Jahr 2020 die Wurzeln dieser Probleme nicht gelöst haben werden, ist es wichtig die Absperrungen zu verstärken.“ (3)

Auf das Konto dieser Politik gehen die Toten vor Lampedusa. Mit dem jüngsten Beschluss des EU-Parlaments zur Einrichtung des Grenzüberwachungssystems EUROSUR werden diese „Abriegelungsoperationen“ mit hochtechnologischen Mitteln weiter verschärft.

Raus aus Frontex und Dublin-Regime!

Die Solidar-Werkstatt kämpft deshalb dafür, dass Österreich aus diesem mörderischen EU-Konkurrenz- und Grenzregime aussteigt, das zuerst Krieg und Elend produziert und schließlich die davor Flüchtenden zu tausenden zu Tode kommen lässt. Johanna Weichselbaumer, Aktivistin der Solidar-Werkstatt: „Wir fordern eine humane Asylpolitik, insbesondere den sofortigen Ausstieg aus Frontex und aus den Dublin-Verordnungen der EU, die die automatische Abschiebung in sog. ‚sichere Drittstaaten’ ermöglichen, ohne die Einzelfälle zu prüfen. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Genfer Konvention. Wir brauchen eine aktive Frieden- und Neutralitätspolitik, die sich den EU- und US-Kriegstreibern an der Spitze der ‚globalen hierarchischen Klassengesellschaft’ entgegenstellt. Wir müssen die Ursachen der Flucht, nicht die Flüchtlinge bekämpfen.“

Quellen:
(1) http://fortresseurope.blogspot.co.at/2006/01/festung-europa.html
(2) http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=174&clang=0
(3) EU-ISS, „What Ambitions for European Defence in 2020“, Paris, 2009