ImageEine von AK und ÖGB präsentierte Studie über die Auswirkungen der EU-Postmarktliberalisierung ist eindeutig: „Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind verheerend. Arbeitsplatz-Abbau, Lohndumping und atypische Beschäftigungsverhältnisse sind Auswirkungen der Liberalisierung." (AK-Vorsitzender Rudolf Kaske) Es gilt, daraus Konsequenzen zu ziehen.

„Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit haben für die Österreichische Post oberste Priorität,“ heißt es im Geschäftsbericht 2013 der Österreichischen Post AG. Wer jedoch gehofft hat, dass damit vielleicht eine Kurskorrektur eingeleitet würde, um endlich wieder auf besseres Kundenservice durch mehr MitarbeiterInnen und mehr Postfilialen statt auf maximalen Gewinn zu orientieren, wird schon im nächsten Satz eines schlechteren belehrt: „Das gilt natürlich auch für unsere attraktive Dividendenpolitik, die weiterhin einen stabilen Eckpfeiler unserer Unternehmenspolitik bildet: Für 2013 werden wir der Hauptversammlung in diesem Sinn eine Dividende von 1,90 EUR vorschlagen.“

1,90 Euro je Dividende bedeutet, dass die Dividendenausschüttung je Aktie seit dem Börsegang 2006 um satte 90% gesteigert wurde. Für 2013 wurde ein Konzerngewinn von 124 Millionen Euro erwirtschaft, 123,6 Millionen – also 99,7% davon werden an die Aktionäre als Dividende ausgeschüttet. Das ist keine einmaliger Ausrutscher. Addiert man die Gewinne und Dividenden im Zeitraum 2006 bis 2013, so sieht man, dass in diesem Zeitraum 98,3% der Gewinne an die Aktionäre weitergereicht wurden.

Dabei hat der Börsegang die Entwicklung bloß beschleunigt, ausgelöst wurde sie durch die EU-Postmarktliberalisierung an der Jahrhundertwende. Seit damals (2002-2013) kletterten die Dividendenausschüttungen um glänzende 326% in die Höhe, auch die Vorstandsbezüge durften mit einem Wachstum von plus 168% ordentlich mitnaschen. Gänzlich auf der Strecke dagegen blieben die MitarbeiterInnen. Deren Zahl sank um fast 6000, ein Minus von fast 20%. Aktionäre und Chefetagen gehören zu den wirklichen Gewinnern der EU-Liberalisierungspolitik (sh. Grafik).Image

„Auswirkungen auf Beschäftigte sind verheerend“

Zu demselben Ergebnis kommt eine Studie des Insituts FORBA, die die Auswirkungen der Postmarktliberalisierung in den EU-Staaten während der letzten 15 Jahr unter die Lupe genommen hat und von AK und ÖGB heuer präsentiert wurde. AK-Wien Vorsitzender Rudolf Kaske spricht von einem „ziemlich ernüchterndes Bild von den Auswirkungen der Postmarktliberalisierung“. Der Vorsitzender der Postgewerkschaft Helmut Köstlinger erläutert das näher: „Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind verheerend. Arbeitsplatz-Abbau, Lohndumping und atypische Beschäftigungsverhältnisse sind Auswirkungen der Liberalisierung. Was die EU-Kommission mit der Liberalisierung ursprünglich wollte, dass es zu einem besseren Service für die Kunden kommt, zu mehr Beschäftigung, mehr Wettbewerb, das ist alles nicht eingetroffen. Fakt ist, dass der Druck auf die Beschäftigten ganz massiv gestiegen und das Lohnniveau gesunken ist. Heute muss in Österreich ein Briefzusteller doppelt so große Rayone bedienen wie vor der Liberalisierung - bis zu einer Tonne täglich. Im Filialnetz kam es zu einer massiven Schließungswelle bei den Postämtern. Hatten wir vor der Liberalisierung noch über 2000 eigenbetriebene Postfilialen, so stehen wir heute bei lediglich 520. Die als Ersatz eingerichteten Post-Partner bieten nicht das volle Service einer eigenbetriebenen Postfiliale. Das bedeutet für die Kunden weniger Qualität und längere Wege.“

Damit einher geht Lohndumping bei den Post-Beschäftigten. Alleine in der Briefzustellung gingen die Basis-Gehälter seit 2009 um rund 25 Prozent für neu eintretende Mitarbeiter zurück. Für mehr Arbeit gibt es also weniger Geld. Dazu kommt, dass in der Paketbranche sechs verschiedene Kollektivverträge gelten. Köstlinger: „Wir kritisieren seit Jahren die Umgehung aller arbeits- und sozialrechtlichen Normen mit Scheinselbständigkeiten. Ein Konkurrent in der Briefzustellung ist die Post-Tochter Feibra. Dort wird fast ausschließlich nach Stückgeld bezahlt. Das bedeutet umgerechnet einen Brutto-Stundenlohn von rund 5 Euro.“

Aus Fehlern Konsequenzen ziehen!

Die Kritik von ÖGB-Funktionären an der EU-Liberalisierungspolitik ist richtig und überfällig. Sie wäre freilich glaubwürdiger, wenn sie mit etwas Selbstkritik verbunden wäre. Denn in Nibelungstreue zur Kanzlerpartei haben die ÖGB-Granden bestenfalls die Faust in der Hosentasche geballt, als noch unter SPÖ-Kanzlerschaft in den 90er Jahren die Liberalisierung auf Schiene gebracht wurde. Und nicht selten haben führende ÖGB-Funktionäre selbst dabei noch angeschoben: So hat im Jahr 2004 ein gewisser Fritz Verzetnitsch, damals seines Zeichens ÖGB-Präsident den Zwischenbericht zur sog. „EU-Lissabon-Strategie“ mitunterzeichnet, in dem u.a. folgende Forderung zu finden ist: „Vollendung des Binnenmarkts für netzgebundene Industriezweige: Schrittweise Liberalisierung von Märkten und netzgebundenen Industriezweigen, insbesondere der Gas- und Elektrizitätswirtschaft (2007), der Postdienste (2006), des Schienenverkehrs (2008) und des Luftverkehrs.“

Es geht freilich nicht darum, auf Fehlern von gestern herumzureiten. Es geht darum, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Seit zwei Jahrzehnten beschwört die ÖGB-Führung die „soziale EU“. Seit zwei Jahrzehnten wird über die EU das soziale, antigewerkschaftliche Rollback betrieben – und das mit steigendem Tempo. Jetzt muss daher für GewerkschafterInnen endlich heißen: Hören wir auf, Weihnachtpost nach Brüssel zu schicken, kämpfen wir für den Ausstieg aus diesem asozialen EU-Binnenmarktregime! Wieviele Studien mit „ziemlich ernüchternden Bildern“ braucht es noch, bis es zu einem solchen Umdenken kommt?

Gerald Oberansmayr
18.11.2014