Am 15. Mai 2020 veranstaltete die Solidarwerkstatt Österreich am Wiener Christian Broda-Platz eine Kundgebung, um den 65. Jahrestag des Österreichischen Staatsvertrags zu feiern. „Der Staatsvertrag ist die Geburtsurkunde eines unabhängigen und demokratischen Österreichs. Der Staatsvertrag ebnete Neutralität und Sozialstaat den Weg.“, heißt es im Aufruf der Solidarwerkstatt. Eine Reihe von RednerInnen stellten sodann – unter verschiedenen Gesichtspunkten - die Brücke von der Geschichte zur Gegenwart her.
Gesundheits- statt Rüstungsforschung!
Die Solidarwerkstatt-Aktivistin Eveline Steinbacher ging vor allem auf die friedenspolitische Dimension ein. Sie kritisierte, dass sich Österreich mit der Teilnahme an der „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) zur permanenten Aufrüstung und zur Teilnahme an den EU-Battlegroups verpflichtet, was ebenso neutralitäts- wie staatsvertragswidrig sei. Als „Irrwitz“ bezeichnete sie, dass das türkis-grünen Regierungsprogramm die Rüstungsforschung an Österreichs Hochschulen intensivieren wolle: „Gerade die Coronakrise zeigt uns doch: Wir brauchen mehr Forschungsgelder dafür, Menschen am Leben zu erhalten und nicht dafür, sie möglichst rasch ins Jenseits zu befördern.“ Eveline Steinbacher rief daher dazu auf, an Österreichs Hochschulen Zivilklauseln zu verankern, die sicherstellen sollen, ausschließlich für zivile Zwecke und friedliche Ziele zu forschen.
Vielfalt bereichert unser Land
Der Buchautor Markus Gartner übersandte eine schriftliche Grußbotschaft, in der er die Bedeutung des Minderheitenschutzes hervorhob, der im Staatsvertrag verankert ist: „Der Staatsvertrag garantiert den Volksgruppen in Österreich umfassende Rechte und sorgt so für Vielfalt und Toleranz. Dafür möchte ich mich mit einem ‚Lipa Hvala‘ (einem großen Dankeschön im Burgenland-Kroatischen) bedanken. Diese Vielfalt bereichert unser Land und macht uns stark. Seien wir stolz auf diese Vielfalt und kommen wir durch und mit dieser Vielfalt aus der Krise.“
Antifaschistische Grundlagen der 2. Republik verteidigen!
Der Solidarwerkstatt-Aktivist Boris Lechthaler verwies darauf, dass wir dieser Tage nicht nur 65 Jahre Staatsvertrag, sondern auch 75 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus feiern. Es sei mehr denn je notwendig, die antifaschistischen Grundlagen der 2. Republik zu verteidigen und lebendig zu halten. Besonders gefährlichen seien herrschende Geschichtsumdeutungen, die die Tatsache, dass Österreich Opfer des Hitlerfaschismus gewesen ist, zum „Mythos“ zu erklären. Boris Lechthaler: „Wer die Tatsache, dass Österreich Opfer der Aggression Nazideutschlands war, zum Mythos erklärt, erklärt die antifaschistischen Grundlagen der II. Republik zum Mythos. Trotz aller betulichen antifaschistischen Bekenntnisse führender Repräsentanten der Republik, wird vom NS-Verbotsgesetz nicht mehr gesprochen. Damit wird der Antifaschismus zum hohlen, zahnlosen Bekenntnis.“
„Demokratisch – sozial – neutral – souverän“
Wilhelm Langthaler, Aktivist des Personenkomitees Selbstbestimmtes Österreich, hob hervor, dass Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz auf mehreren Ebenen den Boden für eine fortschrittliche Ausgestaltung der 2. Republik gelegt haben: Für den Antifaschismus, insbesondere gegen das großdeutsche Reich; für den Frieden, insbesondere gegen das Mitmarschieren bei imperialistischen Kriegen; für den Aufstieg des Sozialstaats. Auf allen diesen Ebenen gibt es seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union jedoch erhebliche Rückschritte. Wilhelm Langthaler: „Permanent werden soziale Errungenschaften in Frage gestellt, siehe Pensionskürzungen, 12-Stundentag, Angriff auf die Sozialversicherung. Österreich wird wieder in Kriegspolitik hineingezogen, wie man beim NATO-Angriff auf die BR Jugoslawien gesehen hat.“ Sein Resümee daher: „Statt Unterordnung unter die EU brauchen wir ein selbstbestimmtes Österreich – demokratisch, sozial, neutral und souverän!“
„Nie wieder kürzen bei Gesundheit und Pflege!“
Der Solidarwerkstatt-Aktivist Gerald Oberansmayr knüpfte direkt an den Vorredner an. Denn mit Inkrafttreten des EU-Fiskalpakts verpflichtete sich Österreich auch zur „Deckelung“ seiner Gesundheitsausgaben, um von der EU-Kommission aus dem „Defizitverfahren“ entlassen zu werden. Das führte dazu, dass es in Österreich im letzten Jahrzehnt zu empfindlichen Einschnitten in der Gesundheitsversorgung kam: 4.500 Akutbetten wurden in den Spitälern abgebaut, 300 Kassenarztstellen gestrichen, 29 öffentliche Krankenanstalten geschlossen. Spätestens mit Coronapandemie zeige sich, wie verantwortungslos diese Austeritätspolitik sei. Sein abschließender Aufruf daher: „Nie wieder kürzen bei Gesundheit und Pflege! Weg mit der Deckelung der Gesundheitsausgaben!“.
Rot-weiß-rote Airline für sozial-, umwelt- und klimapolitische Ziele
Im Anschluss ging David Stockinger auf eine Frage ein, die für ihn als Schwechater Gemeinderat von größter Bedeutung ist: die umstrittene Zukunft der AUA. Er lehne es ab, „der Lufthansa Geld zu schenken“, befürworte aber, dass sich der österreichische Staat an der Fluglinie in einem Ausmaß beteilige, die ihm einen „deutlichen Einfluss“ auf die Geschäftspolitik verschaffe: „Wir müssen Schluss mit dem neoliberalen Dogma machen, dass sich der Staat nicht an Wirtschaftsunternehmen beteiligen darf.“, so Stockinger. Und weiter: „Eine rot-weiß-rote Airline muss genutzt werden, um in dieser Branche sowohl arbeitnehmerfreundliche, soziale Standards durchzusetzen als auch um umwelt- und klimapolitische Ziele zu verfolgen.“
Arbeitslosengeld rauf auf 80%!
Abschließend ergriff der Solidarwerkstatt-Vorsitzende Norbert Bauer das Wort. Als Betriebsratsvorsitzender einer großen Hotelkette ist er unmittelbar mit den sozialen Folgen der Coronakrise konfrontiert. Seine zentrale Aussage: Das neoliberale EU-Konkurrenzregime verschärft die wirtschaftlichen Folgen und blockiert eine faire Lastenverteilung der Corona-Krise. Der Euro ist für die Mitgliedsstaaten eine Fremdwährung. Das verhindert den Rückgriff auf die Nationalbank, um rasch und unbürokratisch den Menschen zu helfen. Auch mitten im Lockdown müsse sich die Regierung ständig den Sanktus von der EU-Kommission erbitten, um Staatsgelder für die wirtschaftlich hart getroffenen Gruppen zur Verfügung stellen zu dürfen. Selbst angesichts von Hundertausenden zusätzlichen Arbeitslosen und einer heranrollenden Insolvenzwelle seien die EU-Institutionen nicht bereit, das EU-Beihilfenrecht außer Kraft zu setzen. In diesem Zusammenhang kritisierte er das Außerkraftsetzen der Entschädigungsregelung des Epidemiegesetzes. Bauer: „Dadurch sind Rechtsansprüche gleichsam durch Gnadenakte ersetzt worden. Aus ‚Koste es, was es wolle‘ wurde sehr bald: ‚Koste es, was uns die EU- Kommission vielleicht gnädig gewährt‘“. Viele Menschen sind verzweifelt und von Armut bedroht. Norbert Bauer forderte, das Arbeitslosengeld sofort auf eine Nettoersatzrate von 80% anzuheben.
Seine abschließenden Worte spannten gleichsam eine Klammer über die verschiedenen Reden dieser Kundgebung: „JETZT ist SOFORTHILFE nötig, unter Ausübung aller zur Gebote stehenden politischen Macht (!) - auch auf die Gefahr hin, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren auf sich zu ziehen. Was wir definitiv nicht unterstützen sind die politischen Anwandlungen der offenbar Unbelehrbaren, also ALLER im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien, grotesker- infamer-, und geradezu zynischer Weise in dieser Situation - Zitat - „Jetzt mehr EU-Europa zu wagen“. Die Losung der Solidarwerkstatt an diesem 15. Mai kann und wird demgegenüber klar und deutlich lauten: JETZT DEN EU-AUSTRITT WAGEN! Wann wenn nicht jetzt!“. Es lebe die zukünftige Friedensrepublik, der immerwährend neutrale Solidarstaat Österreich! Damit wir einst doch wieder voll Stolz und Zuversicht rufen können: „ÖSTERREICH IST FREI!“